Risiko-Überwacher Gottschling ohne Rückhalt

Der 27. April 2018 war ein besonderer Tag in der Karriere von Andreas Gottschling. Ein Tag, an den er sich gern erinnert. Er sass nun bereits ein Jahr im wohldotierten Verwaltungsrat der Credit Suisse, doch an besagtem Frühlingsfreitag wurde er auch noch zum obersten Risiko-Verantwortlichen der Grossbank befördert. Und zwar mit einem Wahlergebnis, das keine Frage offenliess. Und selbst ihn überrascht haben dürfte: 99,14 Prozent der Stimmen, also fast alle Aktionäre, betrauten ihn mit der Kernaufgabe, Unheil aller Art von der Bank abzuwehren. Nach der glanzvollen Kür zum Chef des Risiko-Ausschusses im Verwaltungsrat gönnte sich der Frischgewählte einen Ausflug in die Karibik, genauer: an die Antigua Sailing Week, wo die begehrte Lord Nelson Trophy lockte. Und obendrein die hochseetaugliche Rennjacht «Nor XL» – 15 Meter lang, 4 Meter breit –, die startklar für Eigner Gottschling vor Anker lag. Es war eine von vielen Regatten, die der Banker bestritt. Aus der B-Liga 2019 hat er sein maritimes Prunkstück verkauft, derweilen übt er sich als lizenzierter Sportschütze beim TSB Birmensdorf. Akutell aber bläst dem polysportiven Mann ein steifer Wind ins Gesicht. Und zwar aus dem Lager jener Aktionäre, die ihn vor drei Jahren mit Akklamation wählten. Diverse Aktionäre (Harris Associates, Norges) und Aktionärsberater (ISS, Ethos, Glass Lewis) forderten im Vorfeld der heutigen Generalversammlung die Absetzung des promovierten Ökonomen, den VR-Präsident Urs Rohner 2017 zur Grossbank lotste. Weshalb wusste niemand so recht. Offenbar auch der Nachfolger Rohners nicht, Antonio Horta-Osorio. Dieser interpretiert seine Rolle als exekutiver Chairman der Bank - und greift vor Stellenantritt rigoros durch. Offiziell heisst es, Gottschling habe sich entschlossen, nicht mehr für den Job zu kandidieren. Gottschling sei als oberster Aufpasser der Grossbank eine Fehlbesetzung gewesen, heisst es intern. Stark in der Theorie, schwach in der Praxis. Und viel zu wenig vertraut mit den unzimperlichen Methoden an der Wall Street, wo Investmentbanker hinter jedem noch so riskanten Deal herjagen. Und bestenfalls nur mit Ukas und Bonuskürzung unter Kontrolle zu bringen sind. Das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» wunderte sich bei Gottschlings Wahl zum Aufpasser im globalen Bankkonzern und attestierte ihm kaum B-Liga-Niveau.Rohners Bilanz – die eindeutige Sprache der Zahlen In der Amtszeit von Präsident Urs Rohner von 2011 bis heute stürzte der Aktienkurs um 73 Prozent ab. Eine Bilanz in den wichtigsten Kennzahlen. Beobachter sind sich einig: Er hätte den aufziehenden Sturm mit dem wild spekulierenden US-Hedgefonds Archegos und der australischen Finanzgesellschaft Greensill Capital schon vor Monaten erkennen müssen. Die beiden Investments, die sich über Jahre zu Klumpenrisiken für die Bank aufgebaut hatten, hätten auf dem Radar des obersten Risiko-Chefs tiefrot blinken müssen. Haben sie aber offenbar nicht. Oder er hat sie ignoriert. Vielleicht liegts ja am sturen Quartalsreporting, das keine Rücksicht auf sich zuspitzende Vorfälle nimmt. Jedenfalls ist klar, dass die Grossbank der klammen Greensill Capital noch letzten Oktober einen Überbrückungskredit über 160 Millionen Dollar gewährte. Der Risiko-Manager in London warnte, doch die Zentrale in Zürich übersteuerte ihn und gab grünes Licht. Zu jenen, die den Schadensfall nicht voraussahen, gehörte Risiko-Chefin Lara Warner, die vor wenigen Tagen geschasst wurde. Schier unvorstellbar, dass auch das Risiko-Komitee im Verwaltungsrat nichts vom Aufbau jener Welle mitbekam, die der Grossbank den Gewinn von anderthalb Jahren harter Arbeit wegspülte. Kontrollpersonal massiv erhöht Dilettantisch, denn immerhin löste die Bank bereits viel früher – nach drängenden Fragen britischer Journalisten – eine interne