Eine Kennzahl zum Eigenkapital der Banken, die sich kleinrechnen lässt

Halbieren wir mal auf dem Papier das Risiko. So hat es die Credit Suisse im Dezember gemacht. In der Jahresbilanz standen 520 Milliarden Franken Aktive. Das sind bei einer Bank vor allem Forderungen wie Kredite sowie Wertpapiere und Barreserven. Doch in der Risiko-Bilanz, die die CS für die Finma gemacht hatte, waren es nur noch 251 Milliarden. Das sind die sogenannten risikogewichteten Aktiven (Risk weighted assets). Diesen unterlegte die Grossbank 41 Milliarden Eigenkapital. Mit dem Resultat einer optisch attraktiven Eigenkapitalquote von 16,4 Prozent, so steht es im Jahresbericht. Der Wert klingt nach fast viel, wie die derzeit in der Öffentlichkeit geforderten 20 Prozent. Alles fein also? Wer jetzt Ja sagt, befindet sich in guter Gesellschaft mit dem Parlament, das diesen Vorschriften 2014 zugestimmt hatte. Sie stehen in der Too-big-to-fail-Regulierung (TBTF) und waren die Folge der Verschärfungen der Eigenkapitalvorschriften für systemrelevante Banken von 2014. Doch der Beinahe-Bankrott der CS zeigt, dass irgendetwas nicht stimmen konnte. Zwar hatte die Grossbank die Regeln eingehalten, und die Finma hat die Berechnungen durchgewinkt. Aber dennoch steckten Risiken im Geschäft, die diese 251 Milliarden nicht abbildeten. Versagen interner Risikomodelle Dafür gibt es drei Erklärungen. Die erste ist, dass die Bankenaufsicht versteckte Risiken nicht sehen konnte. Die zweite ist, dass die Grossbanken hochgezüchtete interne Risikomodelle verwenden. Diese sind geeignet, die Risiken kleinzurechnen, ohne dass es die Bankenaufsicht merkt. Und die dritte ist der Hochmut der Bankenmanager. Ein Indiz für die erste Erklärung sind die nicht dargestellten, milliardenschweren Risiken im Zusammenhang mit dem Hedge-Fonds Archegos und den Anlagepapieren des Finanzdienstleisters Greensill. Mit Archegos wurden fast 5 Milliarden Ausfallrisiken in den Modellen nicht dargestellt. Beim Greensill ist die Schadenssumme noch nicht klar, aber wohl höher als 2 Milliarden. Beide Fälle waren der Auslöser für die grossen Zweifel an den internen Risikomodellen, die das Vertrauen in die Bank zerstörten. Ein Indiz für die zweite Erklärung ist, dass die Liquiditätsrisiken viel zu tief bewertet wurden. Die CS hatte 233 Milliarden an Kundenguthaben in ihrer Bilanz und sah nicht, dass die Hälfte davon innert Wochenfrist abfliessen könnte. Das Risikomodell hatte offensichtlich versagt. Und das Indiz für die dritte Erklärung, den Hochmut, liefert eine treffliche Anekdote. Wir schreiben das Jahr 2013. Gerade sind grossflächige Devisenmanipulationen unter Grossbanken aufgeflogen und die CS steckt mittendrin. Doch Brady Dougan, der damalige CS-Konzernchef, präsentiert triumphierend an der CS-Generalversammlung die neue «Look-through»-Kapitalquote. Mit der schönfärberischen Bezeichnung suggerierte er, dass man durch alle Risiken der Bank hindurchsehen könne. Damit meinte er die Verhältniszahl von Eigenkapital zu den besagten risikogewichteten Anlagen. Der Skandal fliegt auf. Und ein paar Monate später sagt Ex-Finma-Chef Mark Branson im Fachblatt «Risk»: «Wir haben es hier mit Modellen zu tun, die unrealistische Ergebnisse liefern, wenn man die jüngste Vergangenheit und die nahe Zukunft betrachtet». Diese Modelle seien – vereinfacht gesagt – nur Müll. «Weglassen!», forderte kürzlich der britische Wirtschaftskommentator der «Financial Times», Martin Wolf, in der NZZ. Er sprach von «Unsinn mit der Risikogewichtung der Vermögenswerte» und begründete die Sicht wie folgt: «Es ist