Bundesrat will EU-Firmen das Arbeiten in der Schweiz erleichtern

Wirtschaftsminister Guy Parmelins Staatssekretariat für Wirtschaft will ausländischen Firmen das Leben leichter machen. Es soll einfacher werden, in der Schweiz für Einzelaufträge tätig zu sein. Das Projekt koordiniert das Justizdepartement. Und alle Fäden laufen bei Justizministerin Karin Keller-Sutter zusammen. Das zeigen Recherchen der «Handelszeitung». Alle Beteiligten sprechen vom «Projekt Karin Keller-Sutter». Was steckt dahinter? Heute gilt dabei eine Voranmeldefrist von acht Tagen. Diese soll auf vier Tage verkürzt werden, zudem soll mit dem Papierkram Schluss sein. Stichwort Digitalisierung: Heute geschieht die Voranmeldung per Online-Meldetool oder in Ausnahmefällen schriftlich. Die EU kritisiert dies als umständlich und sieht darin puren Protektionismus der Schweiz. Die Acht-Tage-Regel sei unvereinbar mit dem bilateralen Vertrag über die Personenfreizügigkeit, argumentierte Brüssel bei den Verhandlungen über das Rahmenabkommen. Tatsächlich gibt es eine solche Acht-Tages-Frist nirgends sonst im EU-Binnenmarkt. Auch für Schweizerinnen und Schweizer nicht: Wenn ein hiesiges Unternehmen beispielsweise in Frankfurt einen Auftrag ausführen will, kann es dies ohne eine mehrtägige Meldefrist tun. Italien verlangt heute eine Meldepflicht einen Tag im Voraus. In Frankreich wurde die viertägige Frist 2018 auf Druck von Brüssel abgeschafft. Der Schweizer Lohnschutz ist offensichtlich diskriminierend. Ein Kommentar. Die Ausnahmeregelung für die Schweiz im sogenannten Entsendewesen ist denn auch ein Hauptgrund, warum die EU bis heute auf eine institutionalisierte Streitschlichtung pocht, die die Binnenmarktregeln der EU durchsetzen lässt. Doch das wollte die Schweiz nicht und hat sich einer Reform der Schweizer Schutzbestimmungen vor Lohndumping jahrelang widersetzt. So kam es zur Abkühlung des Verhältnisses zur EU und schliesslich zum Fall des Projekts Rahmenabkommen. «Autonome» Einsicht der Schweiz Doch nun bröckelt der Widerstand. Der Vorschlag für eine neue Regelung geniesst offenbar Zustimmung von fast allen Seiten. Dies zeigen Gespräche mit Beteiligten. In den Details will man sich noch nicht festlegen – und damit den Verhandlungsspielraum offen lassen. Die Arbeiten konzentrieren sich derzeit im Staatsekretariat für Wirtschaft, das für die Flankierenden Massnahmen zuständig ist. Doch für den Bericht ist Keller-Sutter verantwortlich. Und Beteiligte anderer Departemente sagen, sie lasse sich «nicht gerne ins Projekt hineinschauen». Betont wird, dass die Schweiz eine Reform «autonom» beschliesse und nicht auf Druck der EU. Der Anlass ist das Projekt «Regelungsunterschiede mit der EU» des Bundes. Ein Insider betont, dass das Projekt von Justizdepartement Keller-Sutter «nur koordiniert» werde und «dass Parmelins Staatssekretariat für Wirtschaft die Arbeiten hauptsächlich» voran treibe. Auch Aussenminister Ignazio Cassis sei Teil der Arbeitsgruppe. Doch die Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, wichtigen Wirtschaftsverbände und Kantone sprechen alle «vom Projekt Keller-Sutter». Sie waren zu diversen Arbeitssitzungen der Verwaltung eingeladen.Projekt «Regelungsunterschiede anpassen» Die Aufgabe von Keller Sutter ist laut Gesamtbundesrat, die Regelungsunterschiede in der Personenfreizügigkeit, dem Luft- und Landverkehr, der Landwirtschaftsabkommen, der staatliche Beihilfen sowie der Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA) zu nennen und Lösungen zu präsentieren. Eingeschränkt ist der Auftrag