Interview mit der Kommunikations-Expertin Clarissa Haller: «Samschtig-Jass? Warum nicht?»

Die Credit Suisse steht seit Monaten in den Schlagzeilen. Ihre Erinnerungen an die Zeit als Kommunikationschefin der Grossbank? Natürlich – ich verfolge die Entwicklungen der Bank nach wie vor mit Interesse und habe natürlich auch noch Kontakt zu ehemaligen Kollegen und Kolleginnen. Und sonst? Sie werden verstehen, dass ich mich zum ehemaligen Arbeitgeber nicht äussern möchte. Sie waren die Stimme der Credit Suisse, von Roche Diagnostics, von ABB, von Siemens. Und wollten eigentlich gar nicht in die Kommunikation. Das stimmt – ich wäre zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn nie auf die Idee gekommen, mich für PR und Kommunikation zu interessieren. Meine Vorstellung davon war: Empfänge organisieren, Sektgläser bereitstellen und ab und zu ein Communiqué schreiben. Stattdessen wollte ich in den Journalismus. Dann gab es aber ein tragisches Ereignis, das alles veränderte. Nämlich? Den Absturz des Airbus A-320 beim Erstflug in einen Wald im Elsass 1988. Ich war damals an der Uni in München und sass mit einer Freundin im Biergarten, und da stellte sich heraus, dass zwei Airbus-Ingenieure an unserem Tisch sassen. Ich fragte sie, was die Firma jetzt tut, damit ein Mensch noch einmal einen Fuss in dieses Flugzeug setzt. Die beiden meinten, das gehe sie wenig an, sie seien bloss für das Fahrwerk zuständig – aber sie hätten eine Kommunikationsabteilung, das sei deren Aufgabe. Eine Herausforderung für Sie? In dem Moment wurde mir klar, dass Kommunikation doch viel mehr ist als reine Produkt-PR. Am nächsten Tag habe ich bei der Pressestelle des Flugzeugherstellers Messerschmitt-Bölkow-Blohm in München, damals die deutsche Muttergesellschaft des Airbus-Projektes, angerufen und gefragt, ob sie eine Praktikumsstelle offen hätten. Dieses Praktikum war mein Einstieg in die Kommunikation, und aus den ursprünglich geplanten vier Wochen wurden dann sieben Jahre. Kommunikation ist Chefsache, das ist wohl der bekannteste Spruch in der Kommunikation, richtig? Vielleicht der bekannteste – und sicherlich auch einer der wahrhaftigsten. Niemand prägt die Alltagskultur eines Unternehmens so stark wie das Leitungsteam. Wer war denn der beste Kommunikator unter Ihren Chefs? Brady Dougan oder Tidjane Thiam bei der Credit Suisse, Joe Hogan oder Ulrich Spiesshofer bei ABB oder Joe Kaeser bei Siemens? Die wenigsten Menschen sind geborene Kommunikatoren oder Kommunikatorinnen, deshalb ist es sinnvoll, dass sie sich Unterstützung suchen – insbesondere wenn sie mit vielen unterschiedlichen Anspruchsgruppen zu tun haben. Kommunikation ist wie ein Muskel, den man trainiert – es wird immer einfacher. Und jede und jeder hat seine speziellen Stärken: Joe Hogan war eine sehr inspirierende Persönlichkeit, er konnte die Menschen mitnehmen. Fred Kindle, ebenfalls ABB-CEO, hörte sehr gut zu und vermittelte den Teams das Gefühl, wichtig zu sein. Brady Dougan wurde respektiert für seine unwahrscheinlich tiefe Kenntnis der Materie. Joe Kaeser ist wie wenige andere in der Lage, komplizierte Zusammenhänge einfach zu erklären und mit jedem, den er trifft – vom Bandarbeiter bis zum Staatsoberhaupt –, auf Augenhöhe zu sprechen. Meiner Erfahrung nach sind diejenigen die besten Kommunikatorinnen, die ihre Ansprechpartner ernst nehmen und sich gut auf sie vorbereiten. Lauter Chefs – Chefinnen hatten Sie nie? Nein. Der grosse Kommunikator war und ist Joe Kaeser. Er mischte sich ein, eckte an. Er eckte an, aber er bekam auch sehr viel Zuspruch für seine Standpunkte und die Haltung, die sich dadurch ausdrückte. Nicht nur von ausserhalb des Unternehmens, sondern auch von intern. Es erfüllte viele Mitarbeitende mit Stolz, dass der CEO zu wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen Stellung bezog. Zudem hatten seine Äusserungen immer einen konkreten Bezug zu seiner Rolle. Ein