Zum Tod von Pilatus-Patron Oscar Schwenk: Sein letztes Interview mit der Handelszeitung

Hat die Gemeinde Stans schon verkündet, wann sie das Oscar-Schwenk-Denkmal aufstellt – nachdem Sie nun nach vierzig Jahren abtreten? Oscar Schwenk: Es gibt doch schon das Winkelried-Denkmal, es braucht kein Denkmal für mich. Mein Denkmal sind die Pilatus-Flugzeuge am Himmel. Aber bei Pilatus in Stans sei nichts ohne Oscar Schwenk gelaufen, heisst es. Ja, das sagen viele Leute. Pilatus floriert, es sieht für die nächsten fünf Jahre fantastisch aus. Ihre Fans sagen, Sie hätten Pilatus profitabel und bedeutsam gemacht. Ihre Kritiker sagen, Ihr Einfluss sei so gross und konzentriert, das sei ein gefährliches Klumpenrisiko. Ja, das hörte ich oft. Einige Jahre lang war ich auch CEO und Verwaltungsratspräsident. Diese Machtkonzentration habe ich bewusst gewollt. Pilatus hat nicht immer so gut ausgesehen wie jetzt. Wir mussten den Karren aus dem Dreck ziehen. Da muss einer sagen, wie das geht. Aber klar, uns war stets bewusst: Wenn dem Schwenk beim Springreiten oder bei der Jagd etwas zustösst, dann ist niemand da. Warum machen Sie jetzt den Abflug bei Pilatus und geben das VR-Präsidium ab? Das weiss ich selber nicht. Vor zwei Jahren habe ich mal angefangen mit den Aktionären zu reden, um die Übergabe vorzubereiten. Das war gar nicht so einfach, damit das Kommando irgendwann jemand anderes übernimmt.Interview aus dem Jahr 2021 Dieses Interview wurde erstmals am 16.06.2021 in der Handelszeitung veröffentlicht. Unseren Nachruf auf Oscar Schwenk lesen Sie hier. Der Patron Oscar Schwenk (76) studierte anfangs Agrarwissenschaften, machte dann aber ein Ingenieurstudium. Im Jahr 1978 fing er bei Pilatus Aircraft an, wurde später Chief Operation Officer. Viele Jahre lang war er CEO und Verwaltungsratspräsident in Personalunion. Seit Juni 2021 ist Hansueli Loosli VR-Präsident von Pilatus. Schwenk ist Vater von drei Kindern, Ehrenpräsident von Pilatus und arbeitet auf Mandatsbasis weiterhin für das Unternehmen. Zudem ist er Verwaltungsratspräsident der Tochtergesellschaft Pilatus Australia. Haben Sie sich schwergetan mit der Entscheidung? Nein, eigentlich nicht. Ich wollte schon früher abtreten ... ... Ach, das glaubt Ihnen doch niemand. Doch, das können Sie mir glauben. Ich habe hier mein schwarzes Lederbüchlein liegen, und da steht drin, was ich sonst noch alles vorhabe. Was steht denn da drin? Da ist sehr viel drin, das ist meine Bibel. Der vordere Teil ist meine Agenda mit Terminen. Ich mache das nicht auf dem Telefon oder Compi. Ich bin ein visueller Mensch, zeichne gern. Der hintere Teil, das ist der strategische Teil von Pilatus. Und was ich privat noch alles vorhabe. Ich wollte immer mal mit dem Kamel durch die Wüste reiten – wie Lawrence of Arabia. Und wann gehts los mit dem Kamel? Ach, das ist vorbei, dafür bin ich zu alt. Aber ich habe noch meine Pferde, ich werde nun hoffentlich mehr reiten. Das Schöne an dem Büchlein: Oft gucke ich meine Liste an und streiche auch mal was raus und sage: Puh, Pech gehabt, kann ich nicht mehr machen. Manchmal kommt wieder was Neues drauf, es gibt ja noch eine Menge zu machen. Und treten Sie nun komplett ab bei Pilatus? Kein Büro mehr, richtig finito? Nein, ganz finito natürlich nicht. Ich hänge natürlich an Pilatus, war mein Leben lang hier. Habe bei Pilatus viele Freunde und Kollegen. Einmal Pilatus, immer Pilatus! Also treten Sie doch nicht ab? Nein, nein! Nun machen wir Nägel mit Köpfen, ich gehe von der Kommandobrücke. Der Verwaltungsrat hat neue Mitglieder. Ich wollte unbedingt Leute, die etwas geleistet haben im Leben, nicht irgendwas in einer kleinen Firma. Der neue VR-Präsident Hansueli Loosli hat einen sehr guten Leistungsausweis als Unternehmer. Hansueli