Alles war bestens geregelt für den Wiedereinstieg ins Berufsleben, als das Baby von Julia H.* auf die Welt kam. Der Arbeitgeber, bei dem sie vier Jahre angestellt war, hatte der Marketing-Beraterin eine Bestätigung geschrieben. «Wir vereinbarten dort, dass ich nach dem Mutterschaftsurlaub und zwei Monaten unbezahlt meine Arbeit wieder aufnehme», sagt die 38-Jährige gegenüber «Blick», während ihr inzwischen zweijähriger Sohn auf ihrem Schoss sitzt. Das genaue Pensum sollte nach dem Mutterschaftsurlaub festgelegt werden.

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Julia H. verbrachte die ersten Monate mit dem Baby im Glauben, dass sie bald wieder arbeiten würde. Als sich der Arbeitgeber nach 16 Wochen nicht meldete, fragte sie nach. Der sah kein Grund zur Eile. Als der Chef sie endlich im Büro empfing, kam der Schock: Er legte ihr ohne Worte ein Schreiben mit dem Titel «Aufhebungsvereinbarung» vor. Sie brauche wegen wirtschaftlicher Gründe nicht mehr kommen.

«Das war ein Schlag ins Gesicht», beschreibt sie. Zuvor habe sie keinerlei Signale erhalten, dass etwas nicht stimme. Weil Julia H. die Aufhebungsvereinbarung nicht unterschrieb, erhielt sie zwei Wochen später die Kündigung.

Sie ist kein Einzelfall. Über 14 Jahre nach der Einführung des Mutterschaftsurlaubs kehren immer mehr junge Mütter nicht mehr zur Arbeit zurück – unfreiwillig. Bei den kantonalen und städtischen Gleichstellungsbüros, Schlichtungsstellen und Gewerkschaften melden sich vermehrt Frauen, die wie Julia H. nach dem Mutterschaftsurlaub oder schon während der Schwangerschaft vom Arbeitgeber diskriminiert werden, wie eine Umfrage von «Blick» zeigt.

Pro Woche zwei Fälle von Kündigung nach dem Mutterschutz

Sara Lehner, Präsidentin der kantonalen Schlichtungsstelle für Diskriminierungsfragen Basel-Stadt, sagt: «Die Fälle mit dem Thema Kündigung während und nach dem Mutterschaftsurlaub nahmen in den letzten Jahren zu.» Häufig werde die Rückkehr zum Problem, weil der Arbeitnehmerin nach Ablauf der Sperrfrist gekündigt werde.

An die Beratung des Amts für Wirtschaft (AWA) und Arbeit des Kantons Basel-Stadt wenden sich schätzungsweise pro Woche durchschnittlich zwei von diesem Problem betroffene Frauen, wie Amtsleiterin Leila Straumann erklärt.«Die meisten betroffenen Frauen erlebten eine berufliche Rückstufung und diskriminierende Kündigungen oft am ersten Arbeitstag nach dem Mutterschaftsurlaub», beobachtet die Leiterin der Fachstelle Gleichstellung der Stadt Zürich, Anja Derungs.

Schutz vor Willkür nach der Schwangerschaft

Es lohnt sich, sich so früh wie möglich über Rechte und Pflichten von Schwangeren und Müttern zu informieren (z. B. auf www.infomutterschaft.ch). Die Lösung für die Berufstätigkeit nach der Geburt sollte mit dem Arbeitgeber so früh wie möglich in der Schwangerschaft ausgearbeitet werden.

Da die vor dem Mutterschaftsurlaub mündlich zugesicherte Pensumsreduktion öfters später nicht eingehalten wird, empfiehlt sich eine schriftliche Vereinbarung über das Arbeitsvolumen. Ein Anrecht auf eine Pensumsreduktion besteht grundsätzlich nicht. Bei Diskriminierungsverdacht sind die Fachstellen für Gleichstellung, Rechtsberatungsstellen und Gewerkschaften gute Anlaufstellen. Genaue Informationen darüber, wie ein Diskriminierungs-Verfahren abläuft, gibt es auf der Info-Seite des Bundes www.geichstellungsgesetz.ch.

Sollte eine Schwangere nicht mehr arbeiten können, muss sie ein Arztzeugnis vorweisen, damit die Taggeldversicherung für den Lohnausfall aufkommt. Während der Schwangerschaft und in den 16 Wochen nach der Geburt gilt ein Kündigungsschutz. Der Mutterschaftsurlaub darf nicht vor der Geburt angetreten werden.

