Globetrotter-Group-Chef André Lüthi im Gespräch

Wie viele Länder haben Sie schon bereist im Leben? André Lüthi: Rund 120. Und wie oft waren Sie schon in Nepal? 49 Mal. In Indien rund 20 Mal. In Tibet 10 Mal. In Nepal wollten Sie im Oktober Ihren sechzigsten Geburtstag feiern. Wie gross wäre die Reisegruppe gewesen? Zwischen fünfzig und sechzig Personen. Aus bekannten Gründen konnte die Entdeckungsreise leider nicht stattfinden. Wird das nachgeholt – oder erst mit siebzig? Am 14. Oktober 2021 fliegen wir. Nepal ist mein zweites Zuhause, schon mein ganzes Leben lang. Die Menschen, die Kultur, die Natur – ich fühle mich allem tief verbunden. Vielleicht war ich in einem früheren Leben schon mal da. Sie kauften letzte Woche mit Walter Kamm den 50-prozentigen Anteil der Diethelm Keller Group an der Globetrotter Group zurück. Warum dieser Schritt? Hat die DK Travel Holding Sie fallen gelassen? Wir hatten und haben nach wie vor ein sehr gutes Verhältnis zur Diethelm Keller Group. In dieser schwierigen Zeit gab das eine Wort das andere – und so kam die Idee, unser Kind zurückzukaufen. Das Ganze ging partnerschaftlich und konstruktiv über die Bühne; wir haben uns nicht aus einem Streit heraus getrennt. Jetzt geht es darum, die Strategie für die Zeit nach Corona zu definieren. Sicher werden wir kleiner, aber nicht minder erfolgreich aus der Krise kommen. Woher kam das Geld für die Übernahme? Wir haben die Anteile vor acht Jahren verkauft. Den Erlös von damals haben wir weder in eine Jacht noch in ein schnelles Auto investiert, sondern konservativ angelegt.André Lüthi Funktion: Chef der Globetrotter Group Alter: 60 Familie: zwei Kinder Ausbildung: Lehre als Bäcker/Konditor, später Ausbildung zum eidg. dipl Tourismusexperten (Tourex) Karriere: 1984 bis 1987: Sachbearbeiter und Reiseleiter Baumeler 1987 bis 1989: Reiseberater Globetrotter Reisen, Bern 1989 bis 1991: Filialleiter Globetrotter Reisen, Bern 1991 bis 2012: CEO und Präsident Globetrotter Travel Service seit 2009: CEO und Präsident Globetrotter Group Weitere Funktionen (Auswahl): mit Philipp Hildebrand und Stefan Linder Aktionär der Blausee AG; Fachexperte Politik im Schweizer Reiseverband (SRV); Mitglied Zentralvorstand Helvetas Sie müssen in der grössten Krise Ihrer Branche auf einen starken Partner im Rücken verzichten. Können Sie und Walter Kamm das wirklich alleine stemmen? Wir haben gut gerechnet beim Rückkauf, keine Sorge. Doch uns ist auch bewusst, dass wir, je nach Verlauf der Pandemie, ein mögliches Risiko eingehen – aber das ist uns unser Lebenswerk wert. Ist die Globetrotter Group auch 2021 noch Nummer vier der hiesigen Reisebranche? Alle werden kleiner werden. Deshalb werden wir auch im nächsten Jahr noch an vierter Stelle stehen (lacht). Nein, welche Nummer, ist nicht wichtig – Freude, Wirtschaftlichkeit und Sinn müssen stimmen. Aber nur noch halb so gross? Wir wollen Spezialistinnen und Spezialisten an der Front haben. In der Globetrotter Group sind jetzt 14 Firmen vereint. Wir werden eventuell die eine oder andere Firma oder Marke zusammenführen und uns noch klarer positionieren. So oder so haben sich unsere Mitarbeitenden gefreut, als wir letzten Freitag unseren Schritt verkündet haben. Wir gehen jetzt «back to the roots». Kommt es nun zu Veränderungen an der Firmenspitze? Ich bleibe Präsident, Walter Kamm bleibt im Verwaltungsrat. Wir werden, wenn es um die künftige Strategie geht, natürlich auch die CEO der einzelnen Firmen einbeziehen. Die Reisebranche erlebt die schlimmste Krise seit Menschengedenken. Wie hoch steht das Wasser? Unterkant Nase. Es gab Instrumente wie Covid-19-Kredite und Kurzarbeit; der Bundesrat