JC-Biver-Uhr: «Spätestens Anfang nächstes Jahr wollen wir sie lancieren»

Monsieur Biver, wie gehts? Wieder gut. Ich hatte einen Unfall mit dem Mountainbike und war drei Monate im Spital. Hundertmal bin ich über diese Waldstrecke gefahren … … Einmal hats geknallt. Und wie. An einem Sonntagmorgen um acht Uhr dreissig. Es gab Holzschlag, möglicherweise fuhr ich in ein Stahlseil, das halb gespannt war. Die Folge war eine Hirnblutung. Jetzt bin ich wieder bei 90 Prozent, habe viel positive Energie, viel Enthusiasmus, viel Hoffnung. Und ich fühle mich jung. Sie sind 72. Nein, 73 bald. Aber ich sage Ihnen: Man kann zwar in einem Job pensioniert werden, aber nicht in der Leidenschaft. Die bleibt. Und Sie haben neue Pläne. Absolut. 1982 habe ich bei Blancpain angefangen mit der Herstellung von Uhren. Jetzt, vierzig Jahre später, fange ich wieder an, mit einer neuen Uhr. Sie wird JC Biver heissen. Sie wird eine Mission: die Schweizer Uhrenkultur weitertragen. Eine Kopie interessiert mich nicht – es ist wie in der Musik: Ich möchte nicht Mozart nachspielen, sondern neu interpretieren, etwa mit neuer Technik. Diese Mischung von gestern und heute finde ich interessant. Jean Claude Biver -– ein Jungunternehmer? Kann man sagen, aber einer mit viel mehr Erfahrung. Biver steht für gross, nein, für ganz gross. Die Biver-Philosophie kann man in drei Worten zusammenfassen: first, different, unique. Sie wollen der Erste sein mit Ihrer Uhr? Es gibt schon ein paar Millionen davon auf dem Markt. First? Heute benützen die Leute die Uhr nicht mehr zum Ablesen der Zeit. Aber nur wenige Marken arbeiten im Segment, in dem die Zeitangabe nicht das Wichtigste ist. Doch man muss zur Kenntnis nehmen: Das Konsumverhalten hat sich geändert, das muss man aufnehmen. Wie in der Mobilität: Die Jungen kaufen kein Auto mehr, um mit PS und Geschwindigkeit zu protzen. Und sie brauchen kein eigenes Auto, sie teilen es. Und mieten es. Reichlich abstrakt. Sie wollen eine Uhr, die man mietet. Nein. Ich war ja mal bei Hublot … … Sie waren CEO und VR-Präsident bei Hublot. Dort kreierten wir die «The Key of Time»; die Uhr hat auch eine Zeitfunktion, aber eine spezielle. Wenn man Spass hat in einem Gespräch, dann kann man per Knopfdruck die Zeit anhalten und vergisst sozusagen die Zeit. Oder man kann die Zeit schneller laufen lassen, wenn man sich langweilt, sodass die Zeit schneller vergeht. Wenn ich dann auf den zentralen Drücker drücke, springt die Uhr in einer Zehntelsekunde auf die Echtzeit. Die Angabe der Zeit wird also personalisiert. Für ein Meeting, das pünktlich um acht beginnen soll, reichlich ungeeignet. Dafür zeigt es auch die Echtzeit an. Und jetzt wollen Sie die Uhr mit der personalisierten Zeit bauen? Ich habe «unique» und mit Emotionen gesagt, also wird es auch keine Quarzuhr. Als ich anfing, kamen die supergenauen Quarzuhren auf den Markt, aber die waren mir zu technisch, zu kalt. Die Emotion des Grossvaters, der die Uhr einst trug, die Emotion der Frau, die Ihnen die Uhr schenkte – tolle Argumente für eine Schweizer Uhr. So haben wir damals gegen die Quarzuhren gekämpft. Sie wollen Ihre Uhr mit Ihren Kindern kreieren, wie es heisst. Das tönt anstrengend. Für