Das will Zalando mit dem Body-Scanner-Startup anstellen

Exotische Geburtstagsfeste belegen ortsfremde Gäste manchmal mit einem beklemmenden Gefühl. Etwa wenn sich alle Locals in die Arme fallen und zwischen dem Absingen unbekannter Lieder in einer Sprache parlieren, die dem Auslandgast fremd vorkommt. Im Falle von Ferdinand Metzler war die Ortssprache nicht etwa Spanisch. Sondern Kantonesisch. Beklemmend war die Hongkonger Birthday-Party für Metzler aber nicht. Eher befreiend. Die Fete im Jahr 2014 änderte das Leben des Vorarlberger Unternehmers komplett. In letzter Hinsicht war das Fest sogar dafür verantwortlich, dass Metzlers Zürcher Unternehmen Fision dieser Tage übernommen wurde. Nicht von einem Hongkong-Konglomerat. Sondern von Zalando. «Wir kennen unseren Kunden nicht»Aber der Reihe nach. Ferdinand Metzler verbrachte als ETH-Maschinenbauingenieur-Student 2014 ein Austauschsemester in Hongkong. Weil ihm dort die Zeit etwas lang wurde, war er glücklich, zu einer Geburtstagsparty eingeladen zu werden. Hier lernte Metzler den österreichischen Textilindustriellen Gerhard Flatz kennen. Der hatte ein Problem: «Wir kennen unseren Kunden nicht.» Im Modebusiness ist solche Unkenntnis auch deshalb unliebsam, weil man so nicht weiss, ob und wie die hergestellten Teile den Kunden und Kundinnen überhaupt passen. Das war der Startschuss für Fision; Metzler begann, per bildbasiertem Approach Kundendaten in den Modebestellprozess einzubauen und gründete Mitte 2015 in Zürich das Startup Fision. Nicht ganz ohne textile Vorkenntnis: Vor dem Hongkong-Abstecher war Metzler bereits ein Jahr lang Finanzchef beim Schweizer Jeans-Massanfertiger Selfnation gewesen. Für sein Startup dachte Metzler die Sache neu. Mit einer Body-Scanning-App können seine Kundinnen und Kunden heute ihre Masse digital erfassen. Erster Kunde war die Schweizer PostMit Fision kam Metzler gut vorwärts und konnte einen ersten Kunden gewinnen, der auf den ersten Blick recht wenig mit der Glitzerwelt der Mode zu tun hat, wie sich Metzler erinnert: «Erster Kunde von Fision war die Schweizer Post.» Bei Uniformen gilt eben ebenso, was für Fashion-Victims hohe Wichtigkeit hat: «Das Thema Passgenauigkeit ist insbesondere bei der Arbeitsbekleidung wichtig. Schliesslich soll auch bei der Uniform gelten: Die beste Passform für die richtige Person.» Metzler fand weitere Kunden – aktuell sind es schon rund fünfzig – und baute die Belegschaft auf gut zwanzig Köpfe aus. Fision wurde bekannter in den Kreisen, die auf Passgenauigkeit achten; es meldeten sich erste Firmen, die Fision übernehmen wollten. Nun wurde klar, dass Zalando das Rennen machte. Im Rahmen eines längeren Prozesses, sagt Metzler: «Seit fast zwei Jahren haben wir uns mit Zalando ausgetauscht, über die letzten Monate wurde der Kontakt dann intensiver. Interessenten für eine Übernahme hat es mehrere gegeben.» Fürs Erste sollen auch unter dem Dach von Zalando wichtige Dinge so bleiben, wie sie waren. Der Birthday-Kontakt Gerhard Flatz ist auch heute noch Verwaltungsrat bei Fision – und Metzler powert weiter bei seinem Startup, offenbar nicht aufgrund einer Klausel im Übernahmevertrag: «Ich bleibe an Bord. Nicht weil ich muss, sondern weil ich will.» Erlebnis