AWS-Schweiz-Chefin Yvonne Bettkober im Interview über den Cloud-Boom

AWS ist in der Schweiz ein grosser Player. Warum hält man sich diskret im Hintergrund? Bei den Kunden halten wir uns nicht zurück, dort sind wir schon lange sichtbar. Einige unserer ersten Cloud-Kunden in Europa etwa stammten aus der Schweiz. Swisstopo, zum Beispiel. Die Sichtbarkeit nach aussen hat sich seit 2019 beschleunigt. Sie meinen: Seit Sie Chefin sind? Vielleicht bin ich zu unruhig (lacht). Das liegt nicht unbedingt an mir. Eine Rolle für die Aufmerksamkeit spielt sicher unsere Ankündigung, dass wir in der zweiten Jahreshälfte 2022 eine Infrastruktur-Region in der Schweiz eröffnen wollen. Das gab ein Momentum, aber wir sind schon länger präsent: seit 2016 mit Büros in Zürich und seit 2017 in Genf. Infrastruktur-Region bedeutet: AWS speichert künftig die Daten ihrer Kunden auch in Datenzentren in der Schweiz. Warum ist das wichtig? Wir hören unseren Kunden zu. Und sie haben uns klar gesagt, dass sie sich die Option wünschen, ihre Daten in der Schweiz zu speichern und zu bearbeiten. Firmen aus den meisten Branchen müssten dies nicht zwingend. Aber viele ziehen es vor. Was wollen die Schweizer Kunden eigentlich von Ihnen? Im ersten Gespräch geht es oft darum, dass sie in die Cloud wollen, um Kosten zu sparen. Dann stellen sie fest: Die Möglichkeit, dass man innerhalb von Minuten Tausende Server hochfahren kann, weil man schnell etwas testen will, und sie dann auch wieder herunterfahren kann, ist enorm wichtig. Das kann das Risiko des Experimentierens reduzieren und damit die Häufigkeit solcher Experimente erhöhen. Die Skalierbarkeit, die Möglichkeit, dass man neue digitale Anwendungen weltweit in Minuten launchen kann, ist auch ein ausschlaggebender Faktor. Die Innovationsgeschwindigkeit und die Innovationsfrequenz, die damit einhergehen, werden somit zu den zentralen Treibern der «Cloud Adoption». Zur Person Yvonne Bettkober ist seit 2019 Länderchefin von Amazon Web Services, der Cloudsparte von Amazon. Davor war sie 13 Jahre lang für Microsoft tätig, unter anderem als Länderchefin für Afrika. Die 48-Jährige wurde im Tschad geboren und wuchs in Kamerun auf. Als eine der besten Abiturientinnen ihres Landes erhielt sie ein Auslandsstipendium, machte 1992 einen Sprachkurs in Chemnitz, wechselte dann an die TU Berlin und studiere Elektrotechnik. Weil es mit dem Stipendium Probleme gab, finanzierte sie ihr Studium mit einem Job als Pflegehelferin. Später absolvierte Bettkober einen MBA an der University of Warwick. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. Bedeutet das nicht einfach noch mehr teure IT-Infrastruktur? Im Gegenteil, viele Kunden sagen uns, dass sie ihr IT-Personal jetzt für Innovation einsetzen können statt für die Verwaltung der Infrastruktur. Ich denke, das wird eine grosse Rolle spielen für die Zukunft der Schweizer Unternehmen. Das Land ist schliesslich einer der Innovations-Champions weltweit. «Viele erfolgreiche Kunden haben klein angefangen, haben dazugelernt und dann skaliert.» In einem Aufsatz stellten Sie kürzlich fest, dass die Schweiz punkto Agilität eher spät und etwas langsam unterwegs ist. Oft geht es ja gar nicht darum, den Big Bang zu machen. Viele erfolgreiche Kunden haben klein angefangen, haben dazugelernt und dann skaliert. Sie monieren auch die Silos in den Firmen – der CEO, CFO und der CTO reden nicht miteinander. Und: Eine gemeinsame Cloud-Strategie fehlt. Amazon-Chef Andy Jassy hat es mal gut zusammengefasst. Durch die Millionen von Kunden, mit denen wir arbeiten, sehen wir Trends. Einer davon ist zum Beispiel, dass Unternehmen, die erfolgreich eine «Cloud first»- oder «Digital first»-Strategie umsetzen, einige Gemeinsamkeiten