So schlägt sich Mäder als Economiesuisse-Präsident

«Dreissigtausend Coronavirus-Infektionen wären verkraftbar – und Economiesuisse steht dahinter.» Diese Schlagzeile vom letzten Sonntag hatte Christoph Mäder, den Präsidenten von Economiesuisse, verärgert. Denn sie war falsch. Die wahre Aussage lautete, dass das Schweizer Spitalsystem erst bei 30'000 Neuinfektionen ans Limit gelangen würde. Die Zahl stammt aus einer mit Wissenschaftern erarbeiteten Studie. Dabei ging es dem Wirtschaftsdachverband, zusammen mit dem Arbeitgeberverband, um etwas anderes: um einen Perspektivenwechsel der Fallzahlen, um die Deutungshoheit. Diese wird seit längerem von Gesundheitsminister Alain Berset und den ihm wohlgesinnten Medien beansprucht: Die Fallzahlen seien das massgebende Kriterium der Pandemie und rechtfertigten einen monatelangen Lockdown. Bersets Ideal von 1500 bis 2000 Neuinfektionen sollten die 30'000 gegenübergestellt werden. Die PopulismusfalleDas Reframing hat geklappt. Jetzt debattiert man auch beim Bund über die Relevanz von Fallzahlen. Doch Mäder war nicht glücklich, dass Economiesuisse medial in Rücklage geriet. Linke und grüne Politiker diffamierten die Überlegungen als unethisch. Einmal mehr sei der Dachverband als elitärer Club herausgekommen. Er ist in die Populismusfalle getappt. Letzteren Satz hört man auch im bürgerlichen Lager: «Mäders Team ist fachlich hervorragend unterwegs. Es vereinigt viel Detailwissen. Aber es kann sein Wissen nicht in verständliche Worte fassen und verkaufen.» «Sein Team ist schwach im Campaigning», sagt ein Mäder wohlgesinnter FDP-Wirtschaftspolitiker. Ein anderer formuliert es schärfer: «Der Führung fehlt das Know-how für politische Mechanik.» Vor sechs Monaten ist Mäder als Economiesuisse-Präsident angetreten. Er hatte den etwas profillosen Heinz Karrer an der Verbandsspitze abgelöst und diverse Hypotheken geerbt. Die eine Hypothek: «Dass Bundesräte nicht mehr wissen, wofür Economiesuisse steht», heisst es aus zwei Quellen. Die andere: Dass Economiesuisse als der Verband der Konzerne gesehen werde, ärgert sich ein Mitglied des Vorstandsausschusses. Dabei müsste Economiesuisse auch KMU vertreten. «Unglaublich grosses Netzwerk»Da hat es Mäder, einst langjähriger Chefjurist eines Konzerns, nicht einfacher. Aber wer sich bei Politik und Wirtschaft umhört, vernimmt Gutes: Mäder sei charmant, empathisch, verlässlich, meinungsstark und habe ein «unglaublich grosses Netzwerk». Hervorgehoben wird, dass er seine Haltung kundtue, im Gegensatz zu seinem Vorgänger. Karrer sei ein «Moderator» gewesen; Mäder dagegen sei ein «Macher», «ein Kämpfer», «ein Kommandant, der durchhalten kann», sagen die, die mit ihm zu tun haben. «Wenn er sich entschieden hat, zieht er dies durch», so ein Vorstand. Weniger schmeichelhafte Worte betreffen seine politische Haltung: «Mäder ist konservativ und rechtsgesinnt», sagt eine FDP-Wirtschaftspolitikerin, die ihn seit Jahren kennt. Sein Vorgänger sei viel liberaler gewesen, so etwa bei der Europa-Frage. Karrer habe den Bundesrat vorbehaltlos unterstützt. Doch seit Mäder am Ruder sei, relativiere der Verband den Wert des Rahmenabkommens – zum Schaden der Wirtschaft. Eine andere FDP-Wirtschaftspolitikerin sieht auch eine «konservative Einstellung». Ihr fehle etwa, dass Mäder sich nicht für