Warum Hansjörg Wyss bei Chelsea den Treffer sucht

Milliardäre sind sie beide. Das ist aber schon die einzige Gemeinsamkeit, die Hansjörg Wyss und Roman Abramowitsch verbindet. Hier der 86-jährige Selfmade-Mann, der sein als Medtech-Unternehmer verdientes Vermögen für wohltätige Zwecke vergibt. Dort der 55-jährige Russe, der sein auf undurchsichtigen Wegen erlangtes Reichtum gerne in Jachten, Villen und andere luxuriöse Spielzeuge investiert. Wie den FC Chelsea. Und dadurch entsteht eine zweite Verbindung zwischen Wyss und Abramowitsch. Denn der Russe muss sich nach 19 Jahren vom englischen Spitzenfussballclub trennen. Und Hansjörg Wyss möchte Chelsea kaufen: Zusammen mit dem US-Milliardär Todd Boehly und dem englischen Investmentmanager Jonathan Goldstein hat er ein Gebot eingereicht, ist Medienberichten zu entnehmen. Noch diese Woche dürfte sich entscheiden, ob das Trio den Ball über die Torlinie bringt. Sportbegeistert und grosszügig Wyss’ offensiver Spielzug überrascht. Als vielseitig galt Hansjörg Wyss immer – der superreiche Berner, der seit Jahren im US-Bundesstaat Wyoming lebt. Als sportlich auch. Tennis spielt er gerne, früher fuhr er begeistert Velo, auch Wanderschuhe schnürte er sich regelmässig um. Als junger Mann berichtete er für die «Neue Zürcher Zeitung» über die Olympischen Winterspiele. Als Geldgeber im Sport trat der 86-Jährige aber bislang noch nicht gross auf. In Kultur, Wissenschaft, Umweltschutz oder Politik hingegen schon. Die Liste der wohltätigen Zwecke ist lang, für die Wyss zig Millionen Franken ausgibt. Schaltzentrale des Mäzens ist die Wyss Foundation in Washington D.C. Mindestens die Hälfte seiner geschätzt 7,5 Milliarden Franken will Wyss noch spenden. Er hat den «Giving Pledge» signiert, mit dem sich auch andere Superreiche wie Bill Gates oder Warren Buffett zum Spendentum verpflichten. Es geht um das Business Natürlich: Wyss’ Offerte für Chelsea ist nicht als ein karitatives Engagement zu verstehen. Es geht um das Business. Dafür steht auch sein Partner, Todd Boehly. Der Co-Gründer der Holding Eldridge Industries und Mitbesitzer des US-Baseball-Teams LA Dodgers und der Basketball-Franchise Los Angeles Lakers weiss, wie man mit Spitzensport Geld verdient. Schon einmal hatte sich Boehly um Chelsea bemüht. Chelsea, amtierender Gewinner der Champions League, ist einer der erfolgreichsten Clubs der Welt. Und doch dürfte es nicht einfach werden, mit den «Blue Devils» Gewinn zu machen. Und das liegt vor allem an Roman Abramowitsch. Der Oligarch läutete vor 19 Jahren bei Chelsea die Ära des unbegrenzten Geldausgebens ein, die den ganzen englischen Fussball verändert hat. Er machte den kriselnden Verein aus Londons Westen wieder zu einem Spitzenclub, indem er mit Spitzensalären die besten Spieler ins Stadion an die Stamford Bridge lockte – und den damals spektakulärsten Trainer, José Mourinho, obendrein. Das Erfolgsrezept funktionierte, doch die Titel sind teuer erkauft. Roman Abramowitsch hat das Engagement mindestens 1,5 Milliarden Pfund (1,8 Milliarden Franken) gekostet – so viel hat er nach eigenen Worten in den letzten Tagen dafür abgeschrieben.Mehr zum Thema Milliardär Hansjörg Wyss: «Gutes tun ist nicht so einfach» ABO «Ich war mein ganzes Leben glücklich – ob mit oder ohne Geld» ABO Roman Abramowitsch: Neue Hinweise auf korrupte Geschäfte Roman Abramowitsch steht im Abseits – die Zukunft von Chelsea bleibt offen Das Imperium geht zugrunde Denn das «Roman Empire» ist zusammengebrochen. Die britische Regierung hat Abramowitsch wegen seiner Verbindungen zum Kreml auf ihre schwarze Liste gesetzt und sein Vermögen eingefroren. Chelsea darf nur mit einer Sondergenehmigung weiterspielen. Einem Verkauf will die Regierung von Boris Johnson zwar nicht im Wege stehen, Roman Abramowitsch soll aber weder direkt noch indirekt davon profitieren. «Wer Putins Regime ermöglicht hat, soll dafür zahlen», heisst es an der Downing Street. Abramowitschs Zeit im englischen Spitzenfussball ist zu Ende, sein Geschäftsmodell wird ihn aber überdauern. Der russische Oligarch zeigte vor, wie man als Clubbesitzer Prestige und Einfluss gewinnt, und Investoren aus aller Welt folgten dem Vorbild und kauften einen Club: Bei Manchester City hat die Herrscherfamilie von Abu Dhabi das Sagen, bei Newcastle ist der saudische Staatsfonds engagiert und bei den Wolverhampton Wanderers der chinesische Konzern Fosun, um nur drei Beispiele zu nennen. Ein Bieter aus Saudi-Arabien Auch für Chelsea bietet jetzt ein Investor, der im Westen nicht die beste Reputation geniesst: Die Mediengruppe SRMG aus dem – durch die saudische Herrscherfamilie regierten – Saudi-Arabien hat offenbar ein Gebot eingereicht. Da die britische Regierung beim Verkauf mitreden kann, wird dieser Offerte aber wenig Chancen eingeräumt. Früher wurden Oligarchen, Staatsfonds und andere umstrittene Investoren in London warm empfangen. Diese Zeiten sind vorerst vorbei. Hansjörg Wyss und seine Partner werden sich gegen stärkere Gegenspieler durchsetzen müssen. Dutzende Namen werden als Interessenten gehandelt; als aussichtsreichster Bewerber gilt der Londoner Luxusimmobilienunternehmer Nick Candy. Candy, ein Fan der «Blue Devils» seit Kindesbeinen, verspricht den Fans sogar einen Sitz in der Clubführung. Die Anhängerinnen und Anhänger sollen bei Chelsea mitreden können, «sowohl im Board wie auch wirtschaftlich», sagte Candy gegenüber dem Sender Sky. Auch Sportimpresarios aus den USA wird ein Interesse nachgesagt, etwa dem Houston-Rockets-Besitzer Tilman Fertitta aus der Basketballliga NBA. Oder Josh Harris, Eigentümer der New York Jets, aus dem American Football. Auch Mixed-Martial-Arts-Kämpfer Conor McGregor und der türkische Unternehmer Muhsin Bayrak haben sich mit ins Spiel gebracht. Hansjörg Wyss' Offerte soll laut dem «Guardian» gut 2 Milliarden Pfund betragen. Das ist viel weniger, als Abramowitsch eigentlich wollte und als andere – wie Nick Candy – versprechen. Bald wird sich zeigen, ob der Schweizer diesen Match gewinnt. Mit dem Verkauf ist die US-Bank Raine Group betraut, bis Ende Woche nimmt sie noch Gebote entgegen.