haben. Es startet mit einer «Vision», also einer klaren Ausrichtung, die von der Firmenspitze definiert und vorgegeben werden muss. Zweitens müssen Führungskräfte eingebunden werden und diese Vision teilen. Drittens ist wichtig, sich aggressive Ziele zu setzen, die setzen dann das ganze Unternehmen in Bewegung. Konkret? Als Richemont beschloss, mit AWS in die Cloud zu gehen, stand dahinter eine klare Entscheidung des Topmanagements. Richemont hat das intern klar kommuniziert und sich ambitionierte Ziele gesetzt. Mit welchem Ergebnis? Richemont hatte zum Zeitpunkt der Ankündigung Ende 2021 binnen kurzer Zeit bereits 80 Prozent seiner Workloads migriert und verzeichnete bei einigen SAP-Instanzen, die auf AWS laufen, Leistungssteigerungen von bis zu 40 Prozent. So werden Kapazitäten freigesetzt, die wiederum in Innovation investiert werden können. Welches Cloud-Projekt in der Schweiz ist zukunftsweisend? Mir fällt es eher schwer, einen Bereich zu nennen, in dem die Cloud keinen guten Beitrag zur Digitalisierung eines Unternehmens leistet. Ein Beispiel, um die Möglichkeiten der Cloud aufzuzeigen, wäre Enersis, ein KMU aus Bern. Sie helfen Kunden, ihre Energiedisposition zu managen. Enersis sammelt dabei Daten aus vielen Quellen und nutzt für die Bearbeitung unter anderem Analytics und Machine Learning. Geodaten, Gebäudedaten und so weiter. Diese Datenanalysen helfen den Gemeinden, zu erkennen, wo sie ihre Energienutzung verbessern und so Ressourcen und Kosten sparen können. Ein Beispiel, das zeigt, wie eine Firma dank der Cloud grosse Datenmengen bearbeiten und damit bessere Wirkung erreichen kann. Wie gross muss der Umsatz oder die Firma sein, damit es überhaupt Sinn ergibt, bei AWS Cloud-Kapazitäten zu buchen? Es gibt keine Grenze nach unten. Ein einzelner Entwickler, der seine Applikation entwickelt, wird auf AWS genauso gut bedient wie Roche, Novartis oder Swisscom. Der Kunde bezahlt, was er wirklich braucht. Das kann man auch am Beispiel von Startups sehen. Der Cloud-Boom Amazon hat 2006 als einer der ersten Anbieter eine Cloudsparte gegründet. Ein kluger Schritt, längst ist die Tochterfirma Amazon Web Services (AWS) Marktführerin, weltweit und in der Schweiz. 2021 erzielte sie umgerechnet 58 Milliarden Franken Umsatz, ein Wachstum von 40 Prozent zum Vorjahr. In der Schweiz ist AWS seit 2016 präsent und zählt hierzulande zehntausend Kunden, darunter EPFL, Post, Roche, Novartis, Ringier, SBB und Swisscom. Wettbewerber wie Microsoft und Google waren aber schneller mit dem Angebot, die Daten auch in der Schweiz zu speichern. Sie bieten dies seit 2019 an. Inwiefern? Der Gründer, die Gründerin eines Startups hat oft Ideen im Kopf, aber relativ geringe Mittel. Als Gründerin kann sie versuchen, Gelder einzusammeln, eine Infrastruktur einzukaufen, dann eine Lösung darauf zu bauen. Wenn die nicht funktioniert, muss sie eine neue Infrastruktur aufbauen, um den nächsten Ansatz auszuprobieren. Und so weiter. Oder ich buche mir in der Cloud einfach die Dienste, die ich brauche, und zahle nur das, was ich brauche – wie beispielsweise Strom aus der Steckdose. Und wenn es Datenlecks gibt? Die Datensicherheit ist für uns absolut zentral, wir bieten über 500 Funktionen und Services für Sicherheit und Compliance an. Hier zeigt sich ein Vorteil der Cloud vor allem für KMU. So viel, wie AWS in die Sicherheit steckt, könnte ein KMU niemals alleine leisten. Das mag sein. Aber die Firmen sind neu in der Cloud, machen vielleicht Fehler. Wir haben ein Modell der geteilten Verantwortung. Vereinfacht gesagt sind wir für die Sicherheit der Cloud zuständig und der Kunde für die Sicherheit in der Cloud. Er muss sichere Applikationen bauen, die Zugriffsrechte richtig managen und so