Sergio Ermotti fürchtet sinkende Gewinne bei Firmen aufgrund der Inflation

Sie sind seit vielen Jahren Präsident des Tessiner Fussballclubs Collina d’Oro. Da ist jetzt bei Ihnen jeden Abend Fussball-WM in Katar angesagt? Das eine oder andere Spiel lasse ich mir nicht entgehen, aber – abgesehen von den Schweizer Spielen – mit einer gewissen Distanz. Katar wird hart kritisiert. Da sehe ich eine gewisse Hypokrisie. Diesen Widerstand und diese Kritik hätte man artikulieren müssen, als der Entscheid für Katar getroffen wurde, das war vor zwölf Jahren. Heute halte ich die Kritik für überzogen, mich interessieren jetzt die Spiele. Ist die Swiss Re bei der WM als Rückversicherer involviert? Immerhin gehts um einen Milliardenevent? Ich kann mich nicht zu einzelnen potenziellen Kunden äussern, aber klar ist, dass die Swiss Re bei vielen Grossevents dieser Welt in einer Form involviert ist, sei es in Sport, Kunst oder Unterhaltung. Ihre Swiss Re kämpft aktuell mit galoppierender Inflation, Ukraine-Krieg, steigenden Zinsen, explodierenden Energiepreisen. Was ist das Thema, das Sie mit Blick auf 2023 am meisten beschäftigt? Wenn es nur ein Thema wäre, hätten wir schon die Hälfte der Lösung. (lacht) Im Ernst: Diese Themen werden uns alle weiterhin beschäftigen – sowie neue Themen, die in den nächsten Monaten dazukommen werden und die wir heute noch gar nicht kennen. Von den bekannten Problemen ist die Inflation wohl das grösste? Man hat sie lange unterschätzt. Wir haben vielleicht den Peak schon erreicht, aber das heisst noch lange nicht, dass wir nun die Inflation im Griff hätten. Die letzten 10, 15 Jahre haben uns gelehrt, dass makroökonomische Trends meistens länger anhalten, als man erwartet – das gilt für alle Trends. Wie lange? Im Normalfall dauert es 12 bis 18 Monate, bis die Inflation unter Kontrolle ist. Ich hoffe, dass es diesmal wieder so sein wird. Die Frage ist, ob man die Inflation bekämpfen kann und es gelingt, gleichzeitig eine Rezession zu vermeiden. Klar, wir wünschen uns alle, ohne Schmerzen da rauszukommen. Aber wie realistisch ist es, die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen, ohne dass es zu einer Rezession kommt? Das halte ich nicht für realistisch. Die Fiskalmassnahmen, die da und dort von Regierungen implementiert werden oder der Griff zu Helikoptergeld sind jedenfalls keine Lösung. Immerhin sind wir die Negativzinsen los. Sind Sie sicher? Heute sind wir in einem noch stärkeren Negativzinsumfeld, wenn man die Inflation mit einrechnet – die Realverzinsung ist negativ. Das hat grosse Konsequenzen auf die Kaufkraft der Investorinnen und Lohnbezüger. Und es wird auch einen negativen Effekt auf die Profitabilität der Firmen haben. Das besorgt mich; da schlummern soziale Kosten. Gut, der Mittelstand kommt halbwegs über die Runden, aber die Menschen mit tieferen Einkommen trifft es härter.Vom Stift zum Boss Der 62-Jährige ist seit April vergangenen Jahres Verwaltungsratspräsident der Swiss Re, 2020 zog er dort ins Board ein. Zuvor war er neun Jahre Chef der UBS und massgeblich für die Neuaufstellung der Grossbank verantwortlich. Ermotti hat sich vom Banklehrling zum Bankboss hochgearbeitet. Seine Ausbildung machte der Tessiner bei der Cornèr Bank in Lugano. Bei Merrill Lynch wurde er zum Investmentbanker, bevor er 2007 als Vizechef bei der italienischen Grossbank Unicredit einstieg. Als er dort bei der Nachfolgeregelung des damaligen Bankchefs Alessandro Profumo übergangen wurde, wechselte er zur UBS, wo man ihn 2011 in die Konzernleitung berief. Schon als UBS-Chef hat sich Ermotti in die politische Debatte eingemischt und sich nicht davor gescheut, auch mal anzuecken. Sollte der Staat also mehr tun, um die sozialen Verwerfungen abzufangen? Nein. Der Staat und die