Anna Alex und Lea von Bidder

«Wir hatten nie Angst»

Stefan Mair
Andreas Güntert
Von Stefan Mair und Andreas Güntert
am 16.08.2018 - 06:00 Uhr

Anna Alex und Lea von Bidder über ihre Erfolgsrezepte.

Quelle: Florian Kalotay, 13 Photo

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Lea von Bidder ist die berühmteste Gründerin der Schweiz, Anna Alex die bekannteste in Deutschland. Sie trafen sich zum offenen Gespräch.

Anna Alex, Lea von Bidder: Haben Sie sich schon einmal persönlich kennengelernt?
Anna Alex: Die Startup-Szene an sich ist ja riesig. Aber bezüglich weiblicher Gründer ist sie klein. Ich habe schon von Lea gehört. Aber getroffen haben wir uns noch nie.
Lea von Bidder: Outfittery war mir natürlich schon ein Begriff. Aber das ist tatsächlich unser erstes Treffen.

Grossartig. Wir haben dieses Meeting anberaumt, weil es in der Gründerszene extrem wenige weibliche Role Models oder Vorbilder gibt. Wie viele Tech-Gründerinnen kennen Sie?
Von Bidder: An den Events, die ich besuche, wo Gelder eingesammelt und Preise gewonnen werden, sind es vielleicht zehn. Höchstens.

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Im kontinentaleuropäischen Startup-Mekka Berlin ist die Zahl wohl deutlich höher.
Alex: Falsch. Ich würde sagen, es sind nicht viel mehr als zwanzig. Und im Silicon Valley ist es auch nicht besser. Neulich habe ich in einer Studie gelesen, wie viel Wagniskapital in den USA in frauengeführte Firmen fliesst.
Von Bidder: 1 Prozent?
Alex: Ein bisschen mehr: 2. Aber egal, welche Zahlen man zu diesem Thema herbeizieht: Es ist immer zu wenig.

Sie bewegen sich beide seit einigen Jahren in dieser Szene. Wie hat sich der Frauenanteil bei den Gründern seither verändert?
Alex: Es hat sich ein wenig verbessert. Ich werde öfters angesprochen von Frauen, die gründen möchten, aber noch in der Ideenphase sind. Das ist grossartig. Aber natürlich geht alles immer noch viel zu langsam.

«Das ist keine These, das ist eine Beleidigung.»

 

Lea von Bidder

 

Um welche Ratschläge werden Sie gebeten?
Von Bidder: Ich höre relativ oft von Frauen, dass sie keine Mitgründer finden. Und es gibt das Thema Stabilität: Viele Frauen, die mich anschreiben, sind ein paar Jahre vor der Familienplanung. Sie fragen: Ich könnte jetzt gründen, aber was passiert, wenn es doch nicht klappt?
Alex: Weil wir mit Outfittery über die ganze Gründerzeit bekanntermassen über 50 Millionen Euro Kapital einsammeln konnten, kommen von Frauenseite oft Fragen in dieser Hinsicht. Sie wollen wissen, ob ihre Geschäftsidee überhaupt das Zeug zu einem Business-Case hat und ob sie damit Investoren gewinnen können. Eine Frage, die mich eigentlich erstaunt.

Wie antworten Sie?
Alex: Es gibt keine Produkte oder Geschäftsmodelle, die per se ein Business-Case sind. In allererster Linie kommt es auf deine Ambitionen an und darauf, wie gross du das Ganze machen willst.

Anna Alex und Lea von Bidder
Foto: Florian Kalotay, 13 Photo
Foto: Florian Kalotay, 13 Photo

Wenn wir mit Startup-Investoren sprechen, legen uns diese meistens drei Thesen zum tiefen Frauenanteil in der Gründerszene vor. Dürfen wir Sie damit quälen?
Alex: Bitte sehr.

These eins: Wenn man als junger Mensch, beispielsweise als Uniabgänger oder -abgängerin, eine Firma gründet, muss man den allergrössten Teil seines Lebens diesem Thema widmen. Man reduziert seine Vita komplett auf die Firma, geht mit Tunnelblick durchs Leben. Frauen, besagt These eins, liege das weniger, sie möchten mehr haben vom Leben.
Alex: Wer sagt so was?

Wagniskapitalisten, die typischerweise männlich sind.
Alex: Ich bin ja gespannt, was da noch kommt. Zur These eins: Sie haben Glück, dass dieser Schwachsinn nicht von Ihnen stammt.
Von Bidder: Das ist keine These, das ist eine Beleidigung. Was dieser Ausspruch eigentlich besagen will, ist doch dies: Frauen möchten halt irgendwann Kinder haben. Ein schlecht kaschierter Verweis, der die Frauen daran erinnern soll, wie laut ihre biologische Uhr tickt.

Obacht, hier kommt These Nummer zwei: Wer gründet und Geld sucht für sein Unternehmen, muss laut trommeln für seine Sache. Und ständig sagen, wie gut man ist. Das Leben als ständiges Pitchen sei etwas, das Männern in der Regel besser liege als Frauen. Sagen Venture-Kapitalisten. Auch eine Beleidigung?
Alex: Da ist mehr dran. Wo Männer sich gerne mal hinstellen und sagen, sie seien die geilsten Typen und hätten das grossartigste Business der Welt, und dabei ihren Forecast sehr positiv darstellen, tendieren Frauen eher dazu, ehrliche Zahlen zu nennen. Ohne sie für die Präsentation zu verdoppeln. Für Wagniskapitalisten ist das vielleicht ernüchternd, aber Frauen sind einfach realistischer und ehrlicher. Wenn Investoren damit nicht umgehen können und finden, Frauen seien zu wenig ambitioniert, dann sind die Geldgeber selber schuld. Denn das hat nichts mit der tatsächlichen Performance zu tun.
Von Bidder: Es geht nicht darum, ob man gerne trommelt oder nicht, sondern wie es aufgenommen wird. Viele Frauen glauben, sie würden besser wahrgenommen, wenn sie sich ein wenig zurücknehmen.

