Rolling Stones: Gassenhauer, Markenpflege und Steueroptimierung

Wo ist Joyce? Am Handy, am Laptop, hinter der Bühne oder im nächsten Zoom-Meeting. Joyce Smyth, seit zwölf Jahren Managerin der Rolling Stones, ist wenig bekannt, aber überall gefragt, besonders wenn «The World’s Greatest Rock ’n’ Roll Band» durch Europa tourt. Smyth ist Juristin, Spezialgebiet Steuer- und Vertragsrecht; sie kümmert sich um die Bandauftritte, Finanzfragen, Verträge, Markenrechte, Werbung, Sponsoring, Fuhrpark, also um fast alles. Sie dirigiert auf der aktuellen Tour ein Kernteam von 200 Technikern, Controllern, Juristen, Video Operators, Tonmeistern, Lastwagenfahrern, Roadies und dazu ein eigenes Ärzteteam, das ein strenges Covid-19-Regime durchzieht. «Wir leben in einer Bubble», sagt ein Mitarbeiter. Obendrein muss Taktgeberin Smyth die Stones bei Laune halten, Mick Jagger, 78, Keith Richard, 78, und Ronnie Wood, 75. Nur bei deren Rock-Weisheiten kann die Stones-Managerin nicht mithalten, sie ist Jazzliebhaberin. «Ich bin jene Person auf dem Planeten, die am weitesten weg ist von dieser Musik», sagte sie bei der Entgegennahme des Women in Music Award 2018 in London. Mick Jagger ist ganz business Nichts überlassen Managerin Smyth und Frontmann Jagger dem Zufall, auch nicht in Bern. Am 23. April war eine Voraustruppe im Wankdorf-Stadion und prüfte die Vorgaben der Band. Es war die Stunde des André Béchier, Senior Advisor der Konzertagentur Gadget ABC Entertainment, der den Zuschlag für den Schweiz-Gig am 17. Juni erhielt. Man kennt sich: Béchier brachte die Band, Ehrensache für den Promotor, schon 15-mal in die Schweiz. «Das macht vieles einfacher», sagt er. Ungern erinnert er sich, als sich in den 1970er Jahren – die Stones standen auf der Bühne – ein Schwarm von Controllern über die Tickets hermachte und nachprüfte, ob er auch richtig abgerechnet hatte. «Ich war der Pinocchio der Band», stöhnte er. Heute feilscht er nur noch um die Details in den Verträgen. Er streicht Passus raus, dann drückt er auf die Taste «Senden» – und wartet auf die Antworten der Anwälte aus London und New York. Ein schier unendliches Ping-Pong: Bereits 17-mal gings hin und her, unterschrieben werden die Verträge erst später; entscheidend ist ohnehin, dass die fälligen Raten jeweils pünktlich auf dem Bankkonto sind. Cash is king. Die Vorgabe ist ohnehin klar: Immer mehr für die Band. Anfänglich pochten die Briten auf einen 80-zu-20-Split, dann auf 85 zu 15 und aktuell sind es 95 zu 5. Die Rechnung geht für die Band auf, für die lokalen Veranstalter aber nur, wenn die Stadien ausverkauft sind und Ticketpreise ausgereizt. Rekordverdächtige Einnahmen bei der «Sixty-Tour» Die «Sixty»-Tour, eine Hommage an sechzig Jahre Stones Inc., die am 12. Juli 1962 im Londoner Marquee Club loslegten, ist in jeder Hinsicht rekordverdächtig: Pro Auftritt nimmt die Band 10 Millionen Franken ein, ohne Merchandising und Catering. Die Ticketpreise liegen je nach Stadiongrösse – zwischen 170 und 3000 Franken. Gereist wird mit 40 Sattelschleppern und zwei Privatjets, darunter eine Boeing 767 mit dem knallroten «Tongue and Lips»-Logo. Jagger und Co. werden, auch speziell, von Friends and Families begleitet. Der private Begleittross zählt 80 Personen, darunter Freundinnen, Kinder und Enkelkinder aus multiplen Beziehungen. Ein Hinweis, dass die «Sixty»-Tour wohl die letzte ist. Sechzig Jahre Rolling Stones Inc. haben Jagger und Richard gemäss «Fortune» ein Privatvermögen von je 500 Millionen beschert. Wie das? Mick Jagger ist profitorientiert Jagger, ehemaliger Student an der liberalen London School of Economics, verstand sich stets auch als profitorientierter Unternehmer. In diversen, jahrelangen Rechtshändeln erkämpfte er die Song- und Markenrechte zurück, die man sich in den Anfängerjahren hatte abjagen lassen. Die Royaltys, die sie nun alljährlich einspielen, sind gigantisch. Um nie mehr übervorteilt zu werden, setzten sie auf ausgebuffte Finanzleute, etwa den