Warum niemand chinesische Aktien an der Schweizer Börse SIX handelt

Sie heissen GEM, Gotion High-Tech, Keda Industrial oder Greatstar Industrial: Im Sommer wagten diese vier chinesischen Konzerne ihr Börsendebüt in der Schweiz. Für den Schweizer Finanzplatz waren damit grosse Hoffnungen verbunden: dass die Schweiz zum Tor für Chinas Firmen zu den europäischen Kapitalmärkten werden könnte. Ein halbes Jahr später zeigt sich: Die Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Denn de facto findet kein Handel mit den Papieren statt, obwohl mittlerweile sogar acht Firmen an der SIX in Zürich kotiert sind. Das Segment dämmert als «roter Friedhof» vor sich hin. Dabei sind die acht Emittenten aus China keine Nobodys. Der Batterie-Recycler GEM zum Beispiel, der in der ersten Welle diesen Sommer an die SIX kam, weist einen Umsatz von umgerechnet 3,5 Milliarden Franken aus. An der Heimatbörse Shenzhen kommt der Konzern auf eine Marktkapitalisierung von rund 6 Milliarden Dollar. Im Zuge des Listings in der Schweiz kündigte GEM an, die an der SIX aufgenommen Gelder unter anderem für den Aufbau einer Recyclinganlage in Ungarn verwenden zu wollen. Das sei typisch, sagt Thomas Zeeb, der bei der SIX in der Geschäftsleitung das Börsengeschäft verantwortet. «Die chinesischen Firmen, die bei uns gelistet sind, sind grosse Unternehmen, die in einigen Fällen in Europa Produktionsstätten aufbauen wollen», erklärt er. Die Schweizer Börsenkotierung diene ihnen weniger zur Kapitalaufnahme, sondern mehr dazu, «in Europa bekannter zu werden». Und genau hier liegt das Problem. Denn das Phänomen, dass die chinesischen Titel nicht gehandelt werden, erklärt Zeeb eben damit, dass «die Firmen in Europa noch nicht so bekannt sind». Zudem seien die chinesischen Titel an der SIX nicht Mitglied in den bekannten grossen Indizes. Sprich: Die Konzerne wollen über die Schweizer Kotierung bekannter werden. Aber eben weil sie so unbekannt sind, handelt niemand diese Titel. Die Börse sieht die Banken in der Pflicht Um das Dilemma zu lösen, sieht Zeeb die Banken und die chinesischen Konzerne in der Pflicht: Sie müssten mit Roadshows um Investoren werben. «Wir stellen die Börsenplattform und machen kein Marketing für Emittenten», betont der SIX-Manager Befragte Banker und Kapitalmarktexpertinnen winken dagegen ab. «Die Verantwortlichen in den chinesischen Führungsetagen sprechen zum Teil nicht mal Englisch», sagt ein Kenner der Materie. Zudem seien die Firmen gar nicht daran interessiert, sich bei Schweizer Investoren bekannter zu machen. Warum sind sie dann an der SIX kotiert? Weil es die Regierung in Peking will, sagen übereinstimmend mehrere Quellen, die mit chinesischen Börsenlistings befasst sind. «Treiber ist ganz klar die Politik, die zeigen will, dass chinesische Firmen attraktiv sind», sagt ein Insider. SIX-Manager Zeeb will dagegen von politischem Kalkül Pekings nichts wissen: «Wir sehen da keinen Druck.» Pekings langer Arm «Chinesische Firmen lassen sich offenbar aus politischen Gründen in Europa kotieren, um für den Fall gerüstet zu sein, dass die USA ihren Kapitalmarkt für chinesische Emittenten schliessen sollten», so ein zweiter Kapitalmarktkenner. «Wir haben nicht von den Spannungen mit den USA bei den Kotierungen profitiert», entgegnet Zeeb. Gleichzeitig meint er: «Dass das Verhältnis der Schweiz zu China als stabiler und zuverlässiger gesehen wird, das kann ich mir schon vorstellen.» In das Bild, dass chinesische Börsengänge in der Schweiz politisch motiviert sind, passt auch, dass weitere Konzerne an die Schweizer Börse