An der «Swiss Startup Tour» vergangene Woche tourten zehn Schweizer Startups durch fünf deutsche Städte. Während vier Tagen hatten die Startups Halt in Stuttgart, Düsseldorf, Hamburg und Rostock gemacht. Am fünften Tag erfolgte schliesslich das Finale in Berlin. Ziel der Tour war es, Schweizer eHealth-Startups in Deutschland besser bekannt zu machen und Partner zu finden.

Deutschland steht erst am Anfang von Telemedizin

In Berlin wurden die Vertreter der Startups im Herzen der deutschen Hauptstadt empfangen – in der Schweizer Botschaft im Regierungsviertel. Dort hielt der Schweizer Botschafter in Berlin, Paul Seger, eine Begrüssungsrede für die versammelten Startups und Gesundheitsvertreter. 

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Vor Ort waren wie auch in den anderen Städten zahlreiche Personen von Krankenkassen, Spitälern oder dem Bund, um sich Schweizer Innovation anzusehen. Im Gesundheitsbereich hat Deutschland nämlich «noch einiges aufzuholen», wie Gottfried Ludewig in seiner Keynote einräumte. Er ist Chef der Abteilung Digitalisierung des Gesundheitswesens beim deutschen Bundesministerium für Gesundheit und direkt dem deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn unterstellt. 

Ludewig stellte klar, dass Deutschland grossen Bedarf an neuen Lösungen im Gesundheitsbereich habe. Schliesslich förderte eine Studie der Bertelsmann-Stiftung vom vergangenen November wenig Erfreuliches zutage: Die Studie hat 17 Länder in Europa verglichen, wie weit sie bei der Digitalisierung der Gesundheitsbranche fortgeschritten sind. Deutschland lag auf dem zweitletzten Platz, knapp vor Polen. 

Ludewig

Gottfried Ludewig, Chef der Abteilung Digitalisierung des Gesundheitswesens beim deutschen Bundesministerium für Gesundheit.

Quelle: Switzerland Global Enterprise

sDie Pitches der Gründer oder Geschäftsführer der Startups stiessen beim Publikum auf reges Interesse, insbesondere bei Smartphone-Anwendungen: So etwa die Dermatologie-App OnlineDoctor zum Scannen von Hautflecken mit dem Smartphone oder auch die Video-App von eedoctors für eine virtuelle Sprechstunde beim Arzt.

Dass man sich so rasch und einfach per Video einer Konsultation unterziehen kann und danach gleich ein Rezept per Mail zugestellt bekommt, hat einige Anwesende beeindruckt. Schliesslich ist Telemedizin in Deutschland erst seit Kurzem erlaubt. Am Deutschen Ärztetag vor einem Jahr hatten die Mediziner entschieden, dass sie Patienten auch per Telemedizin behandeln dürfen. Trotz dieser Regelung verläuft die Innovation mit eHealth in Deutschland nur schleppend. 

Geschäftsmodell an den deutschen Markt anpassen

Das haben auch die Vertreter der Schweizer Startups auf ihrer Tour bemerkt: «Wir können uns mit unserem Startup wegen der gesetzlichen Regelung in Deutschland noch nicht auf Krankenkassen als künftige Kunden konzentrieren, sondern versuchen zunächst, Spitäler sowie Pharma- und Medtechfirmen anzugehen», sagt Ulrich Mühlner, Mitgründer und Geschäftsführer von Docdok Health. Docdok ist eine cloud-basierte, in Klinik- und Praxissoftwarelösungen integrierte Arzt-Patienten-Kommunikations-Plattform, welche für Forschung, Studien und Qualitätsmessungen eingesetzt wird.

Die Idee einer Länder-Tour von Schweizer Startups mit einem bestimmten Themengebiet findet Mühlner sinnvoll. Für ein abschliessendes Fazit sei es aber trotz vielversprechender Kontakte und Resonanz noch zu früh. Er will noch zuwarten, ob sich im Anschluss daraus die eine oder andere konkrete Zusammenarbeit ergibt. «Dann hätte sich mein Zeit-Investment von einer Woche voll gelohnt», sagt der Ex-Novartis-Mann. 

Den deutschen Markt kennt Mühlner gut, weil er selbst aus Deutschland stammt. «Für die Gründer, die aus der Schweiz stammen, war der Einblick in dieser Woche durch all die Teilnehmer lehrreich, weil die Unterschiede der beiden Märkte grösser sind als man zuerst annehmen könnte.»

