Landesweite Expansionsbewegung bei Bäckereien: Bachmann, Kuhn und Hug schreiten bei der Filialisierung voran

Wind pfeift durch die Häuserschluchten. Trams quietschen, Menschen hasten durchs Vorstadtgrau. Zürich-Stettbach am ersten Arbeitstag nach Neujahr: Schockfrost für die Seele. Andreas Stricker sieht das anders. Der Geschäftsleiter der Bäckerei-Konditorei Hotz liebt die Location am Zürcher Stadtrand heiss. Voraussichtlich im Februar wird Stricker am Bahnhof Stettbach ein weiteres Ladencafé eröffnen, die Nummer neun für die Dübendorfer Bäckerei-Konditorei. Gipfeli und Wurzelbrot, Sandwiches und Wähen, Quinoa-Bowls und Salate – mit diesem Sortiment will Hotz das Volk in Zürich-Stettbach erobern. Die neue Location gebe viel her, sagt Stricker: «An diesem Verkehrsknotenpunkt entsteht ein neues Quartier mit 1400 Wohnungen und bisher war noch kein Bäcker am Platz. Hier nicht zuzugreifen, wäre ein Fehler gewesen.» Landesweite Expansionsbewegung bei Bäckereien Mit diesem Expansionsmonitor schreiten viele Bäcker und Konditoren durchs Land. Immer auf der Suche nach der nächsten guten Location für eine Filiale. Nach neuen Lagen, wo Brotduft, Kaffee und die kleine Schoko-Sünde passen könnten. Die Expansionsbewegung lässt sich landesweit beobachten: Bachmann strebt von Luzern her nach Zürich, Kuhn marschiert vom Toggenburg her gegen Westen, Hug heizt auf den Achsen Luzern–Zug–Zürich und Luzern– Bern–Basel ein, jeweils mit einer Umsatzerwartung von 2 Millionen Franken im Jahr. Und in der Romandie powern die Gipfeli-Könige von Pouly und Fleur de Pains ohne Unterlass. Kleine Backstuben und Einzelbetriebe haben da kein Brot mehr. Stricker fasst den Trend so zusammen: «Einerseits sterben die Einzelbäcker weg, anderseits legen die Filialisierten zu.» Die industrielle Logik der Expansion schildert der Hotz-Chef als eine Mischung aus Back-Office-Erfordernissen und Skaleneffekten: «Nur schon um alle Auflagen bezüglich Hygiene zu erfüllen und die Administration zu meistern, braucht es eine gewisse Grösse. Und diese Grösse braucht es auch, damit man sinnvoll und preisgünstig einkaufen kann, um ein vernünftiges Absatzvolumen zu generieren.» Backen, wachsen, grösser werden Die Losung also: backen, wachsen, grösser werden. «Entweder man ist klein und spezialisiert, oder man ist gross – sonst wird es sehr schwierig», beschreibt Silvan Hotz, Präsident des Bäcker-Confiseurmeister-Verbands (SBC) die Entwicklung. 2 bis 3 Prozent der aktuell noch knapp 1400 Betriebe würden jährlich zugehen, schätzt Hotz. «Deren beste Standorte werden von anderen Bäckereien übernommen.» Potenzial für ihr Wachstum finden die Gipfeli-Grosswesire weiterhin. Die typische Schweizer Bäckerei ist weiterhin relativ klein. Etwa die Hälfte setze weniger als 1 Million Franken um – grosse Bäckereien hätten hingegen Ende Jahr bis zu 50 Millionen Franken Umsatz in der Kasse, sagt Walter Bösch, der früher die Branchenschule Richemont leitete. «Im Schnitt haben Bäckereien heute rund 2,5 Standorte. Die Filialisierung wird in den nächsten Jahren andauern. Aber irgendwann wird ein Plafond erreicht, dann ist die Bereinigung abgeschlossen», glaubt der Branchenkenner. Was zeichnet einen starken Standort aus? An guten Lagen gibt es meist viele Passantinnen und Passanten oder viele Parkplätze. Und auch die Nähe zu einem Supermarkt ist ein Trumpf: «Früher sagte man, es sei schlecht, einen Migros oder Coop als