77 Jets am Start: So geht die Swiss wieder in die Luft

Werner Haas ist ein erfahrener Aviatiker. Der Kapitän auf der Boeing 777-300ER ist Fleet Chief Longhaul der Swiss und steht im Operations Control Center der Airline am Flughafen Zürich und blickt auf einen der vielen Bildschirme. Sie zeigen, was im globalen Netzwerk der Fluggesellschaft gerade los ist: «Die Maschine aus San Francisco ist auf dem Heimweg, auch aus Bangkok ist eine unterwegs, ebenso eine aus Chicago», sagt Haas. Dann deutet er mit dem Finger auf eine freie Fläche auf dem Bildschirm, einen Zeitstrahl, und sagt: «Hier, dazwischen, da wäre natürlich noch Platz für weitere Flüge.» Das Operations Control Center ist die Zentrale der Swiss für den Flugbetrieb. Ein Rund-um-die-Uhr-Betrieb. Und ein Gradmesser für den Zustand der grössten Airline des Landes. Jetzt, Anfang Juli, ist die Zeit, in der es endlich wieder aufwärts gehen soll, nachdem monatelang viele Flieger am Boden standen. Haas ist Pilot seit dem Jahr 1997. Er ist für die Swiss unterwegs, seit es sie gibt, zuvor war er schon bei der Swissair. Haas hat also alle Höhen und Tiefen mitgemacht, inklusive Corona. «Es ist nun mehr los als in den vergangenen Monaten, wir fliegen wieder deutlich mehr.» Aber der 54-Jährige sagt auch: «Wir hatten uns den Ramp-up natürlich viel früher erhofft.» Flieger am Boden, Lounges geschlossen Auf den Ramp-up, das Wiederhochfahren des Flugbetriebs, haben sie bei der Swiss seit Monaten hingefiebert. Immer wieder hiess es: Bald geht es los. Doch dann mussten sie in Kloten erleben, dass sich alles wieder verzögert: abermals eine Corona-Welle, Reiserestriktionen. Die meisten Flieger am Boden, Lounges zu, Flughäfen menschenleer. Monatelang ging das so. Jetzt, im Sommer, wollen viele Menschen fliegen. Doch wie geht das eigentlich? Den Flugbetrieb wieder hochfahren? Zumal die Swiss in einer schwierigen Situation ist. Vor der Krise hatte sie rund 9000 Mitarbeitende, etwa 90 Flugzeuge im Einsatz. Nun müssen sich Hunderte Swiss-Mitarbeitende einen neuen Job suchen, besonders beim Kabinenpersonal gibt es viele Entlassungen. Das verunsichert natürlich das gesamte Team. Immerhin: 77 Flieger sind wieder im Einsatz, beziehungsweise einsatzbereit. Swiss-Chef Dieter Vranckx sagte kürzlich, dass die Fluggesellschaft im Juli und August zu 125 Destinationen unterwegs sei, das entspricht 90 Prozent des Vor-Krisen-Angebots. Das klingt nach viel, doch gemessen an der Kapazität ist die Swiss erst bei etwa 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019. Im Hangar Werft 3 am Flughafen Zürich stehen Maschinen dicht an dicht. Zwei Kurzstreckenflieger vom Typ A220 sind dabei, eine A340, auch noch ein Flieger von Edelweiss und an der Seite parkiert das Grösste, was die Swiss zu bieten hat: eine Boeing 777-300ER. Das ist nicht nur der Arbeitsplatz von Pilot Werner Haas, sondern auch von Mechanikerin Lisa Trede. Die 31-Jährige streift die gelbe Warnweste ab, geht rüber zur Boeing und erklärt, woran sie arbeitet: «Wir haben umfangreiche Checklisten für jegliche Arbeiten, darin ist beispielsweise beschrieben, wie die Triebwerksschaufeln zu kontrollieren sind oder wie Fehlermeldungen, die im Cockpit auftauchen, zu behandeln sind.» Ausserdem führt sie Reparaturen oder Wartungsarbeiten durch, wie zum Beispiel das Schmieren der Spoiler an den Tragflächen einer Boeing 777. «Gerade habe ich mithilfe einer Fettpresse die Spoiler eingeschmiert, damit die Beweglichkeit gewährleistet ist. Bald kann das Flugzeug wieder raus aus dem Hangar in den Einsatz.» Lisa Trede erinnert sich noch gut an den Lockdown, als viele Flugzeuge herumstanden, die Triebwerke abgeklebt mit Plastikfolie und Klebeband, damit sie nicht verschmutzen. Jetzt sei endlich wieder mehr los: «Flugzeuge sind gemacht zum Fliegen und nicht zum Rumstehen am Boden.» Auch Daniel Heimo sagt, dass es «wehtat, zu sehen, wie so viele Flieger am Boden standen – das schmerzte.» Heimo, 59 Jahre alt, ist Head of Hangar & Base Management der Swiss. Er ist seit knapp vierzig Jahren in der Luftfahrt unterwegs, hat viel Erfahrung im In- und Ausland gesammelt. Heimo sagt, worauf es beim Reaktivieren des Fluggeräts ankommt: «Es ist ein Unterschied, ob ein Flugzeug nur im Parking oder aber im Storage Mode war. Es kann daher entweder einige Tage oder einige Wochen dauern, bis das Flugzeug wieder komplett einsatzbereit ist.» Und: «Eine Maschine aus dem Storage Mode zu holen, benötigt rund 400 Stunden Arbeitszeit, es ist also ein recht grosser zeitlicher Aufwand.» Da fragt sich so mancher Passagier, ob es eine gute Sache ist, in Maschinen zu steigen, die kaum bewegt wurden. Heimo sagt: «Natürlich sind die Flugzeuge auch nach der langen Standzeit