«Man muss sich entscheiden: China oder USA»

Sie waren soeben auf Geschäftsreise in arabischen Ländern. Mit oder ohne Kopftuch? Ich war in Saudi-Arabien und in den Emiraten mit einer Schweizer Wirtschaftsmission. Ziel war es, die wirtschaftliche Zusammenarbeit weiterzuentwickeln und die Schweiz als führenden Innovations- und Technologiehub zu positionieren. In beiden Ländern benötigte ich als westliche Geschäftsfrau kein Kopftuch. Das überrascht. Dem sind sich viele Leute nicht bewusst. Die Kenntnis der lokalen Gegebenheiten und Werte sind im internationalen Geschäft zentral – und mit unseren Teams in aller Welt können wir Mehrwert schaffen. Beide Länder unterlaufen enorme gesellschaftliche und wirtschaftliche Reformen, und es entstehen zahlreiche attraktive Marktopportunitäten für Schweizer Firmen. Neue Absatzchancen für Schweizer Unternehmen? Immerhin steigt der Ölpreis. Saudi-Arabien treibt seine «Vision 2030», mit dem das Land seine Abhängigkeit vom Öl reduzieren will, voran. Mit gewissen gesellschaftlichen Freiheiten steigen die Marktchancen – auch für Schweizer Unternehmen. So investiert das Land in Projekte in den Bereichen Cleantech, Infrastruktur oder künstliche Intelligenz – alles Bereiche, in denen Schweizer KMU führend sind. Die grössten Hindernisse? Für einen erfolgreichen Markteintritt in der arabischen Welt müssen sich die KMU intensiv mit den lokalen Bedürfnissen, Anforderungen und auch unterschiedlichen Erwartungen von Geschäftspartnern, Endkunden und Behörden auseinandersetzen. Konkret? Gerade in der arabischen Welt muss man viel in die persönliche Beziehung investieren und auch mal ab und zu Geduld haben. Es lohnt sich. Wir bieten hier mit unserem Aussennetz Unterstützung. Die Zukunft der Schweizer Exporteure liegt nicht in Nahost, sondern in Asien. Welches ist der attraktivste Markt? China, Indien, Indonesien? Grundsätzlich gehen mit 48 Prozent des Handelsvolumens die meisten Schweizer Exporte nach wie vor in europäische Länder, gefolgt von Nordamerika und Asien mit je 24 Prozent. Die Zukunft liegt somit in all diesen Märkten. Aber die Zukunftsmusik spielt in Asien. Das grösste Wachstum erwarten wir in den kommenden Jahren in den USA und in Asien, wobei Handelsabkommen, welche den Marktzugang weiter verbessern, hier sehr wichtig sind. In unserer Beratungstätigkeit stellen wir bezüglich Asien eine hohe Nachfrage für China, Vietnam und Indien fest. Die Attraktivität eines Marktes hängt indes stark von der Branche ab. Switzerland Global Enterprise (S-GE) ist die Exportförderagentur der Schweiz und Liechtensteins (mit Mandat). Die Agentur berät Tausende KMU hierzulande und in Aussenbüros in 31 Ländern. Die Mittel für die Organisation mit 200 Mitarbeitenden stammen von Bund/Kantonen (80 Prozent) und Kunden (20 Prozent). Und was sind die Probleme, mit denen Sie konfrontiert werden? Herausforderungen bestehen nach wie vor, doch die Chancen des Aufschwungs sind klar ersichtlich. So sind in den letzten zwei Jahren die Anfragen zu Asien enorm gestiegen. Während es anfänglich um Krisenbewältigung beziehungsweise um Marktstabilisierung ging – Stichwort Corona –, kommen jetzt viele Firmen zu uns, weil sie Wachstum suchen; es geht also um neue Opportunitäten. Daneben ist die Beschaffung immer noch ein Thema, speziell in China. Dieses wird uns bis 2022 beschäftigen. Indien ist protektionistisch und eine Herausforderung. Kein einfacher, aber ein grosser und für gewisse Branchen sehr attraktiver Markt. Indien verfolgt eine National Manufacturing Policy. Das Land hat hohe Eintrittshürden aufgebaut, die Zölle sind horrend. Man muss sich entscheiden: Investieren wir oder nicht. Im Softwarebereich machen das einige, andere sind zurückhaltender. Traditionellerweise exportiert ein KMU zuerst, bevor es lokal investiert. Klar ist aber auch, Indien kann man nicht aus der Schweiz aus betreuen. Man muss Leute vor Ort haben. Was wäre eine Alternative? Wir haben aktuell kein Freihandelsabkommen mit Indien, deshalb gehen viele Unternehmen zuerst nach Indonesien; das Land hat 280 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, das ist einfacher – und wir haben hier ein Handelsabkommen. Und von Indonesien aus, dem Domizilland der Asean-Organisation (Verband Südostasiatischer Nationen), kann man Asien abdecken. Wir merken hier eine Zunahme von Firmenanfragen; sie möchten weiteren Support von uns und unserem Team in Jakarta. Das gilt auch für Vietnam: Das Land hat enge Beziehungen zu China, ist einfacher, bietet grössere Sicherheit beim geistigen Eigentum oder bei den Daten. Wie viele Firmen haben Sie 2021 unterstützt? Gegen 6000 Firmen. Bei 7 Prozent gehts um das Thema China, gleich viel wie beim Thema USA, wobei sich die Inhalte unterscheiden. So geht es bei den USA oft um neue Geschäftsmöglichkeiten, etwa im Bereich Infrastruktur aufgrund der Covid-19-Recovery-Programme. Und China? Sehr unterschiedlich. Wir haben KMU in China, da gehts um Partnersuche, Neueinstellungen. Oder um die Frage, wie