Naturtalent? Ich denke, er nahm die unterschiedlichen Anspruchsgruppen, ihren Hintergrund und ihre Erwartungen ernst und war in der Lage, sich in ihre Rolle zu versetzen. Und was sicher auch wichtig war: Trotz der herausragenden Position und dem damit einhergehenden Einfluss ist er immer sehr bodenständig geblieben und nicht abgehoben. Nie abgehoben – galt das auch für die Bankenchefs? Das ist wohl keine Frage der Branche, sondern der Persönlichkeit. Ich habe in den vergangenen dreissig Jahren mit vielen VR-Präsidenten und Konzernchefs sehr eng und über längere Zeiträume zusammengearbeitet. Nicht alle, aber viele verändern sich in solchen Rollen – das ist auch ganz normal, da die Belastungen oft ausserordentlich sind. Ob es aber zum Guten ist, das ist wohl auch eine Frage des Rucksacks, den jeder mit sich trägt. Kaeser war auch ein kommunikatives Restrisiko. Er hat oft Klartext geredet, sich in die Politik eingemischt und AfD-Chefin Alice Weidel angegriffen. Wie gesagt, er hat stets aus dem Kontext seiner Rolle heraus gesprochen. Daher war das aus kommunikativer Sicht weniger ein «Restrisiko», sondern ein Pluspunkt. Als er sich zum Beispiel gegen eine Rede Frau Weidels wandte, war er besorgt über die Reputation der deutschen Wirtschaft im Ausland. Weidel hat im Deutschen Bundestag gegen Ausländerinnen und Ausländer gewettert und von «Kopftuchmädchen» und «Messermänner» geredet, worauf Kaeser auf Twitter schrieb: «Lieber »Kopftuchmädel» als «Bund Deutscher Mädel».» Ein Spruch aus Ihrer Feder? Nein, das hat er selber geschrieben. Dieser Tweet löste einen riesigen Wirbel aus – innerhalb kürzester Zeit hatten weltweit 8 Millionen Menschen seinen Post gelesen, und allein auf seinem Twitter-Account gab es 4000 Kommentare. Und nun war die Kommunikation gefragt? Natürlich – die Kommentare mussten beantwortet werden, zumindest die, bei denen es wirklich um eine Diskussion und nicht nur um Ideologie ging. Auch die traditionellen Medien hatten ein grosses Interesse an dem Thema, auch über Deutschland hinaus. Und natürlich erwarteten die Mitarbeitenden entsprechende Informationen und Kontext. Es war eine sehr anspruchsvolle Zeit für mein Team, insbesondere da viele der Kommentare unter der Gürtellinie waren. Insgesamt aber war die klare Stellungnahme gegen Rassismus für die Positionierung und Reputation von Siemens gut. Wie kommen Sie darauf? Das haben die umfangreichen Analytics, die wir regelmässig erhoben, klar gezeigt. Und auch intern wurde das bestätigt: Als Reaktion auf den Shitstorm haben wir die Mitarbeitenden gefragt, ob sie es für richtig halten, wenn der CEO sich zu Themen äussert, die über den reinen Geschäftszweck hinausgehen. Von denjenigen, die sich an der anonymen Umfrage beteiligten, waren 89 Prozent der Meinung, dass es richtig sei, sich zu äussern. Das entspricht übrigens auch den Ergebnissen einiger globaler Studien aus jüngerer Zeit, die sagen, dass die Mitarbeitenden heute mehr und mehr von ihren Führungskräften erwarten, dass sie Haltung zeigen und sich bei wichtigen Fragen nicht davonschleichen. Wie im Ukraine-Krieg? Das ist ein sehr aktuelles Beispiel. Ich weiss von einigen Unternehmen, in denen die Geschäftsleitung zuerst versuchte, in ihrer Kommunikation alle Optionen offenzuhalten. Das funktionierte einigermassen gut nach aussen, hatte aber fatale Folgen nach innen. Wir sehen hier ein neues Phänomen: Die Mitarbeitenden sind zunehmend gewillt, sich gegen ihren Arbeitgeber auch extern zu positionieren, wenn sie mit dessen Verhalten nicht einverstanden sind. Das hat man jüngst auch gesehen bei der Auflösung des Kooperationsvertrages zwischen einem Musiker und einem Sportartikelhersteller. Letzterer wurde von den Mitarbeitenden auf den sozialen Medien und damit öffentlich zur Kündigung des Vertrages aufgerufen – andernfalls werde man nicht mehr loyal fürs Unternehmen arbeiten. Mitarbeitende übernehmen die Rolle