mich? Für Ihre Kinder. Wo Liebe herrscht, gibt es immer eine Lösung. Liebe bedeutet für mich persönlich: teilen, respektieren und verzeihen. Das sind starke Kräfte, die wirken in der Familie und im Unternehmen. Alle fünf Kinder machen mit? Nein, mein ältester Sohn wohnt in China und ist für Hublot für Greater China zuständig, er wird sicher nicht dabei sein. Mein jüngster Sohn, Pierre, wird dabei sein. Er ist 22. Sein Studium hat er gerade abgeschlossen. Die anderen sind alle beschäftigt. Ich kann nicht pfeifen und sie herrufen. Ist es angenehm, mit Ihnen zusammenzuarbeiten? Heute schon, früher weniger. Weil ich dachte: Was ich kann, können die anderen auch. Wenn ich um vier Uhr morgens aufstehen kann als oberster Chef, können die Mitarbeitenden das auch. Das ist total falsch. Ich setzte es trotzdem durch, weil ich zu jung war und nicht realisierte, dass man jedem und jeder seine Freiheit geben muss. Heute denke ich völlig anders. Jede Person muss respektiert werden, für das, was sie kann und ist. Tennisstar Novak Djokovic könnte für die Uhrenmarke JC Biver werben? Diese Frage stellt sich nicht. Botschafter meiner neuen Marke werden diejenigen, die meine Uhr kaufen. Durch den Kauf werden sie automatisch Markenbotschafter. Vielleicht ist Djokovic bald zu haben. Würden Sie mit ihm Werbung machen wollen? Ich bin zu weit weg. Und für uns als sehr kleine Prestigemarke kommt er ohnehin nicht infrage. Wie exklusiv soll Ihre Uhr sein? Wir wollen individuell, sehr klein und extrem exklusiv sein. Man erwartet mich nicht bei einer Massenuhr. Wir werden direkt und indirekt vielleicht vierzig bis sechzig Leute beschäftigen, damit ich alle mit dem Namen begrüssen kann und ihren Geburtstag kenne. Bis zum Jahresende sollte ein Prototyp vorliegen, eine fertige Uhr. Und spätestens Anfang nächstes Jahr wollen wir sie im Markt lancieren. Über oder unter 10’000 Franken? Lassen Sie sich überraschen. Eine Rolex ist auch nicht billig. Zuerst will ich jetzt einen Constructeur finden, jemanden, der die Uhrwerke zeichnen und herstellen kann. Der Constructeur ist die Basis. Dann suchen wir die Uhrenmacher. Wo wollen Sie Ihre neue Uhr verkaufen, via Fachhandel, im Metaverse? Die Uhr wird in acht, zehn Ländern angeboten werden, das ist jedenfalls das Ziel. In jedem Land wird es ein, zwei Vertreter geben, also insgesamt deren 15 bis maximal 20. Sie werden die Uhren verkaufen. Geld verdienen damit wollen Sie auch. Es geht nicht in erster Linie ums Geldverdienen, sondern ums Weitergeben. Aber klar habe ich nichts dagegen, wenn wir in zwei, drei Jahren damit Geld verdienen. Wird die JC-Biver-Uhr ein Modell für Frauen und Männer? Gegenfrage: Ist der Porsche 911 für Männer oder Frauen? Es spielt keine Rolle. Sie erwähnten in Ihrem Markeneintrag auch die Möglichkeit, Schmuck herzustellen. Dürfen wir uns auch auf Armbänder und Ringe by JC Biver freuen? Nein, reiner Schmuck kommt noch nicht infrage. Sie sind seit 45 Jahren in der Schweizer Uhrenbranche tätig, waren bei Blancpain, bei Omega, bei TAG Heuer, bei Hublot. Ihr grösster Erfolg? Ich war oft in grossen Unternehmen, mit Omega in der Swatch Group … Dort haben Sie den Umsatz innert fünf Jahren