Nachbarn zu haben. Heute gilt das nicht mehr. Die Detailhändler ziehen viele Kunden und Kundinnen an, die ihr Brot vielleicht dann im Fachgeschäft kaufen», sagt Silvan Hotz. Bei Immobilienmaklern ist der Boost der Bäckereien angekommen: «Viele dieser Anbieter springen ins Feld der gehobenen Schnellverpflegung und sind auf der Suche nach neuen Standorten. Fündig werden sie dabei oft auch in aufgegebenen Nonfoodflächen», sagt Gabriela Brandenberg, Head Office and Retail Services bei der Liegenschaftenvermittlung SPGI Zurich. Dabei gehe es nicht nur Triple-A-Lagen: «Gefragt sind oft auch Standorte an B- und C-Lagen, etwa in Wohngebieten, wo solche Bäckerei-Cafés Geschäftschancen mit Gästen aus dem Homeoffice wittern.» Er erhalte wöchentlich Anfragen, ob er in einer Liegenschaft ein neues Fachgeschäft eröffnen wolle, sagt Matthias Bachmann, Co-Geschäftsführer von Confiserie Bachmann. «Meistens wünschen sich die Investoren eine Bäckerei mit Café. 99 Prozent dieser Angebote lehnen wir ab», sagt der Luzerner. Bei einer prestigeträchtigen Liegenschaft hat die Confiserie und Bäckerei Bachmann allerdings zugegriffen: Seit 2018 betreiben die Luzerner ein dreistöckiges Geschäft an der Bahnhofstrasse in Zürich. Der «Flagship-Store» ist wenige Schritte vom Hauptbahnhof entfernt und auch bis zum Stammhaus von Konkurrent Sprüngli am Paradeplatz ist es nicht weit. Ein Lachsgipfeli mit Ingwertee zwischen zwei Calls, ein Erdbeertörtchen als Pausenschmaus zwischen Excel-Schlachten – Gastronomieberater Peter Herzog sieht die Bäckerei-Konditorei-Ladencafés als «Revival der ehemaligen Tearooms und als Antwort auf das Beizensterben.» Konsumsituation: «All-Day Snacking» mit Brotduft Peter Herzog, Bindella-Verwaltungsrat und GL-Mitglied des GDI Gottlieb Duttweiler Institute, hat seine eigene Definition für den Siegeszug dieses Formats: «Dieser Gastro-Typus läuft bei mir unter dem Namen ‹Café plus›, er greift viele Trends auf: Regionalität, Frische im Sortiment und ‹All-Day Snacking› für die Gäste, die sich vom üblichen Lunchverhalten verabschiedet haben.» Der Gastro-Profi resümiert: «Eine gute und lockere Gastro-Geschichte, angereichert mit verführerischem Brotduft.» Und eine Story, die auch Investoren schmeckt, sagt Herzog: «Für Immobilienbesitzer und -besitzerinnen ist das eine attraktive Sache. Solche Betriebe kommen ohne ausgebaute Küche, ohne grosse Tiefkühllager und mit wenig Platz aus. Auf 100 Quadratmetern erreicht man so an Hochfrequenzlagen zu vergleichbar tiefen Investitionen guten und zuverlässigen Umsatz.» Keine Trennung zwischen Bäckerei, Konditorei und Confiserie In der angespannten Corona-Zeit komme ein weiterer Faktor hinzu, so Herzog: «Angestellte sind leichter zu finden als in der traditionellen Gastronomie, weil solche Cafés plus meist nach Bürofeierabend schliessen.» Hotz-Chef Stricker führt einen weiteren Vorteil gegenüber traditionellen Restaurants ins Feld: «Zwischen dem Duft von Brot und dem Geruch einer Fritteuse liegen doch Welten.» Wer in dieser Branche Erfolg haben will, muss eine Nische finden. Manche setzen auf Schokolade und Pralinés, andere punkten mit Sandwiches und Salaten oder sind für feine Gipfeli bekannt. Die Trennung zwischen Bäckerei, Konditorei und Confiserie, die es früher mal gab, spiegelt sich unter der Verkaufsvitrine längst nicht mehr. Bachmann aus Luzern beispielsweise hat sich auf Torten spezialisiert. «Deshalb müssen wir mit