Wie kann man nachhaltiges Trommeln lernen?
Alex: Ich würde keine Kurse geben und den Frauen sagen, sie sollen beim nächsten Pitch einfach ihre Zahlen aus dem Businessplan multipliziert darstellen. Vielmehr muss sich auf Investorenseite etwas ändern. Wagniskapitalisten müssen verstehen, dass es Unterschiede gibt. Mein zweiter Punkt ist der: Wir müssen vermehrt über das Thema sprechen und uns selber reflektieren: also über gesundes Selbstbewusstsein und darüber, weshalb das bei Frauen und Männern anders verteilt ist.
Von Bidder: Einen Quick Fix gibt es nun mal nicht. Ich kann da dem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, nur danken. Dass ich früh darin gefördert wurde, mich präsentieren zu können. Trommeln kannst du nur, wenn du keine Angst hast, dass es schiefgeht.

Die Erziehung als Startup-Vorbereitungs-Camp?
Alex: So in der Art. Kurzfristlösungen gibt es nun mal nicht, sondern es wird Langfristarbeit nötig sein. Das erste Buch, das ich meiner Tochter gekauft habe, war "Good Night Stories for Rebel Girls". Darin werden hundert tolle Frauen aus der Geschichte präsentiert, von Coco Chanel bis Marie Curie.

«Es kommt auf deine Ambitionen an.»

 

Anna Alex

 

Das ist die Seed-Phase.
Alex: Genau. Meine Nichte, sie ist neun, habe ich für einen Robotics-Kurs angemeldet. Ich bin sehr gespannt, wie viele Jungs da sein werden und wie viele Mädchen. Das Thema braucht Aufmerksamkeit und es braucht Zeit, bis es in die breite Masse getragen wird, damit es in zwanzig Jahren mehr Gründerinnen gibt. Jungen und Mädchen wurden in der Erziehung zu lange stereotyp behandelt. Das fängt nur schon beim Spielen an. Sie: die freundliche Stewardess. Er: der wagemutige Pilot. Da haben wir als Gesellschaft generell in den letzten Jahren ordentlich was verbockt. Und deswegen ist die Lage, wie sie ist.
Von Bidder: Es fängt tatsächlich schon sehr früh an. Ich habe eine Freundin mit einer kleinen Tochter. Ihr wird die ganze Zeit gesagt, wie toll sie aussehe - dabei ist sie erst vier. Ich sage: Es ist einfach nicht relevant, wie sie aussieht. Später kommt ein anderes wichtiges Thema hinzu: Als Gründerin und als Gründer musst du ein enorm grosses Selbstvertrauen haben und super resilient sein. Weil du immer wieder aufstehen musst. Das ist ein Attribut, das von der Gesellschaft nicht immer als positiv wahrgenommen wird bei Frauen. Dazu gibt es zahllose Studien. Zu einem trommelnden Mann sagt man, er sei vertrauenswürdig und stark. Bei einer Frau sagt man, sie sei bitchy und bossy. Davon müssen wir wegkommen. Wir alle.

Wir haben noch These drei auf Lager: Frauen seien risikoaverser als Männer, weil sie ihr Leben oft in Fünf- und Zehnjahresschritten planen. Eine Firma zu gründen, habe da wenig Platz, weil es eine viel zu unsichere Sache sei.
Alex: Kann ich für mich nicht bestätigen. Ich glaube, da ist schon wieder das Thema Familienplanung drin. Damit verbunden kann aber ein wichtiger Aspekt sein. Für Frauen, die gründen wollen, kann es sehr sinnvoll sein, sich einen Lebenspartner zu suchen, der offen ist für neue Modelle. Und beispielsweise bereit ist, mit den Kindern zu Hause zu bleiben. Die Partnerwahl ist also für Gründerinnen eine durchaus erfolgskritische Sache.

Name: Lea von Bidder

Funktion: President Ava Science

Alter: 28

Karriere: Studium in St. Gallen. Gründung einer Schokoladeproduktionsfirma in Indien mit 22 Jahren. Mit 24 Jahren Start bei Ava. Pendelt zwischen Zürich und San Francisco.  

Das Unternehmen: Ava stellt ein Sensor-Armband her, das Frauen tragen, um ihren Zyklus zu analysieren. Mithilfe von Datenanalysen werden Kundinnen dabei unterstützt, den richtigen Zeitpunkt zu bestimmen, um schwanger zu werden.

Name: Anna Alex

Funktion: Co-Gründerin Outfittery

Alter: 33

Karriere: Studium in Freiburg und Paris. Startete ihre Karriere bei Rocket Internet in Berlin. In Zürich hatte Alex die IT eines Schweizer Online-Unternehmens geleitet, bevor sie Outfittery startete.   

Das Unternehmen: Outfittery wurde 2012 gegründet und bedient Kunden in acht Ländern. Zielgruppe sind Männer zwischen 25 und 50 Jahren. Ein persönlicher Stylist stellt eine Kleiderbox zusammen und schickt sie ihnen nach Hause.