von Aktivisten und Aktivistinnen. Das Spannungsfeld, in dem Unternehmen heute immer stärker stehen bezüglich Werten versus Interessen hat sich verändert. Der Druck steigt auch via soziale Medien. Absolut, auch das Tempo ist viel höher. Haben Sie den Siemens-Chefs Kaeser zum Auftritt in sozialen Medien geraten? Wenn man als Unternehmen bei Innovation und Digitalisierung als führend wahrgenommen werden möchte, ist es sicherlich sinnvoll, auch auf den entsprechenden Kanälen präsent zu sein. Das heisst nicht, dass jeder in der Führungsebene auch dort aktiv sein muss. Der Auftritt muss zur Person passen, sonst ist er nicht glaubwürdig. Aber in einem Leitungsteam kann man die Zielgruppenansprachen und die Auftritte – ob auf Kongressen, in der Zeitung oder in den sozialen Medien – ja miteinander besprechen und entsprechend aufteilen und orchestrieren. Generell denke ich, dass man es sich als Unternehmen nicht leisten kann, auf den sozialen Kanälen nicht vertreten zu sein. Haben Führungskräfte diese Zeit? Oder ist das die Aufgabe der Kommunikation? Das ist sicherlich eine Mischung und hängt auch davon ab, welche Affinität man für diese Kanäle entwickelt. Meine Erfahrung ist die, dass der Appetit mit dem Essen kommt. Die sozialen Medien bedeuten eine direkte Ansprache der Nutzer und Nutzerinnen und erwirken damit deren direkte Reaktion. Meine Empfehlung ist, dass man sich auf diese Kanäle dann begibt, wenn man auch ein Interesse an dem Austausch dort hat, auch wenn man selbst nicht oder nur wenig aktiv wird. Das Operative kann man an sein Kommunikationsteam oder einen externen Partner delegieren – man sollte sich in die Themenauswahl und die Tonalität aber unbedingt einbringen. Wichtig ist, dass man diese Kanäle ebenso wichtig nimmt wie beispielsweise die Zusammenarbeit mit den klassischen Medien. Das heisst: Man muss sein Gegenüber ernst nehmen, sich gut vorbereiten und nicht «aus der Hüfte schiessen». Wie immer in der Kommunikation ist es wichtig, sich zuerst zu fragen, wen und was man eigentlich erreichen will und was es dazu braucht. Nicht wie Elon Musk? Er wirft die Mitarbeitenden per Twitter aus der Firma, holt sie wieder rein und sagt: Jetzt müssten alle mehr arbeiten, und zwar zu einem tieferen Lohn. Dieses Verhalten ist sicherlich weder analog noch digital Ausdruck einer gesunden Unternehmenskultur. Aber generell ist es wichtig, dass man als Unternehmen einen klaren Plan hat, mit welchen Themen und Aussagen man sich profilieren oder differenzieren will. Und dass man eine Arbeitsteilung auf der Leitungsebene hat, damit die Kommunikation orchestriert ist und sich gegenseitig verstärkt: Der oder die CEO äussert sich zum Beispiel zu strategischen Themen, der oder die Technologieverantwortliche dazu, welche Auswirkungen das auf den Innovationsprozess hat, die Leitung Personal dazu, welche Führungs- oder Arbeitsmarktfragen sich daraus ergeben – und so weiter. Oder zur Frage, wie die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert? Das ist ein wichtiges Thema für die Gesellschaft insgesamt und für die meisten Unternehmen und kann ein gutes Beispiel sein für etwas, das aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird. Hier helfen klare sogenannte Swimlanes (deutsch: Schwimmbahnen; Instrument des Prozessmanagements), die je nach Zuständigkeit dabei helfen, die Inhalte festzulegen, um ein orchestriertes Auftreten des Unternehmens sicherzustellen. Wer machts gut? Siemens, würde ich sagen (lacht), aber auch die Swisscom. Oder die Swiss Re. Es gibt ein paar Leuchttürme, gerade bei Grosskonzernen, die natürlich die Kapazitäten dafür haben. Bei den CEO in der Schweiz finde ich Novartis-Chef Vas Narasimhan ein sehr gutes Beispiel – er ist präsent mit relevanten Themen und spielt eine wichtige Rolle für die Reputation seiner Firma. Früher wars anders. Absolut – die Vorstellung davon, was ein «gutes» Unternehmen ist, hat sich