Ist nach der Geburt eine längere Arbeitspause geplant, empfiehlt es sich mit der Kündigung bis nach der Geburt abzuwarten. Sonst könnten Ansprüche auf Erwerbsausfallentschädigung während des Mutterschaftsurlaubs entfallen. Wenn das Kind auf der Welt ist, bleibt genügend Zeit, um per Ende des Mutterschaftsurlaubs zu kündigen. Claudia Gnehm

Schwangerschaftsdiskriminierung beschäftigt auch die Arbeitnehmerorganisationen. «Rechtsauskünfte zu solchen Fragen und die Rechtsfälle in diesem Bereich haben in verschiedenen Regionen zugenommen», sagt Leena Schmitter, Leiterin Gleichstellung bei Unia.

Syna-Sprecher Dieter Egli erlebt Ähnliches: «Diskriminierungen wegen Schwanger- oder Mutterschaft nehmen mit dem allgemeinen Druck bei der Arbeit zu – vor allem auch in typischen Dienstleistungs- und Frauenberufen wie Verkauf.» Bei Arbeitgebern sei die Haltung verbreitet, dass Frauen mit kleinen Kindern Probleme bereiteten.

Schwangere Frauen zur Kündigung gedrängt

Für Julia H. war damals eine Welt zusammengebrochen. So etwas hätte sie von dem Arbeitgeber, der im sozialen Bereich tätig ist, niemals erwartet. «Ich war extrem enttäuscht», sagt sie. Es sei ihr schlecht gegangen. Auch weil sie wusste, wie schwierig es wird, mit dem Baby einen Teilzeit-Job zu finden. Ihr Anwalt machte beim Ex-Arbeitgeber Druck. Am Ende schlug der Ex-Chef als Vergleich vor, einen zusätzlichen Monatslohn zu zahlen. Dieses Mal unterschrieb Julia H., weil sie ihre Kraft für die Jobsuche verwenden und einen langen juristischen Kampf vermeiden wollte.

Ohne überhaupt ihr Recht auf Kündigungsschutz geltend zu machen, scheiden vermehrt auch schwangere Frauen unfreiwillig aus dem Arbeitsleben aus. «Es kommt sehr oft vor, dass man bereits zu Beginn der Schwangerschaft versucht, Frauen zur Kündigung zu drängen – auch mit dem Hinweis darauf, dass man ihnen während der Schwangerschaft keine angepasste Arbeit anbieten könne», sagt Egli.

Gemäss einer Studie des Arbeitnehmerverbands Travailsuisse erhält jede zehnte Frau in der Schweiz nach dem Mutterschaftsurlaub eine Kündigung.

Und was sagen die Arbeitgeber? Mütter seien gut qualifizierte Mitarbeiterinnen, die Arbeitgeber gerne weiterbeschäftigen, sagt Fredy Greuter vom Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV). Explizit von der Kündigung am ersten Arbeitstag will der SAV nicht abraten. Aber Greuter betont: «Für uns ist nicht nachvollziehbar, dass die Unternehmen generell den Mutterschaftsurlaub als Vorwand nehmen, um sich von frischgebackenen Müttern zu trennen.» Allerdings sei unbestritten, dass angeschlagene Unternehmen bei einer Reorganisation nicht um Entlassungen herumkämen.

Nach mehreren Bewerbungen fand Julia H. eine neue Stelle. «Es dauerte Monate, bis dieses kalte Abservieren nicht mehr an mir nagte.» Was sie hätte anders machen sollen, weiss sie nicht. «Sie hat alles richtig gemacht», sagt Syna-Sprecher Egli. Das Grundproblem sei, dass es in der Schweiz nach dem gesetzlichen Mutterschaftsurlaub keinen Schutz vor einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen gebe.

*Name geändert

Haben Sie Ähnliches erlebt oder kennen Sie Fälle aus Ihrem Umfeld? Dann können Sie sich beim «Blick» melden unter community@blick.ch.
 

Risiken durch befristete Anstellungen

Frauen, die nur befristet angestellt sind, entgehen nach der Geburt oft Leistungen aus der Mutterschaftsversicherung. Eine Oberärztin des Triemlispitals Zürich, die während der befristeten Anstellung schwanger wurde, schuf einen Präzedenzfall. Sie brachte ihren Fall mit dem Verband der Spitalärzte Zürich (VSAO) vor die Fachstellen für Gleichstellung von Stadt und Kanton Zürich und bekam recht. Die Fachstellen befanden, Frauen, die nach der befristeten Anstellung gebären und nicht von der Mutterschaftsversicherung profitieren können, würden indirekt diskriminiert.

 

Die Stadt Zürich änderte daraufhin ihre Praxis: Befristet angestellte Ärztinnen bekommen in Stadtspitälern wie Triemli und Waid neu eine automatische Verlängerung ihrer befristeten Anstellung, damit sie trotz Befristung bis Ende des Mutterschaftsurlaubs angestellt bleiben. Susanne Hasse vom VSAO Zürich hofft, dass andere Branchen, Städte und Kantone nachziehen.

 

Dieser Artikel wurde zuerst im Wirtschaftsressort des «Blick» veröffentlicht.