Und wieder stolpert ein Manager über eine Affäre. Zu dem Schluss könnte man kommen, wenn man die Geschichte nachliest, die dem Rücktritt von Guy Lachappelle aus dem Verwaltungsrat von Raiffeisen voranging. Ein Seitensprung, noch zu Zeiten als Chef der Basler Kantonalbank (BKB), eine unfriedliche Trennung, gegenseitige Stalking-Vorwürfe. Und jede Menge juristische Schritte zwischen Lachappelle, seiner Ex-Geliebten und Journalisten, die darüber berichten wollen. Stoff für Hollywood.

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Doch das ist nicht der Grund für Lachappelles Rücktritt als Raiffeisen-Präsident. Eine Affäre alleine – und sei sie noch so wild, unüberlegt und unmoralisch – darf kein Anlass dafür sein, dass ein Banker seinen Job abgeben muss. Auch die zwischenmenschlichen Gehässigkeiten nicht. Zumindest nicht, so lange das mit dem Job der Betroffenen nichts zu tun hat. Sonst müsste noch manch anderer Firmenchef zurücktreten.

Nein, gestolpert ist Lachappelle über eine ganz altmodische Geheimnisverletzung. Liebestoll, wie er das selbst formuliert, hat er seiner damaligen Freundin interne Dokumente der Basler Kantonalbank zugespielt. Warum er das tat, und was sie damit anstellte, ist unklar. Klar ist nur, dass es passiert ist. Nachdem der «Tages-Anzeiger» offenbar von der Frau darüber informiert wurde, und darüber berichten wollte, wählte Lachappelle am Donnerstag den Gang an die Öffentlichkeit und beichtete die Geschichte selbst.

Hoch vertrauliche Dokumente weiterzugeben, ist unverzeihlich

Natürlich ist das ganze eine Beziehungsgeschichte. Denn die Sache wäre nicht ausgekommen, wenn die Person, die einst vom «Leak» profitierte, jetzt nicht aus Rache zur Staatsanwaltschaft gegangen wäre. Lachappelle zufolge war sie es, die die Anzeige gemacht und damit der Geschichte die Schwere gegeben hat, die nun zum Rücktritt geführt hat.

Und hier wird die Story relevant. Während man darüber sinnieren kann, wie fahrlässig sich Topmanager im Privatleben verhalten dürfen, so muss man beim Beruflichen engere Grenzen ziehen. Dass der Chef einer Bank seiner Geliebten Bankdokumente zukommen lässt, über die er im Mail, das der «Tages-Anzeiger» publiziert hat, schreibt, sie enthielten «potenziell börsenrelevante Details» und seien «eigentlich sehr vertraulich», ist unverzeihlich. Der studierte Jurist Lachappelle wusste zu dem Zeitpunkt genau, dass er Grenzen überschritt. Seiner Freundin schickte er offenbar ein «Grundlagenpapier», noch bevor er dieses dem Basler Regierungsrat präsentiert hatte. Auch das schrieb er in dem Mail.

Aber reden wir nicht alle gelegentlich mit unseren Partnern und Partnerinnen über die Arbeit? Natürlich tun wir das. Und vermutlich werden beim Znacht oder auf dem Sofa gelegentlich auch Geschäftsgeheimnisse geritzt. Doch das ist nicht das gleiche. Jedem Banklehrling wird im ersten Lehrjahr eingeimpft, wie er mit Geschäftsgeheimnissen umzugehen hat. Dass er beispielsweise nach Feierabend nicht mit seien Freunden über Kunden reden darf. Und schon gar keine Dokumente aus der Bank mitnehmen darf. Da wäre zu erwarten, dass sich zumindest die Chefs an diese Regeln halten. Und nicht auch noch Spuren hinterlassen.

Doch sie tun es oft nicht. Auch Journalisten profitieren gelegentlich davon, dass Manager und Managerinnen Stories erzählen, die sie eigentlich nicht erzählen dürften. Auch ich habe schon gestaunt, mit welcher Lockerheit teilweise Interna ausgebreitet werden, wenn es gerade opportun scheint. Offenbar fühlen sich gewisse Manager derart sicher, dass sie meinen, sich nicht an die Regeln halten zu müssen, die sie ihren eigenen Angestellten predigen. Und das ist das eigentliche Problem.

Entgleisungen von Bankern, die sich für unantastbar hielten

Ist das eine BKB- oder eine Raiffeisen-Story? Formell hat der Grund, der nun zum Rücktritt bei Raiffeisen geführt hat, nichts mit der Genossenschaftsbank zu tun. Interessant ist aber, dass es bei beiden Banken Vorgeschichten mit Chefs gibt, die sich für unantastbar hielten.

Der Fall des früheren Raiffeisen-CEO Pierin Vincenz ist bekannt und wird kommendes Jahr von den Gerichten beurteilt werden. Kurz gesagt: Ein ambitionierter und selbstbewusster Banker macht aus dem Genossenschaftsbänkli eine starke Nummer 3 im Schweizer Markt und leistet sich im Gegenzug Dinge, die ihm nicht zustanden und mutmasslich gegen Gesetze verstiessen. Vom Spesenbetrug bis zu Beteiligungsgeschäften in die eigene Kasse. Vincenz war Mister Raiffeisen und führte sich auch so auf. Und der Verwaltungsrat schaute weg, oder zumindest nicht gut genug hin.

Auch bei der Basler Kantonalbank gab es Entgleisungen und Stories von Bankern, die sich für unantastbar hielten. Sie hielten den Journalisten öffentlich Predigten darüber, wie sie zu berichten hätten und führten die Bank gleichzeitig in ein teures Schwarzgeld-Desaster. Ein Bankratspräsident soll die Garage des Hauptsitzes umgebaut haben lassen haben, nur um besser mit seinem Sportwagen einfahren zu können. Banker vor Lachappelle, von denen man nach ihrem Abgang nie mehr etwas hörte. Weder in der Finanzbranche noch im gesellschaftlichen Leben.

Auch von Lachappelle wird man wohl nicht mehr viel hören. Egal, ob die Geschichte mit dem Dokumenten-Leak zu einer Verurteilung führt oder ob die Finanzmarktaufsicht ihm das Gewähr für eine Funktion in einer Bank entzieht. Er weiss es selbst, und sagte das am Donnerstag auch vor den Medien: «Beruflich werde ich mit Sicherheit viel verlieren.» Aus der Finanzbranche werde er sich zurückziehen, alle Ämter abgeben. 

Man kann den Fall mit Argwohn betrachten oder über den Mann spotten, der seine Emotionen nicht im Griff hatte. Die ernsthafte Frage ist aber, wie die betroffenen Unternehmen – und auch andere – eine Firmenkultur schaffen können, in der sich die obersten Chefs und Cheffinnen nicht mehr als allmächtig fühlen. Egal wie gut die Arbeit ist, die sie für das Unternehmen erbringen. Wer CEOs zu Halbgöttern hochstilisiert, sie wie Superstars bezahlt und als unersetzlich behandelt, muss sich nicht wundern, wenn sich diese dann auch so verhalten.

Dass Lachappelle zu Raiffeisen geholt wurde, um das System Vincenz zu beseitigen, ist die traurige Pointe an dieser Geschichte.

Michael Heim Handelszeitung
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