Der Traum vom grünen Fliegen

Vor fünf Jahren umkreisten die Schweizer Flugpioniere Bertrand Piccard und André Borschberg mit dem Solarflugzeug Solar Impulse 2 ohne Treibstoff die Erde. 505 Tage dauerte die Reise, die wegen einer Reparatur um neun Monate unterbrochen werden musste. Sie sollte beweisen, dass eine nachhaltige Luftfahrt möglich ist. Doch sie machte ebenfalls deutlich, dass der Weg dahin noch sehr weit ist. Schon lange wird die Luftfahrtindustrie für ihren negativen Einfluss aufs Klima kritisiert. Aber der Druck nimmt zu. Zwar macht die Luftfahrt geschätzt nur etwa 3 Prozent der globalen Emissionen des Treibhausgases aus. Doch wenn technologisch keine Fortschritte erzielt werden, dürfte dieser Anteil in Zukunft steigen. Denn einerseits ist klar, dass in vielen anderen Bereichen Bestrebungen für eine grünere Zukunft laufen und andererseits wird sich die Luftfahrt irgendwann vom Corona-Schock erholen und wieder Fahrt aufnehmen. Die Branche setzt ihre Hoffnungen in die beiden Bereiche Wasserstoff und nachhaltigen Treibstoff, Sustainable Aviation Fuel (SAF). Wie ist der Stand der Dinge und was ist der Zeitplan für ein umweltverträglicheres Fliegen? Wasserstoff als Fernziel Wasserstoff ist auf der Erde beinahe unbegrenzt verfügbar. Doch diese Tatsache ist trügerisch: Weil er fast nur in Verbindungen mit anderen Elementen vorkommt, muss er hergestellt werden. Dies geschieht beim sogenannt grünen Wasserstoff mit Elektrizität, zum Beispiel aus Wind- oder Sonnenenergie. Heute wird der meiste Wasserstoff aber aus fossilen Brennstoffen wie Erdgas oder Kohle gewonnen. Das nennt man «grauer Wasserstoff». Als Treibstoff weist Wasserstoff eine höhere Energiedichte als Kerosin auf, was gegenüber Batterien ein grosser Vorteil ist. Doch Wasserstoff benötigt viel mehr Volumen als gängiger Treibstoff. Zudem muss das Gas bei minus 253 Grad Celsius flüssig und unter hohem Druck komprimiert werden, um als Treibstoff nutzbar zu sein. Der Transport ist aufgrund der Eigenschaften ebenfalls schwierig. «Der Wirkungsgrad bei der Herstellung des Wasserstoffs mit erneuerbarem Strom ist tief», sagt Georg Klingler, Klimaexperte von Greenpeace Schweiz. Anders hergestellter Wasserstoff komme aus Klimasicht aber nicht in Frage, weil dieser fossiler Herkunft wäre. Das ist nicht das einzige Problem: Wenn Wasserstoff in einem Verbrennungsantrieb verwendet wird, wird zwar kein CO2 freigesetzt, aber es gibt ausser Wasserdampf- auch Stickoxidemissionen. Und selbst mit einer Brennstoffzelle müsste man immer noch Kondensstreifen verhindern, die ebenfalls zur Klimaerwärmung beitragen. Trotz dieser Einschränkungen sei Wasserstoff «eine Option für unbedingt notwendige Flüge, die elektrisch nicht bewerkstelligt werden können», sagt Klingler. Der Flugzeughersteller Deutsche Aircraft präsentierte im Juli Pläne, den Kurzstreckenflieger Dornier 328 zum Brennstoffzellen-Flugzeug umzurüsten. Ziel sei es, Mitte der 2030er-Jahre ein wasserstoff-elektrisches Regionalflugzeug für bis zu 40 Passagiere auf den Markt zu bringen. Ein Demonstrationsflugzeug soll schon 2025 abheben. In ein kleines Kurzstreckenflugzeug könne man einen Wasserstofftank «mit relativ humanen Veränderungen integrieren», so Martin Nüsseler Chief Technology Officer des Herstellers. Für grössere Flugzeuge mit mehr Reichweite wären hingegen grundsätzliche Änderungen notwendig, so Nüsseler. «In Zukunft wird