Loosli hatte Topjobs bei Swisscom und Coop. Aber kann er auch Aviatik? Nein, kann er nicht. Das ist mir auch bewusst gewesen, von Anfang an. Daher muss er sich nun einarbeiten. Dabei helfe ich ihm. Wir haben das miteinander besprochen. Ich will meine Leistung nicht überbewerten, aber: Hansueli Loosli wird nie das mit Pilatus machen können, was ich in vier Jahrzehnten geschafft habe. Das ist unmöglich. Ich bin von Haus aus Ingenieur, habe im Windkanal gearbeitet, kenne die Aviatik sehr gut. Das heisst, Sie flüstern Herrn Loosli ins Ohr, wie es läuft? Hansueli Loosli muss das Unternehmen gut zusammenhalten, es gibt viele intelligente Leute hier. Hansueli Loosli macht weiter seinen Job bei Transgourmet, er wird nie so viel Zeit bei Pilatus verbringen, wie ich das gemacht habe. Das braucht es aber auch gar nicht mehr, wenn man es richtig organisiert. Mir war wichtig: Es braucht einen Nachfolger für mich, der für Pilatus-Werte und den Standort Schweiz einsteht. Wir sind ein Denk- und Werkplatz in der Schweiz, nicht nur eine Managementzentrale. Wie unterscheidet sich der Führungsstil von Herrn Loosli vom Schwenk-Führungsstil? Die Leute sind bisher meinen Führungsstil gewohnt. Was ich weiss: Hansueli Loosli redet mit den Leuten, ist nicht abgehoben. Ein Manager muss aber nicht nur delegieren, er muss auch Details angucken. Kann man mit Ihrem Führungsstil heute noch eine Firma leiten? Sie halten ja wenig von Corporate Governance. Ich bin kein Freund von Corporate Governance, hatte nie Zeit, mich darum zu kümmern. Ich will, dass man ehrlich miteinander umgeht, aber ich brauche keinen Aufpasser. Unsere VR-Mitglieder sind alle stark in Corporate Governance. Ist das gut für Pilatus? Das werden wir sehen. Allein mit Corporate Governance verkaufen wir nicht einen zusätzlichen neuen Flieger. Geht Pilatus an die Börse, wenn Schwenk weg ist? Pilatus geht sicherlich nicht an die Börse, solange ich noch was zu sagen habe. Und das wird noch eine Weile sein.Flieger aus Stans Der Hersteller Pilatus in Stans macht Maschinen wie den PC-7 – der zum Beispiel in den Pilotenausbildung der Schweizer Luftwaffe zum Einsatz kommt –, das einmotorige Turbopropflugzeug vom Typ PC-12, die Trainingsmaschinen fürs Militär vom Typ PC-21 sowie den Businessjet PC-24. Vergangenes Jahr lieferte Pilatus 129 Flugzeuge aus, das sind 5 Maschinen weniger als im Vorjahr. Das Unternehmen erzielte einen Umsatz von 1,12 Milliarden Franken (Vorjahr: 1,17 Milliarden Franken). Das Betriebsergebnis lag mit 155 Millionen Franken knapp über dem Vorjahr (153 Millionen). Das Pilatus-Bestellbuch verfügt über Aufträge im Wert von rund 1,7 Milliarden Franken. Für das Unternehmen sind rund 2200 Mitarbeitende tätig. Gibt es Veränderungen im Pilatus-Aktionariat? Nein, es gibt keine Veränderungen. Wir werden den Verwaltungsrat in Zukunft noch erweitern, damit weitere Experten aus dem Bereich Technik und Aviatik mit dabei sind. Warum hat Pilatus nur Männer aus der Schweiz und keine Frauen im Gremium, auch keine Ausländer? Zumal Ihr Geschäft sehr international ist. Gute Frage. Uns war bisher das Bekenntnis zum Standort Schweiz wichtig. Und ja, meine Meinung zur Frauenquote ist bekannt: Ich halte nichts davon. Aber wenn für eine Position eine Frau ebenso gute Fähigkeiten hat wie ein Mann, dann nehmen wir natürlich die Frau. Ihr grösster Erfolg war, Pilatus gross zu machen. Ihr grösster Misserfolg? Ich konnte eigentlich alles realisieren, was ich mir vorgenommen hatte. Mein grösster Misserfolg ist vielleicht, dass es mir nicht gelungen ist, dem Bund, also in Bern, klarzumachen, dass sie dort eine saubere Meinung vom Werkplatz Schweiz haben und dass sie dennoch oft auf Pilatus rumgehackt haben. Das wäre undenkbar im Ausland. Oft gab es