Das letzte Interview von Thomas Klühr als Swiss-Chef

Haben Sie Ihren Schreibtisch schon geräumt? Sie sind ja nur noch wenige Tage im Amt. Nein, mein Vertrag läuft bis zum 31. Dezember und ich werde meine Aufgabe als Swiss-CEO bis zum Ende mit vollem Einsatz wahrnehmen. Seit Februar 2016 sind Sie Swiss-Chef. Haben Sie schon etwas Abstand zum Job und können Ihre Arbeitszeit in der Schweiz reflektieren? Teilweise. Man denkt schon mal mehr nach vor dem Hintergrund der Corona-Krise, aber die grosse Bewertung folgt sicher später. Ihr grösster Erfolg in fünf Jahren bei der Swiss? Ich bin sehr froh und stolz, dass wir über mehrere Jahre hinweg sehr gute Ergebnisse erzielen konnten. Zudem war auch die grösste Flottenmodernisierung in der Swiss-Geschichte ein Erfolg. Die Swiss hatte unter Ihnen das beste Ergebnis der Firmengeschichte. Ja, darüber freuen wir uns. Das war ein grosser Erfolg des gesamten Teams. Ihr grösster Misserfolg? Wir hätten uns besser auf Rückerstattungen von Flugtickets während der aktuellen Krise einstellen sollen. Wir konnten die Grössenordnung nicht vorhersehen, aber es hat sich schon gezeigt, dass wir bezüglich unseres Finanzierungssystems und der Automatisierung hätten besser sein können. Wie geht es weiter? Weihnachten in Deutschland? Adieu, Schweiz? Meine Frau und ich werden zu Weihnachten in Deutschland sein, danach sind wir wieder in der Schweiz. Denn als CEO nimmt man die Schweiz nur aus einer sehr eingeschränkten Perspektive wahr. Daher freue ich mich darauf, im Jahr 2021 die Schweiz besser erkunden zu können: zu Fuss, mit dem Velo oder mit dem Auto. Mal losgelöst zu sein von der Rolle als CEO.Fünf Jahre in Kloten Der Deutsche Thomas Klühr (58) führt die Swiss seit fünf Jahren, zuvor war er für die Lufthansa-Gruppe in München stationiert. Im Januar 2021 übernimmt der belgisch-schweizerische Doppelbürger Dieter Vranckx (47), der bisher die Lufthansa-Tochter Brussels Airlines leitete. Wegen Corona steckt die Luftfahrtbranche in ihrer grössten Krise; Lufthansa und Swiss erhielten Staatshilfe. Wie soll Ihr neues Leben aussehen? Es hiess, sie wollten etwas ganz anderes anpacken. Ich werde keine operative Aufgabe übernehmen. Denn die Familie kommt eindeutig zu kurz, wenn man als CEO tätig ist. Ich möchte mehr Zeit mit der Familie und vor allem mit meinen erwachsenen Kindern verbringen. Andere Ex-CEO stürzen sich in die Startup-Finanzierung oder andere Projekte. Nein, auch wenn das sicherlich äusserst spannend wäre. Auch mein Sohn ist im Startup-Bereich tätig, aber ich möchte mir im Jahr 2021 wirklich Zeit für Familie und Freunde nehmen. Und natürlich Reisen, wenn es geht. Aber Sie bleiben der Schweiz erhalten und behalten Ihre Wohnung in Zürich? Unsere Wohnung wird die Basis für die Ausflüge sein, die wir unternehmen wollen. Darauf freue ich mich riesig. Ich war dreissig Jahre in der Luftfahrt tätig, davon zwanzig Jahre in operativer Verantwortung. Es ist ein 24/7-Job, nun kommt etwas anderes. Ich bin allerdings noch in der neuen Schweizer Luftfahrtstiftung vertreten. Ihr Rücktritt im September kam für viele überraschend, zumal nicht sofort ein Nachfolger zur Verfügung stand. War das rückblickend gut, die Mitarbeitenden, die Kundschaft, die Politik in der grössten Swiss-Krise so zu überrumpeln? Ich hatte unseren Verwaltungsrat und den Lufthansa-Konzernvorstand frühzeitig über die Entscheidung informiert, dass ich abtreten wollte. Ich konnte aber leider zu diesem Zeitpunkt die Mitarbeitenden, die Medien und die Politik nicht informieren. Wegen der Pandemie bin ich von Verwaltungsrat und Konzernvorstand gebeten worden, länger zu bleiben. Das habe ich auch gemacht. Ihr Nachfolger heisst Dieter Vranckx, der bisher Chef von Brussels Airlines war – wie die Swiss