wichtiger als RetourenVerbunden mit der Übernahme ist der Aufbau eines Zalando-Tech-Hubs in Zürich. Auf 150 Arbeitsplätze soll dieser «in den nächsten 18 bis 24 Monaten» anwachsen, sagt Zalando-Sprecherin Catherine Westphal. Gesucht würden Spezialisten und Spezialistinnen aus verschiedensten Tech-Bereichen «wie der künstlichen Intelligenz, Computervision und Grössen-Berechnung». Was Aussenstehende dabei zunächst erstaunt: Zalando geht es nicht in erster Linie darum, die Retourenquote von aktuell geschätzten 50 Prozent mithilfe von Tech-Spezialisten zu reduzieren. Das sieht Westphal nur als Nebenprodukt. Das Hauptprodukt: «Eine Investition ins Kundenerlebnis.» Was das bedeuten könnte, kann Metzler heute schon in Grundrissen darlegen: Der E-Commerce, sagt der Fision-Gründer, habe die Umkleidegarderobe ins Zuhause der Kunden und Kundinnen verschoben. Aber das sei bloss der erste Schritt gewesen: «Künftig könnte es so sein, dass wir die Kleider probieren, bevor wir sie überhaupt bestellt haben. Technologie wird eingepasstWir ziehen am Bildschirm einem virtuellen Abbild von uns selber ein virtuelles Kleidungsstück über – und sehen so frühzeitig, wie das aussieht und ob es passt.» Voraussetzung dafür ist natürlich auch, dass die Fision-Technologie überhaupt in die Zalando-Systeme eingepasst wird. Dies soll gemäss Westphal «in den nächsten 18 bis 24 Monaten» geschehen. Fraglich ist, ob die Fision-Technologie künftig nur noch Zalando zur Verfügung stehen soll – oder ob auch weiterhin andere Kunden davon profitieren können. Westphal: «Da sind wir noch im Prozess; mittelfristig aber soll die Technologie vollständig in Zalando integriert werden.» Gänzlich offen bleibt die Frage, die wohl alle zukünftigen Zalando-Übernahme-Kandidaten brennend interessiert: wie viel die Deutschen bezahlt haben für Fision. Dazu macht Zalando keine Grössenangabe.Kommentar: Noch kein Schrei vor Glück Wie viel Umsatz Zalando aus der Schweiz seit dem Markteintritt vor bald zehn Jahren abgeschöpft hat, ist mit Firmenzahlen nicht belegt.4 Milliarden Franken sind es gemäss Schätzungen bestimmt. Eher wohl sogar 5 Milliarden. Was ganz sicher stimmt: Die Schweiz ist einer der stärksten Märkte für die Mode- und Tech-Firma aus Berlin. Und was dabei bis vor kurzem galt: Der Werkplatz Schweiz profitiert nicht davon.Klar, die Schweizerische Post hatte von Anfang an gut und viel zu tun mit den Zalando-Päckli. Wer Zalando Werbeflächen vermittelt oder Retouren ab arbeitet, bekam möglicherweise etwas ab vom Zalando-Manna. Aber ansonsten schlug sich der Erfolg hierzulande bezüglich Jobs, Aus- und Weiterbildungschancen kaum nieder. Zalando ist an insgesamt 26 internationalen Standorten tätig – doch für einen der stärksten Märkte fiel nichts Arbeitsmarkttaugliches ab. Das soll sich jetzt ändern. Mit der Übernahme des Schweizer Startups Fision will Zalando einen Tech-Hub in Zürich aufbauen. Bis 150 Jobs sollen so in den nächsten 24 Monaten entstehen. Nach zehn Jahren Dauererfolg wurde das jetzt aber auch wirklich Zeit. Wenn es Zalando richtig gut machen will in der Schweiz, dann pflückt das Unternehmen nicht nur die hellsten Köpfe der ETH und EPFL, sondern investiert auch ins Lehrlingswesen.Erst dann schreien wir vor Glück.