politischen Ärger für Pilatus wegen Geschäften in Ländern wie Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, Stichwort Söldnergesetz. Gibt es in Zukunft mehr oder weniger politischen Druck aus Bern? Das weiss ich nicht, hängt auch von der politischen Ausrichtung der Schweiz ab und dem Verhalten mancher aggressiver Randgruppen. Setzt Pilatus mehr auf das zivile oder auf das militärische Geschäft? Es wird wohl fifty-fifty sein, wenn man die PC-12 und PC-24 für die Regierungen einrechnet. Aber es kann auch zu 75 Prozent zivil werden. Pilatus wird immer Trainingsflieger fürs Militär anbieten. Australien ist sehr happy mit uns, in Spanien haben wir kürzlich einen Auftrag gewonnen. Weitere sind in der Pipeline, aber solche Geschäfte dauern vier bis fünf Jahre bis zum Abschluss. Sie sagen selbst, mit Ihnen zu arbeiten, sei nicht leicht. Würden Sie rückblickend sagen, Sie hätten manchmal diplomatischer sein sollen? Nein, sicher nicht. Die Geschichte hat mir recht gegeben. Und: Je älter ich werde, desto radikaler werde ich. Eigentlich müsste es ja andersrum sein. Aber ich habe nur noch wenig Zeit, etwas umzusetzen, also muss es schneller passieren. Und dann wird es eben radikaler. Das ewige Drumherumreden bringt uns nicht weiter. Mein Leitsatz, den ich mir daheim auf einem Balken eingraviert habe, lautet: Tue recht und scheue niemanden. Und daran habe ich mich ein Leben lang gehalten. Es ist nicht immer leicht, aber ich glaube, dass das richtig ist. Vor über vierzig Jahren haben meine Kollegen befürchtet, ich werde nur ein Manager sein, der Sachen sagt, die er gar nicht meint. Ich habe geantwortet: Ich komme mit Vollbart rein bei Pilatus und gehe auch mit Vollbart wieder raus. Mir ist es gelungen, authentisch zu bleiben. Auch wenn ich früher Auseinandersetzungen hatte mit Anteilseignern wie Oerlikon-Bührle. Damals war der Bau des Pilatus-Fliegers PC-12 zweimal eingestellt worden. Sie hingegen forcierten den Weiterbau. Es gab bei Pilatus einen kleinen, eingeschworenen Kreis, der daran geglaubt hat, während die Geschäftsleitung zerstritten war. Dann haben Sie Fakten geschaffen? Ja, das war so. Ein grosser Erfolg war, als das Flugzeug endlich zertifiziert wurde, als Erstes sogar von der FAA in den USA. Das Problem war, dass es damals Pilatus nicht so gut ging, das Geld fehlte. Wir brauchten 20 Millionen Franken von den Banken. Am Ende ist es dann doch noch gut gekommen, sonst gäbe es Pilatus nicht mehr. Später gingen Sie mit dem PC-24 eine riskante Wette ein: Erstmals baute Pilatus statt Propellerflugzeugen einen Businessjet. Als wir mit dem PC-24 kamen, hatte Pilatus bereits eine Reputation – so gesehen war es ein klein wenig leichter als mit dem PC-12. Hundert PC-24 sind verkauft. Ist damit der Höhepunkt erreicht? Ich sehe die Verkaufszahlen bei mindestens 2000 PC-24-Flugzeugen. Derzeit haben wir noch einige Kinderkrankheiten zu klären, einige Flieger stehen am Boden; das kostet uns viel Geld. Wir kümmern uns aber um unsere Kunden. Auch manche verbauten Komponenten, die uns geliefert worden sind, sind zu wenig zuverlässig, daran arbeiten wir. Wegen Corona gab es zudem Probleme bei der Lieferkette – und die Fabrik eines Zulieferers ist abgebrannt. Das ist schlecht für uns. Aber das Geschäft wird sich wieder erholen. Der Bundesrat fliegt PC-24. Warum die Rega nicht? Mit der Rega rede ich noch, aber die Flying Doctors in Australien nutzen den PC-24 als Rettungsjet, ebenso andere Länder, zumal er auf sehr kurzen Naturpisten starten und landen kann. Erwägt Pilatus den Bau eines neuen Flugzeugs? Dazu kann ich nichts Konkretes sagen. Grundsätzlich gilt, gerade im Bereich der kleineren Flugzeuge mit Elektro oder aus Carbon: Wir können das, wir würden auch Kunden finden. Aber lässt sich