Ukraine-Konflikt: Schweizer Firmen sind für die Krise gerüstet

Geschäfte machen in einem Krisengebiet – das gehört wohl zu den schwierigsten Aufgaben für ein Unternehmen. Es muss die Risiken einschätzen und umfangreiche Vorkehrungen treffen, damit bei Kriegsausbruch oder einem Zusammenbruch der Volkswirtschaft im Zielmarkt nicht Umsatz, Assets oder gar Menschen verloren gehen. Die Ukraine hat inzwischen den Notstand ausgerufen. Seit 2015 ist die Ukraine zu einem florierenden Handelspartner für die Schweiz herangewachsen. Die Exporte in die Ukraine haben sich auf 539 Millionen Franken mehr als verdoppelt. Besonders die Pharmabranche und Hersteller von Industriekomponenten konnten gutes Geschäft in der Ukraine machen, sei es mit Direktverkäufen oder eigenen Produktionen im Land. Auch für kleinere Firmen bieten sich Chancen. Daher ist die Schweiz nicht wenig exponiert, wenn es um Standorte, Lieferanten und Angestellte geht. Das Land ist trotz der jahrelangen Konfliktsituation mit Russland stets ein aussichtsreicher Hoffnungsmarkt gewesen. Ob sich das ändern wird, wenn sich die Lage zuspitzt und russische Panzer auf Kiew zurollen, ist ungewiss. Als letztes Schweizer Unternehmen hat sich kürzlich Clariant mit seiner Katalysatorenproduktion aus der umkämpften Ostprovinz Luhansk verabschiedet. Gutes Geschäft Die Hauptstadt Kiew ist das Zentrum für die meisten Schweizer Firmen in der Ukraine. ABB hat zwei Niederlassungen im Land, eine in Lwiw im Westen des Landes und das Hauptquartier in Kiew beim Businesspark Protasov. Alcon hat mit Alkon Farmas einen Standort nahe des Dnepr-Flusses, die Hauptwasserstrasse in der Ukraine durch Kiew hindurch. Geberit ist mit zwei Standorten präsent und unterhält eine Keramikproduktion in Khmelnizkyi. In den vergangenen drei Jahren gab es bereits Anpassungen bei der Belegschaft, Lieferanten wurden unter die Lupe genommen – und wo in der Lieferkette Korrekturen erforderlich waren, wurden diese durchgeführt. Auch der Aromenhersteller Givaudan hat eine Repräsentanz in Kiew, an einer Luxusmeile mit Shops von Chanel, Dolce & Gabbana, Yves Saint Laurent und Tiffany & Co. Die meisten grösseren Unternehmen und SMI-Titel sind in der einen oder anderen Form in der Ukraine vertreten. Nestlé mit drei Fabriken, für Fertiggerichte, Konfekt und Getränkepulver. Pharma mit Roche, Novartis und Acino. Roche sucht derzeit einen Chefbuchhalter für die Ukraine, der in Sachen Compliance und Geschäftsethik ein «Vorbild» ist, wie es in der Ausschreibung heisst. Novartis ist mit rund 500 Mitarbeitenden in der Ukraine vertreten und hat Massnahmen zu deren Schutz ergriffen sowie «Business Continuity»-Pläne für den Ernstfall in der Schublade. Der mittelgrosse Zürcher Generikahersteller Acino hat ebenfalls einen Standort in Kiew. Sika ist seit 2004 in der Ukraine und exportiert vor allem aus seinen Lagern und Fabriken in der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Italien und Polen Materialien in die Ukraine. Die Hauptvertriebskanäle sind Direktverkäufe an bestimmte Projekte über ein Händlernetz. Von Panik keine Rede. Drei kritische Punkte Aus der fernen Schweiz klingt das so: «Wir erwarten keinen Ansturm in der aktuellen Situation auf die Beratungen von Switzerland Global Enterprise (S-GE), es sei denn, die Schweiz ergreift ebenfalls neue Massnahmen oder Sanktionen», sagt Michael Kühn, Osteuropa-Experte von S-GE. Die Plattform berät Schweizer Firmen weltweit bei Exportgeschäften. Vieles hänge davon ab, wie die Sanktionen im Detail ausfallen und umgesetzt werden. Die Frage sei, ob