Basel greift seiner Biotech-Szene mit 40 Millionen unter die Arme

Sie werden gefeiert, gehypt und geherzt. Gemeindepräsidentinnen sind stolz, wenn sie sich bei ihnen niederlassen, und Regierungsräte loben sie, wenn zwischen Genf und St. Gallen Innovationsparks eingeweiht werden. Doch als es im vergangenen Sommer hart auf hart ging und die Corona-Krise Hunderte Startups an den Abgrund brachte, war es mit der Zuneigung nicht mehr weit her. Keine andere Unternehmenskategorie musste bei der Covid-Krisenhilfe derart unten durch wie die Unternehmen, die dafür sorgen, dass die Schweiz auch in Zukunft hochwertige Industrien hat. Die nächsten Actelions und GetYourGuides mussten in der Coronakrise vor allem selber schauen, wo sie blieben. Coronakise trifft Biotech: Spät, dafür härter Besonders hart trifft es die Biotech-Jungunternehmen – mit einem Investitionsvolumen von 1,5 Milliarden jährlich eine der bedeutendsten Startup-Szenen der Schweiz. «Vielen forschenden kleinen und mittleren Unternehmen geht das Geld aus», sagt Michael Altorfer, CEO des Swiss Biotech Association. Die Unternehmen hätten die ersten drei Quartale des Corona-Jahres dank ihrer langen Finanzierungszyklen von durchschnittlich eineinhalb Jahren vergleichsweise gut überstanden. «Viele Biotech-Startups konnten in den ersten Monaten des vergangenen Jahres noch Finanzierungsrunden abschliessen, die noch im Jahr zuvor eingeleitet wurden», sagt Michael Altorfer, CEO der Swiss Biotech Association. «Doch nun wird es eng, die nächsten Monate werden entscheidend sein». Die Krise erreicht die Biotech-Szene später als andere, dafür mit umso grösserer Wucht. Das hängt damit zusammen, dass Covid-19 die Industrie in einer ganz spezifischen Art und Weise trifft. Das Problem: Viele Unternehmen konnten ihre Wirkstoffkandidaten nicht wie geplant an Patienten und Patientinnen testen. Viele klinische Studien konnten nicht durchgeführt werden; sei es, dass es die Ressourcen der Spitäler wegen Corona nicht mehr zuliessen, klinische Studien durchzuführen, sei es, dass es den Patienten und Patientinnen wegen der Lockdowns nicht mehr möglich war, zu den Spitälern zu reisen, um an einer klinischen Studie teilzunehmen. Nun fehlen den Startups die klinischen Daten, die es braucht, um die nächste Stufe zu zünden und ihre Geldgeber zu überzeugen, weiter in ihr Unternehmen zu investieren. «Wenn wir nichts unternehmen, dann riskieren wir, dass die Schweizer Biotech-Szene nachhaltig Schaden nimmt», sagt Roger Meier, Biotech-Investor aus der Region Basel. «Es macht mich fassungslos, dass der Bundesrat tatenlos zusieht, wie eine der zukunftsträchtigsten Industrien, die wir haben, ums Überleben kämpft». Es könne doch nicht sein, dass der Bund Milliarden aufwerfe für alle möglichen Industrien, aber gleichzeitig nicht ein paar Dutzend Millionen finde, um den Biotechs unter die Arme zu greifen. «Da verstehe ich die Welt nicht mehr». Durch alle Maschen gefallen In der Tat: Die Startups sind bei der Coronahilfe durch alle Maschen gefallen. Staatliche Überbrückungskredite machten hier wenig Sinn, da sie zu einer Überschuldung führen. Das heisst, die Unternehmen müssen restrukturieren und das geht bei derat schlank aufgestellten Gesellschaften sofort an die Substanz. Die Härtefallregelung griff nicht, weil Startups per Definitionen keinen Umsatz machen und deshalb auch keine Umsatzeinbussen geltend machen konnten. Und das Startup-Programm, das der Bund im vergangenen Sommer auflegte, war mit 100 Millionen Franken und einem Maximalbetrag von einer Million Franken pro Startup inbesondere für die kapitalintensive Biotechbranche