Die ehrgeizigen Pläne von Selecta-Chef Christian Schmitz

Es ist ein filmreifes Duo: Hier Joe Plumeri, 77, eine echte Wall-Street-Legende, die einst die amerikanische Grossbank Citi zum Brummen brachte. Da Christian Schmitz, fast vierzig Jahre jünger, ein Sanierer, der dem überschuldeten Gitarrenbauer Gibson zu neuem Klang verhalf. Der Italo-Amerikaner Plumeri und der Deutsch-Kalifornier Schmitz sind das neue Führungsteam, das beim Schweizer Ausserhaus-Verpfleger Selecta das erste und auch das letzte Wort beansprucht. Nichts geht ohne Plumeri, den Exekutiv-Präsidenten, und seinen Konzernchef Schmitz. Dieser gibt intern die Schlagzahl vor, und die ist ziemlich hoch. Mit seinem Topkader bespricht er sich nicht einmal im Monat – wie unter der längst entlassenen Führung. Er setzt die Spitzenmeetings dreimal die Woche an: montags, mittwochs, freitags. Dann ist Schmitz-Ansage. Er heizt ein, redet ohne Punkt und Komma, ist beseelt von Optimismus, strotzt vor Tatendrang. Und verkündet mit viel Pathos seine neusten Pläne. Es sind ganz viele. Chaos als ChanceDas ungleiche Paar Plumeri und Schmitz spricht sich im Tagesrhythmus ab. Nicht mal an Weihnachten oder Silvester herrscht Funkstille. Die beiden verbindet eine noble Mission: Selecta, die Verpflegungsfirma mit Firmensitz in Cham ZG, aus der Todeszone steuern. Fallieren sie, so viel ist sicher, wird der Milliarden-Konzern mit 7500 Mitarbeitenden filetiert und verscherbelt. Was die Aufgabe des Duos noch waghalsiger macht: Es liegen 1,7 Milliarden Franken Schulden auf der Firmenbilanz, dessen Zinsdienst 200 Millionen im Jahr abverlangt. Und dann noch die Corona-Plage. Bei Selecta brechen seit einem Jahr die Umsätze weg, weil Homeoffice Gift ist fürs Geschäftsmodell. Die knallroten Apparate, die Coke oder Bounty anbieten, stehen seit Monaten verwaist auf dem Perron, die weissen Lavazza-Kaffeeautomaten verloren in den Grossraumbüros. Doch Schmitz, der in der Bay Area in einem Vorort von San Francisco wohnt, lässt sich nicht beirren. Es sind die ganz grossen Herausforderungen, die er liebt, sagt er. Wie im Herbst 2008. Eben hatte er, noch keine dreissig Jahre alt, beim US-Investmenthaus KKR angeheuert, da stürzte Konkurrent Lehman Brothers krachend ein. Panikwellen an den globalen Finanzmärkten, Begeisterungsschübe beim jungen Schmitz. Es gebe Leute, die bei Krisen weglaufen, andere fühlen sich angezogen, meint er. Zu welcher Sorte von Managern er sich zählt, wagt man erst gar nicht zu fragen. Der Premium-Ansatz am ArbeitsplatzAlso muss der Schweizer Selecta-Notfall ganz nach seinem Gusto sein. Wochenweise fliegt er in Cham ein und sorgt für Wirbel und klare Ansage, wie Kaderleute erzählen. Tempo ist gefragt, klar, dazu hartes Kostenmanagement und vor allem «Execution», Umsetzung; schüchterne Nachfragen aus dem Publikum gehören weniger zum Programm. Ist er nicht in der Schweiz oder den anderen 15 Märkten in Europa, hängt er in Kalifornien am Telefon oder im Videolink. «Ich rede jeden Tag mit zehn Kunden», sagt er. Dazu ruft er Mitarbeitende aller Hierarchiestufen an, verabschiedet Personal im Stundentakt – und verbreitet seine Vision. Diese lautet: Gehobene Verpflegung an jedem Arbeitsplatz, «Premiumisierung am Workplace», heisst das in seinem Business-Slang. Diesen Premium-Ansatz sieht er allerdings nicht in einem dieser roten Spiral-Automaten, in denen neben Gesichtsmasken auch ausgetrocknete Schinkensandwiches auf nachsichtige Kundschaft hoffen. Vielmehr will Selecta-Chef Schmitz das Büropersonal in Schweizer Firmen mit Premium-Angeboten locken. Gesund und natürlich soll das Essen im Office sein, margenstark. Und: smart. Das heisst, der Lunch stammt aus einem Hightech-Gerät, das digital vernetzt ist, verbunden mit dem Logistikzentrum, dem Smartphone und der Kreditkarte. Damit sollen, so sein Plan, all die Betriebskantinen abgelöst werden, die ohnehin kaum rentabel sind. Kerngeschäft schrumpftEs ist ein scharfer Bruch mit der DNA der Firma, die bis dato von den Frequenzen in ihren traditionsreichen Apparaten lebt. Doch das Kerngeschäft von heute, schätzt man intern, dürfte wohl auf 10 Prozent schrumpfen. Die supersmarte Verpflegung im Büro ist der neue Fokus. Offenbar ist man mit diversen Grossfirmen aus Finanzwelt und Industrie im Gespräch. Schmitz sagt nur: «Wir reden mit Kunden und wollen neue Lösungen in die künftigen Workplaces bringen.» Eine dieser Lösungen heisst Smart Fridges, intelligente Kühlschränke, die Snacks, Früchte, Drinks, Lunches offerieren. Der Rollout der ersten Fridges soll in der Schweiz noch im ersten Quartal erfolgen; bis Ende Jahr, so die Vorgabe, müssen mehrere hundert dieser Micromarkets in den Betrieben installiert sein. «Selecta ist Worldclass-Service für Worldclass-Marken», lautet