Zattoogründerin Bea Knecht über Technologie, Corona und Rente mit 75

Zattoo ist Bea Knecht, und Bea Knecht ist Zattoo. Könnte man meinen. Doch so, wie aus dem Schweizer Internetfernsehen längst ein Dienstleister für Fernseh- und Telekomunternehmen wurde, ist auch Gründerin Knecht viel zu vielschichtig, als dass man sie auf ihre Firma reduzieren könnte. Die «Handelszeitung» hat Knecht in ihrem Büro getroffen und über Persönliches und Politisches, über grosse Themen und kleine Details gesprochen. Als Zattoo 2005 an den Start ging, war das eine Sensation. Die Plattform ermöglichte es, im Internet live fernzusehen – etwas, das TV-Verbreiter wie die damalige Cablecom zu der Zeit noch nicht anboten. Zunächst als App, später als Website wurde Zattoo schnell Marktführer. Heute hat die Plattform rund 20 Millionen registrierte Nutzerinnen und Nutzer im deutschsprachigen Raum. Gleichzeitig baute Zattoo das Business-to-Business-Geschäft aus. Mittlerweile liefert dieses rund 40 Prozent des Umsatzes. Zur Kundschaft gehören Firmen wie die Telekomunternehmen Salt und Sunrise, aber auch TV-Websites wie 20 Minuten, Teleboy oder Wilmaa, die ebenfalls Zattoo-Technologie einsetzen. Am Unternehmen ist Knecht noch mit einem Drittel beteiligt. Die Mehrheit liegt heute bei der TX Group (Tamedia). Aus dem operativen Geschäft hat sich Knecht zurückgezogen. Inzwischen kümmert sie sich mehr um Spin-offs und Startups, die im Umfeld von Zattoo entstanden sind. Zunehmend sucht sie auch den Weg in die Politik, wie sie im Gespräch verrät. Sei es über den Verein CH++ oder die Parteipolitik. Der breiten Öffentlichkeit dürfte sie vor allem deshalb ein Begriff sein, weil sie 2012 – damals schon als Zattoo-CEO – eine Geschlechtsangleichung durchführte. Aus Beat wurde Bea Knecht. Direkt zu folgenden Themenbereichen: Wissenschaftlich Denken: Was wir von der Pest lernen können Der Hefepilz rettet uns nicht vor Corona Zukunft des Fernsehens: Jedem User seinen Spot Frauen und Technik: Nutzt die Werkzeuge! Meine Camper: Kleine Fluchten aus dem Alltag Wider den Perfektionismus: Mehr Dreck zulassen Von Brugg nach Berkeley: Warum ich nichts mehr gleich machen würde Die Schweiz braucht ein Staatssekretariat gegen Cybercrime Mit 75 in Rente: Meine Pläne für die nächsten Jahre Was wir von der Pest lernen können Als Unternehmerin habe ich drei Krisen durchgemacht, richtige Krisen. 2001 war ich im Silicon Valley, als die Tech-Bubble platzte; 2008 in Zürich, als die Finanzkrise alles niederriss. Ich war damals in der Startup-Szene. Beide Male bedeuteten die Einbrüche das Ende vieler Startups. Und für alle, die überlebten, wars ein riesiger Rückschlag. 2020 erlebte ich die dritte Krise, Corona. Sequoia Capital, einer der grossen Tech-Investoren aus dem Silicon Valley, hatte sie völlig falsch interpretiert und schrieb einen offenen Brief an Investoren und Startups: Schliesst die Lücken, fahrt die Aktivitäten runter. Jetzt wird es ganz düster. Als Folge wurden Kreditlimiten gestrichen, Hunderttausende Firmen froren ein. Ich war schockiert. Ich habe anfänglich um meine Firmen gefürchtet, doch schon bald stellte ich fest: Ist ja gar nicht so schlimm. Und: Sequoia hat völlig überreagiert. Um mir selber ein Bild zu machen, begann ich mit einer Recherche zu Corona. Einen Monat lang trug ich Fakten zusammen, las Studien. Wie gross sind die Risiken, was sind die Folgen? Rasch konnte ich mich so aus dieser Unsicherheit befreien. Zuerst tief durchatmen, forschen und analysieren, nicht überreagieren. Und: 2020 ist nicht 2001 und auch nicht 2008. Und ich lernte noch etwas: sich einbringen ist wichtig. Ich war unpolitisch, mit Corona realisierte ich, ich muss mir Gehör verschaffen, meine Stimme einbringen. Nur, das war gar nicht einfach. Der Staat will nur etwas von mir hören, wenn er mich alle vier Monate an die Urne bittet. Sonst