unseren Fachgeschäften zu den Leuten», sagt Co-Geschäftsführer Matthias Bachmann, «für Torten nimmt die Kundschaft keine langen Anfahrtswege in Kauf.» Die Bäckerei Hug aus Luzern hat das Geschäft auf Take-aways und Cafés ausgerichtet. «Wir differenzieren uns über die maximale Frische. Dafür belegen wir unsere Sandwiches direkt in jeder Filiale. Und für den besten Kaffee haben wir mit einer Rösterei einen eigenen Blend entwickelt», sagt Geschäftsleiter Marcel Steger. Hugs Strategie setzt viel Laufkundschaft voraus und deshalb suchen die Luzerner die Nähe zu Bahnhöfen und Tramknotenpunkten. «Wir beteiligen uns auch an Ausschreibungen der SBB für Ladenflächen», erzählt Steger. Hug hat bei der Expansion einen starken Partner im Hintergrund. Die Migros-Tochtergesellschaft Jowa hat vor einigen Jahren die Mehrheit am Backwarenproduktionsbetrieb des Familienunternehmens gekauft. Die Filialisierung schafft grosse Player wie Bachmann und Hug. Ausländische Bäcker wagen sich bislang aber nicht in die Schweiz, vom Neuankömmling Pret A Manger in Zürich mal abgesehen. Doch auch in dieser helvetisch dominierten Branche machen sich Bäcker teilweise die Kundschaft streitig. «In unserer Branche muss man mit etwas Wettbewerb umgehen können», sagt Verbandspräsident Silvan Hotz. «Wenn gleich neben einer etablierten Bäckerei ein Mitbewerber aufmacht und Erfolg hat, hat der erste der beiden Bäcker vermutlich nicht alles richtig gemacht. Man pinkelt sich nicht gegenseitig ans Bein. Aber man liebt sich auch nicht immer, wie halt in einer Marktwirtschaft üblich.»Bäckereien: Der Gipfel des Swissness Grosse Bäckereien breiten sich aus und schlucken andere Filialen. Gut so. Sonst gibt es Brot und Gipfeli bald nur noch bei Migros, Lidl, Coop. Der Kommentar von «Handelszeitung»-Redaktor Marc Bürgi. Beitrag zur Aufenthaltsqualität in Bäckereien Der Wettbewerb dürfte anhalten. Im Hintergrund läuft sich aktuell gerade Valora warm; für das Konzept Backwerk sei man «nach wie vor daran interessiert, das Format in der Schweiz weiter auszurollen», heisst es beim Kioskkonzern. Aktuell hat Valora bloss einen Backwerk-Standort in Winterthur, aber das soll ändern: «Wir sind bei der Wahl der Lokalitäten unserer künftigen Stores sehr selektiv und wollen nur die besten Lagen. Insbesondere sind wir an Innenstadtlagen interessiert. Wir sind überzeugt, dass dort die Aufenthaltsqualität mit einer Entspannung der Corona-Restriktionen wieder deutlich zunehmen wird», sagt eine Sprecherin. Wie bei den anderen filialisierten Bäckereibetrieben spekuliert auch Valora darauf, dass sich der Strukturwandel in den Schweizer Städten positiv auf die Standortsuche auswirken werde: «Vor der Corona-Krise waren Innenstadtlagen sehr umkämpft. Wir gehen davon aus, dass sich hier nun interessante Chancen für gute Standorte bieten.» Manchmal ist es aber auch Zeit, bei der Expansion innezuhalten. So sieht man es bei Hotz in Dübendorf. Mit neun Ladencafés sei fürs erste ein Plafond erreicht, sagt Andreas Stricker. Wobei sich der Hotz-Geschäftsleiter eine Ofen-Hintertür offen lässt: «Bezüglich unserer Produktionskapazität sind wir nun an eine Grenze gelangt. Was aber nicht heisst, dass wir nie mehr expandieren werden.» Dieser Artikel wurde das erste Mal publiziert am 15.01.2022.

Landesweite Expansionsbewegung bei Bäckereien: Bachmann, Kuhn und Hug schreiten bei der Filialisierung voran

Bäckereien im Expansionsfieber