Buchautorin Sara Weber über Homeoffice, Viertagewoche und Druck am Arbeitsplatz

Eine Krise jagt die nächste: Corona, Krieg, Klimakrise und dazu die Inflation. Dabei beginnt sich manch einer und manch eine zu fragen: Warum überhaupt soll ich noch arbeiten? Doch allen Gedanken zum Trotz: Der Alltag geht weiter und der Posteingang füllt sich mit Mails. Sara Weber, ehemaliges Gesicht des Businessnetzwerks Linkedin in Deutschland, verabschiedete sich vom vollen Posteingang und kündigte ihre Stelle als Redaktionsleiterin – um nach einer Pause eine Antwort auf genau diese Frage zu finden. Im Gespräch erzählt sie, warum wir alle erschöpft sind und was wir Einzelnen, die Firmen und die Politik dagegen unternehmen können. Dabei lässt sie auch die Diskussionsthemen Care-Arbeit und Generation Z nicht aus – und zeigt, warum diese beiden mitunter der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft sind. Frau Weber, wenn ich in meinen knallvollen Posteingang schaue, kriege ich manchmal das Gefühl, dass die Bude brennt. Dabei tut sie das gar nicht zwingend! Aber aus der Nachrichtenflut entsteht natürlich das Gefühl, dass es heute öfter brennt als früher. Woran liegt das? Es gibt nicht den einen Grund, es ist ein Zusammenspiel aus vielem. Unser Handy vibriert und leuchtet ständig auf. Ausserdem jagt eine Krise die nächste, doch währenddessen sollen wir still unsere Arbeit weitermachen? Das ist für viele heute nicht möglich. Gleichzeitig steigt der Druck, während der Arbeit immer mehr zu leisten. Warum? Das liegt oft auch an den Führungspersonen, die oft nicht sehr gut kommunizieren. Ein Beispiel: Sie haben eine Idee und müssen diese heute sofort mitteilen – per Mail an alle. Haben sie das nicht schon immer gemacht? Nicht in diesem Ausmass. Früher war die Sitzungsstruktur eine andere: Ein Ideen-Meeting fand beispielsweise am Montag statt. Bis dann mussten die Leute warten mit ihren Ideen – sie konnten sich davor nicht so einfach mitteilen. Wenn die Idee nach drei Tagen immer noch im Kopf herumgeisterte, dann war sie vermutlich gut. Heute fehlt dieses Warten und Überschlafen. Wahrscheinlich würden viele Ideen wieder vergessen, müssten die Leute drei Tage warten. Wie also damit umgehen? Das ist eine Frage, die ich zu beantworten versuche. Wie und warum kamen wir an diesem Punkt – und vor allem: Wie kommen wir da wieder raus? Woran liegt es, dass wir uns heute ständig gestresst und ausgebrannt, kurzum erschöpft fühlen? Was heisst für Sie Erschöpfung? Wer früh aufsteht und spät ins Bett geht, ist körperlich müde – das geht aber mit etwas Erholung wieder weg. Die Erschöpfung, von der ich spreche, ist eine anhaltende Erschöpfung, ständiger Stress. Das entsteht, wenn beispielsweise eine Trennung erfolgte, dazu ein Umzug und mittendrin ein Kind betreut werden muss. Es kann aber auch der Druck vom Studium, zu wenig Geld oder schlicht zu wenig Zeit für sich selbst sein. Arbeit ist ein bedeutender Faktor. Erschöpfung in diesem Zusammenhang ist, dass man ständig an die eine Sache – meistens die Arbeit – denkt und es nicht abstellen kann. Die Unmöglichkeit, den Teufelskreis zu verlassen. In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Corona als Katalysator diente und diesen Teufelskreislauf verstärkte? Die Leute waren schon vorher gestresst und überarbeitet – aber ja: Die Pandemie hat das mit zusätzlichen Aufgaben wie Kinderbetreuung zu Hause, andauernder Unsicherheit und auch mit dieser nicht greifbaren Angst vor einer Ansteckung verstärkt. Die Pandemie ist noch nicht lange her, doch heute scheint sie vergessen? Ja, wir haben die Anfangszeit der Pandemie teilweise verdrängt. Aber denken wir mal zurück: Damals ging es effektiv darum, ob man die Grossmutter besuchen und dadurch eine Ansteckung riskieren wollte. Das nagte an uns und erschöpfte uns. Dazu der Wechsel ins Homeoffice … Man konnte nirgends hin, blieb nur zu Hause und arbeitete mehr. Das löste Stress aus. Man konnte sich nicht abgrenzen. Es war alles wahnsinnig viel. Das gilt aber nur für