eine Lufthansa-Airline. Was ist Ihr wichtigster Tipp, den Sie ihm geben? Ich bin zurückhaltend, was Tipps angeht. Vranckx ist ein sehr erfahrener Manager, er bringt einiges mit, das ich gar nicht hatte, als ich zum Swiss-CEO ernannt wurde. Er kennt die Schweiz, er lebt hier. Er hat schon für die Swiss gearbeitet, ist bereits CEO einer Airline. Sollte er mich fragen, gebe ich ihm natürlich meinen Rat, denn wir sind schon im Austausch. Swiss-Finanzvorstand Markus Binkert galt als Topkandidat fürs höchste Swiss-Amt. Sie haben seine Bewerbung unterstützt. Warum ist Herr Binkert nicht Chef geworden? Die Entscheidung lag nicht in meiner Hand, ich habe aber auch keinen Hehl daraus gemacht, dass ich ihn für einen guten Kandidaten halte. Swiss-Verwaltungsratspräsident Reto Francioni hat es in der VR-Sitzung treffend gesagt: Es ist keine Entscheidung gegen Markus Binkert, sondern eine Entscheidung für Dieter Vranckx. Es gibt immer mehr als einen Kandidaten. «Wir versuchen so lange wie möglich alle Mitarbeitenden an Bord zu halten.» Was wird Herr Vranckx anders machen als Sie? Mit jedem neuen CEO ist die Erwartung verbunden, dass er neu gestaltet, eigene Vorstellungen einbringt. Die grosse Herausforderung wird sein, die Swiss neu auszurichten auf das, was nach der Corona-Krise kommt. Manche Swiss-Mitarbeitende fürchten: Herr Vranckx muss die harten Sanierung machen, die Herr Klühr nicht wollte. Ich glaube, wir haben sozialverträglich alle richtigen Schritte eingeleitet. Wir kommen mit unserem Plan, mithilfe von frühzeitigen Pensionierungen, einem Einstellungsstopp, Teilzeitmodellen und nicht zuletzt der natürlichen Fluktuation tausend Stellen in zwei Jahren abzubauen, gut voran. Im Frühling werden wir sehen, wie das Sommergeschäft aussieht. Davon wird abhängen, ob weitere Massnahmen nötig sind. Das habe ich unseren Mitarbeitenden während der Krise immer transparent kommuniziert. Wir versuchen so lange wie möglich alle Mitarbeitenden an Bord zu halten; ob es gelingt, hängt aber vom Pandemieverlauf ab. Mit dem Kabinenpersonal haben Sie eine Einigung erzielt, harte Einschnitte wurden durchgeboxt. Wann müssen Pilotinnen und Piloten damit rechnen? Wir sind mit dem Sozialpartner Aeropers, der Pilotenvereinigung in der Schweiz, in Verhandlungen. Bis Ende des Jahres wird es aber wohl noch keine Einigung geben. Derweil droht Lufthansa-Chef Carsten Spohr, tausend Lufthansa-Piloten zu kündigen. Diese Aussage bezog sich auf den Fall, dass in Deutschland keine Einigung mit den Pilotinnen und Piloten erzielt werden kann. Unabdingbar ist, dass alle Mitarbeitergruppen einen Krisenbeitrag leisten. Das wird von allen Gewerkschaften in der Schweiz anerkannt. Herr Spohr hat deutlich gemacht, dass man ohne eine Vereinbarung nicht an Entlassungen vorbeikommen wird. Das gilt für die Schweiz genauso. In der Schweiz gibt es aber eine andere Sozialpartnerschaft als in Deutschland, daher bin ich zuversichtlich, dass wir eine Einigung mit Aeropers erzielen werden. Weltweit müssen sich viele Pilotinnen und Piloten längst neue Jobs suchen, in der Schweiz hat man eher das Gefühl, die Krise scheint an ihnen vorbeizugehen. Auch unsere Pilotinnen und Piloten sind in Kurzarbeit. Man muss sich auch vor Augen führen, wie gross die Qualifikation dieser Mitarbeitenden ist. Diese Ressourcen kann man nach der Krise nicht mal eben zurückgewinnen. Für alle Swiss-Mitarbeitenden gilt: Entscheidend ist, wie sich das Sommergeschäft 2021 entwickelt. Wenn wir ungefähr 50 Prozent der Langstrecke wieder bedienen können, sind wir gut unterwegs. Wenn sich aber 2020 wiederholen sollte, kommen wir an Entlassungen nicht vorbei. Derweil setzen Sie Helvetic-Airways-Flieger und deren Personal ein. Wie machen Sie das Ihren Mitarbeitenden