wieder sicher zu fliegen. Wir prüfen alle Systeme nach den Herstellervorschriften bis ins Detail und führen vorgängig einen Testflug, einen sogenannten Maintenance Check Flight, durch.» Die Buchungszahlen ziehen wieder an Das eine ist, Flugzeuge ready zu machen. Die andere, zum Teil schwierigere Frage ist: Wie viel Gerät braucht es überhaupt? Wie gross ist die Kapazität, die die Swiss zur Verfügung stellen sollte? Ja, die Buchungszahlen ziehen an, sagt Swiss-Chef Dieter Vranckx, aber ein vollständiger Ramp-up zur alten Grösse ist es natürlich auch noch nicht. Hinzu kommt: Die Airline musste per Bankenkredit, der vom Staat abgesichert ist, gerettet werden. Beim Mutterkonzern Lufthansa ist der deutsche Staat eingestiegen. Die Swiss muss sparen, um den Kredit zurückzuzahlen. Zudem rechnet sie mit weniger Nachfrage. Derweil sind viele Mitarbeitende noch im Homeoffice, auch Kurzarbeit läuft noch bis Ende August. «Die Redimensionierung ist unumgänglich», so Vranckx, die Airline müsse investitionsfähig bleiben, um neue Produkte wie die Premium Economy einführen zu können. Die Swiss steckt wie die gesamte Branche im Dilemma: Soll man nun kräftig hochfahren, nur um zu realisieren, dass es doch nicht genug Nachfrage gibt? Und was ist, wenn die Delta-Variante für weiteres Unheil sorgt? Das Hochfahren des Flugbetriebs sei anspruchsvoller als das Herunterfahren, erklärt Roland Rainer, der als Head of Maintenance Planning & Control bei der Swiss arbeitet: «Es ist ein Zusammenspiel von vielen Bereichen, von der Netzwerk- und Crewplanung über die Wartung und Wartungsplanung bis hin zum technischen Piloten, bis ein Flugzeug wieder parat am Gate steht, um Passagiere zu transportieren», sagt der 54-Jährige. Die Swiss hatte Langstreckenflugzeuge wie die Boeing 777-300ER so gut wie immer im Einsatz, auch während der Krise, weil sich damit viel Fracht transportieren lässt. So war zweitrangig, wie viele Passagiere an Bord sind, finanziell gelohnt hat sich der Flug trotzdem. Andere Typen hingegen waren abgestellt, an Orten wie Zürich und Dübendorf, aber weil das wie in Zürich sehr teuer ist, auch in Basel, Bremen, Ljubljana und in Amman in Jordanien. Nun lösen sich die Flugzeuglager wieder auf: «Es kommen immer mehr Flugzeuge zurück aus dem Storage Mode, wir holen auch weitere Maschinen aus Amman zurück», sagt Rainer. «Nun stehen die Sommerferien an, da müssen wir besonders bereit sein.» Mehr Flugzeuge bedeutet mehr Crews: «Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass unsere Mitarbeitenden im Cockpit fit sind für die Operation», sagt Langstrecken-Flottenchef Haas. «Wer ein Jahr nicht geflogen ist, braucht natürlich mehr Training als jemand, der mehr unterwegs war.» Wann geht Amerika wieder auf? Die Kurz- und Mittelstrecke läuft ziemlich gut, nicht nur bei der Swiss. In Europa ist wieder viel los. Badeferien in Spanien oder Griechenland sind begehrt. Auch auf der Langstrecke gibt es Ziele wie die Dominikanische Republik oder die Malediven, die Airlines anfliegen. Doch das Geschäft auf den klassischen Rennstrecken von Europa Richtung Nordamerika oder Asien liegt immer noch am Boden. Wann Amerika wieder aufgeht? Niemand weiss es. Klar, Gesellschaften wie die Swiss sind vorbereitet, wollen loslegen. Aber mal kurzfristig das Programm wieder hochfahren geht auch nicht: «Meine Aufgabe ist, zu prüfen, ob alle Bereiche am Boden wie Check-in oder Beladen des Flugzeugs einwandfrei funktionieren, denn viele Destinationen waren geschlossen», sagt Stephan Ellenberger, Head of Ground Ops & Lounges bei der Swiss. Wollen Sie ins Ausland reisen? Ein Covid-19-Tool zeigt, was wo möglich ist – Reiseziel für Reiseziel. «Auch was die Zusammenarbeit mit Partnerfirmen angeht, müssen wir sicherstellen, dass alles reibungslos funktioniert.» Er hat auch gute Nachrichten: «Kürzlich habe ich die Zustimmung gegeben, dass unsere Abläufe in Los Angeles einwandfrei sind, wir sind nun also bereit, diese Destination wieder anzufliegen», so der 56-Jährige. Die Herausforderung sei, sich ständig und weltweit den neuen Regeln und Vorschriften anzupassen, zumal Regularien wie die Einreisebestimmungen kurzfristig ändern und Vorschriften der jeweiligen Ländern oftmals etwas ungenau formuliert seien. Und was heisst das für die Reisenden? Es dürfte voll werden und es dürfte länger dauern beim Abflug: «Im Juli erwarten wir gerade am Flughafen Zürich einige Wochenenden mit sehr vielen Passagieren, dafür müssen wir vorbereitet sein und werden dafür auch den Check-in 3 wieder öffnen», sagt Ellenberger. Und: «Die Lounges waren zeitweise komplett geschlossen, nun ist eine Swiss-Lounge in Zürich wieder offen, in nächster Zeit werden weitere Lounges wieder geöffnet werden.»