es andere Flugzeugformen geben, das heutige Konzept von Flügel und Rumpf wird aufgehoben.» Wie das aussehen könnte, zeigt ein Konzept von Airbus. Der europäische Flugzeugbauer forscht unter anderem an einem Blended-Wing-Body, einem Flugzeug bei dem der Rumpf fliessend in die Flügel übergeht. Diese Form sei sehr effizient, sagt Nicole Dreyer-Langlet, die in Deutschland die Forschung und Entwicklung bei Airbus leitet, im Interview mit der «Handelszeitung». Der grössere Tank in einem Wasserstoff-Flugzeug könnte so in den Flügeln und im Rumpf untergebracht werden. Airbus strebt eine Markteinführung im Jahr 2035 an. Angepeilt wird ein Flugzeug im Segment der A320-Familie, wobei sich der Hersteller noch nicht auf Passagierkapazitäten festlegen will. Dreyer-Langlet spricht von einer «relativ sportlichen» Timeline und verweist auf SAF als Überbrückung bis dahin.Im Moment sei Airbus noch dabei, die Technologiebausteine für den Wasserstoffflug zu entwickeln. In drei oder vier Jahren solle dann der Entscheid für ein bestimmtes Konzept erfolgen. Auch Boeing verfüge über «umfassende Erfahrungen im Bereich Wasserstoff und Elektroantrieb», sagt Sprecher Roger Gilles. Doch die sichere Integration dieser Lösungen in grosse Flugzeuge und Luftfahrtsysteme werde Zeit und beträchtliche Investitionen erfordern. Im Kurzstreckensegment erwartet Boeing den Markteintritt von Elektro- und Wasserstoffantrieben für das Jahr 2045. Zusätzlich zu den Flugzeugen müssen auch die Flughäfen für eine Wasserstoff-Zukunft umgerüstet werden. Dafür seien grosse Investitionen nötig, sagt Andreas Schütz, Mediensprecher Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Was die Produktion des grünen Wasserstoffs angeht, setzt die Luftfahrt auf einen gemeinsamen Umstieg verschiedener Industrien. Auch die Schifffahrt und die Stahlindustrie seien an Wasserstoff interessiert und könnten gemeinsame Lösungen suchen, sagt Dreyer-Langlet. Es gebe keine grundsätzlichen «Showstopper», so Schütz, alles sei eine Frage der Forschung und Technologie. Da es aber gerade auf der Langstrecke noch Jahrzehnte dauern dürfte, bis Wasserstoff fossile Brennstoffe ersetzen kann, werden zunächst vor allem die nachhaltigen Treibstoffe eine wichtige Rolle in den Umweltstrategien spielen. SAF für die Langstrecke «Angesichts des kurzfristigen Bedarfs an Emissionsreduzierungen und der Tatsache, dass die Hauptverursacher von Luftverkehrsemissionen Langstreckenflüge sind, liegt unser kurzfristiger Schwerpunkt auf SAF», sagt Boeing-Sprecher Gilles. SAF kann aus verschiedenen Grundmaterialien hergestellt werden, zum Beispiel aus Pflanzen, gebrauchtem Speiseöl und anderen Abfällen. Ebenfalls möglich ist die Produktion aus erneuerbarem Strom, in einem sogenannten Power-to-Liquid-Verfahren. SAF kann man heute bereits ohne technische Anpassungen an den Flugzeugen in einer 50-prozentigen Mischung mit herkömmlichem Treibstoff einsetzen.Die Hersteller Airbus und Boeing testen gerade den Einsatz von 100 Prozent SAF in Passagierflugzeugen. Während SAF nicht emissionsfrei sind, so erreicht man mit ihnen doch eine Reduktion des CO2-Ausstosses von bestenfalls 70 bis 80 Prozent. «Um die Verpflichtung der Luftfahrt zur Reduzierung der CO2-Emissionen um 50 Prozent gegenüber 2005 bis 2050 zu erfüllen, müssen Flugzeuge in der Lage sein, schon weit vor 2050 mit 100 Prozent SAF zu fliegen», sagt Gilles. «Aus diesem Grund