Geldpolitik haben viel zu lange im Gleichschritt getanzt: Die Notenbanken sorgten für billiges Geld, die Staaten machten Schulden. Irgendwann konnte man gar nicht mehr unterscheiden, wer für Fiskal- und wer für Geldpolitik zuständig war. Jetzt sind wenigstens die Rollen wieder klar verteilt: Die Notenbanken müssen die Inflation bekämpfen, entsprechend haben sie sich jetzt positioniert. US-Notenbankchef Jerome Powell hat kürzlich gesagt, man werde die Inflation weiter bekämpfen. Das war eine Warnung, aber die Börse hat trotzdem positiv reagiert. Das zeigt: Die Anlegerinnen und Anleger hören nur, was sie hören wollen. Und sie wissen, dass an den Seitenlinien sehr viel Liquidität vorhanden ist; dieses Geld wartet nur darauf, bis eine halbwegs gute Nachricht auftaucht. Und schon wird wieder investiert. Heisst das also, dass die Kapitalmärkte zu optimistisch sind bezüglich dessen, wie schnell die Inflation sinken wird? Ich würde sagen, dass ein grosser Teil der Erwartungen hinsichtlich steigender Zinsen im Aktienmarkt schon eingepreist ist. Aber eben nicht alles. Meiner Meinung nach wird noch unterschätzt, welche Folgen die Inflation für die Profitabilität der Firmen haben wird. Nicht alle Unternehmen können die steigenden Kosten auf die Preise abwälzen. Das hat zur Folge, dass die Gewinne sinken werden. Daher erwarte ich, dass es noch eine Welle von Anpassungen bei den Gewinnerwartungen geben wird, mit entsprechenden Folgen für die Kurse. Was bedeutet das für die Anlagepolitik der Swiss Re? Was den Aktienmarkt anbelangt, sind wir zurückhaltend, denn die Abwärtsrisiken überwiegen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist auch, dass es, anders als in den vergangenen Zyklen, für die Anlegenden erstmals wieder attraktive festverzinsliche Alternativen zu Aktien gibt. Dank steigender Zinssätze und gezielten Reinvestitionen haben wir den wiederkehrenden Beitrag unseres festverzinslichen Portefeuilles allein im dritten Quartal um rund 100 Millionen Dollar gesteigert. Was sollten die Politik und die Notenbanken Ihrer Meinung nach im Kampf gegen die Inflation tun? Die Zentralbanken müssen dranbleiben, um die Inflation so schnell wie möglich runterzubringen, um die Bevölkerung nachhaltig zu schützen. Wenn aber die Staaten jetzt wieder mit allerlei Eingriffen intervenieren, dann steigen die Schulden weiter, und es verzögert sich die Lösung des Problems. Die Staaten sollten also mit Blick auf neue Ausgabenprogramme zurückhaltend sein, denn andernfalls werden nur Nachfrage und Inflation befeuert. Swiss Re ist auch von der Inflation betroffen, denn die Schäden kosten immer mehr Geld. Können Sie Preiserhöhungen durchsetzen, damit Ihre Profitabilität nicht zu sehr leidet? Wenn das nicht der Fall ist, können wir sicher nicht die gleiche Rückversicherungskapazität zur Verfügung stellen wie bisher. JPMorgan hat kürzlich geschrieben, dass nur schon aufgrund der Inflation die Selbstbehalte der Erstversicherer zwischen 2017 und 2022 um 22 Prozent hätten steigen müssen. Das sind sie aber nicht. Die Erstversicherer haben also auf Kosten der Rückversicherer gelebt? Wenn man die Renditen zwischen beiden Sektoren vergleicht, wird man das unschwer erkennen. Ich sehe zwei Treiber für diese schiefe Situation: die Inflation und die erhöhten Risiken. Ich rede jetzt nicht nur von Naturkatastrophen, sondern beispielsweise auch von den Unterbrechungen der Versorgungskette, von geopolitischen Risiken und der sozialen Inflation, entstanden durch Rechtsfälle. So haben zum Beispiel die Schäden aus Directors-and-Officers-Liability-Deckungen enorm zugenommen. Vor allem in den USA? Die soziale Inflation ist in den USA eine Realität, die den spezifischen rechtlichen und prozessualen Rahmenbedingungen geschuldet ist. Es hat