Wissensarbeiterinnen. Leute mit systemrelevanten Jobs – Krankenschwestern, Lebensmittelhändler oder Pöstler – konnten nicht nach Hause wechseln. Gilt Ihr Buch überhaupt auch für diese Jobs? Mir war es wichtig, dass ich nicht nur mit Leuten spreche, die ins Homeoffice wechseln konnten. Deshalb sprach ich unter anderem mit einem Bäcker und besuchte Mitarbeitende des Essenslieferdienstes Gorillas. Sie alle arbeiteten während der Pandemie weiter, während der Druck massiv zunahm. Und wie wurden sie den Druck los? Nicht alle können den Druck selbst so einfach loswerden, aber einige versuchen es. Als Beispiel der Bäcker: Traditionell beginnt man in dieser Branche oft um zwei Uhr nachts mit der Arbeit. Martin Kammers aber wollte nicht so arbeiten. Also änderte er die Arbeitsbedingungen in seiner eigenen Bäckerei: Heute fängt er um 5.30 Uhr an zu backen. Wenn er um 7 Uhr öffnet, hat er zwar noch nicht das gesamte Brotsortiment, aber er kann die ersten Kunden und Kundinnen bedienen. Der Rest der Brote folgt im Verlauf des Morgens. Er änderte seine Arbeitsbedingungen und verringerte so seinen Druck. Gleichzeitig hat er aber unglückliche Kundinnen und Kunden, weil sie kein Dinkelbrot finden? Am Anfang war das noch ungewohnt – aber sein Kundschaft ist bereit, sich anzupassen. Ist sie das? Haben wir uns nicht an den Luxus gewöhnt? Ja, haben wir. Und das ist die schwierige Ausgangslage – auch im Hinblick auf die Klimakrise. Immer mehr Konsum führt zu immer mehr Emissionen. Hier müssen wir umdenken. Muss das bestellte Paket wirklich morgen ankommen? Ein Schlüssel zu einem Alltag mit weniger Druck besteht darin, dass Kundinnen und Kunden sich daran gewöhnen müssen, nicht immer alles sofort zur Verfügung zu haben. So hätten alle – der Bäcker, die Pöstlerin, die Büroarbeiterin – mehr Luft. Sie plädieren also für weniger Luxus und eine Anpassung der Arbeitsbedingungen? Genau. Und bevor jetzt viele sagen, dass das nicht geht: Doch, es geht! Also ganz spezifisch: Was würde das bedeuten? Die Arbeitszeit liegt in Deutschland seit den 1960er Jahren bei 40 Stunden Vollzeit. Seit damals hat sich die Technologie verbessert, die Produktivität hat sich gesteigert, und es gibt heute mehr Frauen, die erwerbstätig sind. Das würde eigentlich heissen, dass wir weniger arbeiten müssten – tun wir aber nicht. Wir arbeiten hierzulande tendenziell sogar mehr als 40 Stunden … Genau. Nachdem sich die Arbeitszeit im 20. Jahrhundert schrittweise auf 40 Stunden verringert hat, stehen wir heute noch am gleichen Ort. Was jetzt folgen muss, ist eine erneute Arbeitszeitreduktion. Sie sprechen eine Viertagewoche an? Das ist eine Möglichkeit. Wichtig ist aber, dass zwar eine Reduktion der Arbeitszeit erfolgt, der Lohn aber gleich bleibt. Die Leute brauchen diese Entlastung. Unternehmen können sich das aber dem Hörensagen nach nicht leisten? Das ist immer die Ausrede. Im Moment laufen aber diverse Tests in England oder vor einigen Jahren in Island, die zeigen, dass es funktioniert. Das Stichwort lautet Flexibilität. Es gibt auch Studien, die zeigen, dass mehrere 100’000 Pflegekräfte in Deutschland ihren Beruf wieder in Vollzeit aufnehmen würden, wenn die Arbeitsbedingungen besser wären. Diese Zahl weckt doch auf! Wie würde das aussehen? Operationen verkürzen? Nein, aber man kann Schichten angleichen oder kürzer gestalten und die Personalschlüssel verbessern. Dazu bessere Bezahlung, mehr Wertschätzung und weniger administrative Aufgaben. Und dann gilt es, Kinderbetreuung zur Verfügung zu stellen. Zwei Zunkunftsszenarien für 2050 Die Bertelsmann Stiftung veröffentlichte zwei Zukunftsszenarien für das Jahr 2050, die Sara Weber in ihrem Buch aufnahm. Diese beiden Extreme zeichnet die Studie: Weltuntergangsszenario: Die Zukunft ist geprägt von Turbulenzen, Zukunftsängsten, Entfremdung und sozialer Spaltung. Neue Technologien wurden nicht genutzt, um Menschen zu unterstützten, sondern um ihre Jobs zu zerstören. Viele Menschen sind arbeitslos oder arbeiten in der Schattenwirtschaft. Gleichzeitig ist die