nicht mehr als einen Tropfen auf einen heissen Stein. «Unsere Unternehmen haben Kosten von einer bis fünf Millionen Franken pro Monat», sagt Michael Altorfer, CEO der Swiss Biotech Association. «Der Bund hat minutiös darauf geachtet, dass Unternehmen ohne Umsatz keinen Zugang zu den Covid-Not-Krediten bekommen.» Das aber gefährde Unternehmen, die für die Innovationskraft der Schweiz wichtig seien und die ohne Krise womöglich sehr wohl eine Zukunft hätten. Denn: «Die Unternehmen, denen nun die Luft ausgeht, haben nicht etwa schlechte Technologien. Sie können momentan wegen der Verzögerungen bei ihren Forschungs- und Entwicklungsprojekten nur nicht beweisen, dass sie gut sind.» Basel macht vor, wie Coronahilfe bei Startups geht Doch nun springt der Basel-Stadt in die Bresche. Der Stadtkanton, Heimat der Grosskonzerne Roche und Novartis sowie Standort des bedeutendsten Biotechclusters Europas, lässt 40 Millionen Franken springen, um seiner Biotechszene den Rücken zu stärken – ein Betrag, den selbst ein finanzkräftiger Kanton wie Basel-Stadt nicht aus der Portokasse nimmt. Entscheidend dabei: Die von der Basler Kantonalbank vergebenen Darlehen sind nachrangig; das heisst, sie müssen im Konkursfall erst in zweiter Linie bedient werden und führen nicht zu einer Überschuldung. «Das ist sehr technisch, aber wichtig», sagt Samuel Hess, Leiter Wirtschaft vom Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Basel-Stadt. Verbürgt werden die Darlehen zu 90 Prozent vom Kanton und, für eine ersten Tranche von 10 Millionen Franken, zu 10 Prozent von der Eckenstein-Geigy-Stiftung. Optionen für den Kanton Als Gegenleistung bekommen der Kanton und die Stiftung Warrants, die sie im Erfolgsfall einlösen können. Heisst das, der Kanton setzt darauf, dass sich eines der Startups, die er jetzt unterstützt, zu einer zweiten Actelion entwickelt? Und dass sich die Investition deshalb am Schluss rechnet? «Nein», sagt Samuel Hess, «wir wollen nicht spekulieren.» Allfällige Aktien, die sich aus der Ausübung der Aktionen ergeben und im Besitz des Kantons sind, sollen nur kurz gehalten und dann wieder veräussert werden. Ziel sei es, die Belastung für den Steuerzahler möglichst tief zu halten. Der Kanton verstehe sich nicht als eigentlicher Aktionär, sondern als stiller Partner, sagt Samuel Hess. «Wir werden den Unternehmen nicht ins Geschäft reden». Und auch sonst ist Startup-Programm ganz auf die Bedürfnisse der Biotechindustrie zugeschnitten: Anders als beim Bund gibt es in Basel keine Höchstbeträge; und die maximale Frist, innerhalb der die Darlehen zurückbezahlt werden müssen, liegt bei 10 Jahren. Damit trägt der Kanton dem Umstand Rechnung, dass die Entwicklung einer neuen Therapie von der ersten Reaktion in der Petrischale bis zur Zulassung gut und gerne zehn Jahre dauert – auch wenn durch die rekordschnelle Entwicklung von Corona-Impfstoffen gegenwärtig ein anderer Eindruck entstehen könnte. Andere Kantone zeigen Interesse Der Regierungsrat sei überzeugt, «mit diesem neuartigen Programm einen wirksamen Beitrag zur mittelfristigen Existenzsicherung und zum Wachstum von wissenschafts- und technologiebasierten Start-ups im Kanton Basel-Stadt leisten zu können», heisst es in der Pressemitteilung. Die ersten Reaktionen geben ihm recht. Seit der Aufschaltung des Programms Mitte Dezember sei bereits «ein Handvoll» Gesuche eingegangen, sagt Samuel Hess. Zudem sorgt das Basler Programm über die Kantonsgrenzen hinaus auf Interesse. Gut möglich deshalb, dass das Basler Startup-Programm mit seiner Dreicksbeziehung Startup-Kanton-Bank schon bald Schule machen wird.