Der Missbrauch der Marktmacht durch Facebook, Amazon und Google

Beispiel Ebay. Nutzer können sich mittels eines Facebook-Kontos auf dieser Plattform einloggen. Ebay, mit seinem Hauptsitz in Bern, ist ein Konkurrent von Facebooks Marketplace, dem Kleinanzeigenmarkt des kalifornischen Konzerns. Wenn Facebook das Login von Nutzern bei Ebay mitverfolgt, weiss die Plattform, wonach sie bei Ebay suchen: ob sie dort Käufer sind und welches Produkt sie dorthin bringt. Danach versucht Facebook, den User auf seine Kleinanzeigenplattform zu bringen, beispielsweise indem es ihm eine Werbe-Mail schickt oder eine passende Kleinanzeige aufpoppen lässt. So oder ähnlich dürfte es sich abgespielt haben, glaubt man der britischen Wettbewerbsbehörde CMA. Sie hat gegen Facebook am 4. Juni ein Verfahren lanciert. Das Gleiche tat die EU-Kommission. Facebook streitet die Vorwürfe ab. Was genau der Konzern mitgelesen hat, geht aus der Ankündigung nicht hervor. Auf Nachfrage wollte die Behörde keine Details preisgeben. Summarisch heisst es, dass Facebook das Login und Daten Dritter vielleicht verwendet habe, «um seine Marktposition zu stärken». Schweizer Portale betroffen Ebay will nichts kommentieren, nicht einmal, ob sie die Anzeigeerstatterin war. Die britische Behörde lehnt es ab, die Anzeigeerstatter zu nennen. Dieser britische Fall interessiert auch Anzeigenportale in der Schweiz. Denn Facebook ist mit Marketplace ein Konkurrent schweizerischer Kleinanzeigenportale, etwa autoscout24.ch, anibis.ch oder tutti.ch. Scout24, das Netzwerk, das auch anibis.ch herausgibt, schreibt, man habe die beklagten Praktiken von Facebook und jene, die in der Schweiz gemacht werden, noch nicht vertieft analysiert. «Es ist jedoch davon auszugehen, dass Parallelen vorhanden sind», so ein Sprecher. Der Wettbewerbsanwalt und frühere Vizedirektor des Sekretariats der Wettbewerbskommission (Weko) Patrick Krauskopf sagt: «Aller Voraussicht nach wendet Facebook die in Grossbritannien und der EU beobachteten Praktiken auch in der Schweiz an.» Dies führe zu problematischen Verhalten in drei Aspekten: dem Missbrauch der Marktmacht, dem Missbrauch privater Nutzerdaten und der Bevorteilung des eigenen Angebots. Hier gebe es für die Wettbewerbsbehörden viel zu tun. Ein IT-Experte sagt, dass Login-Daten Facebook einen viel grösseren wirtschaftlichen Vorteil geben als herkömmliche Cookie-Daten. Doch diesen Einschätzungen zum Trotz hat die Weko keine Untersuchung gegen Facebook lanciert. Weko-Vizedirektor Olivier Schaller erklärt, man habe in der Schweiz keine Anzeige erhalten. Das passive Vorgehen der Schweizer Wettbewerbsbehörde ist augenfällig. Sie macht nichts, während ihre Schwesterbehörden in Washington, London oder Brüssel derzeit fast monatlich eine Marktuntersuchung gegen Google, Facebook, Amazon und Apple ankündigen. Allein im Juni griff London drei Fälle auf: Google will Cookies externer Werbetreibender von ihrem Chrome-Bowser verdrängen; Google und Amazon agieren zu wenig gegen getürkte Reviews für Angebote, die Nutzer irreführen; Apple und Google gängeln die Konkurrenz über Google Play und Apple Store. 440 Seiten gegen Google Vor zwei Wochen publizierte dann London einen 440 Seiten starken Bericht, der im Detail nachzeichnet, wie Google die Konkurrenz im Werbe- und Suchmarkt in Schach hält und daran Milliarden verdient. Der Vorwurf, der sich durch den Bericht und alle Verfahren hindurchzieht: Die Tech-Konzerne versuchen, marktschwächere Partner und Konkurrenten mit unlauteren Methoden zu verdrängen. Sie nutzen ihre Marktmacht oder – eine Frage der Beurteilung – missbrauchen sie. Das viele Geld, das sie verdienen, fliesst ins Silicon Valley. Ob ein Missbrauch passiert, können allerdings nur Gerichte feststellen. Etliches ist hängig. Drei Beispiele: «Google Shopping», der Fall ist seit 2017 vor Gericht. Google bevorzuge mit seiner Suchmaschine eigene Kaufangebote