verdreifacht. Sie kennen die Umsatzentwicklung (lacht). Wir haben auch etwas Marketing betrieben. Ich hab damals Cindy Crawford zu Omega geholt, auch die James-Bond-Produktion. Vorher war ich bei Blancpain: wenig Werbung – klein und fein. Meine Stärke also ist, wenn ich das so sagen darf, dass ich sowohl die Boutique- als auch die Weltmarken kenne.Der Schweizer Uhrenpapst Name: Jean-Claude Biver Funktion: CEO und Besitzer JC Biver Alter: 72 Familie: verheiratet mit Sandra, fünf Kinder aus zwei Ehen Wohnort: Schindellegi SZ und La Tour-de-Peilz VD Ausbildung: Betriebswirtschaftsstudium an der HEC Lausanne, Uhrmacherausbildung bei Audemars Piguet Karriere: 1980 bis 1981: Marketingchef Europa bei Audemars Piguet 1981 bis 1982: Produktmanager Omega 1982 bis 1992: Chef und Mitbesitzer Blancpain 1992: Verkauf von Blancpain an die heutige Swatch Group 1992 bis 2003: CEO von Blancpain, Marketing-chef von Omega 2004 bis 2012: CEO Hublot 2012 bis 2018: Präsident Hublot 2014 bis 2018: Leiter der Uhrenmarken von LVMH (TAG Heuer, Hublot, Zenith), Chef von TAG Heuer und Zenith Wie viel vom Geschäft hat die Schweizer Uhrenindustrie an die Apple-Watch verloren? Viel in Stückzahlen. Die stellen ja mittlerweile dreissig Millionen Uhren her pro Jahr. Hat «Swiss made» etwas falsch gemacht – oder war es unausweichlich, dass die Apple Watch das preiswerte Uhrensegment erobert? Apple hat es geschafft, einen Computer für das Handgelenk zu entwickeln. Da ist schwer mitzuhalten. Im Übrigen ist das Bild nicht schwarz-weiss: Die Apple Watch macht indirekt die Promotion und die Werbung für das Produkt Uhr. Ich habe mal im Witz gesagt, dass die Schweizer Uhrenindustrie für jede Apple Watch, die verkauft wird, einen Franken nach Cupertino schicken soll. Denn sie wirbt für etwas, was man am Handgelenk trägt. Und wer etwas auf sich hält, wählt eine Schweizer Traditionsuhr. Die Schweizer Uhrenindustrie hat das günstige Preissegment an sie verloren. Dank der Apple Watch gewöhnen sich viele Menschen daran, eine Uhr zu tragen. Die Schweiz war nie dafür prädestiniert, günstige Uhren herzustellen. Dafür sind unsere Produktionskosten zu hoch. Sie reagieren auf den Apple-Boom – waren der Erste, der eine Schweizer Smartwatch lancierte, die TAG-Heuer-«Connected» … Das war am Anfang. Ich kam dann allerdings bald zur Einsicht, dass wir langfristig bei dem Rhythmus kaum mithalten können, ausser wenn wir enorme Investitionen machen. In die Smartwatches wird immer mehr Technologie verbaut. Und die Technologie kommt heute nicht aus der Schweiz, sie kommt aus dem Silicon Valley oder aus China. In der Schweiz verwenden wir unsere eigene Technologie. Wer seine eigene Technik verwendet, ist immer an der Spitze der Innovation. Wenn man einkaufen muss, ist man immer einen Schritt im Rückstand. So ist es auch bei Computern und der Software. Ihre Projekte halten Sie jung, sagen Sie. Das gilt auch für die Startups, bei denen Sie engagiert sind? Ach, ich bin Mentor und ein bisschen auch als Investor aktiv. Sie bringen Ihre Connection mit ein? So kann man es auch sagen. Die Swiss Startup Group fragte mich, ob ich einer kleinen Marke helfen könnte. Die heisst Norqain, eine Uhrenmarke