«Die Unterschiede der beiden Märkte grösser sind als man zuerst annehmen könnte.»

 

Exploris

Nachdem Pitch vor Vertretern der deutschen Gesundheitsbranche konnten sich die Startups an Ständen in der Schweizer Botschaft in Berlin vorstellen.

Quelle: David Torcasso

Dass sich der deutsche Gesundheitsmarkt derzeit im Aufbruch befindet, bestätigt auch Natascha Steinmann. Sie arbeitet bei der regionalen Krankenkasse AOK Nordost, eine der grössten Krankenversicherer in der Region Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern Dort ist sie für das Versorgungsmanagement zuständig – ein Bereich, der sich seit 2006 zum Thema Digitalisierung geöffnet hat.

Steinmann ist in die Schweizer Botschaft gekommen, um sich die Geschäftsideen der Schweizer Startups anzuschauen und allenfalls Kooperationen aufzugleisen. Sie findet die Ideen und Ansätze interessant, betont aber auch: «Diese Anwendungen würden zwar die Interaktion zwischen Arzt und Patient erleichtern und verbessern – trotzdem sind diese Leistungen heute von den Krankenkassen in Deutschland grösstenteils noch nicht gedeckt.»

Digitale Anwendungen sind (noch) nicht durch die Krankenkasse gedeckt

Genau dort will Steinmann den Hebel ansetzen und mehr digitale Lösungen in das Portfolio der AOK aufnehmen. Doch Innovation sei ein langer Prozess: «Auch wenn ich selbst von einigen Technologien, die hier präsentiert werden, begeistert bin, bedeutet das nicht, dass wir diese dann in unser Angebot aufnehmen können», sagt Steinmann. «Wir müssen zuerst mit verschiedenen bereichsinternen Abteilungen über den Mehrwert oder die Refinanzierung solcher Ideen diskutieren, bevor wir ein Angebot wie etwa das Scannen der Haut mittels Smartphone endgültig in unsere Leistungen aufnehmen können.»

Steinmann

Natascha Steinmann sucht für die Krankenkasse AOK Nordost Inspirationen für neue Geschäftsmodelle.

Quelle: David Torcasso

Auch auf der Ausschau nach spannenden Startups ist Julian Ramirez. Aber nicht um mit ihnen eine Zusammenarbeit einzugehen, sondern um sie in die Startup-Metropole Berlin zu locken. Ramirez ist bei Berlin Partner, der Standortförderung der deutschen Hauptstadt, für MedTech, Healthcare und Digital Health zuständig. Die «Startup Tour» passt also genau in sein Themenfeld. 

Dass sich Schweizer Startups in Deutschland bekannt machen möchten, freut Ramirez. Für ihn ist klar, dass sie ihre Deutschland-Expansion von Berlin aus starten sollen. Die Hauptstadt biete das optimale Umfeld für Startups, «und zwar auch für Healthcare-Unternehmen», betont er.

Berlin will auch Digital Health

Auch wenn Berlin für Unternehmen wie etwa Zalando bekannt ist, will sich die deutsche Hauptstadt künftig auch im Bereich Digital Health positionieren. «Wir sind überzeugt, dass Startups, die eine innovative E-Commerce-Plattform betreiben, genauso gut ihr Wissen und Know-how im Gesundheitsmarkt einbringen und diesen revolutionieren können», sagt Ramirez

Deshalb spricht Ramirez an diesem Nachmittag in der Schweizer Botschaft mit Philipp Wustrow von St.Galler Startup OnlineDoctor. Schliesslich will das Startup seine App auch bald in Deutschland ausrollen. Berlin wäre der ideale Ausgangspunkt dafür, sagt Ramirez.

Falls sich ein Schweizer Jungunternehmen tatsächlich für einen Zweitsitz in Berlin entscheiden würde, könne es von zahlreichen Angeboten und Vergütungen profitieren. 

Julian Ramirez

Julian Ramirez vom Standortförderer Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie möchte Schweizer Startups, die nach Deutschland expandieren, in der Hauptstadt ansiedeln.

Quelle: David Torcasso

Carol Krech vom Startup Misanto aus Frauenfeld zieht eine positive Bilanz über die Woche in Deutschland: «Wir konnten einige wertvolle Kontakte knüpfen und hoffen, dass sich daraus einige Leads ergeben», sagt die Jungunternehmerin, die mit Misanto einen Familienbetrieb führt.