soll ich brav Steuern zahlen, mich auf dem Einwohneramt registrieren. Wer aber eine Stimme werden will, muss in einen Verein oder eine Partei. Also gründeten wir einen Verein, sein Name: CH++. Da sind spannende Leute dabei, aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft. Ziel ist, in der Schweiz Wissenschaft und Technologie zu fördern. Mich beschäftigt die Reputation der Wissenschaft; ich will ihr Image verbessern, in den Medien, in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und vor allem in der Politik. Dieses hat in der Krise gelitten, unverdienterweise. Wenn Medien schreiben, es gebe jetzt mehr Tote, die geimpft sind, als solche, die nicht geimpft sind, dann ist das unwissenschaftlich. Es suggeriert, dass die Corona-Impfung tödlich sei. Was natürlich Unsinn ist. Der befördert zwar die Klicks auf den Websites, aber er vergiftet das Klima. Ich lasse mich von René Descartes leiten, dem Begründer der modernen Wissenschaft. Die Leute gingen Anfang des 17. Jahrhunderts auf die Strasse, richteten den Blick zum Himmel und geisselten sich. Weil sie der Pfarrer von der Kanzel gelehrt hatte: Seid fromm, dann kann euch die Pest nichts anhaben. Wenn ihr es nicht tut, werdet ihr bestraft. Descartes widersprach diesem Glauben, weil auch sehr ehrfürchtige Leute an der Pest starben. Cogito ergo sum. So begründet er die Wissenschaft als selbstkorrigierende Disziplin. Man muss etwas handfest beweisen können – glauben und behaupten genügt nicht. Wissenschaft ist etwas, woran ich mich halte, sonst würde ich durchdrehen. Ich überlege mir ernsthaft, mich auch in der nationalen Politik zu engagieren. Drei Aspekte sind mir wichtig: Innovationsfreude fördern, Digitalisierungskompetenz verbreiten, Wissenschaftsaffinität steigern. Damit wäre ich wohl am ehesten bei den Grünliberalen. Der Hefepilz rettet uns nicht vor Corona Es gab 150 Forscherteams weltweit, die nach einem Corona-Impfstoff suchten. Schliesslich haben es rund zehn Produkte durch alle Prüfungen geschafft. Zwar wurde auch in der Schweiz geforscht, doch leider ohne Durchbruch. Und wir haben zur Kenntnis nehmen müssen, dass der Impfstoff aus vielen Bestandteilen besteht, die von überall auf dieser Welt stammen. Es bedurfte also eines globalen Kraftakts.Wenn es um Forschung geht, um Innovation, um Wirkstoffe, die Leben retten, geht es nicht ohne internationale Kooperation. In der öffentlichen Debatte aber feiert das Einigeln Urstände. Mir sticht dieser Ruf nach Selbstversorgung in den Ohren. Autarkie als Lösung – und wenn alle noch ihren eigenen Hefepilz fürs Brotbacken im Kühlschrank gelagert haben, kann definitiv nichts mehr passieren. Da bin ich ganz anderer Meinung. Wir müssen weltweit Verbündete suchen, Kontakte aufbauen, mit Forschungsinstitutionen kooperieren. Neue Freunde suchen. Das alles würde uns weiterbringen. Wissenschaft und Wirtschaft haben geliefert. Doch statt glücklich zu sein, dass wir einen neuen Impfstoff auf mRNA-Basis zur Verfügung haben, in deren Technik viel Potenzial zur Krankheitsbekämpfung liegt, beissen wir seit Monaten an der Frage: Ist der Impfstoff am Ende nicht doch schädlich? Dieses wenig qualifizierte Genörgel über etwas, das Hunderttausende Leben gerettet hat, geht an die Nerven. Jedem User seinen Spot Seien wir ehrlich: Fernsehen muss wieder «lovable» werden, muss Spass machen. Es muss uns gelingen, dass die Leute immer mal wieder ins Zattoo schauen, um sich die letzten Meldungen abzuholen. Das schaffen wir aber nur, wenn wir in die Metadaten gehen. Fernsehen ist einer der letzten Bereiche, der nicht durchsuchbar ist. Das wollen wir ändern.Mittlerweile haben wir gute Algorithmen, um Fernsehsignale auszuwerten. Wir haben mal zum Spass analysiert, wie oft die 200 Nationalräte und Nationalrätinnen am Fernsehen auftauchen. Wir können diese automatisch erkennen, können