verständlich? Das ist eine berechtigte Frage, die sich unsere Mitarbeitenden ebenfalls stellen. Doch auch in der Krise sollte man solidarisch mit seinen Geschäftspartnern sein. So wie Helvetic und Swiss vor der Krise gute Partner waren, sind wir es in der Krise und danach auch. Helvetic hat für uns stets einen sehr guten Job gemacht. Wie läuft das Geschäft der Swiss diesen Winter? Die Erholung, die wir im Frühling und Sommer erwartet hatten, ist leider nicht eingetreten. Das war ein Rückschlag für die gesamte Branche. Verglichen mit dem Vorjahreszeitraum bieten wir diesen Winter rund 20 Prozent unserer Kapazität an, zu Weihnachten sind es immerhin bis zu 35 Prozent. Unterschiedliche und ständig wechselnde Reise- und Quarantäneregeln machen es schwierig für uns und unsere Kundschaft. Wenn die Chance jedoch da ist, wollen die Menschen auch fliegen. Was muss sich ändern? Wir haben die Hoffnung, dass es mit der zunehmenden Verbreitung der Impfung positiv weitergeht. Also nur noch Geimpfte dürfen an Bord? Nein, es ist nicht unsere Aufgabe, das zu bestimmen. Aber es wird sicherlich weltweite Regelungen geben, zum Beispiel in Form eines digitalen Impfpasses. Das wäre der richtige Weg, um mehr Reisen möglich zu machen. Aber es ist noch ein weiter Weg. Bis dahin brauchen wir mehr Corona-Tests. Und endlich einheitliche Reise- und Quarantäneregeln in Europa. Wann und wo wird es Swiss-Test-Routen geben? Ab Januar könnte es bereits losgehen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es als Erstes die Strecke Zürich–Hamburg sein, denn dort hat die Lufthansa Group bereits Erfahrungen gesammelt. Warum sollten sich Kunden und Kundinnen auf so etwas einlassen? Fällt der Test positiv aus, dürfen sie nicht mitfliegen. Passagiere können sich darauf verlassen, dass an Bord nur negativ getestete Passagiere mitfliegen. Das entspricht sicherlich einem Kundenbedürfnis. Es geht aber auch darum, dass wir als Airline lernen, mit den Test-Prozessen vertraut zu werden, damit die Tests zukünftig schneller und besser durchgeführt werden können. Ist die Swiss bei der Verteilung der Impfstoffe in die Schweiz beteiligt? Wir haben mit Swiss World Cargo eine eigene, kompetente Frachtabteilung, die für den Transport von Pharmaprodukten auf eine langjährige Erfahrung zurückblicken kann. Wir können beim Transport von Impfstoffen eine wichtige Rolle spielen, aber nicht in dem Ausmass wie Lufthansa Cargo, die eigene Frachter hat. Würden Sie sich impfen lassen? Ich denke schon. Wann fliegen Sie wieder die für Sie lukrativen Langstrecken Richtung Nordamerika? Ich hoffe, dass es im Sommer 2021 wieder losgeht. Es wird jedoch nicht in dem Ausmass sein wie 2019, zumal eine substanzielle Erholung nicht vor 2023 oder 2024 eintreten dürfte. Wie gross ist Ihr Langstreckenangebot derzeit? Rund ein Viertel des Vor-Corona-Angebots. Dies wird hauptsächlich von unserem Cargogeschäft getrieben. Wie wollen Sie Geschäftsreisende locken? Die haben sich ans Remote-Arbeiten gewöhnt. Man muss zwischen Lang- und Kurzstrecke unterscheiden. Ich bin zuversichtlich, dass auf der Langstrecke Business und First Class weiter gefragt sein werden. Auf der Kurzstrecke wird die Economy Class eine grössere Rolle spielen, das war schon vor der Krise so. Bauen Sie in First und Business ab? Ich glaube an die Zukunft der First Class. Diese wird weiterhin ein starkes Produkt in der Schweiz bleiben. Bei der Business Class wird sich zeigen, ob wir das grosse Business-Angebot durchhalten können. Der Wettbewerbsdruck wird gross bleiben, also müssen wir konsequent am Kostenmanagement arbeiten. Was die Kurz- und Mittelstrecke angeht, so werden wir sicher nicht mehr elfmal am Tag die Route Zürich–Berlin bedienen. Für ein einstündiges Meeting mal eben