und verdränge Konkurrenten. «Google Android», der Fall ist seit 2018 hängig. Google kopple im Play Store die Google-Search-App mit dem Google-Chrome-Browser und verhindere damit Konkurrenz-Apps. Und schliesslich «Google Ad Sens», der Fall ist seit 2019 hängig. Google verpflichte Website-Betreiber zu Unrecht, keine Werbeanzeigen von Google-Konkurrenten zu platzieren. All diese Praktiken betreffen auch die Schweiz. Und dennoch bleibt die Schweizer Weko fast nur stumm. In der Schweiz ist nur ein Fall («Apple Store») bekannt, wo die Weko eingegriffen hat. Warum so wenig? Schaller sagt, dass die Behörde den Ausgang des jeweiligen ausländischen Verfahrens abwarte, sobald Fälle mit internationaler Dimension bekannt würden. Erst nach Abschluss setze man durch, was im Ausland entschieden worden sei. «Dies hat auch mit den beschränkten Ressourcen der Weko zu tun», sagt Schwaller.Ein Fall und drei Pendenzen gegen Big Tech in der Schweiz Apple Pay und Store: Die Weko intervenierte bei Apple. Der Anbieter hatte Twint nicht als alternative digitale Bezahllösung uneingeschränkt auf iPhones zugelassen. Apple änderte dies, heute kann ein Twint-Nutzer mit einem iPhone bezahlen, indem er den QR-Code des Bezahlterminals scannt. Aber bis heute können iPhone-Nutzer ihr Handy nicht wie eine echte Kreditkarte nutzen, so wie dies Android-Handy-Nutzer tun können. Dies wäre der Fall, wenn Apple erlauben würde, dass das iPhone über ein Kartenterminal geführt wird und der Betrag dann kontaktfrei abgebucht wird. App Store: Die Weko sucht nach Hinweisen für Preisabsprachen für Entwickler-Kommissionen der elektronischen Vertriebsplattformen von mobilen Applikationen (Play Store, App Store, Windows Store). Bisher ohne Resultat, doch das Sekretariat der Weko «prüft weitere Anzeigen». Google Shopping: Die Weko erhält «hin und wieder Anzeigen». Diese behandelt sie als sogenannte Marktbeobachtungen. Sie hat eine Vorabklärung eröffnet, um sicherzustellen, dass die in Europa durch Brüssel verordneten Massnahmen auch in der Schweiz umgesetzt werden. Die Verfolgung von Google Shopping sei hängig, sagt die Weko, solange der Europäische Gerichtshof nicht ein höchstrichterliches Urteil gefällt hat. Google Werbung: Die französische Wettbewerbsbehörde verhängte eine Busse gegen Google wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung im Werbesektor. Der Weko liegen keine entsprechenden Beschwerden vor, aber man prüfe den Sachverhalt für die Schweiz. Danach werde über die Einleitung eines Verfahrens entschieden, sagt Vizedirektor Olivier Schaller zum Stand des Verfahrens. (val) Weko-Präsident Andreas Heinemann betont, dass man nicht vor einem Fall gegen eine grosse Internetplattform zurückschrecke. Aber man kopiere nicht ausländische Fälle, sondern greife solche heraus, die für das Land von besonderer Bedeutung seien. Tatsache ist: Die Weko hat nicht genug Personal, um laufend gegen Grosse wie Google vorzugehen. Zum Vergleich: Bei der Weko arbeiten 75 Leute für alle Branchen. In Brüssel sind allein 80 Stellen dafür geplant, um den Giganten mit einem neuen Digitalmarktgesetz im Wettbewerb Manieren beizubringen. Was auf Google, Facebook und weitere 20 Portale in Europa zukommt Der Präsident der Schweizer Wettbewerbskommission (Weko), Andreas Heinemann, hofft auf ein griffiges Gesetz der EU. Es ist in Vorbereitung und heisst Digital Markets Act (DMA), was Digitalmarktgesetz heisst. Fachleute erwarten, dass es 2023 in Kraft tritt. «Dieses Gesetz wird auch Wirkung auf Schweizer Anbieter haben», sagt Heinemann, denn grosse Plattformen werden sich europäisch anpassen, ohne für die Schweiz eine Ausnahme zu machen. Grundsatz: Marktbeherrschung darf nicht als Hebel zur Kontrolle anderer Märkte eingesetzt werden. Und Nutzer sollen nicht in einem System eingesperrt werden, wie dies etwa Apple, Microsoft und Google gerne tun. Betroffene «Gatekeeper»: Dem Gesetz unterworfen