im Laufe der Jahre sehr verändert und verändert sich weiter. Als ich in der Kommunikation anfing, war ein gutes Unternehmen jenes, das möglichst viel Gewinn machte. Wie das passierte, war nicht so entscheidend. In den 90er Jahren kamen dann die Regeln der Corporate Governance dazu – und ein gutes Unternehmen war dann eines, das zum Beispiel keine Kartellabsprachen mehr traf, keine Kinderarbeit erlaubte, überhaupt ethisch wirtschaftete. In den Nullerjahren, als die sozialen Medien aufkamen, musste eine Firma ausserdem noch jederzeit direkt ansprechbar und auch noch sympathisch sein. Da haben die Managerinnen und Manager zu sich ins Wohnzimmer eingeladen. Zu den Fakten kamen die Emotionen. Und jetzt sind Diversity und Inklusion angesagt. Seit etwa fünf Jahren rückt die Gesellschaft als Anspruchsgruppe in den Vordergrund und wird neben Mitarbeitenden, Kunden, Behörden und Aktionärinnen ein wichtiger Stakeholder. Damit stellen sich vermehrt Fragen nach dem gesellschaftlichen Beitrag der Unternehmen und ihren Werten und damit auch zu Themen wie Diversity und Inklusion. Die Unternehmen antworten damit, dass sie einen «Purpose» formulieren, also ihren Beitrag zum Wohl der Gesellschaft darstellen. Die Ansprüche werden immer breiter. Das ist sicherlich so – zumal, wenn man sich die Erwartungshaltung hinsichtlich der ESG-Beiträge der Unternehmen anschaut, also ihrer Positionierung zu nachhaltigen, sozialen und regulatorischen Themen. Diese Anspruchshaltung kommt vermehrt nicht nur von Aktivistinnen oder Mitarbeitenden, sondern auch vom Kapitalmarkt. Es genügt heute nicht mehr, tolle Nachhaltigkeitsberichte zu publizieren. Joe Kaeser sagte: «The business of business is to serve society.» Haben Sie ihm diesen Satz den Mund gelegt? Nein, das bezog sich auf einen Ausspruch des Ökonomen Milton Friedman in den 70er Jahren, der sagte: «The business of business is business.» Joe Kaeser griff das auf und entgegnete, dass es heute für Unternehmen um mehr gehe als nur um die Realisierung von Gewinnen. Es gehe vielmehr darum, dass man als Unternehmen auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen muss – verantwortlich wirtschaften eben. Aber das Business ist immer noch ganz wichtig. Nachhaltigkeit kann nur betreiben, wer rentabel ist. Ja, und aus diesem Thema können grosse Interessenkonflikte entstehen – in allen drei Bereichen der ESG-Thematik. Ein Beispiel für das «S»: Wenn eine Firma nur noch 10 Prozent des Umsatzes in einem Land macht, aber 30 Prozent der Belegschaft dort beschäftigt, dann stellt sich betriebswirtschaftlich die Frage, ob man die Produktion nicht dorthin verlagert, wo das Geschäft ist. Das hat dann sehr konkrete Auswirkungen für die Mitarbeitenden und wirft viele Fragen auf. Ihre Antwort? Diese ergibt sich aus der Unternehmensstrategie – und mein Anteil ist dann der, die Konsequenzen für die jeweiligen Anspruchsgruppen darzustellen und zu erklären. Würden Sie einem Chef eher raten, ans Eidgenössische Schwingfest zu gehen oder in den Samschtig-Jass vom Schweizer Fernsehen? Warum nicht. Wenn man ein Interesse daran hat, ist das bedenkenswert. Aber man muss immer auch an die Konsequenzen denken. Wenn es einmal eine Krise gibt, ist es für die Öffentlichkeit schwer zu verstehen, wenn man dann plötzlich sagt: Nein, ins Fernsehen gehe ich nicht, das ist nichts für mich. Tauchstation ist keine Option. Nein. Aber sicher gibt es auch Situationen, in denen man erst einmal besser abwartet – etwa in Krisensituationen, in denen man selbst noch keine Übersicht über die Fakten hat. Doch dann wird man sagen: «Wir haben noch keine Details, wir nehmen die Situation ernst, wir melden uns, sobald wir mehr wissen.» Krisen sind nicht wünschenswert, aber sie bieten immer die Chance, Profil zu zeigen, Botschaften zu vermitteln. Nicht umsonst besteht das chinesische Schriftzeichen für Krise aus den beiden Teilen Schwierigkeit und Opportunität. Zur