damit Geld verdienen, zumal wir in der Schweiz produzieren? Hinzu kommt: Wenn wir jetzt einen neuen Flieger planen und bauen, ist der erst in acht bis zehn Jahren fertig. Was sind nun die Herausforderungen? Wir verkaufen mehr Flieger, als wir liefern können. Das ist fantastisch, aber wie bekommen wir noch mehr Flugzeuge raus? Die Firma läuft auf Hochtouren. Die Produktion hochzufahren, ist mit der jetzigen Infrastruktur nicht möglich. Daher bauen wir auch ein neues Spritzwerk in den USA. Und in China? Bauen Sie da aus? In China bauen wir nur ab. Es tut mir leid, ich habe früher an China geglaubt, aber China ist ein unzuverlässiger, arroganter Geschäftspartner. Also liegt die Zukunft von Pilatus in den USA und in Europa? Ja, aber auch in Südamerika und Australien läuft es gut. Sechzig bis siebzig Flieger von uns sind schon in Australien. Wir wollen dort auch den Unterhalt selbst machen und haben dafür nun vor Ort ein Firmengebäude errichtet. Auch in Afrika interessieren sich immer mehr Kunden für uns. Sie verkaufen seit vierzig Jahren Flugzeuge made in Switzerland. Wie macht man Geschäfte mit Regierungen, Privatjetbesitzern und Ölscheichs? Das Regierungsgeschäft und der zivile Markt sind total unterschiedlich: Staaten zum Beispiel geben ein Budget vor, oft kommt es aber aus politischen Gründen zu Verzögerungen. Ich habe gelernt, dass das normal ist. Wenn man im Nahen Osten verkauft, zählt der Kontakt zu den Herrscherfamilien viel mehr: Entweder ist man da eine Persona non grata oder nicht. Es braucht sehr lange, bis sie an dich glauben, und es braucht sehr wenig, damit das Vertrauen wieder verspielt ist. Legendär sind Ihre frühen Meetings. Wann stehen Sie auf? Immer um 4 Uhr. Ich muss E-Mails beantworten oder Sachverhalte fertig denken und bin zu diesem Zweck ab 4.45 Uhr im Büro. Und um 7 Uhr fängt der Tag an. Das hat sich so eingespielt. Wenn es mal nicht so gut läuft mit den Geschäften, dann machen wir unsere ominöse 7-Uhr-Sitzung, also ein Crash-Meeting. Dann müssen alle Beteiligten kommen – und wehe, wenn sie nicht vorbereitet sind. Aber es gibt auch Leute, die schaffen gerne abends, jeder, wie er will. Homeoffice ist sicher nichts für Sie? Homeoffice ist Unsinn. Für eine bestimmte Zeit ist das okay – oder wenn man ein Projekt in Ruhe fertig machen muss. Aber ständig die Leute im Homeoffice? Wie will man die denn führen? Wir haben auch noch Mitarbeitende im Homeoffice, wegen der Corona-Regeln. Aber ich brauche Mitarbeitende, die mir als Sparringpartner direkten Widerspruch geben, das geht nicht im Homeoffice. Als wir den PC-24 entwickelt und gebaut haben: Stellen Sie sich das mal im Homeoffice vor. Undenkbar! Das ist ein ständiges Ringen und Kämpfen um die besten Ideen, das geht nicht von daheim aus. Sie sind schon lange Landwirt, ein Grossteil Ihrer Altersvorsorge steckt in Ihrer Angusrinderzucht in Australien. Hat sich das Investment gelohnt? Ich hatte neben Pilatus immer eigene Firmen, bin Unternehmer. Das konnte ich nicht einfach abgeben. Das Angusgeschäft läuft gut. Ich habe auch meine Landwirtschaft in der Schweiz ausgebaut, habe zudem viel Wald hier. Da arbeite ich mit ganz anderen Leuten als mit jenen Menschen, mit denen ich bisweilen in der globalen Aviatik zu tun habe. Wer im Forst arbeitet, geht nicht für 400 Franken mittagessen. Ihnen gehört auch die Wassermarke Knutwiler. Was läuft besser: Fleisch oder Wasser? Beides geht gut, aber wegen Corona hat die Gastronomie sehr gelitten; das hat Knutwiler gespürt. Zumal auch viele Grossveranstaltungen wie zum Beispiel Schwingfeste ausgefallen waren. Nun geht es wieder langsam los.

Zum Tod von Pilatus-Patron Oscar Schwenk: Sein letztes Interview mit der Handelszeitung

«Mein Denkmal sind die Pilatus-Flugzeuge am Himmel»