Londoner Privatbanker Rupert Loewenstein («Ruppie the Groupie»), dann auf dessen ehemalige Geschäftspartnerin Joyce Smyth. Gross denken, das gilt auch beim Toursponsoring: Budweiser, Chase Manhattan, DHL, LVMH, VW, Jeep, hiessen die Partner. Oder Microsoft, die zur Lancierung von Windows 95 für einen 60-Sekunden-Soundtrack von «Start me up» 4 Millionen Dollar hinblätterte. Ein sympathischer Ausreisser war da die Alliance for Lifetime Income, eine NGO, die Weiterbildung in der privaten Altersvorsorge anbietet und 2020 als Tour-Sponsor mitsegelte. Es war wohl ein Herzensanliegen Jaggers, seine Zielgruppe frühzeitig im Umgang mit Aktien und Fonds vertraut zu machen. Und er schraubte an jeder Optimierungsschraube – und tut es bis heute. So reist die Band auf der «Sixty»-Tour nicht – wie andere Mega-Live-Acts wie Elton John – mit eigener Bühne durch die Kontinente, sondern setzt auf lokale Installationen. Das verlangt eine bessere Koordination, dafür lassen sich zwanzig Lastwagen samt Crew plus Hotelkosten einsparen. Verantwortlich für den Aufbau ist Marco Güntensperger von der Zürcher Bullitt Productions. Er trägt als Stones-Kadermann den Titel Site Coordinator und ist eine Grösse im globalen Event-Geschäft. Die Bullitt-Kundenliste reicht von Bayern München, Fifa, Montreux Jazz Festival, Uefa, Art Basel, Ferrari, Moon & Stars, IWC bis zur 150-Jahr-Feier von Nestlé. Nichts gehts über die Marke Rolling Stones In der Vergangenheit kümmerten sich Jagger und Charlie Watts, ehemaliger Grafikdesigner bei der Londoner Werbeagentur Charles, Hobson and Grey, um Design und Marke. Seit dem Tod von Watts sind Jagger und Smyth zuständig; jedes Plakat, jedes Banner muss ihnen zur Absegnung vorgelegt werden. Da gibt es kein Gebastel, schliesslich hat die Band bereits vor Jahrzehnten ihre Markenzeichen weltweit schützen lassen. Ein Blick ins Trademark-Register zeigt: Ohne Einwilligung und Lizenzgebühr ist alles verboten. Keine Logos auf Schachteln, Fahnen, Papier-Bastelsets, Weinetiketten, Tortendekorationen – selbst Radiergummis mit dem Bandlogo sind verboten. Kürzlich haben Stones-Anwälte vor Handelsgericht in Jakarta einer lokalen Handelsfirma verboten, das Tongue-Logo auf T-Shirts zu verwenden. Man ist schliesslich eine Weltmarke, die sich erst noch prima vermarkten lässt. Und das wird honoriert, immer mehr. Vor 25 Jahren gabs das Stones-Konzert in der Schweiz für 55 Franken je Eintritt, heute ist es das Fünffache. Ein Preisanstieg, der selbst die Krankenkassenprämien weit hinter sich lässt. Rolling Stones entdeckten früh die Steueroptimierung Keine Band hat das Steueroptimieren so früh entdeckt wie die Stones. Bereits in den 1970er Jahren flohen Jagger und Richard aus dem Hochsteuerland Grossbritannien nach Frankreich, dann in die USA. Gleichzeitig liessen sie sich von den niederländischen Steuergesetzen locken, die internationalen Künstlern ultratiefe Steuersätze für im Ausland verdiente Millionen bieten. An der Herengracht 566 in Amsterdam, einem schicken Backsteinbau, sind die Firmen untergebracht, in denen die Stones-Finanzströme zusammenlaufen. Die Holding heisst Promogroup, gegründet am 17. Dezember 1984; Verwaltungsrätin ist: Stones-Managerin Smyth. Der Dachfirma sind gemäss Handelsregister fünf Tochterfirmen angehängt, die für die Rockband Kernfunktionen ausfüllen: Musidor kümmert sich um Markenrechte, Promogracht um Marketing, Promolane um Merchandising, Promotone um Songrechte, Promotours um Auftritte. Obendrein unterhielt Promogroup – lange vor den Panama Papers – eine Tochterfirma namens Eder Antilles auf der steuermilden Karibikinsel Curaçao. Berechnungen deuten im Stones-Firmenkonstrukt auf einen Steuersatz hin, der selbst Standorte wie Monaco, Singapur oder Zug zu Steuerhöllen degradiert. Während Zug mit 11 Prozent lockt, sind es in Amsterdam gerade mal 1,6 Prozent. «Gimme Shelter» lautet der Titel eines der 450 Stones-Songs – gimme tax shelter.

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