Apple investiert Milliarden in den Bau eigener Kommunikationschips für iPhones und iPads. Tesla errichtet eigene Batteriewerke direkt neben den Autofabriken. Volkswagen erklärt Batteriechemie zur Kernkompetenz. Google und Meta liefern sich ein Wettrennen mit Microsoft um den besten Chatbot. Verlage experimentieren mit künstlicher Intelligenz und bauen dafür ihre Programmierlabors massiv aus.

Kaum ein Tag vergeht ohne Nachrichten von Konzernen, die Zukunftstechnologien selber beherrschen möchten. Selbermachen statt Einkaufen liegt im Trend. Die Abhängigkeit von Zulieferern steht schlecht im Kurs. Hinter den Ansinnen steckt weit mehr als die Optimierung von Lieferketten und die Sicherstellung von Produktion. Vorausschauende Unternehmen erkennen, dass sich die technologische Basis ihrer Wertschöpfung grundlegend verändert. Wenn sie im Geschäft bleiben möchten, müssen sie Führungsrollen bei Techniken einnehmen, die sie bisher bequem einkaufen konnten. 

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Apple ist dafür ein gutes Beispiel. Nach eigenem Selbstverständnis ist Apple eigentlich ein Systemintegrator. Gründer Steve Jobs hatte das Diktum geprägt, dass Computerunternehmen immer nur zwei von drei möglichen Disziplinen beherrschen können: Hardware, Software oder Integration.

Abkehr von Steve Jobs’ Diktum

Wer versuche, alle drei Disziplinen zu beherrschen, komme in der Komplexität um, behauptete Jobs. Für Apple legte Jobs Software und Integration als Wertschöpfungsmethode fest – bekanntlich mit gewaltigem Erfolg. Hardwarekomponenten werden zugekauft; die Montage findet als Lohnfertigung vor allem in China statt.

Nachfolger Tim Cook weicht aus guten Gründen von diesem Dogma ab. Er weiss: Ohne dominante Stellung bei strategisch wichtiger Hardware sinkt Apple auf die Rolle eines Monteurs zurück, liefert sich der Erpressung von Lieferanten aus und wird auf Dauer erodierende Margen erleiden. Zunächst liess Cook Zentralrechnerchips entwickeln, die nach und nach in alle Apple-Geräte einzogen.

Nun sind Kommunikationschips für Schnittstellen wie Bluetooth, WLAN, 5G und RFID an der Reihe. Es gilt, die Vorherrschaft von Qualcomm zu brechen. Kürzlich wurde sogar bekannt, dass Apple – bislang unentdeckt – seit knapp einem Jahrzehnt an einer Methode forscht, den Blutzucker des Menschen nicht invasiv durch die Haut zu messen.

Die Vision mit der Apple Watch

Die Vision: Per Apple Watch sollten Diabetikerinnen und Diabetiker ihren Zuckerspiegel kontinuierlich und bequem messen können. Da Blutzucker auch bei Nichtdiabetikern ein wichtiger Indikator für allgemeine Gesundheit ist, könnte eine derart ausgerüstete Apple Watch noch viel erfolgreicher werden, als sie heute schon ist.

Apple erzielte 2022 rund 60 Prozent aller weltweiten Umsätze mit Smartwatches. Weit abgeschlagen folgt Samsung als Zweitplatzierter. Alle anderen Hersteller spielen auf dem Markt eine untergeordnete Rolle.    

Drei Schlussfolgerungen bieten sich hieraus auch für andere Unternehmen an. Erstens: Die Technologieführerschaft bestimmt über künftige Erfolge. Das war zwar schon immer so, wird aber durch den nächsten Punkt relevant. Zweitens: Aufgrund des rapiden Fortschritts werden immer öfter neuartige Technologien erfolgsentscheidend, die heute noch nicht beherrscht werden. Drittens: Was heute bahnbrechend wirkt, kann schon in wenigen Jahren Marktstandard sein.

Künstliche Intelligenz ist dafür das beste Beispiel. Wer diesen Standard nicht beherrscht, hat es künftig schwer. Im Geschäft bleibt, wer frühzeitig erkennt, welche der vielen neuen Technologien unverzichtbar für seine künftigen Produkte sein werden. Diese Frage zu beantworten, ist eine Kernaufgabe von Führung. 
 

Christoph Keese ist Verwaltungsratspräsident der Stiftung World.Minds sowie Unternehmer und Unternehmensberater aus Berlin. Der Autor von sechs Büchern schreibt regelmässig über Technologie und Innovation – ab heute auch alle zwei Wochen in der «Handelszeitung».