Ihr Vater, ein Mediziner, hat das Unternehmen gegründet und schliesslich seine beiden Töchter an Bord geholt. Misanto bietet eine digitale Lösung für die Speicherung von Gesundheitsdaten an. Auf der Tour ist Krech auf der Suche nach potenziellen Nutzern, also Apotheken, Versicherungen, Spitäler oder Patientenorganisationen.

Bei der «Startup Tour» ging es Krech aber nicht nur um möglichst viele Geschäftsabschlüsse, sondern sie habe auch einiges über den Gesundheitsmarkt Deutschland erfahren, das sie vorher nicht wusste. Aber auch der Austausch unter den zehn Startups auf der Tour sei hilfreich gewesen, sagt Krech. «Wir stehen alle vor den ähnlichen Herausforderungen.»

Carol Krech und Philipp Wustrow

Carole Krech (l.) von Misanto und Philipp Wustrow vom Startup OnlineDoctor:: «Der Austausch unter den Startups war sehr hilfreich»

Quelle: David Torcasso

Max Sieghold, Mitgründer und CFO des Zürcher Startups Sleepiz pflichtet ihr bei: «Diese Woche hat einen sehr intensiven Austausch untereinander ermöglicht, da wir zusammen gereist, gegessen und die Pitches durchgeführt haben. Ein solches Erlebnis schweisst zusammen.»

Mit seinem Startup bietet Sieghold ein Gerät an, welches vom Nachttisch aus das Schlafverhalten analysieren kann und gegebenenfalls Diagnosen über Schlafapnoe oder andere Krankheiten abgeben kann. Diese Lösung entlaste Krankenhäuser, wo bis anhin solche Schlafdiagnosen hätten durchgeführt werden müssen, sagt Sieghold.

«Wir konnten wertvolle Kontakte knüpfen und hoffen, dass sich daraus einige Leads ergeben»

Seine Ewartungen an dem konkreten geschäftlichen Output aus der Woche ist nicht allzu hoch. Trotzdem habe sich die Teilnahme gelohnt, um auch zu sehen, wie andere Märkte ausserhalb der Schweiz funktionieren. «Zudem geht es nicht um die Quantität von Kontakten, sondern die Qualität. Wenn sich nur eine Zusammenarbeit ergibt, hat sich der Aufwand schon gelohnt», sagt der Jungunternehmer. 

Nadja Kolb vom Exportförderer «Switzerland Global Enterprise» hat die Startup-Tour mitorganisiert und die Teilnehmer an die Pitches vor Ort eingeladen. Sie ist zufrieden mit der Durchführung und überlegt nun, ob auch im nächsten Jahr wieder eine «Swiss Startup Tour» stattfinden soll. Allenfalls mit einem anderen Schwerpunkt und in einem anderen Land. 

Die zehn Startups der «Swiss Startup Tour»

Hi-D Imaging

Hi-D Imaging ist ein MedTech Startup-Unternehmen mit Sitz in Zürich, das einen neuartigen, masgeschneiderten Herzklappenauswahlservice für Ärzte und Kardiologen vor der Herzklappen-Implantation anbietet. Das derzeitige Verfahren ist so konzipiert, dass die Ärzte die Herzklappen für ihre Patienten mit sehr begrenzten Informationen auswählen, was zu erheblichen Komplikationen nach der Operation führen kann. Der Service von Hi-D basiert auf der Analyse der Blutflussmuster in vitro mit einer optischen Bildgebungstechnik innerhalb eines anatomisch genauen Silikonmodells, das mittels CT-Scans der Patienten erstellt wurde.

Exploris

Der Cardioexplorer von Exploris ist der erste einfache kardiovaskuläre Diagnosetest zum aktuellen Nachweis/Ausschluss lebensbedrohlicher Verengungen der Herzarterien - der Hauptursache für Herzinfarkte. Exploris Health hat die proprietäre AI-Plattform in mehr als 15 Jahren entwickelt. Exploris Health ist ein führender Anbieter von KI-basierter Diagnostik und Therapieberatung in der Kardiologie. Im Jahr 2018 wurde Exploris health zusammen mit vier europäischen Kliniken als Partner in einem EU-Interreg-Projekt und einem Horizont-2020-Projekt für die Entwicklung der nächsten Generation von Kardiologieprodukten nominiert.