durch den folgenden Zusatz: nur Regelungsunterschiede zu identifizieren, «bei denen eine autonome Anpassung im Interesse der Schweiz liegt». Ergo fehlen weite Teile: Der Bereich Finanzmarkt und Finanzdienstleistungen, die Marktöffnung für den internationalen Schienenpersonenverkehr sowie Aspekte der Unionsbürgerrichtlinie (Ausdehnung des Zugangs zur Sozialhilfe für Nichterwerbstätige). Beteiligt am Projekt sind die Kantone, die Sozialpartner und Wirtschaftsverbände. Die Regulierung der Personenfreizügigkeit fällt sowohl in die Zuständigkeit des Wirtschaftsdepartements von Guy Parmelin als auch des Justizdepartements von Karin Keller-Sutter. Aktuell läuft beim Staatssekretariat für Migration (SEM) ein Projekt zur Optimierung des Online-Meldeverfahrens. Das Ziel: «die Datenqualität und -übermittlung zu verbessern und damit zu einem effizienteren Vollzug der Flankierenden Massnahmen beizutragen», sagt ein Sprecher des EJPD. In einem zweiten Schritt wolle man Massnahmen zur Missbrauchsbekämpfung im Entsendewesen prüfen und umsetzen. Das SEM habe bereits «erste Massnahmen umgesetzt. Die gemeldeten Unternehmen werden anders sortiert und die Daten zur Kontrolle schneller an die Kontrolleure übermittelt. Weitere «umfangreichere Massnahmen» seinen in Planung». Bei dieser Planung sind die Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Wirtschaftsverbände und die Kantone mit dabei. Das EJPD betont, dieses Projekt stehe «in keinem direkten Zusammenhang» zum geplanten Programm zur Reduktion der «Regulierungsunterschiede mit der EU». Indirekt ist dies aber sehr wohl der Fall, denn ein besseres Onlinetool ermöglicht, die Meldefrist von 8 auf 4 Tage zu verkürzen. Wie es der frühere St. Galler Regierungsrat und heutige Ständerat Benedikt Würth Anfang April zur «NZZ» sagte: «Neue, digitale Prozesse sollen verhindern, dass die kürzere Frist zu einer Reduktion des Lohnschutzes führt.» Wenn die Onlinemeldungen vereinfacht und beschleunigt würden, könne die Schweiz die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmer «weiterhin wirksam überwachen». Bestätigt ist, dass Bundesrätin Karin Keller-Sutter das Reformprojekt «in einer der nächsten Bundesratssitzungen» in einem Aussprachepapier klären will. Danach, bis Ende November, soll der Plan in Form eines bundesrätlichen Berichts der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Zwei weitere Punkte Neben der Acht-Tage-Frist und der Digitalisierung des Meldewesens wird gleichzeitig an zwei weiteren strittigen Punkten geschliffen: an der von der EU-kritisierten Kautionspflicht und an der Abschaffung flächendeckender Lohnkontrollen von EU-Firmen im Entsendewesen. Laut FDP-Ständerat Ruedi Noser in einem «Handelszeitung»-Interview von letzter Woche und gemäss einer zweiten Quelle aus Gewerbekreisen steht eine Lockerung der Kautionspflicht zur Diskussion: Bei der erstmaligen Einreise für einen Auftrag soll sie zwar bestehen bleiben. Aber die Kaution soll der EU-Firma zurückbezahlt werden, sollte diese wiederholt tätig gewesen sein und mit ihren Arbeitseinsätzen in der Schweiz zu keinen Klagen Anlass gegeben haben. Was die Lohnkontrollen betrifft, will der Bund künftig «gezielt Risikobranchen» häufig kontrollieren und dafür EU-Firmen in anderen Branchen, mit wenig Missbrauchspotenzial, kaum mehr kontrollieren. Dies sagen die Vertreterinnen und Vertreter von zwei Wirtschaftsverbänden. Als Risikobranchen werden zum Beispiel das Ausbaugewerbe und der Gartenbau genannt. Bisher war die Vorgabe, dass im Schnitt jedes zweite EU-Unternehmen während des