nach Hamburg fliegen wird man sicherlich stärker infrage stellen. Aber Geschäftspartner persönlich in New York oder in Singapur treffen, das wird bleiben. Swiss nennt sich Premium. Nun schaffen Sie kostenlose Snacks in der Kurz- und Mittelstrecke ab. Das tönt eher nach Billigflieger. Für die Business Class bleibt es unverändert. Und in der Economy Class bieten wir eine grössere Auswahl an als das bisherige Sandwich. Sicher wirkt sich das auch positiv auf die Kosten aus, allerdings haben unsere Gäste nun die Wahl, was sie essen möchten. Wir hatten diese Debatte bereits in Genf, danach wurde das Angebot sehr schnell akzeptiert. Wir hätten das neue Essenskonzept Swiss Saveurs auch unabhängig von der Corona-Krise umgesetzt, jetzt machen wir es nur etwas früher. Bei Easyjet wird das Handgepäckfach kostenpflichtig, bald auch bei Swiss? Nein, das wird bei uns nicht eingeführt. Der Swiss-Standort Genf war lange defizitär, dann aber profitabel: In der Krise stellt sich die Frage, ob Swiss an Genf noch festhalten kann. Genf ist ein wichtiger Standort für Swiss und ich glaube fest daran, dass wir dort auch wieder schwarze Zahlen schreiben werden. Condor hat angekündigt, in Zürich zwei Maschinen zu stationieren. Das freut die Tour-Operators, die keine Freude hatten an der dominierenden Stellung von Swiss und Edelweiss. Haben Sie sich mit Ihrer Preisstrategie ein Eigentor geschossen? Wettbewerb gehört zum Geschäft. Es wird sich zeigen, wer sich am Ende durchsetzt. Der Lufthansa-Konzern ist hoch verschuldet, muss sparen und schrumpft. Was bedeutet das für Swiss? Es gibt ein klares Bekenntnis der Lufthansa Group dazu, dass Swiss eine wesentliche Rolle spielen wird, auch beim Wiederaufbau der Gruppe. Es kam zu Spekulationen, dass Swiss zum Verkauf steht. Das halte ich jedoch für ausgeschlossen. Müssen sich Swiss und Edelweiss zusammenlegen? Wir haben schon einen sehr hohen Grad der Zusammenarbeit und sind ein Vorbild für die Lufthansa Group. Das heisst aber nicht, dass wir nicht ständig weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit prüfen. Braucht die Swiss nochmals Staatshilfe? Das Kreditvolumen ist so, dass wir nicht bei jedem Rückschlag umfallen. Wenn 2021 jedoch so werden sollte wie 2020, dann wird es sicher eine grosse Herausforderung. Wie viel ist noch übrig von dem Kredit? Mehr als 1 Milliarde Franken. Wegen der variablen Vergütung für 2019 hat es viel Unmut gegeben. Sie selbst bleiben dabei, vorerst darauf zu verzichten? Meine variable Vergütung für 2019 wird erst dann ausgezahlt, wenn der Kredit vollständig zurückgezahlt ist. Alle anderen anspruchsberechtigten Swiss-Mitarbeitenden haben ihre vertraglich zugesicherten variablen Lohnbestandteile für 2019 erhalten. Für 2020 gilt: Die Geschäftsleitung hat während sechs Monaten auf 20 Prozent des Gehalts verzichtet, die variable Vergütung entfällt. Das entspricht 40 Prozent weniger Einkommen als im Jahr 2019. In den Folgejahren wird sie auf die variable Vergütung verzichten, das entspricht 30 Prozent weniger Einkommen. Wie verändert die Krise die Swiss-Flotte? Wir müssen unsere Investitionen strecken, das ist klar. Dennoch arbeiten wir weiter an einer Verjüngung unserer Flotte. Noch im Dezember erhalten wir unser fünftes Flugzeug der A320neo-Familie. Was ist Ihr Favorit für den Ersatz der A330/A340-Flieger? Boeing 787 oder Airbus A350? Der Austausch war ursprünglich für die Mitte dieses Jahrzehnts vorgesehen. Noch wissen wir nicht, wie gross Swiss dann sein wird. Ich habe mehrfach kundgetan, dass ich Airbus-A350-Fan bin. Im Vordergrund steht aber die Rückkehr zur Profitabilität, nicht der Kauf neuer Flugzeuge.

Das letzte Interview von Thomas Klühr als Swiss-Chef

Thomas Klühr: «Mal losgelöst sein von der Rolle als CEO»