Schmitz’ Weckruf an die Konkurrenz. SV Group, der Platzhirsch unter den Kantinenbetreibern, gerät unter Druck – von Selecta, aber auch vom Superdiscounter Lidl, der an ähnlichen Bürokonzepten bastelt. Ein nächstes Projekt, das Schmitz viel Freude bereiten soll, ist der Supersteamer Sisisi, der ebenfalls hungriges Personal bedienen soll. Hier gehts um vakuumverpackte Lunches – Ratatouille-Quinoa oder Linguine alla Bolognese –, die mit Dampf erhitzt werden. Innert 35 Sekunden, so das Versprechen, soll das Supersteamer-Menu mit lauter natürlichen Ingredienzen angerichtet sein. So ist garantiert, dass sich im Micromarket von Selecta keine Schlangen von hungrigen Angestellten bilden. Zweifel am neuen KonzeptDoch die Dampf-Performance im Büro hat ihren Preis: Energieverbrauch und Plastikmüll in rauen Mengen. All diese Smart- Lösungen, die in den nächsten Wochen hierzulande installiert werden, will Schmitz europaweit ausrollen. Den passenden Slogan für sein künftiges Angebot hat er längst parat: «Italian passion – Swiss precision».Ein Viertel der Mitarbeitenden in Kurzarbeit Selecta Schweiz gilt als effiziente Ländergesellschaft. Offenkundig sind auch die 800 Mitarbeitenden fleissig und motiviert, allerdings ist jeder vierte aktuell zurückgebunden durch Corona-bedingte Kurzarbeit, heisst es intern. Das kann Probleme geben. So sollen diverse Mitarbeitende über ihr Kurzarbeitspensum hinaus arbeiten. Damit es nicht auffällt, sollen Mehrstunden im Arbeitsrapport gestrichen oder bei Erreichen der maximalen Stunden soll ausgestempelt werden. Selecta-Chef Christian Schmitz sagt dazu: «Vom Management gibt es keine Vorgaben, gegen Regeln zu verstossen.» Klar sei aber auch, dass der Druck bei allen Beteiligten hoch sei, gehe es doch um die Neuerfindung von Selecta. Die Rechnung ist einfach. Wenn die alten Apparate immer weniger abwerfen, müssen neue Märkte angepeilt werden, der wichtigste: Catering am Arbeitsplatz. Ob er allerdings mit seinen Lösungen alle Selecta-Märkte – von Irland bis Italien – überzeugen kann, wird sich weisen. Intern gibts jedenfalls einigen Zweifel an der Praxistauglichkeit vom One-fits-all-Konzept, das aus der Zentrale durchgedrückt wird. Das liegt auch daran, dass Selecta 2021 ein wilder Haufen von Länderorganisationen ist, wo jeder Landesfürst auf eigene Angebote, Technologien, Brandings und Seilschaften setzt. «Path to Greatness»Auch das wollen die Krisenmanager Palmeri und Schmitz radikal ändern. Sie haben deshalb das sogenannte «Selecta CULTure»-Programm aufgesetzt, das den «Path to Greatness» weist. Die zehn Grundsätze, die an jeden Mitarbeitenden gingen, erinnert stark ans Regelwerk einer verschworenen Glaubensgemeinschaft – und so ist es auch gemeint: Wer bei Selecta arbeite, steht in der Präambel, sei getrieben von einem «manischen Glauben» und «totaler Hingabe». Nationale Sonderzüge haben in der neuen Selecta keinen Platz. «Wir werden keine Königreiche und keine Silos akzeptieren, nie.» Die Prinzipien, die ab jetzt in der Firma gelten – dies die Botschaft an all die Stänkerer und Ewiggestrigen –, die seien nicht verhandelbar und nicht freiwillig. In diesem Tonfall schwören die Haudegen Palmeri und Schmitz die eher dysfunktionale Truppe auf einen gemeinsame Corpsgeist ein. Wohl wissend, dass sie erst bei 30 Prozent der Umsetzung von «Selecta – One Company» sind. Der Ton und der Anspruch von ganz oben kommen längst nicht überall an. Es rumort besonders in Spanien, Frankreich und Italien. «Die haben keine Ahnung von der Realität», wird im italienischen Branchenblog Fantavending gelästert. Kritik gibts auch in Frankreich, wo die Zeichen ohnehin auf Sturm stehen. Tiefrote Zahlen Der Markt zwischen Cherbourg und Nizza ist um die Hälfte eingebrochen, die Tochterfirma steckt in tiefroten Zahlen. Bei den Chefs in der Pariser Zentrale ist es mittlerweile kaum mehr möglich, ihre Namen zu merken – so kurz ist ihre Verweildauer. Antoine Namand heisst der aktuelle, er ist der vierte Président Dirécteur Général innert zwölf Monaten. Beirren lässt sich Namand vom Schicksal seiner Vorgänger keineswegs. Stattdessen geht er beherzt ans Werk und baut 460 Arbeitsplätze ab, fast einen Drittel der Gesamtbelegschaft. Und das im Stammland der Syndikalisten, die gerne streiken und rote Fahnen schwingen. Schmitz, der Firmenverbesserer, zeigt, wies geht: Vom Personalbestand, den er vor einem Jahr antrat, hat er bereits gut 2500 Stellen – einen Viertel – abgebaut. Getreu dem Grundsatz, den er im Artikel 9 des neuen Selecta-Breviers festschrieb: «Wir sind stolz darauf, täglich Sparmassnahmen zu entdecken, egal wie gross oder klein sie sind.»

Die ehrgeizigen Pläne von Selecta-Chef Christian Schmitz

Smartes Essen fürs Büro: Die ehrgeizigen Pläne des neuen Selecta-Chefs