Die Erfolgsgeschichte von Sportradar

Aufs Fussballleder drischt er am Samstag, den Basketball wirft er am Sonntag, den Tischtennisball traktiert er werktags in der Firma. Und wenn er mal in einem länglichen Call hängt, locht er den Golfball auf der im Büro ausgelegten grünen Putting-Matte ein. Kein Ball ist sicher vor Carsten Koerl. Nur etwas hat der Polysportive noch nicht geschafft: Dass der Junior, ein Teenager, das neue Hobby seines Vaters, Golfen, als echte Sportart anerkennt. Greift Koerl zur Kugel, will er gewinnen, immer. «Ich bin sehr kompetitiv», sagt er selber. Im Sport, aber auch im Geschäftlichen. Er tut dies stets mit Passion, zählt keine Schläge, keine Stunden und auch keine Schweisstropfen, doch er tut es nie mit Verbiesterung. Dazu ist er viel zu oft zu gut gelaunt und zu erfolgreich. Erste Millionen vor der Dotcom-Blase Seine ersten Firmen gründete er als Student an der Hochschule Konstanz. Seine erste Million – präziser: 200 Millionen – verdiente er mit 36 Jahren. Kurz vor dem Platzen der Dotcom-Blase brachte er den Wettanbieter Betandwin (heute Bwin) an die Börse in Wien. Anschliessend reiste er mit Familie nach Australien und sinnierte, ob er sich mit fettem Bankkonto frühpensionieren sollte. Der studierte Elektroingenieur, aufgewachsen im ländlichen Allgäu, verschob die Frühpension. Stattdessen lancierte er 2003 mit fünf Mitarbeitenden den Sportdatenvermarkter Sportradar in St. Gallen und etablierte sich innert weniger Jahre als globaler Branchenprimus für Daten und allerlei Inhalte. Markus Schröcksnadel ist einer der wichtigsten Ski-Tourismus-Unternehmer im Alpenraum. Das Interview über den Ski-Lockdown im Corona-Winter. Sportradar ist heute eine der ganz grossen Wachstumsstorys der Schweizer Wirtschaft, wiewohl die Büros in einem Allerweltsbau – neben Versicherungsbroker, Zahnarzt und Physiotherapeut – nichts Weltbewegendes erwarten lassen. Börsengang in Planung Doch die von Koerl gegründete und geführte Firma mit 30 Büros um den Globus, 2500 Mitarbeitenden und 8000 Freelancern ist ein Powerhouse. Man arbeitet mit den meisten Sportligen, mit 90 Weltsportverbänden, mit Wettbüros, Behörden, Veranstaltern, Stadionbetreibern. Gearbeitet wird im 24-Stunden-Rhythmus, 365 Tage im Jahr. Immer. Nun bereitet der Tausendsassa offenbar den nächsten grossen Sprung vor. Darüber mag er zwar keine Worte verlieren, es gilt Vertraulichkeit. Aber Berichte in der US-Finanzpresse lassen aufhorchen. Koerl möchte offenkundig mit Sportradar eine zweite Firma an die Börse bringen, diesmal nicht an die Börse in Wien, sondern an die US-Techbörse Nasdaq in New York. Das schreibt die IPO-Newsplattform «Mergermarket». Er selber meint bloss: «Kein Kommentar.»Wer steckt hinter Sportradar? 2,4 Milliarden Franken: So viel war der St. Galler Sportdatenvermarkter Sportradar vor zwei Jahren wert. Heute dürfte es einiges mehr sein. In der Corona-Krise hat sich das Unternehmen weiter entwickelt. Gründer und Chef ist Carsten Koerl, der in Konstanz Ingenieur studierte. Er ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt und meidet das Scheinwerferlicht. Aktionäre sind auch der kanadische Pensionskassenfonds CPPIB, die Investmentfirma TCV sowie Entertainment-Tycoon Ted Leonsis, Eigner diverser Sportteams. Weitere Geldgeber und Türöffner sind Michael Jordan, Milliardär und Basketballlegende der Chicago Bulls, sowie Mark Cuban, Milliardär und Besitzer der Dallas Mavericks. Es wäre eine wundersame Wendung. Vor kurzem war jedenfalls keine Zeit für Wachstumsfantasien. Am 14. März kehrte