weiter. Wir sind zuständig vom Host Operating System bis hinunter zur physischen Infrastruktur. Vielleicht zu viel verlangt für manche Cloud-Neulinge. Wir unterstützen unsere Kunden dabei, Sicherheit zu gewährleisten. Wir bieten eine grosse Bandbreite an Diensten, Verschlüsselungstools, Anleitungen, Best-Practice-Lösungen, Partnerlösungen an, offerieren Schulungen. Es gibt definitiv Bedarf an Beratung und Training, um die Cybersecurity zu verbessern. Wird das Angebot genutzt? Ich kenne kaum einen Kunden von AWS, der dies nicht nutzt. Ein Ansatz sind sogenannte Well-Architected-Reviews. Dabei schauen wir uns die technische Architektur vor und in der Cloud an und geben Rückmeldung, wo diese verbessert werden könnte. Unter mehreren Gesichtspunkten, beispielsweise um Kosten zu optimieren, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und um die Sicherheit zu verbessern, etwa bei der Verschlüsselung. Wie viele Arbeitnehmende haben Sie Ende Jahr? Das ändert sich dauernd. Wir wachsen schnell, aktuell haben wir 128 offene Stellen. 2021 haben wir ein zweites Office in Zürich eröffnet und werden beide Büros demnächst am neuen Standort am Mythenquai zusammenführen, 2020 sind wir auch in ein neues Büro in Genf gezogen. Homeoffice oder Büropräsenz? Wir sind sehr flexibel. Wir haben die Leute vor zwei Jahren ins Homeoffice geschickt. Aber sie freuen sich, wieder Kollegen zu treffen. Wegen unseres Wachstums haben viele in Covid-19-Zeiten bei uns angefangen und haben sich noch nie getroffen. Das wollen wir mit Events, formellen und informellen Anlässen ändern, das fehlt uns schon sehr. Es geht auch um die Stärkung unserer Kultur. Zoom oder Google Meet bringen es nicht? Klar sind Zoom oder andere Tools wichtig, aber echte Innovation entsteht auch, wenn sich Mitarbeitende auch informell austauschen können. Wir überlassen es aber den einzelnen Teams, wie sie sich organisieren. «Ich bin dankbar für meinen Werdegang, aber ich klopfe mir nicht jeden Tag auf die Schulter.» Woher haben Sie die Haltung einer Unternehmerin? Ich bin in Afrika aufgewachsen, in einem Umfeld, wo es mitunter sehr wenige Regeln gibt und nicht alles planbar ist (lacht). Da hilft es, wenn man nach dem Prinzip «Invent and Simplify» handelt. Mir persönlich ist das Unternehmerische schon sehr wichtig. Und dass wir das nicht einfach sagen, sondern auch leben. Sie sind in Kamerun gross geworden, haben in Berlin studiert, wo Sie Ihr erstes Geld im Altersheim verdient haben. Sie haben bei Microsoft Karriere gemacht, jetzt sind Sie in Zürich Länder-Chefin des globalen Unternehmens Amazon Web Services. Sagen Sie am Morgen nicht manchmal: Crazy, was ich bis dato alles erlebt habe? Ich bin dankbar für meinen Werdegang, aber ich klopfe mir nicht jeden Tag auf die Schulter. Ich habe als Vertreterin einer Minderheit viel arbeiten müssen, um dorthin zu kommen, wo ich heute bin. Ich habe unheimlich viel Freude an meiner Arbeit, es ist ein Privileg, mit Technologie zu arbeiten und Menschen führen zu dürfen. Ich nehme Herausforderungen gerne an und versuche sie, so gut ich kann, zu lösen, für die Kunden, die Mitarbeitenden, fürs Unternehmen. Und ich sehe aber auch immer sehr deutlich, was ich besser machen kann. Zum Beispiel? Ich bin sehr schnell und habe laut meinem Team 15 Ideen am Tag. Ich versuche besser darin zu werden, diese zu filtern. Auch nehme ich mir seit ein paar Jahren vor, immer wieder etwas Neues zu lernen, vor zwei Jahren habe ich zum Beispiel Schwimmen gelernt. Interessant. Wo Sie Ihre wichtigsten Kompetenzen erlernt? In Afrika habe ich gelernt, erfinderisch zu sein, Resilienz zu zeigen und eine positive Grundhaltung zu haben. Als deutsche Ingenieurin habe ich gelernt, strukturiert zu denken und