Untersuchung zum Geschäftsgebaren von Greensill aus, wie ein Beteiligter erzählt. Doch statt der Luftnummer auf die Schliche zu kommen, gaben das Risiko-Management und das Legal in Zürich grünes Licht für weitere Deals. Umtriebigkeit über jeder Vernunft. Bis das Kartenhaus diesen März zusammenbrach – und der Bank einen Schaden von Hunderten Millionen Franken bescherte. Der Fall war klar: Würde dem obersten Risiko-Manager der Bank, Andreas Gottschling, in den laufenden Untersuchungen in den Fällen Archegos oder Greensill eine Versäumnis nachgewiesen, würde er sich nicht halten können. Nun setzt der neue VR-Präsident ein klares Signal - und wartet schon gar nicht ab. Zur Reputation von Gottschling hat auch nicht beigetragen, dass die Credit Suisse noch 2019 für den Zahlungsabwickler Wirecard frisch-fröhlich Wandelanleihen in der Höhe von 1 Milliarde Franken strukturierte und an institutionelle Investoren verklickerte. Zu einer Zeit, als die «Financial Times» längst von Luftbuchungen bei Wirecard berichtete. Letztes Jahr verglühte der einstige Börsenüberflieger, zurück blieb ein Häufchen Asche. Auch hier: ein Risiko-Management, das nicht greift und offenbar keine Zeit findet, um Zeitung zu lesen. Erstaunlich ist das schon, immerhin hat die Bank zwischen 2015 und 2018 den Personalbestand im Kontrollbereich um 40 Stellenprozente erhöht. An der Zahl der Leute oder an den IT-Systemen hat es kaum gelegen, wohl aber an der laschen Kontrollkultur in der Bank. Ihr Repräsentant: Andreas Gottschling. Allerdings wäre es falsch, dieses Versäumnis nur ihm in die Schuhe zu schieben. Die Malaise reicht weit zurück. Vor ihm war Richard Thornburgh Chef des Risiko-Ausschusses, ein Investmentbanker aus New York, der die Gambling-Mentalität der Branche aus eigener Erfahrung kannte. Er verspürte allerdings keine grosse Lust, seine Kollegen an der Wall Street an die kurze Leine zu nehmen. 2018 trat er aus dem Verwaltungsrat zurück. Nun holte VR-Präsident Rohner Andreas Gottschling, Chief Risk Officer bei der Erste Group Bank in Wien, einer grundsoliden Sparkasse mit 2100 Filialen zwischen Österreich, Rumänien und Moldawien. Mit Fokus auf Vermögensverwaltung, Hypothekar- und Unternehmensfinanzierung. Aber ohne globales Setup, breite Angebotspalette und ohne One-Bank-Ansatz, der bei der Credit Suisse alles komplizierter macht. Ein Sesselwechsel, der sich zuvorderst für Gottschling lohnte. Der Sprung in den Verwaltungsrat trug ihm als Grundausstattung 250'000 Franken ein, dazu kamen 300'000 Franken für VR-Ausschüsse. Mit der Wahl zum obersten Risiko-Manager flossen weitere 400'000 Franken. All das machte ihn – hinter Präsident Rohner – zum zweitbestbezahlten Verwaltungsrat der Bank. Dazu gesellte sich ab letztem Jahr das Aufsichtsratshonorar der Deutschen Börse (100'000 Euro) plus das Entgelt für die Leitung von deren Risiko-Ausschuss (200'000 Euro). Ergibt eine stolze Jahresgage von 1,3 Millionen Franken. Fehlende Street Credibility Der Chef-Überwacher, erzählen CS-Leute, reiste vor Corona gerne nach Amerika und Asien. Allerdings hätten sich Frontleute schon gewundert, wie weit weg er von den heissen Dossiers war. «Er stellte nie die richtigen Fragen», sagt einer, der dabei war. So gelang es ihm nie, Street Credibility bei den forschen Investmentbankern aufzubauen. Es ist eine bittere Erkenntnis für VR-Präsident Rohner, dass er es in den letzten Jahren versäumte, abtretende Schwergewichte aus dem Verwaltungsrat gleichwertig zu ersetzen. An seinem Nachfolger António Horta-Osório wird es liegen, Gravität ins Gremium zu bringen. Mit dem Abgang von Gottschling hat er bereits am Tag seiner Wahl zum neuen Präsidenten ein Zeichen gesetzt. Weitere werden folgen, sagen Banker, die den gebürtigen Portugiesen kennen.

Risiko-Überwacher Gottschling ohne Rückhalt

Andreas Gottschling: Der Risiko-Chef, der selber ein Risiko war