sich die Schweiz allen Sanktionen im Zusammenhang mit Russland anschliessen werde. «Ich gehe davon aus, dass das von Fall zu Fall entschieden wird», sagt Kühn. Drei Punkte sieht er allerdings kritisch. Erstens: Die Bewilligungspflichten für Dual-Use-Güter könnten noch komplizierter werden, als sie es ohnehin schon sind. Zweitens: Lieferketten könnten unterbrochen werden, dadurch könnten Absatzmärkte wegbrechen und schliesslich verloren gehen. Und drittens: Wenn Schweizer Exporteure in den Währungsräumen Russland und Ukraine ihre Produkte verkaufen und die Landeswährungen absacken, «dann kann es schnell passieren, dass die Produkte plötzlich zu teuer sind». KMU aus der Schweiz, die beispielsweise Konsumgüter wie Kosmetikartikel dorthin exportieren, könnten betroffen sein. Oder Firmen, die Käse und Schoggi exportieren. «Und damit auch grössere Hersteller wie etwa Nestlé oder Lindt», so Kühn. Grosse Firmen haben eher Fachleute und eigene Abteilungen für solche Fälle eingerichtet. Da tun sich KMU vergleichsweise schwer und benötigen manchmal externe Beratungen. Auch die Anpassung der Lieferkette in Krisensituationen ist für grosse Firmen einfacher als für kleinere. Weitermachen ist das Motto Von Letzteren gibt es viele, die in der Ukraine unterwegs sind, nicht nur börsenkotierte grosse Konzerne. Sondern auch viele familiengeführte Unternehmen und KMU. Bühler, Spezialist für Getreideverarbeitungsmaschinen, gehört da zu den Grösseren und hat erst Ende 2021 neue Aufträge erhalten. Die Ukraine ist eine der grössten Getreidelieferanten der Welt. Bühler lieferte Kornförderbänder für die Lagerung. Pläne zum Schutz der lokalen Mitarbeitenden liegen vor. Die Ostschweizer Glas Trösch Gruppe stellt Kunststoff-Metall-Fenster in Sitscheslaw (früher Dnipropetrowsk) her. Dieser Landesbezirk grenzt direkt an die heisse Zone von Donezk, wo derzeit russische Panzer einfahren. Einmal mehr gilt für alle Unternehmen in der einen oder anderen Form: weitermachen. Ausgeprägter Überlebenswillen Selbst ganz kleine Firmen leisten ihre eigene Art von Widerstand. Gary Honegger lebt vor Ort und hat eine IT-Firma, unweit von Kiew. Grosse Contingency-Pläne hat er nicht. Bei grossen Firmen gehe es in diesen Plänen ja meist darum, wie man die Stromversorgung und das Internet aufrechterhält und die eigenen Daten und Anlagen schützt. «Wir arbeiten ungestört weiter», sagt Honegger im Gespräch der «Handelszeitung». Seit acht Jahren lebt er mit dem latenten Kriegszustand zwischen der Ukraine und Russland. Die aktuellen Entwicklungen hauen ihn daher nicht mehr vom Hocker. Und wenn etwas passieren sollte, werde Honegger seine Firma nach Lwiw in den Westen des Landes verlegen und dort sein Geschäft fortsetzen. «Die Menschen hier sind unglaublich flexibel. Mit einem ausgeprägten Überlebenswillen.» Für Honeggers Frau sei die Lage ein wenig anders, erzählt der Unternehmer. Sie stellt mit der Firma Ober Elektrokästen für die Bauindustrie her. In diesem Bereich spüre man, wie es enger wird. «Projekte werden gestoppt, es wird nicht mehr investiert.» Panikmache sei dabei nicht hilfreich. Zum Ukraine-Krieg Druckmittel Swift: So würde Russland vom Bankenverkehr abgeschnitten Zwei Software-Unternehmer aus der Ukraine erzählen Es braucht Sanktionen – auch aus der Schweiz! Im Krieg bietet die Schweizer Börsen einen Fluchtpunkt Dmytro Sidenko: «Grosse Verluste auf beiden Seiten» Auf den Schock folgt meist der Rebound Öl und Krieg: Drei Aktien im Fokus Gold gewinnt: Ukraine-Konflikt schafft Chancen

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