Suzanne Thoma: Ein Wechsel zum besten Zeitpunkt

Der 20. November war ein besonderer Tag für Suzanne Thoma. Sie, die es beruflich nach Basel und Bern verschlagen hatte, stand an diesem Samstagmorgen auf der Bühne der ETH Zürich, ihrer Alma Mater, und liess sich zur Ehrenrätin küren. Für ihre Verdienste als Advokatin der Nachhaltigkeit, wie der Rektor in seiner Laudatio ausführte. Thoma, deren zwei Töchter ebenfalls an der ETH studierten, strahlte. Und sie wusste längst, dass sie bloss ein paar Tage nach dieser Ehrung die Weiche im Beruflichen neu stellen würde. Mit einem Ziel, Nachhaltigkeit. Sie entschied sich, das Präsidium des Industriekolosses Sulzer zu übernehmen. Und diese Transformation zu begleiten – weg von der alten Industriewelt Öl und Gas, hin zu jener mit mehr Nachhaltigkeit, Wasser, Wiederverwertung. Als künftige VR-Präsidentin wird sie – anders als ihr Vorgänger Peter Löscher – das Sulzer-Management nicht mit der langen Leine führen, sondern diese Transformation als fordernde Chairwoman vorantreiben. Wie es geht, trotz Widerstand und Genöle, hat sie vorgemacht. Zuletzt beim Energieversorger BKW, wo sie genau diesen Strategie- und Image-Wechsel hingekriegt hat. Aus dem Staatskonzern, der unter CEO Kurt Rohrbach noch auf Kohlestromprojekte in Deutschland gesetzt hatte – die BKW wollte noch 2007 ein eigenes Grosskraftwerk bauen und beteiligte sich 2008 an einem bestehenden Kraftwerk –, formte das forsche Duo Thoma und ihr VR-Präsident Urs Gasche einen modern anmutenden Energiekonzern. Mit neuem, gefälligem Auftritt, frischen Farben. Und vor allem: mit scharfem Schnitt. Kurzen Prozess machte sie mit dem Atomkraftwerk Mühleberg, was für traditionsreiche Strömler einem Verrat gleichkam. Im Oktober 2013 beschloss sie den Ausstieg aus der Kernenergie und sechs Jahre später ging der Reaktor vom Netz. Thoma konnte sich als Pionierin positionieren. Und als Zupackerin, der nichts mehr zuwider ist als halbe Sachen. Diese Entschlossenheit ist auch bei Sulzer gefragt. Erst spät, nämlich vor zwei Jahren, hat man zur Kenntnis genommen, dass die Reise in Renewables und in Ökoeffizienz gehen sollte. In einem Interview meinte Noch-Sulzer-CEO Grégoire Poux-Guillaume, er sei auf seinen Roadshows bei Investoren erst im Herbst 2019 erstmals auf ESG-(Environmental-, Social-, Governance-)Kriterien angesprochen worden. Und dass Sulzer erst im Februar 2021 einen Chief Sustainability Officer installierte, der auch verantwortlich für Human Resources, Kommunikation und Immobilien ist, zeugt nicht gerade vom Pioniergeist. Thoma leitete die Energiewende bei den Berner Kraftwerke freilich nicht bloss aus Zeitgeistdenke ein. In einem Interview mit der «Handelszeitung» begründete die promovierte Chemieingenieurin den Entscheid mit der Nüchternheit einer scharfen Rechnerin. «Das Finanzielle lieferte die Basis, aber uns ging es auch um eine Unternehmenstransformation. Wir sahen, dass wir uns breiter aufstellen mussten. Und der Verzicht auf ein neues Mühleberg setzte Kräfte frei, die wir für anderes nutzen konnten.» Thoma wollte das Kapital in andere, zukunftsträchtige Bereiche umtopfen. Und sie tat es mit ihrer Konsequenz. Dass das richtig war, zeigt der Vergleich mit der Axpo. Diese sanierte ihr ebenfalls in die Jahre gekommenes Klein-AKW Beznau noch vor wenigen Jahren