komplexe Probleme zu lösen. In der Schweiz lerne ich gesunden Pragmatismus und die Kunst, Menschen einzubinden, um noch bessere Entscheidungen zu treffen. Später haben Sie für Microsoft den afrikanischen Markt geleitet. Ja, mir hat es immer gefallen, mich herauszufordern und Neues in Angriff zu nehmen. Als Mitglied des Africa Leadership Teams konnte ich dort einiges bewegen und enorm viele neue Erfahrungen sammeln. Wenn man wie ich in vielen Ländern gelebt und gearbeitet hat, kriegt man viel zurück, etwa beim Thema Diversity und Inclusion. Was genau? Man entwickelt ein Verständnis dafür, wie sich jemand in seinem Umfeld fühlt. Und man merkt, wie man dieser Person Vertrauen vermittelt und ihr die Möglichkeit gibt, ihren besten Job zu machen. Ich glaube auch, dass ich Empathie für andere entwickelt habe, weil ich selber immer wieder die Fremde war. Man entwickelt einen inklusiven Führungsstil, weil ich weiss, dass ich immer wieder mit sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten zu tun habe. «Ich weiss, wie es ist, wenn man in ein Meeting läuft und feststellt, dass niemand dieselbe Hautfarbe hat wie ich.» Wieso sind Sie in die Schweiz gekommen? Ich bin in einem zeitweilig unsicheren Umfeld in Kamerun gross geworden. Als ich mit meinem dritten Sohn schwanger war und mit meinem Mann in der Schweiz in den Ferien war, hab ich zu ihm gesagt: Hier sollen unsere Kinder aufwachsen. Mir ist Sicherheit nach meinen frühen Erfahrungen sehr wichtig. Was mir auch gefällt, ist die Internationalität und generell wie man hier miteinander umgeht. Die Hautfarbe war nie ein Thema? Im Privatleben schon, im Berufsleben nie. Ich weiss allerdings nicht, ob es allen so geht, vielleicht hatte ich Glück. Ich arbeite in einer Branche, die – wenn man einen guten Job macht – relativ blind ist für Unterschiede. Die Firmen, für die ich arbeitete, waren immer sehr meritokratisch ausgerichtet. Deshalb hat man mir immer wieder neue Herausforderungen angeboten, schätze ich. Bei AWS legen wir sehr viel Wert darauf, Bias zu vermeiden, wie wir Menschen bewerten, wie wir sie einstellen. Es gibt Strukturen, die uns helfen. Welche? Wir machen jedes Jahr mehrere Kurse, um den eigenen kognitiven Bias besser kennenzulernen. Wir schreiben Dokumente, statt Präsentationen zu halten; das hilft zum Beispiel Menschen, die eher zurückhaltend sind, ihre Ideen zu teilen und so Einfluss zu nehmen auf das Geschehen im Team und in der Organisation. Auch entscheidet eine vielfältige Gruppe an Mitarbeitenden, welche neuen Kollegen eingestellt werden, so bekommen Kandidaten besseren Chancen, mit ihren Stärken zu punkten. Tönt nach Bürokratie. Ist es nicht. Wenn wir ein Meeting abhalten, werden einige viel reden, andere viel weniger, weil sie vielleicht introvertiert sind. Da wir aber in Meetings schriftliche Vorlagen vorbereiten und erhalten, kann jeder seine Ideen einbringen, die werden dann gemeinsam besprochen. So bekommen alle, unabhängig vom Kommunikationsstil, eine Stimme. Bei Beförderungen werden ebenfalls Dokumente zur Bewertung hinzugezogen, damit erreicht man ein gutes Level an Fairness. Nicht der Mitarbeiter, der am bekanntesten oder beliebtesten ist, wird befördert, sondern der dokumentierte Impact eines Mitarbeiters wird in einem Panel besprochen und dieses entscheidet über die Beförderung, nicht ein einzelner Vorgesetzter, der dann doch vielleicht ein unbewusstes Bias hat. Für mich ist das ein wichtiges Thema, weil ich selber weiss, wie es ist, wenn man in ein Meeting läuft und feststellt, dass niemand dieselbe Hautfarbe hat wie ich. Frauen in Toppositionen sind gerade in der Tech-Branche sehr rar. Ich wünschte mir, ich könnte da mehr bewegen. Aber in der Tech-Industrie und im ganzen