US-Botschafter Scott Miller im Interview: «Bundesrat müsste Beschlagnahmung von Oligarchen-Geldern in Betracht ziehen»

Einen Monat nach dem Bundesrat unterschreibt auch die US-Regierung an diesem Donnerstag das Abkommen im Pharmabereich. Freuen Sie sich, endlich mal wieder gute Nachrichten in der Beziehung Schweiz-USA verkünden zu können? Das Mutual Recognition Agreement (MRA) ist eine wirklich bemerkenswerte Errungenschaft zum wichtigsten Handelsaspekt zwischen unseren Ländern. Und die US-Regierung hat auf jeden Fall erkannt, dass das MRA dazu beitragen kann, den Handel zu erleichtern und dem Ziel der meisten Länder näher zu kommen: dem Freihandelsabkommen mit den USA. Die Swissmedic und ihr amerikanisches Gegenstück, die FDA, anerkennen nun gegenseitig ihre Prüfprozesse und die Qualitätskontrolle. Welches Land profitiert am meisten davon? So was muss sich immer für beide Seiten lohnen. Das ist letztendlich für jedes exportierende Unternehmen von Vorteil. Vor dem Hintergrund der Pandemie freue ich mich besonders, dass auch Hindernisse in der Lieferkette für medizinische und pharmazeutische Produkte abgebaut werden. Hat sich die Schweiz zu lange an ein Freihandelsabkommen geklammert? Das MRA zeigt uns, dass wir mit anderen sektoralen Vereinbarungen durchaus weiterkommen können. Ich hatte viele Gespräche mit dem Aussenminister über die Wunschliste der Schweiz im Vergleich mit jener der Vereinigten Staaten, um zu sehen, wo es weitere gemeinsame Wege gibt. Fortschritt kann auch schrittweise kommen. Unsere Beziehung mit der Schweiz können wir auch weiter ausbauen, indem wir mehr sektorielle Abkommen abschliessen. Sodass wir irgendwann sagen können: «Moment, das sind alles Komponenten, die auch Teil eines Freihandelsabkommens wären! Wir sind im Grunde genommen fertig.» Und von dort aus können wir dann weitermachen. Quasi ein Freihandelsabkommen über Umwege? Es ist kompliziert, in den USA ein Freihandelsabkommen zu schliessen. Wir haben nur 14 davon, die sich auf 20 Länder erstrecken. Sie kennen ja die Abstimmungsregeln im Kongress. Es ist jeweils schwierig, den US-Senat vom Nutzen für die Amerikanerinnen und Amerikaner zu überzeugen und dass wir nicht nur anderen Ländern freien, ungehinderten Zugang zu den USA gewähren. Wo stehen die Beziehungen zwischen der Schweiz und den USA gerade? Wir befinden uns mit meinen Schweizer Kollegen in einer spannenden Phase, es herrscht eine gute Atmosphäre für die Zusammenarbeit und gegenseitige Anerkennung, von der beide Länder profitieren können. Die Schweiz ist jetzt unser siebzehntwichtigster Exportmarkt und elftwichtigstes Importland, der Handel in beide Richtungen hat einen Wert von 155 Milliarden Dollar erreicht. Deswegen ist die Schweiz eine Priorität für die USA. Die Regierung will enger mit den Schweizern zusammenarbeiten. Welche weiteren sektoralen Abkommen können wir dann unter der Biden-Regierung in den verbleibenden zwei Amtsjahren noch erwarten? Beim Handel zwischen unseren Ländern ist Pharma das wichtigste Thema. Das nächstwichtigste wäre der Banking- und Finanzbereich, in dem die Schweiz auch gerade in einem Abkommensprozess mit Grossbritannien ist. Auch für uns sehe ich Möglichkeiten. Deswegen habe ich mich auch für eine eigene Vertreterin des Finanzministeriums für unsere Botschaft eingesetzt, die gerade angekommen ist. Wird den USA im Bereich Banken und Finanzen nach dem jahrelangen Steuerstreit nicht mit viel Misstrauen begegnet? Ich habe in dieser Zeit tatsächlich ja selbst bei der UBS gearbeitet und denke, dieses Kapitel ist überwunden. Wir haben weiterhin Verständnis für das leidenschaftliche und tief verwurzelte Engagement der Schweiz für die Privatsphäre. Und die Schweiz hat auch gelernt, dass sie nicht aufgrund des Bankgeheimnisses benutzt, manipuliert oder für ruchlose Zwecke verwendet werden kann und will. Wir sprechen darum auch über das bilaterale Steuerabkommen, das seit 1996 nicht mehr aktualisiert wurde. Der Austausch dazu hilft uns