Nach Vincenz-Skandal: Warum Raiffeisen sechs neue Banken gründet

Das Werbeschild steht noch im Eingang: «Zeichnen Sie jetzt Genossenschaftsanteile.» Doch wer mehrfach Anteile zeichnen wollte, kommt zu spät. Kundinnen und Kunden von Raiffeisen Zürich haben in wenigen Monaten Anteile im Wert von 68 Millionen Franken der neuen Bank gezeichnet. Am Montag wird das Institut aus Raiffeisen Schweiz herausgelöst und tritt als eigenständige Genossenschaftsbank an. Ab jetzt können Kundinnen und Kunden nur noch je einen einzelnen Anteilsschein erwerben. «Geplant waren 60 Millionen Franken. Dank der guten Nachfrage konnten wir die Mehrfachzeichnung von Genossenschaftsanteilen vorzeitig beenden», sagt Matthias Läubli, der Chef von Raiffeisen Zürich. Im Schnitt werden die Anteile pro Jahr mit 2,5 Prozent verzinst – was sich im Vergleich zu den Sparzinsen von unter 1 Prozent immer noch sehen lassen kann. Reformen nach dem Vincenz-Skandal Für Kundinnen und Kunden ändert sich nichts, aber für die drittgrösste Bankengruppe der Schweiz ist die Ausgründung der Stadtniederlassung Zürich ein wichtiger Schritt. Denn damit ist ein zentraler Reformbaustein vollendet, der nach dem Vincenz-Skandal aufgegleist wurde. Und der längst überfällig war. Denn gegründet wurden diese Stadtfilialen teilweise vor mehr als zwanzig Jahren. Das ursprüngliche Versprechen, nach einer kurzen Übergangsfrist jeweils eigene Genossenschaften zu gründen, war nie erfüllt worden. Und das mit Kalkül. Zuletzt hatte Raiffeisen Schweiz in den Städten Zürich, Bern, Basel, Winterthur, St. Gallen und Thalwil selbst das Bankgeschäft betrieben – und damit hohe Erlöse erzielt. Das Geld gab dem damaligen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz Manövriermasse für Zukäufe. Die meisten von ihnen sind bereits wieder abgewickelt. So wurde die Privatbank Notenstein 2018 an Vontobel verkauft. Zudem machte Raiffeisen Schweiz mit den eigenen Stadtniederlassungen ihren Eigentümern Konkurrenz, den 220 genossenschaftlichen Raiffeisen-Banken. Daher wurde unter dem früheren Verwaltungsratspräsidenten Guy Lachappelle beschlossen, die sechs Stadt-Banken in je eigene Genossenschaften auszugründen und so den Interessenkonflikt zu entschärfen. Die Gemeinschaft haftet Anfang 2022 wurden Thalwil und Bern ausgegründet, es folgten Winterthur und St. Gallen. Nun sind auch Basel und Raiffeisen Zürich rechtlich eigene Banken. Mit einer Bilanzsumme von 3,3 Milliarden Franken zählt Zürich aus dem Stand zu einer der grössten Raiffeisen-Banken des Landes. Wie will Raiffeisen Zürich die neue Freiheit nutzen? Zunächst sei die Eigenständigkeit ein gutes Marketing-Argument: «Dank der Eigenständigkeit können wir eine stärkere emotionale Bindung herstellen: Die Spargelder aus Zürich werden für Kredite in Zürich verwendet», sagt Läubli. «Als neue eigenständige Genossenschaftsbank wollen wir unseren Einfluss in St. Gallen bei Raiffeisen Schweiz geltend machen», ergänzt Werner Schiesser, der Verwaltungsratspräsident von Raiffeisen Zürich. «Als Bank in der Stadt haben wir leicht unterschiedliche Bedürfnisse, so ist zum Beispiel das Anlagegeschäft für uns wichtig.» Hoher Anteil Renditeliegenschaften Der gesamte Raiffeisen-Verbund will das Anlagegeschäft ausbauen, doch nach wie vor dominiert das Hypothekargeschäft. Hier ist Raiffeisen Marktführerin in der Schweiz. Daher steuert das Zinsergebnis zuletzt satte 72 Prozent zu den Einnahmen der Raiffeisen Gruppe bei. Raiffeisen Zürich ist weniger von Hypos abhängig: «Grob geschätzt verdienen wir rund die Hälfte der Einnahmen mit Hypotheken», sagt Bank-Chef Läubli. Das ist auch Folge des Hypothekenmarkts, der in der Stadt Zürich anders als auf dem Land funktioniert: «90 Prozent der Menschen sind Mieter. Unsere Hypothekenkunden sind daher primär Eigentümer von Mehrfamilienhäusern und institutionelle Kunden», erklärt der Leiter von Raiffeisen Zürich. Dabei sind diese Renditeliegenschaften genau der Teil des Immobilienmarktes, der am heissesten gelaufen ist und der deshalb den Stabilitätswächtern von Finma und der Schweizerischen Nationalbank am meisten Sorgen bereitet. Verwaltungsratspräsident Schiesser winkt ab: Das Kreditbuch sei solide, «wir erwarten keinen Einbruch bei den Werten unserer Immobilien», sagt er. Frauen als Anlegerinnen gewinnen Punkten kann Raiffeisen Zürich mit dem eigenen Kompetenzzentrum für Anlageberatung für Frauen – dies sei ein grosser Erfolg und soll weiterhin ein Wachstumstreiber sein. Daneben will die Stadt-Bank mit der Vorsorgeberatung sowie mit Impact-Investing-Produkten zulegen. Ziel sei, dass die Bank um 3 bis 5 Prozent bei den Erträgen wächst. An ihren sechs Geschäftsstellen will Raiffeisen Zürich festhalten, in jeder von ihnen biete die Bank das volle Beratungsangebot. «Wir halten nichts von Geschäftsstellen, in denen nur noch der Empfang besetzt ist und wo keine Beratung mehr stattfindet», sagt Verwaltungsratspräsident Schiesser. 68 Millionen Franken Eigenkapital tönt bei einer Bilanzsumme von 3,3 Milliarden bei Raiffeisen Zürich nach nicht viel. Die harte Eigenkapitalquote liegt bei nur 4 Prozent. Doch die Aufsicht Finma schaut sich nicht Kapitalausstattung der einzelnen Raiffeisen-Banken an, sondern prüft, ob der Verbund insgesamt ausreichend kapitalisiert ist. Die Raiffeisen-Banken haften solidarisch. So gibt es als Sicherheitsnetz den Solidaritätsfonds, in den jede Raiffeisen-Bank einzahlen muss und der rund 340 Millionen Franken schwer ist. «Die Eigenmittelausstattung der Raiffeisen Gruppe übertrifft die regulatorischen Anforderungen klar», betont Bank-Chef Läubli. Auch wenn Raiffeisen Zürich die Eigenständigkeit als Folge des Vincenz-Skandals gewonnen hat – im täglichen Kundenkontakt spiele die Affäre keine Rolle mehr. «Die Kundinnen und Kunden wissen da zu differenzieren», sagt Läubli.