extrem unwahrscheinlich, dass das Management versteht, welchen Risiken die Bank ausgesetzt ist.» Die Sache sei auch wirklich komplex, es existierten Ansprüche gegenüber so vielen Gegenparteien, von denen man vieles nicht wisse. Dass bei der Risikogewichtung Schindluder betrieben wird, zeigt allein der Fakt, dass der Basler Ausschuss international verboten hat, eine gewisse Minimalschwelle der Anlagen zu unterschreiten. Wie machte er das? Dafür muss man etwas hinter die Kulissen schauen. Es gibt vereinfacht zwei Möglichkeiten für eine Bank, die risikogewichteten Aktiven zu berechnen: Mit einem sogenannten Standardmodell, das die Bankenaufsicht definiert, und mit einem bankinternen Risikomodell, das die Bankenaufsicht bewilligen muss. Die UBS, die CS und die Raiffeisenbanken verwenden interne Risikomodelle. Diese haben sie eingerichtet, weil sie die Risikodarstellung optimieren – ergo tiefer berechnen – können als mit dem Standardmodell. Die regulatorische Folge: Sie müssen markant weniger Eigenkapital unterlegen, als wenn sie das Standardmodell der Aufsicht verwenden würden. Dies fiel David Gerber, dem damaligen Chef der Sektion Versicherung und Risiken des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen, bereits 2016 auf. «Die Schweizer Grossbanken weisen international eine relativ tiefe Quote von risikogewichteten Aktiven im Verhältnis zu den totalen Aktiven aus», analysierte er für die Seco-Zeitschrift «Die Volkswirtschaft». Und forderte: «Es gilt deshalb zu eruieren, ob bankinterne Modelle die Risiken adäquat einschätzen.» Ein virtuoser Bericht der CS Wer verstehen will, wie hyperkomplex ein solcher Bericht daher kommt, sollte sich den letzten Bericht der CS von Ende Dezember anschauen. Auf 86 Seiten wird erklärt, wie viele Tausend Stellschrauben in einem solchen Risikomodell vorkommen und was all die Annahmen sind. Von «fairen Bewertungsgrundsätzen» und «Monte-Carlo»-Simulationen ist ebenso die Rede wie von geschätzten Liquiditätsrisiken. Die Ironie: Monte-Carlo steht für die Wahrscheinlichkeitsrechnung von Extremereignissen, gewissermassen die Einschätzung zur Wahrscheinlichkeit des Auftauchens eines Schwarzen Schwans. Doch im CS-Bericht steht nichts von der Möglichkeit eines Vollabsturzes. Und dies, obwohl Kunden in den Monaten zuvor netto 83 Milliarden Franken von der Grossbank abgezogen hatten – ein Drittel der Kundeneinlagen. Dieser Risikobericht ist Makulatur, all die schönen Tabellen und Kennwerte darin sind entlarvt. Den Zürcher Bankenprofessor Urs Birchler überrascht das nicht. «Die Liquiditätsabflüsse bei der CS habe auch damit zu tun, dass sich die FINMA an Eigenmittel-Berechnungen gehalten hat, die nicht den Realitäten entsprach.» Ein früheres Mitglied der Finma sagt unter der Zusage von Anonymität: «Die risikogewichteten Aktiven sind ein grosses Manipulationsfeld». Der Berner Volkswirtschaftsprofessor Aymo Brunetti formuliert es diplomatischer: «Alle Parameter eines internen Risikomodells zu überprüfen, ist für die Bankaufsicht schwierig». Und die Bankiervereinigung sagt es nochmals etwas diplomatischer: «Die internen Risikomodelle sind komplex, das stimmt.» Doch im Kern sagen sie alle das gleiche: Die Eigenkapitalquote bezogen auf die risikogewichten Aktiven gehören auf die Intensivstation. Dies war bereits von 2012 bis 2014 in der Regulierungsdebatte TBTF bekannt, wie Brunetti zurecht sagt. Im Parlament gab es etliche Diskussionen darüber. Doch die Bankenvertreter überstimmten die Politik und Wissenschaft. Und die Regulatoren schauten international zu, denn der Druck der