docdok.health

Docdok ist eine cloud-basierte, in Klinik- und Praxissoftwarelösungen integrierte Plattform, welche sowohl klinisch als auch für Forschung, Studien und Qualitätsmessungen eingesetzt wird. Über einen sicheren Kommunikationskanal wird die Arzt-Patienten Beziehung digitalisiert. Prozessoptimierungen an der Schnittstelle Arzt/Patient machen docdok für Spitäler und Praxen zu einer universellen Lösung. Docdok wird bereits von zahlreichen Uni-Kliniken, Pharma- und Medtech-Firmen wie auch von Ärzten in der Praxis erfolgreich eingesetzt.

HosPush

Das Startup HosPush entwickelt Softwarelösungen für Spitäler und Pflegeeinrichtungen. Das Team besteht aus Fachkräften mit Erfahrung im Gesundheitswesen und in der Softwareentwicklung. Mit der Softwarelösung ONE kann eine Steigerung der Pflegequalität, aber auch der Patientenzufriedenheit erreicht werden. Patienten können über das iPad direkt mit der Pflegefachperson kommunizieren und erhalten schneller individuelle Unterstützung.

Misanto

Misanto bietet eine Lösung für die dezentrale Speicherung von Gesundheitsdaten. Durch die proprietäre IT-Technologie konsolidiert das Unternehmen Gesundheitsdaten aus verschiedenen Quellen, einschliesslich Gesundheits- und Fitness-Trackern an einem sicheren Ort auf eine nicht identifizierte Weise. Misanto bietet seinen Nutzern zudem einen Symptom-Checker. Im Gegensatz zu den vielen auf dem Markt erhältlichen Symptom-Checker-Apps wird dieser durch Telemedizin unterstützt. 

Leitwert

Das Unternehmen Leitwert stellt eine IoT-Infrastruktur zur Verfügung, die automatisierte Datenerfassung von tragbaren Medizinprodukten und mobilen Biosensoren ermöglichen und eine Patientenüberwachung in Krankenhäusern und zu Hause sicherstellen.  Die geräteunabhängigen Systeme von Leitwert zur Datenaggregation aus Medizinprodukten ermöglichen das automatisierte Auslesen von Wearables, die von stationären oder entfernten Patienten getragen werden.

Medisanté

Auch dieses Startup widmet sich IoT. Medisanté verbindet die vom Patienten selbst gemessenen Gesundheitsdaten. Das sind medizinische Geräte mit einer globalen IoT-SIM-Karte, welche die Vitaldaten der Patienten in Echtzeit an den Gesundheitsversorger senden. Die automatische und sichere Datenübermittlung via Cloud ermöglicht eine 24/7-Überwachung von einem Gesundheitsversorger aus der Ferne.

Sleepiz

Das Startup wurde von Studenten der ETH Zürich und der Universität St.Gallen gegründet. Sleepiz hat eine Box geschaffen, welche die Atmung, Herzfrequenz und Aktivität einer Person in der Nacht kontaktlos analysiert. Mithilfe dieser Daten sind Ärzte sind nun in der Lage, Schlafkrankheiten zu diagnostizieren, während der Patient zu Hause im eigenen Bett schläft. Dadurch werden Kliniken entlastet, Wartezeiten verkürzt und der Zugang zu Untersuchungen für den Patienten erleichtert.

OnlineDoctor

Mit dem Haut-Check von OnlineDoctor erhalten Patienten oder Zuweiser innerhalb weniger Stunden von ihrem Wunsch-Dermatologen eine professionelle Handlungsempfehlung inklusive Diagnose. Knapp 100 niedergelassene Dermatologen und mehrere dermatologische Kliniken in der Schweiz nutzen bereits heute die Plattform, die ihren Berufsalltag unterstützt und wichtige praxisinterne Prozesse optimiert. Die Daten erfolgen mittels Foto mit dem Smartphone und Einschicken der Fotos an die Plattform. 

eedoctors

Das Startup bietet eine ärztliche Erstversorgung über eine Smartphone-App an. Die Online-Patienten profitieren bei der Videoverbindung über eine persönliche Beratung. Das Startup behauptet, dass 70% aller Allgemeinmedizinischen Krankheitsbilder durch eedoctors über eine Videokonsultation behandelt werden können. Dazu gibt es ein Online-Rezept, das direkt von der App heruntergeladen werden kann.