Der Gedanke an Zahlungsausfälle von Staaten kann Anleger beunruhigen, insbesondere bei Schlagzeilen zu Schwellenländern: ein drohender Staatsbankrott in Libanon, eine umfassende Umschuldung in Argentinien und das lange Warten darauf, was – wenn überhaupt – von Venezuela noch zurückgewonnen werden kann.

Nach wie vor ein guter Rat ist das Vermeiden von Investitionen in Länder, die ihren Verbindlichkeiten nicht nachkommen. Aber es gibt Nuancen, und Ausfälle sind seltener, als es viele Medien suggerieren – und weniger bedrohlich. Selbst im Universum der Schwellenländeranleihen, in dem eine kritische Schuldenlage tendenziell häufiger eintritt, ist die Zahl der Ausfälle recht gering.

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Anleger, die nur auf die Risiken notleidender Staatsanleihen achten, riskieren ausserdem, das Gesamtbild aus den Augen zu verlieren. Es gibt viele Länder mit einer starken Zahlungsbilanz, die jedoch systemische Banken- oder Währungskrisen erlebt haben. Auch wenn es in einer Bankenkrise nicht zu einem Ausfall des Staates kommt, kann es für ihn doch so aussehen wie etwa 2010 in Spanien oder Italien. Kurz gesagt: Ein Portfolio kann durch eine systemische Finanzkrise ebenso gefährdet sein wie durch eine Staatsschuldenkrise.

Finanzkrise oder Staatsschuldenkrise?

Allgemein gesehen ist es sicherlich am besten, bei einem Ausfall keine Staatsanleihen zu besitzen, doch viel hängt vom Kurs ab. Dies gilt in besonderem Masse für Staatsanleihen, deren Rückgewinnungsraten in der Vergangenheit recht hoch waren. Ist die Rückgewinnungsrate aller Voraussicht nach höher als der Kurs, zu dem die Anleihe gerade gehandelt wird, kann der Besitz einiger dieser Anleihen ein attraktives Risiko-Rendite-Verhältnis bieten. Ein Grund dafür ist das stärkere Kreditprofil, das nach erfolgter Umschuldung häufig mit einem Land verbunden wird.

Die verschiedenen Faktoren, die zum Ausfall eines staatlichen Emittenten beitragen können, sind komplex und unterscheiden sich von Land zu Land. Eine übermässige Fremdkapitalaufnahme ist aber häufig einer davon. Wer diese Dynamik verstehen will, muss sowohl die Fähigkeit als auch die Bereitschaft eines Landes zur Rückzahlung seiner Schulden beurteilen.

Ganz anders ist es beim Ausfall eines Unternehmens: In diesem Fall liegt der Schwerpunkt auf der Fähigkeit zur Rückzahlung. Das liegt daran, dass Staaten in der Regel über ein breiteres Spektrum an Handlungsmöglichkeiten verfügen, um Stresssituationen zu bewältigen, als Unternehmen. So kann ein Land beispielsweise seine Zentralbank veranlassen, seine Obligationen zu kaufen, oder den ihm quasi «ausgelieferten» einheimischen Bankensektor zwingen, seine Schulden zu kaufen. Es kann Hilfe vom Internationalen Währungsfonds beantragen und natürlich die Steuern erhöhen, um seine Solvabilität zu verbessern.

Anleihen ein und desselben Emittenten verhalten sich unterschiedlich.

Unternehmen steht keines dieser Mittel zur Verfügung. Bei Unternehmensanleihen kann – insbesondere bei hochverzinslichen Papieren – der Zeitraum, der zum Ausfall führt, häufig viel kürzer sein als bei Ausfällen von Staaten.

Als beispielsweise Venezuela im Jahr 2017 Anleihen im Wert von 65 Milliarden Dollar nicht mehr bediente, gab es schon lange im Voraus deutliche Warnhinweise auf eine Zuspitzung der Schuldenlage. So hatte der Markt Zeit, sich vorzubereiten.

In der Regel gibt es für notleidende Anleihen einen Kurs, bei dem sich der Kauf lohnt. Zudem kann es lange dauern, bis es bei Staatsanleihen zu einem Ausfall kommt. Ebenso kann es triftige Gründe dafür geben, das Engagement in Staatsanleihen entweder unmittelbar nach der Ankündigung einer Umschuldung oder bei Marktspekulationen über eine bevorstehende Umschuldung zu erhöhen. Wer solche Chancen nutzt, profitiert von einer Reihe von technischen Faktoren, die dazu führen, dass sich Anleihen ein und desselben Emittenten sehr unterschiedlich verhalten. Auch die häufig langen Zeiträume, bevor eine rechtliche Umschuldung tatsächlich stattfindet, bieten Chancen. Der Kauf von Anleihen zum Kurs von 30 Cent pro Dollar Nennwert kann bei Vereinnahmung von einer oder zwei Coupon-Zahlungen vor dem Ausfall eine gute Anlage sein.

Das Ausfallrisiko soll natürlich nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Die Fähigkeit eines Anlegers, notleidende Anleihen – selbst bei attraktiven Kursen – zu halten, stützt sich auf ein umsichtiges, risikobereinigtes und zukunftsgerichtetes Risikomanagement. Dadurch können konzentrierte oder korrelierte Positionen ausgeschlossen und Risiken vermieden werden, die möglicherweise von einem oder zwei Faktoren dominiert werden. Überdies besteht in der Regel genug Spielraum, um von der Asymmetrie der Chancen in notleidenden Anleihen zu profitieren und dadurch potenziell die Anlageperformance zu steigern.

Nick Eisinger, Fondsmanager, Emerging Market Sovereign Credit, Vanguard, London.

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