ich einen Markt bearbeite, der wegen Corona für Geschäftsreisen geschlossen ist. Eine strikte Quarantäne bis 21 Tage lockt keine Geschäftsleute an. Entsprechend machen unsere Teams vor Ort sehr viele Firmenvertretungen, etwa an Fachmessen. Weil die Leute nicht einreisen können. China nabelt sich ab? Das Land hat einen Fünfjahresplan verabschiedet und setzt ihn um. Die inländische Nachfrage soll stimuliert werden. Wer von unseren Firmen vor Ort ist, kann wachsen, das sehen wir etwa bei Kambly, die in eine Produktion investiert. Man muss aber realistisch sein: Bis Herbst 2022 wird sich die Lage kaum beruhigen. Entsprechend bauen viele einen Hub in Singapur oder Indonesien auf und bearbeiten China oder die Region von dort aus. Aber wer stark auf China setzt, kommt auf lange Sicht um eine Produktion vor Ort nicht herum. Gleichzeitig muss, wer nach China exportieren will, auf die USA Rücksicht nehmen. Das Exportgeschäft ist komplexer, politischer geworden. Schweizer Firmen müssen damit umgehen können, insbesondere für kleinere Industriefirmen ist das heikel. Inwiefern? Firmen, die in den USA produzieren, dürfen diese Produkte unter Umständen nicht mehr nach China liefern, etwa im Hightech-Bereich. Aber es gibt auch Chancen: So wissen wir von einem Schweizer Robotics-Unternehmen, das nun in die USA exportieren kann, da die Chinesen ausgeschlossen sind. Diese Triage ist noch nicht ausgeprägt, aber in sensiblen Bereichen wird man sich entscheiden müssen: Liefere ich nach China oder in die USA. Das heisst Mehraufwand? Ja. Aktuell sind viele Firmen damit beschäftigt, ihre Strategie zu überdenken. Diese Frage steht im Raum: Wie sehen meine Beschaffungsmärkte morgen aus? Es fehlt vielen an Chips, an wichtigen Bauteilen, selbst eine spezielle Schraube kann unter Umständen zu Lieferverzögerungen führen. Gleichzeitig ist man damit beschäftigt, geostrategische Überlegungen einzubeziehen. Man muss bei Investitionen einen Zehnjahreshorizont haben. Findet im Zug dieser Neuausrichtung eine Re-Europäisierung statt? Produktion und Wertschöpfung werden auf die Absatzmärkte zugeschnitten, wegen der anhaltenden Lieferkettenprobleme, aber auch aus politischen Überlegungen. Das sieht dann so aus, dass man in China für China produziert und dass man einen Teil der Produktion von China nach Osteuropa zurückholt – und von dort aus Europa beliefert. Man sucht also eine grössere Flexibilität und mehr Nähe. Die Anfragen bezüglich Osteuropa sind bei uns stark angewachsen. Das hängt mit dem Näherziehen an den Heimmarkt zusammen. Die Schweiz hat kein Freihandelsabkommen mit den USA. Und wird dies wegen des Schweizer Agrarprotektionismus auch nicht kriegen. Dieses Freihandelsabkommen wäre für Schweizer KMU nach wie vor wichtig. Es gibt in der Wirtschaft aktuell die Befürchtung, dass der Protektionismus in den USA zunimmt und der Zugang für Schweizer Produkte erschwert wird. Allerdings ist der Zugang aktuell sehr gut, diverse Expansionsprojekte sind angelaufen. Joe Biden setzt – wie Donald Trump – auf America First. Das ist so, aber es gibt immerhin mehr Berechenbarkeit. Und ich habe den Eindruck, dass Biden die WTO wieder stärken will, was gut wäre für die Schweiz. Aber wir dürfen uns nicht beklagen. Es gibt in den USA eine starke Nachfrage, entsprechend sind Schweizer Firmen auf Partnersuche, klären neue Exportmöglichkeiten ab. Europa bleibt für die Schweiz ein Unsicherheitsfaktor. Wird die Entfremdung weiter zunehmen? Aktuell haben wir einen guten Zugang zu Binnenmarkt, auch weil viele Firmen längst einen Ableger in Europa installiert haben. Davon hat etwa Osteuropa profitiert. Vorher hat man stärker aus der Schweiz exportiert. Das gilt speziell für die Medtech-Branche. Droht per 2023 nicht das Auslaufen der technischen Abkommen für die Maschinenindustrie? Das könnte viel KMU treffen. Der Maschinenindustrie drohen ähnliche Probleme, wie wir sie heute bei der Medtech-Branche sehen. Das zeigt: Die Hürden werden immer höher. Der erschwerte Zugang zum EU-Markt, zu Talenten, aber auch zu Forschungsprogrammen wie Horizon könnte sich negativ auf die wichtige Innovationskraft von KMU auswirken. Ausserdem ist dies problematisch für die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz. Wir kennen das Beispiel einer Medtech-Firma aus Indien, die deshalb bereits wieder aus der Schweiz weggezogen ist. Die Staatsquote wächst, auch wegen Corona. Bei KMU-Unternehmern ein grosses Thema? Alles, was die Produktion verteuert, ist ein Thema. Unternehmerinnen und Unternehmer schätzen einen möglichst grossen Spielraum, damit sie weiterhin erfolgreich sein können. Aber der Grundsatz heisst ohnehin: Wir müssen die Möglichkeiten der Digitalisierung intelligent nutzen und die Produktion weiter automatisieren. Und ganz wichtig ist der Zugang zu Talenten. Um sie buhlen Google, UBS, Palantir, Zalando, AWS. Und die KMU stehen zuhinterst? So pessimistisch wäre ich nicht. Es gibt viele jüngere Leute, die nicht in einem Grosskonzern arbeiten möchten.