wiederum, auch besser zu verstehen, wie wir ein sektorales Abkommen über Finanzen angehen können. Auf der Liste der potenziellen Streitthemen steht auch der Inflation Reduction Act (IRA), weswegen Europa um seine Industrie fürchtet. Rennen Ihnen besorgte Politikerinnen und Politiker eigentlich die Bude ein? Um ganz ehrlich zu sein, hat sich noch kein einziger Schweizer Parlamentarier an mich gewendet. Ich hatte ein Treffen mit der Staatssekretärin, Helene Budliger Artieda, bei welchem sie das Thema ansprach. Die meisten Bedenken beziehen sich auf Elektrofahrzeuge und die Automobilindustrie, die keinen grossen Anteil an der Schweizer Wirtschaft hat. Anfang Dezember reiste die Staatssekretärin auch mit einer grossen Wirtschaftsdelegation von New York nach Philadelphia. Dass sich Schweizer Industrievertreter dort umgesehen haben, finde ich grossartig. Beim IRA handelt es sich ja nicht um ein Nullsummenspiel, das Gesetz bietet für europäische Unternehmen erhebliche Chancen. Für Schweizer Unternehmen gibt es viele Möglichkeiten – nicht nur im Zusammenhang mit dem IRA, sondern auch mit dem Infrastrukturgesetz. Hiesige Firmen sind in den USA äusserst wettbewerbsfähig.Mehr zum Inflation Reduction Act Darum ist der US-Gesetzesentwurf für Joe Biden ein Meisterstück Wie Bidens riskante Klimawette die EU verärgert Schweizer Firmen folgen Bidens Lockruf Die USA sind wieder mit einer grossen Delegation in Davos, unter anderem kommen die politischen Schwergewichte John Kerry und Samantha Power sowie die Handelsbeauftragte, der Arbeitsminister und mehrere Senatoren und Abgeordnete. Warum fehlen der US-Präsident und seine Vize wieder? Davos ist eine Gelegenheit, die internationale Gemeinschaft zusammenzubringen, um über die Probleme zu sprechen, mit denen die Welt derzeit konfrontiert ist. Die Delegation repräsentiert darum ein breites Spektrum der Regierung. Es ist aber nicht normal, dass der US-Präsident teilnimmt – Clinton war einmal da, Obama gar nicht. Joe Biden hat ja als Vize schon einmal teilgenommen. Aktuell ist er sehr darauf bedacht, die Probleme in den USA zu lösen und die Ukraine im Auge zu behalten. Der US-Senat hat vor Weihnachten entschieden, dass es unter bestimmten Umständen möglich sein soll, der Ukraine die sanktionierten russischen Vermögen zuzuführen. Was sollte die Schweiz Ihrer Ansicht nach mit dem eingefrorenen Vermögen machen? Wenn es um die Sanktionen geht, folgt die Schweiz im Allgemeinen der Führung der EU. Wir als USA wiederum werden eng mit den EU-Partnern zusammenarbeiten, da diese einen grösseren Teil der sanktionierten Vermögenswerte repräsentieren. Wie weit sind Sie mit einer möglichen Lösung mit der EU? Noch sind das alles Sondierungsgespräche. Es gibt nur wenige Länder, die einfach so beziehungsweise ohne Gesetzesänderungen über die Verwendung dieser Vermögenswerte entscheiden können. Für die tatsächliche Beschlagnahmung der Vermögen bräuchte es eine multilaterale Vereinbarung und Unterstützung. Es wirkt, als würde der Druck auf die Schweiz dahingehend wachsen – auch vonseiten der USA. Ich denke, jeder und jede ist empört angesichts der anhaltenden immensen Schäden und Zerstörungen, die in der Ukraine passieren – in einem Krieg, den sie nicht begonnen hat und der ihre Souveränität und ihre territoriale Integrität auf die Probe stellt. In erster Linie müssen wir die Ukraine weiterhin dabei unterstützen, sich selbst zu verteidigen, und dafür sorgen, dass sie sich gegen die Drohnen- und Raketenangriffe auf ihre kritische Infrastruktur wehren kann. Die Diskussion, wie die Ukraine wieder aufgebaut werden kann, wird noch dauern. Aber wenn wir mit der EU an einen entsprechenden Punkt kommen, würden wir natürlich hoffen, dass die Schweiz dabei eine Rolle spielen würde. Mir ist jedoch klar, dass das Bundesrecht das zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht nicht zulässt. Die Beschlagnahmung wäre also etwas, was das Parlament und der Bundesrat in Betracht ziehen müssten.