deutschsprachigen Raum inklusive der Schweiz ist es nicht einfach, Frauen mit einem technischen Hintergrund zu finden. Der Pool ist klein. «Wir arbeiten da mit vielen Frauen zusammen, die eine Vorbildfunktionen für die Schülerinnen haben sollen.» Was tun Sie dagegen? Wir haben ein Early-Career-Programm gestartet mit einem weiblichen Bias, damit wir junge Ingenieurinnen finden. Wir haben auch Sourcer, die bewusst im Markt nach Frauen suchen, damit wir mehr Frauen interviewen können. Zufrieden? Nein. Wir müssen früher beginnen. Deshalb haben wir 2018 ein Programm aufgesetzt, das bereits in der Schule ansetzt – es heisst GetIT. Wir gehen damit in die Schulen und versuchen, die Affinität für Technologie bei 12- bis 13-jährigen Mädchen zu fördern. Dieses Programm haben wir in Deutschland mit grossem Erfolg lanciert, nun starten wir das auch in den Schweizer Sekundarschulen. Und Sie sind dabei? Wir arbeiten da mit vielen Frauen zusammen, die eine Vorbildfunktionen für die Schülerinnen haben sollen. Ich animiere meine Mitarbeitenden, mitzumachen. Letztes Jahr haben wir ja auch den grössten Female Hackathon in der Schweiz organisiert: Da kamen 200 jungen Frauen zusammen, die zweieinhalb Tage entwickelt haben. Dann haben wir ein Mentoring-Programm, wo wir Studierende unterstützen. Wir unternehmen viel, um Frauen zu finden und zu fördern. Aber die Reise ist noch lang. Es gibt Bootcamps, in denen Quereinsteigenden Programmieren im Schnellverfahren beigebracht wird und so ein Jobwechsel schmackhaft gemacht werden soll. Empfehlenswert? Unbedingt. Bis 2028 werden in der Schweiz rund 35’000 ICT-Job nicht besetzt sein. Das stellt ein enormes Risiko für die Digitalisierung der Schweizer Wirtschaft dar. Es werden Leute fehlen, die die Produktivität und die Standortattraktivität verbessern. Dafür genügt der ETH-Nachwuchs nicht. Nein. Ich denke tatsächlich nicht, dass man diese Lücke nur mit jungen Leuten, die in den Arbeitsmarkt kommen, füllen kann. Lifelong Learning ist enorm wichtig. Es braucht auch Quereinsteigerinnen. Bei diesen Quereinsteigern ist oft die Bewerbungsangst grösser als die Fähigkeiten, die zur Digitalisierung benötigt werden. Deshalb haben wir das globale Programm re/Start aufgesetzt, das Quereinsteigerinnen anspricht, die eine Berufspause hatten. droht. Wir helfen ihnen mit Workshops und strukturierten Learning-Programme, digitale Skills aufzubauen. Solche Ansätze könne helfen den Fachkräftemangel, der sich in der Schweiz abzeichnet zu adressieren. Und Ihre drei Söhne werden hoffentlich auch einen Beitrag leisten? Oder die wollen alles, nur nicht das, was Mama tut? Der Älteste studiert Jura. Eben. Moment. Er kann programmieren und arbeitet nebenher in einem Tech-Startup. Er hat also eine Affinität zur IT-Branche und möchte später einmal zwischen Recht und Tech arbeiten. Und bei den Jüngeren werden wir später sehen. Und wie bekommen sie die breiten Erfahrungen der Mutter mit? Wir haben zusammen in Südafrika gelebt, dann gingen sie für mehrere Monate in Kamerun in die Volksschule. Sie kennen die Realität in Afrika ein Stück weit; das hilft ihnen zu erkennen, wie privilegiert man in der Schweiz ist. Mir ist auch wichtig, dass sie den Wert der Arbeit erkennen und selber anpacken. Und dass sie sich regelmässig beschweren, sie kriegten weniger Sackgeld als ihre Schulkollegen, ist ein gutes Zeichen (lacht). Dafür sind sie ständig in der Cloud? Klar, ist bei uns vieles digital zu Hause, aber wir versuchen, Offline-Zeiten zu organisieren. Und wir haben ein Stockwerk im Haus, wo keine Geräte erlaubt sind. Allerdings haben eher die Eltern ein Problem damit …(lacht).

AWS-Schweiz-Chefin Yvonne Bettkober im Interview über den Cloud-Boom

«Es braucht Quereinsteigerinnen»