Einsatzes in der Schweiz kontrolliert wird. Keller-Sutters Sprecherin Agnès Schenker äusserte sich auf Anfragen nicht zu den Recherchen, weil es sich, wie sie sagte, um ein laufendes Geschäft handle. Zuspruch an beiden Polen Externe bestätigen, dass das Regulierungsprojekt weit fortgeschritten ist. Der Direktor eines bedeutenden Wirtschaftsverbandes betont, dieses Vorhaben sei «kein Abbau, sondern eine Stärkung der flankierenden Massnahmen», denn das Kontrollniveau werde «durch die Digitalisierung der Meldepflicht angehoben». Das richtet sich vor allem an die Adresse Gewerkschaften. Seine Befürchtung: dass die Linken eine solche Reform als «Abbau des Schutzes vor Lohndumping» geisseln könnten. Doch auch bei den Gewerkschaften gibt es Bewegung. Der Dachverband Travailsuisse bestätigt, an Gesprächen des EJPD im Projekt «Regulierungsunterschiede» teilgenommen zu haben. Zum Inhalt äussert sich ihr Präsident Adrian Wüthrich (SP) nicht. Aber er hält fest: «Sollte die Digitalisierung der Meldepflicht gute Resultate zeitigen, so stellen wir uns nicht gegen eine Verkürzung der Acht-Tage-Regel.» Zu den Lohnkontrollen sagt Wüthrich, dass die Kontrollorgane schon heute EU-Firmen nur risikobasiert kontrollieren. Die von der EU kritisierte Kontrollquote von 50 Prozent stehe zwar im schweizerischen Entsenderecht. «Tatsächlich liegt der Anteil der Kontrollen gemäss Bericht zu den Flankierenden Massnahmen mit 30 Prozent beim gesetzlichen Minimum.» Und die Kontrollpraxis sei je nach Kanton sehr unterschiedlich. Diese Bestimmungen der Flankierenden Massnahmen wurden vor zwanzig Jahren beim Abschluss der bilateralen Verträge mit der EU ausgehandelt und sind seitdem Schweizer Recht. Mit anderen Worten: Die Schweiz müsste nur diese Bestimmung in der Verordnung ändern und die Kontrollvorgaben etwas reduzieren. Dann wäre sie, was die Lohnkontrollen angeht, wohl bereits konform im Sinne der EU-Marktregeln. Verhandlungstaktisch unklug? In Diplomatenkreisen gibt es Kopfzerbrechen darüber, wie diese «autonome» Reform die Gespräche zum Verhältnis Schweiz/EU dynamisieren könnte. Es herrscht die Sorge, dass die EU die Reform nicht als Schweizer Entgegenkommen verstehen werde, sondern als eine selbstverständliche Anpassung, ohne dass sie der Schweiz in anderen, der Schweiz wichtigen Punkten entgegenkomme werde. Aus Gewerbekreisen heisst ist, eine Reform der Regeln im Entsendewesen sei «keine Priorität», aber man werde sich einem Beschluss unter Sozialpartnern nicht verschliessen. Der Hintergrund: Schweizer Gewerbebetriebe in grenznahen Gebieten fürchten sich vor einem Abbau der Hürden für EU-Firmen, weil es mehr Wettbewerb bringen könnte, und sind froh um die heutigen protektionistischen Bestimmungen für EU-Firmen. Ähnliche Überlegungen gibt es in der SVP. Mehr Wettbewerb sei schädlich für gewisse Branchen in Grenzregionen. Die Partei strebe keinen Abbau der Flankierenden Massnahmen an, solange die Personenfreizügigkeit gilt. Angefragte SVP-Wirtschaftspolitiker geben sich denn auch erstaunt darüber, dass das Projekt Keller-Sutters schon weit fortgeschritten sei. Kommentieren wollten sie es nicht. Der Bericht wurde um am Donnerstag um vier Elemente aktualisiert: dass das Staatssekretariat für Wirtschaft die geänderten Regeln des Entsendewesens vorantreibt, dass das Projekt durch das Justizdepartement koordiniert wird; dass die Entsendemeldungen vor allem online passieren und nur in Ausnahmefällen per Fax oder Post und dass das Staatssekretariat für Migration an einem neuen Onlinemeldetool arbeite (siehe Kasten).