erfassen, was sie sagen und in welchem Umfeld das passiert. Auch im Sportbereich machen wir automatische Auswertungen. Mit der Software meiner Firmen Genistat und Levuro werden bei Fifa E-Sports automatisch die wichtigen Szenen in Fussballspielen erkannt und als Clips publiziert. Für UPC haben wird das Gleiche bei Eishockey gemacht. Und wenn Sie einen Clip auf «20 Minuten» sehen, kommt er in der Regel durch die gleiche Schnittmaschine.Ziel ist, das Fernsehen durchsuchbar zu machen. Wenn ich weiss, was in einer «Arena» gesagt wurde, kann ich die jeweiligen Szenen verschlagworten. Und wenn dann ein User nach einem Stichwort sucht, kann ich ihm oder ihr diese Ausschnitte anbieten. Auch massgeschneidert, denn ich weiss ja, was sie oder er konsumiert.Das gilt auch für die Werbung. Schon heute spielen wir Werbung aus, die auf bestimmte Kundengruppen hin optimiert ist. Das ist nicht nur gut für die Werbekundschaft, sondern auch für die Zuschauenden. Denn passende Werbung wird viel weniger als störend empfunden. Wenn bald die neuen Replay-Regeln in Kraft treten, werden wir auch in der Lage sein, weiterhin ein Gratisangebot machen zu können. Künftig muss der User dann ein, zwei Werbespots anschauen, bevor er im Replay einen Werbeblock überspulen kann. Das ist gar nicht so einfach umzusetzen. Zattoo kann das. Nutzt die Werkzeuge! Das Denken und Umsetzen unterscheidet Geschlechter und Generationen enorm. Es ist für mich eindrücklich, wie Männer unerschrocken auf Geräte aller Art zusteuern, meistens haben sie ohnehin einen Werkzeugkasten zu Hause. Der Laptop wird auch als eines dieser Werkzeuge wahrgenommen, das in den Griff genommen werden will. Frauen machen eher einen Bogen darum. Sie mögen besser kommunizieren. Aber wenn die Chats über Slack oder Zoom geführt werden und ein komplexes Softwareprojekt debattiert wird, müssen sie sich diese Technologien aneignen, sonst haben sie keine Stimme. Weniger Facebook, mehr Slack und Excel, das empfehle ich uns Frauen. Verheerend ist auch, dass Frauen, die einen Geschäfts-Laptop haben, diesen nicht auch privat benützen. Weil ihnen das von oben eingebläut wurde – und sie sich auch noch pflichtschuldig daran halten. Nicht so die Männer, sie kennen keine Zurückhaltung. Frauen weichen derweilen aufs Smartphone aus. Aber seien wir ehrlich, über den Screen eines Smartphones lässt sich die Welt halt nicht ergründen. Auch die Weiterbildung für einen nächsten Karrieresprung schafft niemand über ein Fenster mit ein paar Quadratzentimetern Durchmesser. Ich sage immer: Frauen blicken durch die Smartphone-Screens auf die Welt, Männer durch den Bildschirm. Drum rate ich den Frauen: Schafft euch einen eigenen Laptop an, habt keine Berührungsängste. Um genau dies zu fördern, habe ich bei Zattoo vor ein paar Jahren angefangen, ausgemusterte MacBooks an Frauen zu verschenken. Was mich besonders ermutigt, ist die junge Generation. Sie fragt: Wieso soll ich das tun? Früher bei der UBS wars ganz anders: Der Chef sagte, was zu tun sei. Wenn man nach Jahren gezeigt hat, dass man es begriffen hat und etwas leisten kann, durfte man dem Chef bei einer entspannten Minute auch noch sagen, wie man es noch einfacher machen könnte. Und wenn man selber aufstieg, fing das Spiel von vorne an. Heute fragen die jungen Leute grad am Anfang, weshalb sie das tun sollen. Und sie fragen, wie man damit die Welt retten kann, wie wir so mehr Gerechtigkeit hinkriegen. Das ist ermutigend. Und reizt mich, mit jungen Leuten zu tun zu haben. Kleine Fluchten aus dem Alltag Arbeiten und Reisen haben für mich etwas Spielerisches und Therapeutisches. Reisen zwingt mich in einen neuen Kontext und stellt Vorurteile infrage. Ich fordere mich da bewusst heraus. Auch mit meinem neuen Hobby. Ich baue Busse zu Campern um. Im Sommer fahre ich damit zur Arbeit und nehme auf dem Heimweg