sich eine Branche von Anwälten und Anwältinnen etabliert, die nur darauf warten, Firmen oder Führungskräfte zu verklagen, um mit Sammelklagen Geld zu verdienen. Aber wir beobachten ähnliche Grundtendenzen in unterschiedlichem Ausmass auch in anderen Regionen. Für uns heisst das: Die Risiken sind gestiegen, die Häufigkeit der Risiken ist gestiegen, die Kapitalkosten für uns sind gestiegen. Deshalb müssen wir die Preise überprüfen, um unsere Profitabilität zu verbessern. Wir können mit unserer aktuellen Profitabilität nicht zufrieden sein. Und wenn das der Rückversicherungsmarkt nicht hergibt? Wir sind langfristige Partner, aber wir müssen eine faire Entschädigung für unser Kapital haben. Sonst müssen wir unser Angebot an Kapazitäten überprüfen. Das Problem der Rückversicherer ist nicht neu. Wenn Sie höhere Preise verlangen, sagen die Erstversicherer: Schön, dann gehen wir halt zur Münchener Rück. Oder die Kunden sichern Risiken über den Kapitalmarkt ab. Sie werden also Marktanteile verlieren? So what? Wir werden vielleicht Marktanteile verlieren. Aber für uns ist zentral: Wir wollen einen vernünftigen Return für unsere Aktionäre und Aktionärinnen verdienen und gleichzeitig unsere Kundschaft nachhaltig zufrieden stellen. Das Spiel muss für beide aufgehen. Wir sind da, um Schocks und Katastrophen zu absorbieren. Unsere Rolle ist aber nicht, die Profitabilität der Erstversicherer zu stützen. Wir absorbieren heute eine viel höhere Volatilität und höhere Risiken als die Erstversicherer, und unter dem Strich müssen wir über den Zyklus mindestens so gute oder höhere Kapitalrenditen als die Erstversicherer haben. Um wie viel müssten Sie denn Ihre Prämien bei den Erstversicherern erhöhen, damit Sie zufrieden wären? Um 6 Prozent? Das hängt natürlich von den jeweiligen Risiken ab. Bei einigen Risiken müssten wir womöglich ein Vielfaches in Erwägung ziehen. Darüber hinaus kann der Selbstbehalt der Erstversicherer angepasst werden. Wie bitte? Ein Vielfaches? Rechnen Sie mal die gestiegene Inflation, die gestiegenen Risiken und die gestiegenen Kosten von Naturkatastrophen zusammen. Wie profitabel ist die Erstversicherungsbranche im Vergleich zur Rückversicherungsbranche? Es gibt Erstversicherer, die gut sind. Dann gibt es andere, die schlechter sind. Und es gibt andere Rückversicherer, die eine bessere oder schlechtere Performance haben als wir. Was ist zu tun? Es gibt in unserer Branche die Aspekte der Kapazitäten, also die Menge des Angebots, und jene der Disziplin, also, welche Verträge wir abschliessen. Das Gesamtangebot können wir beeinflussen, aber nicht alleine gestalten. Bei der Zeichnungsdisziplin haben wir es selbst in der Hand. Sie finden: Swiss Re war in der Vergangenheit zu nett? Zu nett auch. Wenn wir nicht in der Lage sind, unsere Kapitalkosten zu decken, weil das Umfeld zu kompetitiv ist oder die Bezahlung unserer Risikodeckung nicht gegeben ist, müssen wir den Mut haben, das Kapital einzubehalten und unsere Kapitalrendite verbessern. Und wenn wir der Überzeugung sind, dass wir das Kapital langfristig nicht profitabel einsetzen können, dann ist es kein Problem, zu sagen: Wir zahlen das Kapital an die Aktionäre und Aktionärinnen zurück. In Form von Dividenden oder Aktienrückkäufen. Was ist mit den Kosten? Haben Sie zu viele Leute im Haus? Es geht mehr darum, fokussierter, schneller und effizienter zu werden. Die Bankenbranche, in der Sie gross geworden sind, ist da schneller, dynamischer? Der Anteil vom täglichen Geschäft ist bei den Banken grösser, da gibt es jeden Tag grosse Transaktionen, grosse Deals. Bei den Rückversicherungen werden die Verträge jährlich neu verhandelt, je nach Region und Risiko erfolgen diese Vertragserneuerungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten über das Jahr verteilt. Dadurch gibt es eine andere Dynamik. Grosse Unterschiede gibt es auch bei den Kosten: Die Fixkosten sind bei uns viel tiefer als bei den Banken. Dagegen sind unser grösster Ausgabenblock die Kosten für die Schäden. Tönt fast danach, als ob Sie das schnell drehende Bankgeschäft vermissen? Überhaupt nicht. Die Rückversicherung ist ein anderes Geschäft, und das wusste ich, bevor ich Verwaltungsratspräsident der Swiss Re wurde. In Bezug auf ihre gesellschaftliche Rolle ist die Rückversicherung jedoch genauso wichtig wie das Bankgeschäft. Versicherer und Rückversicherer unterstützen die Gesellschaft gegen alle grossen Risiken in der Welt; es gibt also immer etwas Neues. Ein grosses Thema bei der Kapitalanlage ist neben der Inflation die Nachhaltigkeit. Die Kritik am ESG-Konzept wird lauter, weil es Zielkonflikte gibt: soziale Ziele, Umweltschutz und Governance-Ansprüche. Es war der «Economist», der diesen Gedanken aufwarf und vorschlug, sich beim Thema Nachhaltigkeit nur auf den CO2-Ausstoss zu beschränken. So weit würde ich nicht gehen. Aber beim Thema Nachhaltigkeit ist es sicher sinnvoll, Prioritäten zu setzen. Welche sind das bei der Swiss Re? Bei uns stehen die Themen Klimawandel und Widerstandsfähigkeit der Gesellschaften im Zentrum. Der letzte Punkt umfasst auch soziale Fragen. Das heisst, dass man bei der Reduktion des CO2-Ausstosses auch die sozialen Konsequenzen im Auge behalten muss. Was heisst das konkret? Wenn ein Land stark von fossilen Energieträgern abhängig ist, sich aber modernisieren will, kann das soziale Folgen haben. Nämlich dann, wenn grosse Investoren abrupt aus der Finanzierung fossiler Energieträger aussteigen. Wichtig ist es vielmehr, solche Länder bei der Transition hin zu einer CO2-armen Wirtschaft zu unterstützen. Der komplette Ausstieg der Versicherer aus den Sektoren Kohle, Öl und Gas ist also falsch? Wir arbeiten mit unseren Kunden, den Erstversicherern, daran, dass Firmen aus dem Energiesektor ihren CO2-Ausstoss senken. Dazu schauen wir, wie die Transitionsprogramme aussehen. Wenn Firmen ungenügende Anstrengungen unternehmen wollen, ihren Treibgasausstoss zu senken, steigen wir aus. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass reiche Länder, wie jene im OECD-Raum, sich eine schnellere Absenkung des CO2-Ausstosses leisten können als zum Beispiel Länder in Afrika. Es ist also nicht so einfach, bei der Anlage- und Versicherungspolitik nur auf das Thema Klimawandel zu fokussieren, man muss auch soziale Fragen berücksichtigen. Heisst das dann, dass reiche Länder wie die Schweiz die Chance nutzen sollten, ihre Stromversorgung jetzt auf nachhaltige Energiequellen umzustellen? Wir müssen ganz sicher weiter in alternative Energien investieren. Aber ich warne vor der Illusion, dass sich die Schweiz bis 2050 autark nur mithilfe von erneuerbaren Energien versorgen kann. Der voreilige Atomausstieg war in meinen Augen ein Riesenfehler. Es kann doch nicht sein, dass die Schweiz ihre Kernkraftwerke abschaltet und dann Atomstrom aus Frankreich importiert. Mag sein, aber Atomenergie hilft uns jetzt nicht durch die Krise, denn der Bau eines neuen Meilers würde Jahre dauern. Es gibt keine einfache Lösung in der Energiekrise. Die Fehler wurden schon vor zwanzig bis dreissig Jahren begangen, als Atomenergie dämonisiert wurde und man nicht länger in die Entwicklung neuer Technologien und Meiler investierte. Atomstrom rechnet sich nicht, kein Versorger will deshalb ein neues Kernkraftwerk bauen. Die Kosten hängen auch von der Bürokratie ab, diese könnte man entschlacken. Und die Investition in neue Technologien ist seit Jahren ausgeblieben. Die vierte und fünfte Generation der Meiler ist sicherer und günstiger. Ich sage aber auch nicht, dass Atomkraft