Bankenlobby, transportiert von den Regierungen und Notenbanken, war einfach zu gross. Doch 2017 kam die kleine Revanche des Basler Ausschusses. Er konnte nachweisen, dass es einen Wildwuchs an internen Risikomodellen gebe. Einige Exponenten sprachen von «willkürlichen» Resultaten. Und es wurde festgelegt, dass die Resultate bankinterner Risikomodelle maximal um einen Viertel tiefer liegen dürfen als solche von standardisierten Modellen. Die Experten nennen das unverdächtig «Output-Floor» – und rühmen es als Fortschritt. In der Schweiz werden diese finalen, sogenannten Basel-III-Regeln erst jetzt umgesetzt: «Gewisse Parameter werden künftig für alle verbindlich festgelegt und so die Resultate vergleichbarer gemacht», sagt Markus Staub, Dossierverantwortlicher der Bankiervereinigung. Doch jetzt stellt der CS-Kollaps die Basel-III-Regulierungen erneut in Frage. Und die harten Kapitalvorschriften? Die Bankiervereinigung sieht in diesen Modellen noch immer das Heil. «Die risikogewichtete Betrachtungsweise bringt den Vorteil, dass eine Bank die Risiken der Geschäfte beziehungsweise der Aktiven berücksichtigt und entsprechend gewichtet.» Deshalb sei diese Betrachtung auch weiterhin zielführend und «sollte in der Regulierung auch künftig eine wichtige Rolle spielen». Dies sieht Professor Brunetti im Grundsatz auch so. Es brauche diese Kennzahl, zusammen mit ihrer kleinen Schwester, der ungewichteten Eigenkapitalquote (die pure Quote, ohne Risikomodelle). Nicht alle Geschäfte seien risikoreich, sagt Brunetti. Doch eine Bank könne sich eben «in der Beurteilung des Risikos von Anlagen leicht täuschen», sagt er. Eine solche risikobasierte Betrachtung könnte sich «rasch als falsch herausstellen». Dies habe beispielsweise der plötzliche Absturz Silikon Valley Bank in den USA gezeigt, die die Zinsänderungsrisiken falsch eingeschätzt hatte. «Deshalb rückt die ungewichtete Eigenkapitalquote, die Leverage Ratio, in den Vordergrund», sagt Brunetti. Seine Überlegung: «Hält die Bank überdurchschnittlich viel ungewichtetes Eigenkapital, zum Beispiel 10 oder 20 Prozent, hält das Vertrauen in einer Bank länger als wenn sie bloss 5 oder 6 Prozent Eigenkapitalquote hat, wie dies heute der Fall ist». Bankenprofessor Urs Birchler formuliert es härter: «Die bisherigen Anforderungen bezüglich der Eigenmittel systemrelevanter Banken reichen, wie die Fälle UBS 2008 und CS 2023 gezeigt haben, bei weitem nicht aus.» Dass die Politik es ihnen gleichtut, kann man ihr nicht verübeln, denn sie fühlt sich veräppelt. Sie erlebt gerade ein Déjà-vu. Nach der Finanzkrise beschloss das Parlament, dass die Eigenkapitalvorschriften im Grundsatz kräftig verschärft werden. Doch am Ende waren es bloss ein paar Prozentchen mehr Quote und man rühmte sich, die härtesten Vorschriften der Welt zu haben, sozusagen ein Swiss-Finish. Die Mehrheit glaubte damals den Bankenvertretern, dass die Eigenkapitalquote bezüglich der risikogewichteten Aktiven die bessere, die logischere Lösung sei. Logisch, weil es nur die risikobehafteten Geschäfte seien, für die mehr Eigenkapital unterlegt werde. Doch dieses Modell öffnete den Banken Tür und Tor, um ihre Risiken zu verstecken und kleinzurechnen. Und jetzt sind sie gerade daran, das gleiche zu wiederholen.«Die UBS ist gut beraten, Teile abzuspalten» Aymo Brunetti, Professor für Volkswirtschaftslehre und Vater des Too-big-to-fail-Gesetzes, sieht mit Skepsis die Entstehung einer Superbank in der Schweiz. Mehr hier.

Eine Kennzahl zum Eigenkapital der Banken, die sich kleinrechnen lässt

Die Kennzahl, die sich kleinrechnen lässt