aus Biel. Ich präsentierte zwei, drei Ideen und riet zu einem Verkaufsgeschäft. – Norqain setzt auf Sport und gilt als Bergführeruhr. Also riet ich, nach Zermatt zu gehen. Dort wiederum hatte ich Kontakte. Für die Schweizer Uhrenindustrie hat ein neues Geschäftsjahr begonnen. In welchem Zustand ist sie? In einem speziellen. Man hat zwar viel Erfolg, aber er ist schlecht verteilt. Früher waren alle erfolgreich. Heute haben längst nicht alle Marken Erfolg – und nicht alle Modelle verkaufen sich gut. Der Erfolg ist abhängig von wenigen Marken, Modellen und Ländern. Und von einigen wenigen Händlern. Konkret: Welche Marken haben Erfolg? Im oberen Segment sind das unter anderen und hauptsächlich Rolex, Patek Philippe, Audemars Piguet, Richard Mille und Hublot. Die machen Kollektionen, die enorm gefragt sind. Die Nachfrage ist immens. Werden Millennials überhaupt noch mechanische Uhren kaufen? Oder sich nur noch Smartwatches umschnallen? Millennials sind unglaublich. Man könnte meinen, sie sind technologieverliebt. Das mag in vielen Gebieten ja so sein, bei den Uhren aber sind sie von Vintage-Uhren fasziniert. Weil sie Emotionen suchen, Einzigartigkeit. Sie wollen mit ihrer Uhr ihre Persönlichkeit unterstreichen. Das sieht man an ihrem Interesse an alten Uhren.Jean-Claude Bivers neuster Streich Jean-Claude Bivers neuste Firma ist erst wenige Wochen alt: Mit der Jcbiver AG will der 72-jährige Jungunternehmer hoch- exklusive Zeitmesser lancieren. Mit an Bord ist sein jüngster Sohn Pierre und – bald schon – zwischen vierzig und sechzig Mit- arbeitende. Bereits Ende Jahr soll ein Prototyp der Uhr auf dem Tisch liegen, nächstes Jahr soll die Uhr in die Läden kommen. Welches Land macht neben der Schweiz die besten Uhren – Japan? Bei den teuren Uhren hat die Schweiz immer noch mit Abstand den besten Ruf. In Deutschland machen die Hersteller auch einen guten Job. Dank Glashütte sind im Osten Deutschlands einige interessante Player entstanden. Finden Sie den Pre-Owned-Uhrenmarkt eine gute Sache? Dieser Trend ist gut für die Uhren und für die Kundinnen und Kunden. Wird dieser Certified-Pre-Owned-Markt (CPO) weiter wachsen? Ja. Die Leute wollen Tradition, Heritage, Qualität und Sicherheit. Das ist heute total gefragt. Haben die Schweizer Uhrenfirmen den Einstieg ins Onlinegeschäft verschlafen? Patek Philipp verkauft seine Uhren weiterhin nicht im Internet. Ich nenne ihnen eine Zahl: Wenn sie 50’000 bis 80’000 Uhren herstellen, und ihre Kundschaft – Juweliere, Vertreter – schlecht beliefern, weil die Nachfrage so stark ist: Ist es dann gescheit, auf Online zu setzen? Ich glaube nicht. Das Internet ist ein Massengeschäft, es sind hohe Stückzahlen nötig. Bei einer Jahresproduktion von einer Million macht es Sinn, aber bei 10’000 Stück macht es keinen grossen Sinn, sie übers Internet zu vertreiben. Und wenn Sie Ihre Uhr auf dem Markt haben, steigen Sie wieder aufs Mountainbike? Hoffentlich schon früher. Und dann habe ich ja noch andere Aufgaben. Jedes Jahr produziere ich fast 1000 Kilo Alpkäse. Wein mache ich auch, aber dafür habe ich nur 2000 Quadratmeter zur Verfügung, bei Vevey über dem Genfersee. Die Fläche gibt 1500 Flaschen pro Saison her.