arbeitet Boeing daran, dass Verkehrsflugzeuge bis 2030 zu 100 Prozent mit SAF betrieben werden können.» Nur 0,05 Prozent des Flugbenzins in der EU sind bisher Biokerosin, schreibt das Fachportal Aero.de. Die EU-Kommission plant aber eine Beimischquote für SAF. Im Klimaschutzprogramm «Fit for 55» sollen ab 2025 mindestens 2 Prozent nachhaltiges Kerosin beigemischt werden, ein Anteil, der bis 2050 auf 63 Prozent SAF steigen soll. Für die Umstellung müssen zwei Probleme gelöst werden: Die Verfügbarkeit und der Preis. Aus Abfällen hergestelltes SAF ist gemäss der Fluggesellschaft Swiss drei bis fünfmal teurer als herkömmliches Kerosin, aus Sonnenenergie hergestellter Treibstoff sogar zehnmal teurer. Laut Greenpeace-Experte Klingler gibt es bei weitem nicht genug Rest- und Abfallstoffe um damit den gesamten Luftverkehr zu bestreiten. Und wenn das SAF direkt aus erneuerbarer Energie hergestellt werden soll, brauche es eine massive Beschleunigung des Ausbaus der Photovoltaik. «Bisher kenne ich keine vernünftigen Berechnungen oder Angaben der Flugbranche, die über den gesamten Lebenszyklus aufzeigen, wie sie brauchbare Mengen an SAF nachhaltig herstellen möchten», sagt Klingler.«Daher erachte ich SAF heute noch vor allem als Marketing-Vehikel, um die Luftfahrt grün darzustellen.» «Der Ausbau von CO2-neutraler Energie ist ein Schlüssel zur klimafreundlichen Luftfahrt», sagt Schütz vom Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Zunächst müsse man die vorhandenen Quellen erneuerbarer Energie effizient nutzen. Dann stünden neue Speichertechnologien auf der Tagesordnung, um Energie bei hohem Bedarf gleichbleibend verfügbar zu machen. Denkbar sei auch der Import von Strom aus sonnenreichen Gegenden. Dass es enorme Investitionen braucht, ist für Schütz offensichtlich. Er macht folgende Rechnung: Die Dachfläche einer Doppelhaushälfte in Hamburg kann pro Jahr bis zu 16'000 kWh elektrische Energie bereitstellen. Ein Flug (One Way) von Frankfurt nach New York benötigt im Jahr 2035 pro Passagier rund 1500 kWh erneuerbare Primärenergie. Kleine Elektroflieger Weil Batterien eine viel geringere Energiedichte aufweisen als fossile Brennstoffe, eignen sie sich in der Luftfahrt nur für sehr kleine Flugzeuge oder Helikopter und Drohnen. Für alles andere sind Batterien zu schwer, was sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern wird. So wird der Elektroflieger «Alice» des Herstellers Eviation, von dem die Deutsche Post zwölf Stück bestellt hat, maximal 1200 Kilo Nutzlast über eine Distanz von 815 Kilometer transportieren können. Zum Vergleich: Ein Boeing 777-Frachter hat bis zu 102 Tonnen Nutzlast und eine Reichweite von über 9000 Kilometern. Trotzdem spielen Elektroflieger in den Plänen der Branche eine Rolle. Nicht immer braucht es ein grosses Flugzeug mit tausenden Kilometern Reichweite. So entwickelt Wisk, ein Joint Venture von Boeing und Kitty Hawk ein autonomes Flugtaxi mit zwölf Rotoren und einem Druckpropeller für zwei Passagiere. Das Fluggerät hat seit 2017 mehr als 1500 erfolgreiche Testflüge absolviert. «Elektrisch betriebene Luftfahrzeuge ohne Crew für Passagiere und Fracht sind auf Marktsegmente ausgerichtet, die die Verkehrsüberlastung in den Städten und die Emissionen von Bodenfahrzeugen verringern werden», sagt Gilles von Boeing. Der Umbau der Luftfahrt dürfte die Mobilität in diesem Jahrhundert grundlegend verändern.