schützt Reisebüros bis Ende Jahr vor Betreibungen. Wo drückt der Schuh aktuell? Ja, diese Instrumente gibt es. Und man muss auch mal sagen, dass es uns in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern wie Bolivien oder Indien gut geht. Das Hauptproblem unserer Branche liegt darin, dass wir für Hunderttausende Kundinnen und Kunden umbuchen oder ihre Reisen annullieren müssen. Unsere Mitarbeitenden sind am Arbeiten, wir machen dabei null Umsatz und haben zudem, weil wir arbeiten müssen, keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung. Viel Büez, no Money? Bei uns sieht das so aus: Es gibt Kunden, deren Dossier wir zum vierten Mal in die Hände nehmen. Vom Frühling haben die Leute auf den Sommer verschoben, vom Sommer auf den Herbst, dann in den Winter – und jetzt wird es wahrscheinlich Frühling 2021. Wir beginnen immer wieder von vorne. Der Kunde erwartet – und das begreife ich –, dass wir das kostenlos machen. Aber es ist eine gewaltige Durststrecke. Was ist Ihre Forderung an den Staat? Die Härtefallmassnahmen sind seit September im Covid-19-Gesetz verankert. Nun hat der Bundesrat zwar 1 Milliarde Franken für die Härtefälle vorgesehen, er gibt die Arbeit und Entscheidungsbefugnis aber an die Kantone weiter. Einige Kantone wie etwa Freiburg sind schon sehr weit, andere wie Bern oder Zürich sind noch nirgends. Es geht noch ewig, bis die Gelder fliessen. Und dann ist es für viele Kleinbetriebe zu spät. Deshalb fordere ich, dass der Bund mit Vorleistungen in den Lead geht. Viele Menschen verstehen, dass man den Inbound-Tourismus unterstützt. Mit all den Hotels, Bergbahnen und Restaurants findet die Wertschöpfung in der Schweiz statt. Soll man aber wirklich auch den Outbound-Tourismus über die bisherigen Massnahmen hinaus unterstützen – oder wäre das nur Strukturerhaltung einer Branche, die von den Online-Plattformen links und rechts überholt wird? Wir reden von 8000 Arbeitsplätzen und einem Jahresumsatz von 6 Milliarden Franken. Diese Arbeitsplätze und das Know-how würden verloren gehen. Und der Staat müsste alle Arbeitslosen auffangen. Der Online-Push von Booking.com, Kayak und wie sie alle heissen fliegt uns schon seit zehn Jahren um die Ohren. Schweizer Reisebüros haben sich längst neue erfolgreiche Strategien ausgedacht. Von den noch existierenden 1300 Reisebüros haben alle die Hausaufgaben gemacht? 80 bis 90 Prozent ja. Sie haben sich positioniert, sich spezialisiert, haben Fachleute eingestellt und damit Erfolg gehabt. Wir hatten vor zehn Jahren noch tausend Reisebüros mehr. Hat es die Schweizer Reisebürobranche nicht verpasst, mit kecken Kampagnen auf ihre Leistungen aufmerksam zu machen? Persönliche Ansprechpartner, Kundenkontakt bei Airline-Pleiten und andere Dienste, die Online-Plattformen nicht erbringen? Sie sprechen einen heiklen Punkt an. Wir, der Schweizer Reise-Verband, haben das vor 15 Jahren einmal gemacht. Sorry, aber daran können wir uns nicht erinnern. Dann kam das Problem auf, dass jedes Unternehmen für sich seine Stärken und seine Position kommunizieren wollte. Dass man als Gesamtbranche mehr Power hätte entwickeln können, stimmt. Aber das kostet Geld. Und das war und ist nicht vorhanden.Tourismus: Die Folgen der Corona-Krise Eventveranstalter und Reisebüros fordern eine Milliarde in Hilfsfonds. Tourismus Schweiz: Dieser Winter wird hart. Ein Drittel aller Flugstrecken fielen der Pandemie zum Opfer. Wie viele der 1300 Reisebüros werden pleitegehen, wenn die Härtefallregelung nicht zieht, wenn die Reisetätigkeit nicht zunehmen wird? Das ist eine gute Frage. Ich weiss von Unternehmen, bei denen der Unternehmer seit Mai keinen Lohn mehr bezieht