Frauenthemen einsetze. Das mache Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt besser. Dieser hat vor Jahren eine Liste von 400 talentierten Verwaltungsrätinnen zusammengetragen.Die Herausforderungen Der Dachverband Economiesuisse gilt in der Öffentlichkeit als Vertreter der Konzerne, Auslandsfirmen und Grossfirmen. Dabei sollte er auch für die hiesigen KMU einstehen. Tatsächlich sind im Dachverband Pharma, Chemie, Banken, Versicherungen und Grossindustrien übervertreten. Sie haben dort das Sagen.Doch zwei Dachverbände machen Economiesuisse die Position als Vertreter der Wirtschaft streitig: der Schweizer Gewerbeverband (SGV) mit dem politisch-taktisch versierten Hans-Ulrich Bigler an der Spitze. Und Swisscleantech, der sich als Dachverband für nachhaltige Wirtschaft positioniert. In der Europa-Frage treten Wirtschaftsführer aus zwei Lagern, Autonomiesuisse und Kompass/Europa, gegen den Dachverband an.An den Schalthebeln der bundesrätlichen Departemente und im Parlament wird Economiesuisse nur als eine Stimme unter vielen wahrgenommen – und nicht als «die Stimme der Wirtschaft». Dafür verantwortlich sind Mäders Vorgänger Karrer und Direktorin Monika Rühl. Die Bürgerlichen zusammenführenMäder sagt von sich, er sei «nicht konservativ, sondern liberal». Und zur Europa-Frage: «Ich stehe voll und ganz hinter der Verbandsposition, dass die bilateralen Verträge für unser Land wichtig sind. Das Rahmenabkommen kann erst abschliessend beurteilt werden, wenn das Verhandlungsresultat bekannt ist.» Der Vorwurf betreffend Frauenanliegen sei «absurd», so sein Sprecher. Wer Mäder kenne, wisse genau, dass ihm Chancengleichheit seit Jahren persönlich am Herzen liege. Mehr von Mäder erhofft sich hingegen die SVP: «Er sagt, er wolle die Bürgerlichen zusammenführen. Das muss er jetzt zeigen», sagt ein SVP-Politiker. Ems-Chemie-Chefin Martullo-Blocher halte viel von ihm. Das sei «ein gutes Zeichen». Mäder sitzt im Ems-VR. Bemerkenswert sei der «Schulterschluss der Bauern mit Economiesuisse» in der Nein-Kampagne der Volksinitiativen zum Pestizidverbot und Trinkwasser. «Hier spielte Mäder eine wichtige Rolle», so ein Insider. Doch im politischen Alltag, in Bundesbern, sei Mäder «kaum zu spüren». Das letzte Beispiel: die Abschaffung von Industriezöllen. Das Vorhaben wäre wichtig, aber Mäder schaffe es nicht, die Bürgerlichen auf eine Linie zu bringen.Mehr zum Thema Tumult an Bord von Economiesuisse und Co. – das sind die Gründe. Mehr hier. Economiesuisse kritisiert Schweizer Corona-Politik scharf. Mehr hier. Fehlende PräsenzMäders Gesellenstück steht noch aus. Das Freihandelsabkommen mit Indonesien, das er pushte, wäre an der Urne fast abgestürzt. Zudem ist er in der Öffentlichkeit kaum präsent. «Noch fehlt ihm der Ruf, sich durchsetzen zu können», sagt ein FDP-Wirtschaftspolitiker. Erst dann werde Economiesuisse wieder ernst genommen, auch von Bundesräten – etwa im Covid-19-Dossier. Alain Berset hat von der Fallzahl von 30'000 erst am Samstag erfahren. Dabei datiert die Studie vom Februar. Wo Mäder sich profilieren könnte, zeigt das Beispiel von Nestlé-Präsident Paul Bulcke. Der Manager will, dass die Aktionäre über sein milliardenschweres Klima-Paket abstimmen. Das ist publikumsträchtig und wirkt fortschrittlich. Mäder müsste 400 Bulckes an die Front schicken.