die Zauberlösung ist, um unsere Energieprobleme zu lösen. Halten Sie ein Umdenken in der Atomfrage für möglich? Da bin ich nicht zuversichtlich, die Frage ist sehr emotional aufgeladen. Um die Debatte zu versachlichen, brauchen wir vielleicht eine noch tiefere Energiekrise. Aber selbst dann ist Atomstrom sicher keine schnelle Lösung. Ein Problem ist auch, dass der Import von Strom aus der EU mangels eines Stromabkommens immer schwieriger wird. Sollte die Schweiz als Preis für eine bessere Stromversorgung auf Souveränität verzichten? Ich halte nichts von dieser Salamitaktik, die Europa-Frage in viele Teilbereiche aufzuspalten. Das funktioniert nicht. Es gibt Abstufungen in der Souveränität. Zudem stellt sich die Frage, was der Begriff heute noch bedeutet. Es gibt Bereiche, bei denen es rote Linien für die Schweizer Bevölkerung gibt. Und es gibt rote Linien für die EU. Hier muss es möglich sein, sich in der Mitte zu treffen. Wir brauchen weniger Klein-Klein. Vor allem brauchen wir weniger Worte und mehr Resultate. Die permanenten Drohungen von EU-Vertretern und -Vertreterinnen sind da sicherlich auch nicht hilfreich.Die 300 Reichsten Mit einem Vermögen von geschätzten 175 Millionen Franken rangiert Sergio Ermotti auf Platz 275 der 300 Reichsten. Mehr lesen Sie hier und hier. Und das ist die Übersicht zum ganzen Ranking der «Bilanz»: Die 300 Reichsten 2022 Die Top Ten 2022 Die Neuen 2022 Die Aufsteiger 2022 Die Absteiger 2022 Sie sind neben dem Eisenbahnindustriellen Peter Spuhler einer der wenigen, der sich als Wirtschaftsvertreter überhaupt zu Standortfragen wie zur Energieversorgung äussert. Woran liegt das? Es gibt heute eine grosse Zurückhaltung, sich gegen den Meinungskonsensus zu stellen. Viele Managerinnen und Manager haben weder die Zeit noch die Lust dazu. Vielleicht liegt es daran, dass viele Firmenchefs heute keine Schweizer sind? Ich bitte Sie, das spielt doch keine Rolle. Früher als CEO und heute als Verwaltungsratspräsident habe ich nicht nur eine Verantwortung für meine Firma, sondern auch für die Mitarbeitenden und den Standort. Wenn wir in der Schweiz unsere Lebensqualität erhalten wollen, müssen wir uns für eine erfolgreiche Wirtschaft und damit für den Standort einsetzen. Das ist der Job jedes Topmanagers, jeder Topmanagerin eines Grosskonzerns – und jeder Führungsperson eines mittelständischen Unternehmens. Die Medien spielen hier aber auch eine Rolle. Jetzt sind wir schuld, dass Führungspersonen sich nicht zu Standortfragen äussern? Es gibt in ihrer Branche den Trend, aus Äusserungen einer Führungsperson eine Schlagzeile zu produzieren. Das hat zur Folge, dass sich Entscheidungsträgerinnen und -träger mit politischen Aussagen zurückhalten. Zudem müssten die Medien meiner Meinung nach den Menschen auch komplexere Fragen umfassender erklären, beispielsweise zur Energieversorgung. Aber vermutlich macht man damit keine Klicks. Für Klicks sorgte Ihre Aussage in der NZZ am Sonntag, dass die Schweiz nicht zwei Grossbanken brauche. Es ging um die Definition von «brauchen». Und wer alle meine Aussagen gelesen hat, hat gut verstanden, was ich meinte. Also kein Kommentar zur Grossbank, die in den Schlagzeilen steht? Wie ich damals schon gesagt habe: Alle wären zufrieden, wenn die Credit Suisse wieder stark, konkurrenzfähig und profitabel wäre. Wir müssen das Managementteam und den Verwaltungsrat jetzt arbeiten lassen.

Sergio Ermotti fürchtet sinkende Gewinne bei Firmen aufgrund der Inflation

«Wir wünschen uns alle, ohne Schmerzen da rauszukommen»

Sie sind seit vielen Jahren Präsident des Tessiner Fussballclubs Collina d’Oro. Da ist jetzt bei Ihnen jeden Abend Fussball-WM in Katar angesagt?

Katar wird hart kritisiert.

 «Wir wünschen uns alle, ohne Schmerzen da rauszukommen»