Koerl spätabends mit dem letzten Flieger aus London in die Schweiz zurück, dann machten die Zöllner die Grenze dicht. Am 15. März bliesen Schiedsrichter und Veranstalter Zehntausende Spiele ab – kein Basketball, kein Fussball, kein Handball, kein Football, kein Eishockey, kein Cricket, kein Nascar. Neuerfindung in der Pandemie Über Nacht war Sendeschluss, auch für Sportradar. Bei einem Totalausfall von Livespielen lassen sich schliesslich auch keine Daten sammeln und schon gar keine Wetten abschliessen. In jenen dramatischen Stunden habe er schon mal seinen Banker angerufen und gefragt, wie lange das Geld denn reichen würde. Doch turmhohe Hürden und vertrackte Lagen, die spornen einen wie Koerl erst richtig an. Anderntags gab der Chef die Direktiven durch. Erstens: Wegen Corona wird keiner entlassen, oberste Priorität hat der Schutz der Mitarbeitenden. Zweitens: Wenn keine Spiele mehr gespielt werden, müssen wir kreative Wege finden, um mögliche Umsatzverluste auszugleichen. Die Ansage vom Chef wirkte. In no time schaltete er in den Overdrive. Innert zwei Wochen schaffte Sportradar, wofür man normalerweise ein Jahr braucht. Mindestens. Als Erstes brachte man Simulated Reality Sportcentre auf den Markt, ein mit künstlicher Intelligenz gesteuertes Produkt für den Profisport. Ein Erfolg. Bereits im zweiten Monat steigerte Simulated Reality mit Virtual Sports, E-Sports und der Organisation eigener Turniere das Angebot auf 70'000 Spiele pro Monat – eine gute Verdreifachung. «Schwierige Zeiten als Chance» Statt also Trübsal zu blasen und auf Kurzarbeitsentschädigungen zu hoffen, erschuf Koerl mit seinem Team eine neue Sportdigitalwelt, die sich erst noch wunderbar vermarkten lässt. Die Corona-Krise, die auf einen Schlag 99 Prozent der Spiele löschte, drehte Koerl zur Marketinglehrstunde aus der Rubrik «Hallo, Leute, wir sind gerade jetzt für euch da». Man glaubt es ihm jedenfalls aufs Wort: «Schwierige Zeiten eröffnen Unternehmern Chancen zum Entwickeln und zum Wachsen.» Und die Kundschaft packte wie wild zu. So ist Sportradar im fast sportfreien Jahr 2020 glimpflich über die Runden gekommen. Der Umsatz stieg, der Gewinn ebenfalls. Doch die Ansprüche, die sind hoch. Organisch wachsen: klar, aber auch mit Zukäufen. So hat Sportradar aktuell mehr als genügend Kleingeld zur Hand, um mit Tempo Teufel zuzulegen. «Es gibt viele gute Firmen auf dem Markt», meint Koerl. Gemäss Medienberichten sollen die USA und China auf dem Wunschzettel stehen, jene Länder also, in denen sich das Geschäft am schnellsten nach oben treiben lässt. Die Zukunft des Sportwettgeschäfts Es sind faszinierende Zeiten für den Vollblutunternehmer aus der Ostschweiz, der sein Geschäft gerade jetzt neu erfindet: Sportradar soll künftig nämlich nicht mehr eine Firma sein, die Millionen von Daten fürs Sportwettgeschäft sammelt. Stattdessen träumt er von einer Tech-Firma, die Digitalprodukte entwickelt, das Wettgeschäft flankiert und Medienprodukte aus der Sportwelt lanciert. Die kunterbunte Bloomberg-Welt scheint zu faszinieren, die vom einstigen Aktiendatenlieferanten zum multimedialen Tech-Konzern mutierte. Es ist offensichtlich: Carsten Koerl, dessen maximale Extravaganz ein blaues statt ein weisses Langarmhemd ist, hat ganz viel Lust auf mehr. «Ich bin ein Wachstumsfan», sagt er. Etwas anderes hätte man nach 25 Jahren unternehmerischem Draufgängertum auch gar nicht erwartet. Dieser Artikel erschien erstmals am 10.01.2021.

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Sportmarketing: Das ganz grosse Spiel