Krisenkommunikation gehört vor allem Ruhe, Sachlichkeit und manchmal auch die Botschaft: Wir wissen es noch nicht, aber wir tun alles, um es herauszufinden. Was sich verbietet, sind Spekulationen und natürlich Unwahrheiten. Welche Kommunikationskanäle finden Sie heute wichtig? Tiktok? Ja, aber es kommt wieder darauf an, wer die Zielgruppe ist. Wenn ich potenzielle junge Mitarbeiter oder junge Kundinnen erreichen möchte, ist Tiktok bestimmt besser geeignet als Facebook oder die Tageszeitung. Die ist nach wie vor wichtig, wenn auch für andere Anspruchsgruppen. Generell ist in der digitalen Welt für Unternehmerinnen oder Manager Linkedin ein guter Kanal. Aber auch die Branche spielt eine Rolle: Konsumgüter oder Luxus etwa sind eher auf Instagram zu sehen, wo man vor allem mit Fotos und Videos auftritt, um Emotionen zu wecken. Emotionen – die sind bei einer Schraubenfabrik oder einem Transformatorenhersteller etwas schwierig zu kommunizieren. Nicht unbedingt, Schrauben können ja auch zu einer Lösung beitragen, zu einem grossen Ganzen, das durchaus Emotionen wecken kann. Es geht darum, die richtige Geschichte zu sehen und glaubhaft zu erzählen. Aber auch hier ist die Frage erst einmal die nach der Zielgruppe: Will ich die Schrauben oder Transformatoren an ein Fachpublikum oder an die breite Öffentlichkeit vermitteln? Und das bestimmt dann die Art der Kommunikation. In dem einen Fall stehen die Produktvorteile im Vordergrund, im anderen wirtschaftliche Themen wie Standortfaktoren, Arbeitsplätze und so weiter. Interne und externe Influencer: Ebenfalls wichtig? Unbedingt, die Zusammenarbeit mit diesen kann sehr interessant sein. Bei ABB und auch bei Siemens sprachen wir zum Beispiel Mitarbeitende aus der Forschung an, die einen guten Ruf in ihrem speziellen Fachgebiet hatten. Konkret? Wenn jemand auf einem Symposium oder als Fachexperte oder -expertin an einer Hochschule einen Vortrag hält und das Publikum in den Bann zieht, dann gibt es ja keinen Grund, warum er oder sie sich zu demselben Thema nicht auch zum Beispiel auf Linkedin äussern könnte. Grundsätzlich sieht man aufgrund der Analytics, dass ein Beitrag eines Influencers immer eine wesentlich höhere Resonanz erzielt als ein Betrag auf dem offiziellen Firmen-Account. Der Grund ist offensichtlich: Wenn das Unternehmen nach aussen kommuniziert, dann wird das oft als «Propaganda» wahrgenommen. Ein Influencer aber steht vor allem für sich selbst und mit seiner eigenen Reputation. Das sieht man auch ganz konkret an den Zahlen: Wenn man dieselbe Meldung auf dem Corporate-Account veröffentlicht und auf dem eines Influencers respektive einer Influencerin, erzielt man bei Letzterem schnell eine bis zu zehnmal grössere Reichweite. Der Grund ist die alte Weisheit, dass Menschen eben Menschen vertrauen und diesen zuhören. Wie findet man externe Influencerinnen und Influencer? Die wichtigste Währung für eine Zusammenarbeit ist sicherlich das Vertrauen. Man muss die kompetentesten Vertreterinnen und Vertreter entweder weltweit oder für eine spezielle Region und natürlich für ein spezifisches Thema finden. Man muss verstehen, wer in den einschlägigen Portalen, Konferenzen und Medien die Meinungsmacher oder Vordenkerinnen sind. Das können Unternehmerinnen sein, Politikberater, Forscherinnen, Professoren. Auch sie findet man über Analytics. Auf diese Leute kann man zugehen und sie fragen, ob sie für eine Kooperation zu haben wären – natürlich unter Wahrung ihrer Unabhängigkeit. Und dann fliesst Geld? Auf keinen Fall, weil es ja um Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit geht. Es ist eben keine gekaufte Kooperation – wie eine Anzeige oder ein TV-Spot –, sondern eine Zusammenarbeit. Der Vorteil liegt zum Beispiel für die Influencerinnen und Influencer im direkten Zugang zu den Teams in Forschung und Entwicklung. So eine Kooperation kann zu fruchtbaren Diskussionen führen, indem