für 700 Millionen Franken – Investitionen, die kaum noch je amortisiert werden können. Das freigespielte Geld investierte Thoma in eine Expansion in die Breite. Seit Jahren breitet sich der parastaatliche Konzern in das Geschäft mit Elektroinstallationen und Ingenieur-Arbeiten aus – vom kleinen Hausanschluss bis zur Gesamtplanung eines Areals wie dem «Circle» in Zürich. Die Mehrheit der BKW-Angestellten – mittlerweile mehr als 10'000 – arbeitet in diesen neuen Bereichen und nicht mehr in der traditionsreichen Stromproduktion und -verteilung. Ein vom Staat kontrolliertes Unternehmen mit Einnahmen aus der Monopolversorgung, das sich anschickt, Konkurrentin lokaler Gewerbeunternehmen zu werden? In Bern hagelte es Leserbriefe und politische Vorstösse. Doch mit der Berner Regierung im Rücken zog Thoma ihr Programm durch. Man sei ein privatrechtliches, an der Börse kotiertes Unternehmen, so ihr Mantra. Und der Börse sei man auch verpflichtet. Es ist etwas, was Sulzer-Grossaktionär Vekselberg gerne hören wird. Denn mit der Aktienperformance beim Winterthurer Industriekonzern kann er nicht zufrieden sein. Während andere Firmen wie Georg Fischer oder Sika ihren Wert multiplizierten, hob der Sulzer-Titel nie ab. Schwach fällt Sulzer auch im Vergleich mit Thomas BKW ab, die ihren Aktienkurs seit Jahren und in einer fast schon unheimlichen Regelmässigkeit steigern konnte. Trotz Zeiten mit sehr tiefen Strompreisen schrieb die BKW stets Gewinn. Die neuen Geschäftsbereiche haben sich bisher zwar noch nicht als grosse Reingewinn-Lieferanten erwiesen. Doch glaubt man der BKW, so stimmen zumindest die Kapitalrenditen. Vermutlich wechselt Thoma zum aus ihrer Sicht bestmöglichen Zeitpunkt weg vom Berner Stromkonzern. Der Atomausstieg ist aufgegleist, die neue Strategie eingeschwungen und die aktuell rekordhohen Strompreise dürften Thoma für 2021 ein schönes, letztes Jahresergebnis bescheren. Eigentlich könnte es fast nur schlechter werden. Widerstände hatte Thoma zuletzt vor allem wegen ihres Lohns zu erleiden. Schon 2019 ging ein Raunen durch das Bernbiet, als bekannt wurde, dass Thoma im Vorjahr einen Salärsprung von 1,3 auf 2,0 Millionen Franken hingelegt hatte. Gestartet war sie einst mit knapp 1 Million. Der kantonale Energiedirektor Christoph Neuhaus bezeichnete den Lohn als «übertrieben». Die BKW versprach, über die Bücher zu gehen. Im Folgejahr sank Thomas Vergütung dann wieder ein wenig. Doch 2020 kratzte diese erneut die Grenze von 2 Millionen. Mittlerweile hatte die Haltung der Berner Regierung jedoch gekehrt. Nach dem Jahresabschluss 2020 sprach diese schulterzuckend von «marktüblichen Löhnen». Derlei Diskussionen über die Salärhöhe im Operativen gab es in Winterthur bislang keine, wiewohl sie längst überfällig wären. Die Löhne im Sulzer-Topkader gehören zu den höchsten, welche die Schweizer Industrie zu bieten hat. CEO Poux-Guillaume bringt es regelmässig auf 5,5 Millionen Franken, seine Kollegen in der Geschäftsleitung auf je gegen 2 Millionen – und das bei einer nicht übermässig beeindruckenden Performance. Das sind Kompensationszahlungen, die wahre Topperformer wie die Sika-Chefs uralt aussehen lassen. An ihr CEO-Salär wird Thoma als Präsidentin wohl nicht mehr anschliessen können. Aber mehr als ihr Pendant bei der BKW wird sie wohl allemal verdienen.