und von den Reserven lebt. Gut möglich, dass es 20 bis 30 Prozent der Reisebüros treffen wird. Entscheidend ist, wie die nächsten vier bis fünf Monate aussehen. Ein Trend scheint sich schon mal zu manifestieren: Aufgrund der Online-Meetings werden die Geschäftsreisen nicht mehr stark zurückkommen. Das ist gut möglich. Wir haben in der Globetrotter Group drei Geschäftsreisenabteilungen. Diese leiden auch künftig weiter. Viele Unternehmen haben entdeckt, dass Meetings auch via Zoom funktionieren, das ist richtig. Das wird das ganze Segment mit den Seminarreisen, Tagungen und allen anderen Dienstleistungen betreffen. Leiden alle der 14 Unternehmen der Globetrotter Group gleich stark? Eine einzige Firma – Media Reisen – erlebte im Sommer einen Aufschwung. Sie ist spezialisiert auf Zigeunerwagenreisen im Elsass. Auch die Hausboote in Frankreich erfreuten sich einer grossen Nachfrage. Ein Tropfen auf den heissen Stein. Die Globetrotter Group hat 2019 einen Umsatz von 243 Millionen Franken erwirtschaftet. Wie verändert sich diese Zahl unter den gegebenen Umständen? Für 2021 rechnen wir mit 50 bis 70 Prozent Einbruch gegenüber 2019. Und im laufenden Jahr? Seit März verzeichnen wir 92 Prozent Einbruch. Am Ende des Jahres werden wir vielleicht noch auf 20 bis 25 Prozent des Umsatzes von 2019 kommen sein. Im Oktober und November werden in der Regel die grossen Reisen fürs nächste Jahr gebucht. All das geschieht jetzt nicht. Wir sprechen also von einem Umsatz 2020 in der Grössenordnung von 60 Millionen? Ja, dort werden wir in etwa landen. Denn leider regiert im Moment die Angst den Menschen – nicht der Respekt. Wie meinen Sie das? Die tägliche Einschätzung von Situationen auf dem ganzen Planeten anhand von Zahlen finde ich kritisch. Viele Medien verbreiten Panik. Deshalb sind wir westlichen Menschen mittlerweile von der Angst und nicht mehr vom Respekt gesteuert. Im Oktober sagte mir ein Arzt in Tansania: «Ihr Weissen, in Australien, Neuseeland, Europa, Nordamerika: Euer Problem ist nicht bloss das Virus, sondern eure Apps auf euren Handys. Täglich diese negativen News. Sie machen euch mehr krank als das Virus selber.» Diese Aussage ist sicher überspitzt und philosophisch. Trotzdem: Es muss wieder eine gewisse Sachlichkeit einkehren. Wir müssen uns an die Schutzkonzepte halten und respektvoll handeln, aber auch erkennen: Die Welt geht nicht unter.Globetrotter Group Als Urzelle der ganzen Gruppe gilt das Reisebüro Globetrotter Travel Service, welches der Fernreisepionier Walter «Walo» Kamm 1976 in einem Zürcher Velokeller gründete. Heute umfasst die Globetrotter Group insgesamt 14 Unternehmen. Gruppenumsatz 2019: 243 Millionen Franken. Beschäftigte: 429. Die Globetrotter Group ist hinter Hotelplan (Besitzerin: Migros), DER Touristik Suisse (Schweizer Marke: Kuoni) und TUI Suisse die Nummer vier im Schweizer Outbound-Reisegeschäft. 2013 hatte das Schweizer Handelshaus Diethelm Keller via ihre DK Travel Holding die Hälfte des Unternehmens übernommen. Letzte Woche kauften Kamm und Lüthi die Anteile zurück; die Globetrotter Group gehört den beiden nun hälftig. Sie wollen sagen: Respekt ja, Hysterie nein? Ist das nicht eine Verharmlosung? Nein. Aber Angst ist kein guter Ratgeber. Zum Beispiel in den Bergen: Wenn man auf einem Grat geht, ist es wahrscheinlicher, dass etwas passiert, als wenn man mit grossem Respekt über den Grat geht. Wenn ich auf Expeditionen immer Angst gehabt hätte, würde ich vielleicht nicht hier sitzen. Wenn ich Angst habe, dann kehre ich um. Die Medien verstärken es mit ihrer Berichterstattung. Corona ist aber nicht nur negativ, sondern bringt auch Chancen mit sich. Krise als