die Influencer und Influencerinnen etwa die Rolle eines unabhängigen Sounding Boards übernehmen. Davon profitieren beide Seiten: Die Unternehmen bekommen eine frische Perspektive von aussen sowie eine immense Reichweite durch die globalen virtuellen Netzwerke der Influencerinnen und Influencer. Diese wiederum erhalten Zugang zu Informationen, die sonst strikt intern und vertraulich sind. Und wie würden Sie heute das 10-Millionen-Salär eines CEO dem Publikum verkaufen? Wenn ich aktuell zur Fussball-WM nach Katar schaue, würde ich schätzen, dass da diverse Spieler über 10 Millionen im Jahr verdienen (lacht) – das Salär als solches ist also offensichtlich nicht das Problem. Aber natürlich muss man erklären, wie Performance, Aktienkurs, Marke, Reputation und so weiter zusammenspielen. Schwierig wird es nur, wenn der Aktienkurs langfristig nach unten zeigt und das Salär nach oben. Das Argument, dass in den USA ein CEO ja ebenfalls 20 Millionen pro Jahr verdient, genügt nicht mehr. Sie hatten bei Siemens 1800 Kommunikationsleute unter sich. Wie viele waren für die externe Kommunikation zuständig? Die Unterscheidung zwischen externer und interner Kommunikation ist nicht mehr so entscheidend, da es mittlerweile viele Funktionen gibt, die sowohl für die externe wie auch für die interne Kommunikation tätig sind. Neben Textern, Themenspezialistinnen oder Event- und Projekt-Managern sind es ausserdem Analytics-Spezialistinnen, Community Manager, KI-Expertinnen und so weiter. Aber ein Grossteil der Kollegen und Kolleginnen war für die externe Kommunikation tätig. Und wie wichtig ist die interne Kommunikation? Sie ist enorm wichtig geworden – so sehr wie nie zuvor. Ein Grund dafür ist auch die Corona-Krise. Wenn die Mitarbeitenden vermehrt von zu Hause aus arbeiten, nimmt die Bindung ans Unternehmen und oft auch die Loyalität ab. Man hat weniger persönlichen Kontakt, das aufmunternde Gespräch am Kaffeeautomaten fehlt, der Teamwork-Spirit geht verloren. Dadurch kann das Interesse am Erfolg des Teams oder der Firma nachlassen. Das ist heute gefährlich, denn um den Arbeitgeber zu wechseln, muss man nicht mal mehr den Arbeitsplatz wechseln – der Küchentisch, von dem aus man arbeitet, bleibt derselbe. Die Loyalität zu erhalten, ist wichtig. Wird aber unterschätzt. Ja, und das ist wirklich erstaunlich. Viele Unternehmen haben in der internen Kommunikation trotz den komplett veränderten Rahmenbedingungen nicht viel verändert. Bei einem verschärften Wettbewerb um gute Talente ist das möglicherweise nicht mehr passend. Man sollte anschauen, ob man noch die richtigen Formate und Kanäle hat, um die Mitarbeitenden zu erreichen. Und es gibt einen klaren Trend: Gerade jüngere Leute wollen sich viel stärker einbringen, wollen wahrgenommen werden – über Hierarchien hinweg. Da sind wir dann schnell wieder bei der Purpose-Diskussion und wie dieser Zweck gerade den neuen Mitarbeitenden vermittelt wird, wenn sie nur noch selten im Büro sind. Dabei ist eine starke Kommunikation mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern heute ein zentraler Wettbewerbsvorteil. Da kann es nicht nur darum gehen, sich mit einem Bier in der Hand vor einem Bildschirm virtuell zu treffen und zu plaudern. Viel wichtiger ist, wann und zu welchem Zweck hole ich die Leute ins Büro. Was sind für Sie weitere Trends in der Kommunikation? Der wichtigste Trend ist sicher der gesamte Bereich der datengetriebenen Analytics. Es gibt einen berühmten Satz von Henry Ford – er sagte: «Ich weiss, dass 50 Prozent meiner Marketingausgaben vergebens sind, ich weiss nur nicht, welche 50 Prozent.» Diese Zeiten sind vorbei. Heute sehen wir sehr genau, welche Kommunikationsmassnahmen sinnvoll und erfolgreich sind und welche nicht. Darüber hinaus kann man anhand der Daten sehr klar eingrenzen, zu welchen Themen sich eine Interaktion überhaupt lohnt und bei welchen Themen das nicht der Fall ist.