Klimakrise mit neuen Konflikten und Naturkatastrophen vorangeschritten. Das Resultat: Flucht und Hunger. Sonnenszenario: Die Wirtschaft hat sich zu einer Selbstaktualisierungsökonomie gewandelt. Die Leute entscheiden, wie und woran sie arbeiten möchten. Die Klimakrise ist stärker im Griff, neue Technologien unterstützen und entlasten die Leute. Alle Menschen haben Geld, sind unabhängig vom Beruf. Das Resultat: eine nachhaltig überarbeitete Wirtschaft, die die Grundbedürfnisse aller Menschen deckt. Die Sorgearbeit ist sowieso eines Ihrer Sorgenkinder? Ja, denn die Frauen übernehmen noch immer den Grossteil der Care-Arbeit. Es ist noch heute so, dass Frauen zurücktreten, um Kinder zu betreuen, und Männer weiter Vollzeit arbeiten gehen. Am Ende des Tages arbeiten beide gleich lang – aber ein grosser Teil der Arbeit der Frau ist unbezahlt. Was muss sich ändern? Angenommen, niemand kümmert sich um Kinder, Haushalt und ältere Menschen, dann könnte niemand erwerbsarbeiten. Die Care-Arbeit ist, was alles andere möglich macht. Darüber müssen wir reden und Lösungen finden, um sie fair aufzuteilen. Stichwort politische Rahmenbedingungen? Genau: Elternarbeit, Kinderbetreuung et cetera. Es gibt viele Punkte, an denen man ansetzen kann. Heute verbinden viele Frauen Teilzeitarbeit mit Kind und Haushalt. Darf frau denn heute überhaupt ausschliesslich Mama sein? Das ist eine individuelle Entscheidung. Punkt. Aber die Grundfrage ist gesellschaftlicher Art: Haben wir die richtigen Rahmenbedingungen, damit Familien entscheiden können, Sorgearbeit gerecht aufzuteilen? Wie stellen wir sicher, dass es nicht zu Altersarmut führt, wenn eine Person die ganze Sorgearbeit übernimmt? Wenn die Frau sagt, sie bleibt 100 Prozent zu Hause, sollte das genauso akzeptiert sein, wie wenn ein Mann das sagt. Und das ist es heute nicht. Die Frauen gelten auch als grösste potenzielle Arbeitsgruppe am Markt. Die Gruppe, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken kann. Genau. Und da wären wir wieder bei den Rahmenbedingungen: Würden Unternehmen kürzere Arbeitszeiten ausprobieren, dabei aber den Lohn auf dem gleichen Level behalten, dann wären mehr Personen bereit, nicht mehr nur in Teilzeit zur Arbeit zurückzukehren. Verbessern sich im gleichen Atemzug auch die politischen Rahmenbedingungen, dann können in diesem Fall noch viele Frauen mehr an die Arbeit zurückkehren – und die Männer können sich gleichzeitig stärker bei der Sorgearbeit einbringen. Das bringt Entlastung, da mehr Leute die gleiche Arbeit erledigen. Und wenn wir schon dabei sind: Die jüngste Generation hinterfragt das System viel mehr als die älteren – sie ist nicht mehr bereit, sich so kaputtzuarbeiten wie ihre Eltern. Die Generation Z? Genau. Klar, ältere Generationen haben schon immer gesagt, die Jüngeren seien faul. Das ist erst mal nichts Schlimmes und gehört dazu. Was aber ist jetzt anders? Ich startete zu Zeiten der Finanzkrise ins Berufsleben und musste dankbar sein, überhaupt einen Job zu finden. Heute bewegen wir uns in einem Arbeitnehmendenmarkt, und die eintretenden Generation-Zlerinnen und -Zler können wählen, wie und wo sie arbeiten möchten. Sie haben ihre Eltern ausbrennen sehen und wollen das nicht – vor allem, wenn sich gleichzeitig die Klimakrise zuspitzt, Immobilienpreise steigen und die Rente unsicher ist. Entsprechend müssen sich die Arbeitsbedingungen ändern, um junge Talente anzuziehen. Ihre Lösung heisst also, eine «Ausprobierkultur» zu etablieren? Ja. Man muss ja nicht gleich von 42 Stunden auf 32 runter, auch wenn das ideal wäre. Wie hört sich ein Versuch mit 36 oder 38 Stunden an? Und schauen wir uns die Meetingkultur an – braucht es das wöchentliche Meeting wirklich oder frisst das eigentlich nur Zeit? Wir müssen uns mehr hinterfragen. So werden Unternehmen fit für die Zukunft und haben gleichzeitig zufriedenere Mitarbeitende.

Buchautorin Sara Weber: «Es entsteht das Gefühl, dass es heute öfter brennt als früher»

«Es entsteht das Gefühl, dass es heute öfter brennt als früher»