Chance – das hören wir oft. Aber wenn man jetzt nicht Outdoorklamotten oder Desinfektionsmittel verkauft – wie sieht es dann aus? Die Krise als Chance bei Ihnen, da sind wir uns nicht so sicher … Wissen Sie, in welchem Feld das spürbar war: im Zwischenmenschlichen. Man lernt Führungscrews von einer anderen Seite kennen. Man lernt agieren, reagieren, es geht ans Lebendige. Man lernt Menschen anders kennen. Man merkt, was für Fehler man in den guten Zeiten gemacht hat. Wie bei der Titanic: Das war ein lockerer Kapitän, bis es krachte. Auch ich bin in dieser Pandemie erwacht. Was haben Sie persönlich daraus gelernt? Dass man sich eigentlich in so einer Krise, die uns unvorbereitet traf, verabschieden muss von vorgegebenen Strukturen und Plänen. In der Krise braucht es keine Excel-Taliban am Schreibtisch, sondern den Mut, auf den Bauch zu hören, Intuition und Weitsicht. Man muss Entscheide fällen, auch solche, die schmerzen. Also Leute entlassen? Ja. Wie viele Leute haben Sie entlassen? Wir haben ein gutes System – wir gewähren grosszügig unbezahlten Urlaub. Das gab es schon immer. Viele Mitarbeitende haben sich nun bereit erklärt, noch mehr unbezahlten Urlaub zu nehmen. Und dann gab es Leute, von denen wir uns leider trennen mussten. Es sind inklusive natürlicher Abgänge etwa siebzig Mitarbeitende, die bis Ende Jahr nicht mehr dabei sein werden. Corona hat uns viele neue Wörter gelehrt – etwa «Social Distancing». Wir haben aber auch das Wort «Soziokratie» gelernt, das in einer Ihrer 14 Unternehmungen eingeführt worden ist. Was zu ziemlich schlechter Presse führte. Unsere Gruppe besteht aus 14 Firmen mit 14 CEO. Ich führe mit hohem Vertrauen und vielen Freiheiten. Ein Unternehmen, Globetrotter Travel Service, setzt sich seit letztem Herbst mit dem Thema der Soziokratie, also der Mitbestimmung und Selbstverantwortung von Teams im Unternehmen, intensiv auseinander. Im Januar vor Corona kam das Thema in den Verwaltungsrat. Dieser hat das gutgeheissen. Dann kam die Pandemie und wir haben den Führungsansatz auch im Zuge des Abbaus weitergeführt. In Teams sollte bestimmt werden, wer von den Kolleginnen und Kollegen abgebaut wird. Eine brenzlige Sache. Wenn man sich vertieft mit dem Prozess der Soziokratie auseinandersetzt, erkennt man, dass es nicht so läuft. Dass der noch junge Führungsansatz Soziokratie gleich anhand dem Thema Entlassungen geprüft wurde, war natürlich eine grosse Herausforderung. Diese Soziokratie herrscht aber weiterhin nur in einem der 14 Unternehmen? Genau, bei Globetrotter Travel Service – und die Mitarbeitenden begrüssen es grösstenteils. Früher fand Ihr Leben oft in Übersee statt. Stimmt der Eindruck, dass Sie nun mehr im Bundeshaus als in Nepal sind? Es stimmt schon, ich war noch nie so oft wie jetzt im Bundeshaus. Ich habe mich als Verantwortlicher Politik des Schweizer Reise-Verbandes mit vier Bundesräten getroffen, um mit ihnen über die schwierige Lage unserer Branche zu sprechen. Alle vier haben sich ausführlich Zeit genommen, um die Mechanismen und Probleme unserer Branche kennenzulernen. Dies habe ich sehr geschätzt – auch wenn die Bundesräte nicht umgehend Massnahmen einleiten konnten. Wohin geht die nächste Reise? Geplant ist Nepal, wenn alles gut geht, über Weihnachten/Neujahr. Doch aktuell ist das Land für Ausländer aufgrund der Quarantänepflicht nur schwer bereisbar. Was wäre eine Alternative? Tansania kann ich sehr empfehlen. Jetzt kann man zum Beispiel auf den Kilimandscharo und hat den Gipfel fast für sich. Oder auf eine Safari und auf die Insel Sansibar zum Entspannen.

Globetrotter-Group-Chef André Lüthi im Gespräch

«Es ist eine gewaltige Durststrecke»