manchmal bewusst die andere Ausfahrt. Ich biege statt links rechts ab und lasse mich treiben. Oft lande ich nicht zu Hause, sondern in einer Region, die ich noch nicht kenne. Im Lockdown fuhr ich zu einer tollen italienischen Schokoladenfabrik am Lago Maggiore, wo ich mich mit Gianduja eindecken wollte. Nach der Grenze entschloss ich mich spontan, weiterzufahren. So landete ich bei Sonnenuntergang in Livorno, nahm die Fähre nach Sardinien, wo ich am andern Morgen ankam. Völlig ungeplant landete ich mitten in der Corona-Zeit auf einer Insel, ohne Touristinnen. Der Camper ist meine Corona-freie Bubble. Das Rumfahren ist für mich wie das Browsen im Internet, man sticht in die Tiefe und lernt und lernt. Und kann nicht genug kriegen. Mehr Dreck zulassen Ich habe in den USA und in der Schweiz gewohnt. Hierzulande haben wir diesen Hang zu Neatness, zur Ordnung. Alles muss in scharfen Bügelfalten liegen; im Vorlesungssaal an der ETH muss die Wandtafel porentief sauber sein. An der University of California in Berkley war die Tafel ständig schmutzig. Vielleicht haben die Studentinnen und Studenten gehofft, unter ihrem Kreidestaub lägen noch Spuren der vielen Physik- und Chemie-Nobelpreisträger, die dort studiert hatten. Was ich sagen will: In den USA könnte man mehr putzen, bei uns weniger. Da stimme ich Chris von Rohr zu: mehr Dreck. Wir sind mit unserem Perfektionismus unsere grössten Verhinderer und Bremser. Weil wir durch überrissene Ansprüche im Nebensächlichen Energie und Zeit verlieren. In Startups braucht es Studi-Atmosphäre, nicht funkelnde Espressomaschinen. Von Brugg nach Berkeley Ich habe – wie viele andere – eine persönliche Evolution durchlaufen. Auch wenn es radikal tönt: Ich würde nichts mehr gleich machen. Das Beim-zweiten-Mal-alles-anders-Machen hat mit meiner Familiengeschichte zu tun. Ab 1976 haben mein Vater und meine Geschwister über die Firma und deren Aufteilung diskutiert. Weil ich viel jünger bin als meine Geschwister, war ich stets überzeugt, dass ich bei einer Familiennachfolge unserer Transportfirma leer ausgehen würde. Ich habe in jungen Jahren im Familienbetrieb mitgearbeitet, habe dort moderne Branchenlösungen eingeführt. Um Informatik zu studieren, verliess ich die Schweiz und ging mit 18 Jahren nach Kalifornien. Das war 1985. Chipdesign und Betriebssysteme waren meine Themen. Nach dem Studienabschluss wurde ich in den Aargau zurückgerufen. Ich erhielt – wie erwartet – nicht die Firma, aber einen Aktienanteil und beteiligte mich finanziell. Damit war mein Leben plötzlich sehr kompliziert; an eine Rückkehr nach Kalifornien war nicht mehr zu denken. Stattdessen brauchte ich Geld für Aktienkäufe, ging in die technische Informatik der UBS, anschliessend machte ich einen MBA und wechselte in die Beratung zu McKinsey. Das Silicon Valley war nun weit hinter mir, dafür war ich im Limmattal. Hätte ich in Berkeley weiter Chips designt, wäre – wer weiss – vielleicht etwas Grosses daraus geworden. Nehmen wir mein iPhone: Dieses basiert auf einer Arm-Architektur. Die Inspiration für schlanke Technik dieser Art – man nennt das RISC, für Reduced Instruction Set Computing – stammt aus dem Labor in Berkeley, wo ich mitgearbeitet habe. Und das Betriebssystem basiert auf BSD Unix, auf Berkeley Software Distribution. Der Beitrag von Berkeley zur Entwicklung des Smartphones ist also enorm – und ich war zumindest am Anfang dabei. Das macht mich stolz. Und ich denke: Hat sich meine Forschungsarbeit darin niedergeschlagen? Vielleicht in einer App, im Gerät?Was geblieben ist: Ich bin neugierig, wissbegierig. Was mich antreibt, ist das Lernen, gefolgt vom Umsetzen. Amt gegen Cybercrime Wir müssen aufrüsten. Gut, wir haben das nationale Zentrum für Cybersecurity, aber dieses braucht nicht 30 Expertinnen und Experten, sondern 300. Wir müssen einen Quantensprung