streben, obwohl dort die Papiere so gut wie nicht gehandelt werden. «Wir haben etwa eine Handvoll Kandidaten weiterer chinesischer Firmen in der Pipeline, die sich an der SIX kotieren lassen wollen», sagt Zeeb. Namen von Kandidaten nennt er keine. Zuletzt hatte die Agentur Bloomberg gemeldet, dass Chinas Solarausrüster Longi Green Energy Technology einen Börsengang in der Schweiz anstrebe. Die Emission der Papiere könne bis zu 4 Milliarden Dollar schwer sein. Sollte das stimmen, wäre dies mit Abstand der grösste Börsengang eines chinesischen Unternehmens an der Schweizer Börse. Attraktive Arbitrage-Geschäfte Die chinesischen Unternehmen sind in der Schweiz als sogenannte Global Depository Receipts (GDR) kotiert. Das sind Wertpapiere, bei denen A-Aktien chinesischer Konzerne hinterlegt sind. Die A-Shares sind an den chinesischen Börsen kotiert und dürfen nur sehr begrenzt von Ausländern gehandelt werden. Die Hinterlegungsscheine bieten internationalen Investoren eine Alternative: «Als GDR-Investor bin ich wirtschaftlich einem Aktionär gleichgestellt», erklärt Annette Weber, Anwältin der Kanzlei Advestra. Die GDR haben dazu noch eine wichtige Eigenschaft: Nach 120 Tagen können sie in A-Shares des betreffenden Unternehmens getauscht werden. Laut Bankern und Bankerinnen kaufen daher primär chinesische Auslandsinvestoren diese GDR an der SIX und tauschen sie später in Aktien um. Denn die Hinterlegungsscheine werden mit einem Abschlag auf den Kurs der A-Shares ausgegeben. Auch Hedgefonds seien hier aktiv. «Sie betreiben damit Arbitrage», erklärt ein Insider. Beispiel Keda Industrial Group: Der Industriekonzern, der unter anderem Maschinen zur Fertigung von Keramikteilen anbietet, hatte im Sommer 12 Millionen GDR an der Schweizer Börse verkauft. Laut einer Mitteilung von Keda von Ende November sind nach der 120-Tage-Frist über 50 Prozent der GDR eingetauscht worden. Das heisst: Verkauft ein chinesischer Konzern die Hinterlegungszertifikate an der Schweizer Börse, gibt es durchaus Nachfrage danach. Die Papiere werden aber primär gekauft, um sie später in die Originalaktien zu tauschen, die aber nur in China gehandelt werden. Bleibt dies so, dürfte es kaum je Bewegung in den Schweizer Markt für chinesische Titel geben. Zürich schlägt Frankfurt und London Kleiner Trost: Mit den bisher eher erfolglosen Gehversuchen, China-Aktien nach Europa zu bringen, sind die Schweizer nicht allein. Und verglichen mit den Börsen Frankfurt und London hat die Schweizer Börse sogar das meiste Volumen anlocken können. In Frankfurt zum Beispiel werden derzeit noch gar keine GDR-Scheine chinesischer Firmen gehandelt. Einzig der Hausgerätehersteller Haier hat sich mit D-Shares an der Ceinex listen lassen, einem Gemeinschaftsunternehmen der Deutschen Börse mit der Börse Schanghai, das 2015 gegründet worden ist. Auch Ceinex gilt als Flop. London verfügt zwar wie Zürich bereits über den sogenannten Stock-Connect, eine Vereinbarung mit den chinesischen Behörden, die chinesischen Emittenten die Kapitalaufnahme im Westen mittels GDR erlaubt. Fünf chinesische Konzerne haben davon in London bisher Gebrauch gemacht, an der SIX sind es deren acht. Die Banker und Bankerinnen wollen das Segment aber nicht komplett abschreiben: «Es braucht einfach bekanntere Unternehmen mit einem internationalen Fokus», so ein Beteiligter. Und die Firmen müssten bereit sein, in Europa um Investoren zu werben. Sonst bleibe das Segment eben ein roter Friedhof.

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Warum Chinas Börsengänge in der Schweiz floppen