Es geschah im Speisesaal des Restaurants «Zum Güggel». Ein Angestellter der heutigen Chemiefirma Dottikon sprach in den höchsten Tönen von Christoph Blocher. Er lobte den SVP-Übervater für seine unternehmerischen Verdienste im Aargau. Zufällig anwesend war Magdalena Martullo-Blocher. Sie bezahlte die Getränkerechnung des Herrn, der so positiv über ihren Vater gesprochen hatte.

Das ist knapp zwanzig Jahre her. Christoph Blocher hat mittlerweile die Kontrolle abgegeben. Martullo-Blocher hat Dottikon von der Ems-Gruppe abgespalten. Markus Blocher übernahm die Leitung. Seither wurde das Loblied auf die Familie leiser, Unterstützung wie damals am Stammtisch ist selten geworden.

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Vielmehr häuft sich nun Kritik, sowohl in den Medien als auch auf Bewertungsplattformen wie Kununu. Im Management kam es in den vergangenen Monaten zu diversen Abgängen. Dottikon präsentiert zwar ansehnliche Gewinne und investiert in den Ausbau der Produktionskapazitäten. Doch die Kritiker verstummen nicht. Auf Kununu stellen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem Unternehmen ein schlechtes Zeugnis aus. Sie berichten von tiefen Löhnen, einem fehlenden Umweltbewusstsein und unbezahlter Überzeit.

Die Arbeitsbedingungen seien zuweilen gefährlich, heisst es sogar. Es werde mit Maschinen produziert, die fast ein halbes Jahrhundert alt seien. Dottikon sei der «mit Abstand schlechteste Arbeitgeber der Karriere», behauptet einer. Im Bereich Finanzen, Einkauf und Produktion sei die Fluktuationsrate hoch, so ein anderer. Überprüfbar sind viele solcher Anschuldigungen nicht. Dottikon will sich gegenüber der «Handelszeitung» zu diesen Vorwürfen nicht äussern.

Abgänge von leitenden Mitarbeitern häufen sich

Doch in den vergangenen Monaten häuften sich die Abgänge von leitenden Mitarbeitern. Alexander Dimai, ein langjähriger Weggefährte von Markus Blocher, zeichnet nicht mehr für die Firma. Der Chef der Rechtsabteilung hat das Unternehmen verlassen. So auch der Leiter der Recycling-Abteilung und der Leiter der Abteilung für Performance Chemicals. Die Abgänge sind vermeldet im Handelsregister des Kantons. Die Dokumente tragen die Unterschrift des gesamten Dottikon-Verwaltungsrats. Offiziell kommuniziert hat das Unternehmen die Abgänge nie.

Die Abgänge im Management und die anonymen Aussagen der Mitarbeiter im Internet zeichnen ein kritisches Bild von Markus Blocher, der unlängst vom einstigen Lonza-Chef Stefan Borgas als «einer der talentiertesten Unternehmer der Schweiz» bezeichnet wurde. Es erinnert an die ersten Jahre nach der Abspaltung von der Ems-Gruppe, als die Führungsriege Stück um Stück ausgetauscht wurde.

Bilder einer längst verflogenen Einigkeit: Magdalena, Christoph und Markus Blocher im Jahr 2002.

Mitarbeitende berichten von einem «ausgeprägten Kontrollverhalten». Nur die wenigsten empfehlen das Unternehmen weiter. Konkurrenten wie Lonza oder Siegfried schlagen sich besser in der Gunst der Angestellten (siehe Info-Box). Auch das Unternehmen von Schwester Magdalena Martullo-Blocher kommt besser weg. Die Ems-Chefin muss sich zwar ähnliche Vorwürfe anhören. Aber die Zahl der Klagenden ist deutlich kleiner.

Das Problem ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Dottikon hat eine hohe Visibilität im Netz. Nur das Profil von Lonza wird auf Kununu öfter aufgerufen. Zehntausende haben bereits die unrühmlichen Kommentare gelesen, was die Reputation des Unternehmens belasten dürfte. Dies gilt umso mehr, als Dottikon auf Expansionskurs ist. Das Unternehmen hat innert drei Jahren über hundert Jobs geschaffen. 2015 belief sich die Zahl der Vollzeitstellen auf 458. Im jüngsten Geschäftsbericht ist die Rede von 573 Vollzeitstellen. Mitarbeiter wurden in den letzten Jahren händeringend gesucht. Dottikon warb auch schon auf Bussen und im Kino.

So bewerten Mitarbeiter Clariant, Dottikon, Lonza

Die Böden sind mit Quecksilber belastet, Hunderte Angestellte wurden entlassen: In den letzten Jahren sorgte Lonza für Negativschlagzeilen. Trotzdem titelte die NZZ unlängst: «Zwischen Visp und Lonza stimmt die Chemie». Das Blatt zitierte den Gemeindepräsidenten von Visp, der sich seines guten Verhältnisses mit Lonza-Chef Rudolf Ridinger rühmte. Auch Mitarbeiter kommen zu Wort – und berichten von «hochmotivierten» Angestellten im Wallis. Alles Fassade? Kaum. Auch auf der Internet-Bewertungsplattform Kununu wird das Unternehmen mit positiven Nachrichten überhäuft. Drei Viertel der Kommentare empfehlen den Arbeitgeber. Das ist Spitzenwert bei den grossen Schweizer Chemiefirmen.

Clariant schlägt sich klar über dem Branchenschnitt. Jeder zweite Angestellte empfiehlt die Firma als Arbeitgeber. Die Anzahl der Kommentare ist mit knapp über vierzig aber eher bescheiden. Dottikon hat doppelt so viele Einschätzungen. Dabei ist die Firma – gemessen an der Zahl der Beschäftigten in der Schweiz – ungleich kleiner.

Bei Inspektionen der US-Aufsicht FDA angeblich getrickst

Das Unternehmen lässt die Anschuldigungen im Internet trotzdem unkommentiert. Obschon gewisse Vorwürfe gravierend sind. So soll das Unternehmen bei Inspektionen tricksen, wird behauptet. Bei Stippvisiten von Kunden oder der amerikanischen Behörde Food and Drug Administration (FDA) würden nur die vorführbaren Bereiche gezeigt, schreibt eine angebliche Führungskraft. Alle anderen Bereiche seien an diesen Tagen «nicht begehbar».

Der Vorwurf wiegt schwer, weil in den USA nur verkauft werden darf, was von der FDA abgesegnet ist. Alle sind darauf bedacht, die US-Wachhunde zufriedenzustellen, schliesslich will niemand das Tor zum lukrativen US-Markt schliessen. Das gilt auch für Dottikon. In den USA unterhält Dottikon eine Niederlassung in Chicago. Fast 25 Millionen Franken setzte das Unternehmen im letzten Jahr in der Region um – bei einem Gesamtumsatz von rund 158 Millionen Franken.

Die letzte Inspektion der FDA fand im Oktober 2017 statt. Sie dauerte eine ganze Arbeitswoche. Der Bericht liegt der «Handelszeitung» vor. Darin findet sich kein Hinweis, der den Vorwurf des Mitarbeiters stützt. Nirgends ist die Rede von Räumen, die nicht zugänglich gewesen wären. Es gibt auch keinen Hinweis auf unsichere Produktionsbedingungen. Der Bericht hebt lediglich zwei Punkte hervor: Die Dokumentation der Produktionsprozesse sei «nicht immer komplett» – und beim Wassermanagement, insbesondere bei der Filtrierung, gebe es Unstimmigkeiten.