machen; das ist wie beim Aufbau der Polizei vor 150 Jahren. Detektiv Sherlock Holmes war der Beweis, dass man auch die Wissenschaft bei der Verbrecherbekämpfung einsetzen muss. Heute würde er sich der Cybersecurity annehmen. Nein, das können die Firmen nicht selber machen, das habe ich als Digitalunternehmerin gelernt. Firmen haben die Tendenz, möglichst alles, zumal Negatives, zu verheimlichen. Und wenn sie gehackt werden, kaufen sie sich lieber frei. Zudem stellen sich ganz praktische Fragen: Wen sollen sie anrufen, wenn jemand Daten absaugt? Die Nummer 117? Alle wollen sich selber helfen und hoffen, dass die News vom Hackerangriff ja nicht beim «Blick» landet.Um hier eine wirksame Verteidigung zu haben, fordere ich ein Staatssekretariat für Cybersicherheit, neben den fünf bestehenden Staatssekretariaten. Und dann braucht es eine internationale Kooperation. Es ist eine Binsenwahrheit: Cybercrime kennt keine Grenzen. Also muss man kooperieren. Es stellen sich politisch heikle Fragen: Wenn der Angreifer eine Staatsbehörde ist, aus Nordkorea, Russland oder China, gehts schnell um Politik. Diese kann keine Firma alleine beantworten. Wir sind vielmehr auf Kooperationen angewiesen, auf Regulierung und auf den Ausbau einer Behörde. Mit 75 in Rente Ich hab einen Plan: In 21 Jahren lasse ich mich pensionieren, dann bin ich 75. Bis dann habe mir drei Ziele vorgenommen. Ich würde gerne eine neuartige Wetter-App bauen. Klar, es gibt bereits tausend Wetter-Apps, und diese basieren alle auf zehn globalen Wettermodellen. Ich würde auf die Daten der Handys dieser Welt zurückgreifen, eine neuartige Datenaufbereitung integrieren und alles mit Bildern, historischen Daten und Grafiken kombinieren. Twitter ist für das Teilen von Wetterbildern ungeeignet – das kann besser gelöst werden. Meine zweite Idee ist ein Venture-Fond, welcher in 15 Deeptech-Startups investiert. Und dann noch ein zweiter Fond. Ein Venture-Fond läuft 10 Jahre. So komme ich auf die 21 Jahre.Damit trage ich zur Entwicklung bei. Auf der ganzen Welt werden ja 60 bis 70 Prozent des Vermögens in Immobilien versenkt und relativ wenig in neues Business. Ich aber bin an Innovationen interessiert. Weil sie mich faszinieren und weil wir in der Schweiz ein Problem haben: Uns fehlen hier die Nachwuchstalente. Bei allem Goodwill: Mit jährlich gerade mal 1500 IT-Abgängern und -Abgängerinnen von Hochschulen lässt sich in der Schweiz keine digitale Ökonomie aufbauen. Aber das muss auch gesagt sein: Ich gehöre nicht zu jenen, die ständig lamentieren, der Staat sei nicht digital unterwegs und Heerscharen von Staatsangestellten stünden vor dem Faxgerät. Nein, der Staat wird unterschätzt in seinen digitalen Fähigkeiten. Der Föderalismus führt dazu, dass sich die Kommunen und Kantone gegenseitig herausfordern. Der Steuerwettbewerb ärgert zwar viele, aber er führt dazu, dass wir eine speditive Verwaltung auf Ebene Gemeinde und Kantone haben. Die 2000 Gemeinden operieren im wesentlichen mit zwei unterschiedlichen Branchenlösungen. Diese verwalten den Friedhof, die Steuern, die Abfallentsorgung, die Schulen, die Wasserversorgung, die Dorfpolizei. Da kann man Module dazu kaufen. Eine optimale Lösung. Die Gemeinden und Kantone sind entsprechend durchdigitalisiert. Und jetzt der Bund. Dort sind die Projekte einmalig, riesig, teuer – viel teurer als geplant. Und sie scheitern oft oder verzögern sich. Hier, beim Bund, lauern die Risiken, weil man tendenziell nach eigenständigen Lösungen sucht, die halt schwierig zu entwickeln sind und nicht auf Anhieb funktionieren. Und vor allem verschlingt dieser Approach Ressourcen und Zeit. Die Digitalisierung findet hierzulande also nicht top-down statt, sondern bottom-up.

Zattoogründerin Bea Knecht über Technologie, Corona und Rente mit 75

Die Welt der Bea Knecht: «Ich würde nichts mehr gleich machen»