sein werden sogenannte Gatekeeper: Das sind Portale, so der Entwurf, mit mindestens 6,5 Milliarden Euro Umsatz oder einem Marktwert von 65 Milliarden Euro. Sie haben mindestens 45 Millionen Nutzer. Derzeit schätzt die EU zwanzig Portale als betroffen. Heute sind in der EU etwa 10'000 Plattformen tätig. Diese Werte sind allerdings noch umstritten und können sich ändern. Die EU plant einen Verbotskatalog: Keine Selbstbevorteilung: Hybridplattformen (etwa Google, Facebook und Amazon) dürfen Daten Dritter nicht für ihre eigenen Transaktionen nutzen. Endnutzer müssen vorinstallierte Softwareanwendungen deinstallieren können. Keine Diskriminierung und keine Selbstbevorteilung bei Rankings, keine Ausschliesslichkeit von Softwareanwendungen. Zusammenspiel ermöglichen Pflicht zur Interoperabilität von Plattformen verschiedener Anbieter. Datenportabilität zulassen Strafe Bei Nichteinhaltung Busse von bis zu 10 Prozent des Gesamtumsatzes eines Konzerns. (val) Dass zuweilen David gegen Goliath Erfolg haben kann, zeigt die kleine österreichische Bundeswettbewerbsbehörde. Sie erreichte, dass Amazon unfaire AGB für Nutzer und Händler korrigiert hat. Ein Beispiel: Bisher musste ein Geschädigter in Luxemburg vor Gericht ziehen, neu kann Amazon in Wien verklagt werden. Die Weko müsse Ähnliches tun, sagt Krauskopf: «Sie könnte einen wichtigen Pilotfall aufgreifen und so Google, Amazon, Facebook und Co. zeigen, dass sich ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung in der Schweiz nicht lohnt.» Er sieht einen enormen Schaden für die Schweizer Volkswirtschaft. Allein im Werbebereich entgehen dem Schweizer Markt rund 2 Milliarden Franken pro Jahr. Dieses Geld fliesse als Gewinn in die USA zu den Internetgiganten. Und die Schweizer Wirtschaft blutet.Kapitalismus oder Ausbeutung? Biden schlägt scharfe Töne an Mitte Juli hat Präsident Biden eine präsidiale Verfügung, eine sogenannte Executive Order, zum Thema Wettbewerb vorgelegt mit 72 Initiativen, die viel zur digitalen Ökonomie zu tun hat, Zum Beispiel will er sogenannte Killer Aquisitions, das sind Aufkäufe von Konkurrenten, um sie verschwinden zu lassen. «Allgemein ruft er zu einer sehr viel strengeren Anwendung des Kartellrechts in den USA auf», analysiert Weko-Präsident Andreas Heinemann, der an der Uni in Zürich Wettbewerbsrecht lehrt. In der begleitenden Rede distanzierte Biden sich von der ultraliberalen Haltung im Wettbewerbsrecht, die von Akademikern als sogenannte Chicago-School bezeichnet wird. Bidens Kernsatz lautet: «Kapitalismus ohne Wettbewerb ist kein Kapitalismus; das ist Ausbeutung». Biden habe sich laut Heinemann «völlig einzigartig in dieser Detaillliertheit für einen US-Präsidenten» vom Gründervater der Chicago School, Robert Bork, distanziert. Heinemann vermutet im Professor und Biden-Berater Tim Wu den Urheber des neuen Kurses. Wu ist Industrieökonom an der Columbia University und hat das Buch «The Curse of Bigness» geschrieben. US-Kommentatoren glaubten, dass dieses Buch «das intellektuelle Rückgrat des neuen Antitrust-Programms» bilde, sagt Heinemann. Einen scharfen Ton im Wettbewerbsthema vor kurzem auch die einflussreiche demokratische Senatorin Elisabeth Warren eingeschlagen: Sie spricht vom «Break Up Big Tech», dem Zerschlagen grosser Firmen wie Google oder Facebook. Denn solche Firmen würden «Bulldozer competition» betreiben, also Wettbewerb mit der Bagger, wo man die Konkurrenz einfach aus dem Weg schaufle. Eine weitere demokratische Senatorin, Amy Klobuchar, hat im Februar einen Vorschlag für ein Gesetz gemacht, das marktmächtige Unternehmen zu mehr Wettbewerb zwingen sollte. Problematische Marktmacht komme vor allem in den Branchen Social Media, IT, Telecom, Agrarindustrie (Monsanto, Syngenta), Online-Ticketverkauf und Transport vor. (val)

Der Missbrauch der Marktmacht durch Facebook, Amazon und Google

Tech-Konzerne bevorteilen sich à gogo