Mit markigen Worten kritisierte kürzlich die «Neue Zürcher Zeitung» die in der Schweiz gelegentlich anzutreffende Praxis, dass ein abtretender Vorsitzender der Geschäftsleitung (CEO) unmittelbar als Präsident des Verwaltungsrates nachrückt. Es fehle, wurde argumentiert, dem neuen Firmenchef an Gestal tungsspielraum, wenn er direkt der Aufsicht seines Vorgängers unterstehe. Besser sei eine Cooling-off-Periode nach dem Vorbild Deutschlands und Österreichs, wo ein abtretendes Mitglied des Vorstandes frühestens nach zwei Jahren in den Aufsichtsrat gewählt werden kann. Gleich drei Artikel (hier, hier und hier) waren dem Thema gewidmet.

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Also: Was bringt eine Cooling-off-Periode wirklich? Und ist die Besetzung von Verwaltungsräten mit aktiven oder ehemaligen Mitgliedern der Konzernleitung wirklich dermassen problematisch, wie dies vereinzelte institutionelle Anleger und Corporate-Governance-Experten postulieren? Zweifel sind angebracht.

Daniel Daeniker ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Homburger in Zürich.

Insider und externe Experten im Verwaltungsrat

Zu bemerken ist zunächst, dass die Verflechtung von Geschäftsleitung und Verwaltungsrat in der schweizerischen Unternehmenslandschaft von Jahr zu Jahr weniger relevant ist.

Die Beratungsfirma Spencer Stuart publiziert seit vielen Jahren weltweite Studien zur Zusammensetzung von Verwaltungsräten. In der Schweiz werden jeweils die 50 grössten börsenkotierten Gesellschaften ausgezählt. Heute gibt es nur noch eine kleine Zahl dieser Publikumsgesellschaften, in der aktive Mitglieder der Geschäftsleitung im Verwaltungsrat vertreten sind, und der Trend zeigt nach unten: 2013 waren es 33 Prozent, 2019 noch 20 Prozent. Darüber hinaus ist nach eigener Zählung in rund der Hälfte der Schweizer Top-50-Gesellschaften ein ehemaliges Konzernleitungsmitglied im Verwaltungsrat vertreten.

Allerdings gereicht es Unternehmen häufig zum Vorteil, aktive oder ehemalige Mitglieder der Konzernleitung im Verwaltungsrat vertreten zu wissen. Die globale Finanzmarktkrise von 2007/08 berührte die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs von allen grossen Finanzinstituten der westlichen Welt am wenigsten – wohl auch, weil ihr Verwaltungsrat mit einigen Managern besetzt war, welche die kritischen Handelspositionen aus eigener Anschauung kannten und rasch Remedur schafften. Andere Verwaltungsräte von Grossbanken waren mit hochkarätigen, aber branchenfremden Mitgliedern besetzt, einem veritablen Who's Who der Wirtschaft. Trotzdem wurden sie von der Krise besonders hart getroffen.

In Krisen sind Insider schneller

Man darf daraus nicht generell auf ein Kontrollversagen externer Verwaltungsräte schliessen. Aber vor allem in Krisensituationen können Verwaltungsräte, in denen aktive oder ehemalige Führungskräfte vertreten sind, rascher handeln – besonders wenn die Insider eine detaillierte Anschauung über das Geschäftsmodell des Unternehmens und auch dessen Schwachstellen haben.

Damit ist keineswegs einem Verwaltungsrat das Wort geredet, der sich ausschliesslich aus Insidern zusammensetzt. Entscheidend ist vielmehr die richtige Mischung aus Insidern und externen Experten. Beide Gruppen tragen im Rahmen von VR-Sitzungen zu einer Gesamtschau bei, die eine optimale Kontrolle der Geschäftsleitung ermöglicht.

Ein ausschliesslich aus unternehmensexternen Mitgliedern zusammengesetzter Verwaltungsrat ist paradoxerweise mehr von der Geschäftsleitung abhängig als ein gut durchmischter. In der mikroökonomischen Literatur wird in diesem Zusammenhang das Problem der Informationsasymmetrie erwähnt:

  • Der Verwaltungsrat ist ein Teilzeitorgan, seine Mitglieder kennen das Unternehmen nur aus vier bis sechs Sitzungen pro Jahr.
  • Die Geschäftsleitung ist demgegenüber Vollzeit tätig, widmet sich tag- ein, tagaus dem Unternehmen und entscheidet auch, was sie dem Verwaltungsrat berichtet – und was nicht.

Damit besteht die Möglichkeit, dass die Konzernleitung dem Verwaltungsrat wesentliche Informationen vorenthält oder diese einseitig darstellt (was in der schweizerischen Unternehmenspraxis nach der Erfahrung nur selten vorkommt). Immerhin ist das entsprechende Risiko ist geringer, wenn ein Mitglied des Verwaltungsrates in derselben Firma ein exekutives Amt ausübt oder innehatte.

Nutzen ehemaliger CEOs als VR-Präsidenten

Aktive CEOs können von der Erfahrung ihrer Vorgänger grossen Nutzen ziehen. Spricht nun etwas dagegen, dass ein abtretender CEO sofort zum Präsident des Verwaltungsrates wird?

Einige der erfolgreichsten Unternehmen der Schweiz funktionieren mit diesem Prinzip bestens. Bei 14 der 50 Top-Gesellschaften der Schweiz ist der heutige VR-Präsident direkt nachgerückt – womit auch gesagt ist, dass rund 70 Prozent der Gesellschaften ohne dieses Modell auskommen. Nestlé, mittlerweile nach Marktkapitalisierung grösste Firma Europas, ernennt seit Jahrzehnten den abtretenden CEO unmittelbar zum Präsidenten. Der gegenwärtige Unternehmenslenker Mark Schneider hat mehrmals strategische Entscheid seiner Vorgänger hinterfragt und gar rückgängig gemacht. Fehlender Gestaltungsspielraum ist da nicht zu verorten.

Ob ein VR-Präsident, der früher selbst den Konzern geführt hat, seiner Nachfolgerin oder seinem Nachfolger freie Hand lässt, kann nicht durchg Regulierung verordnet werden, sondern ist häufig schlicht eine Frage des Temperaments. Das Heft in andere Hände zu legen, verlangt Selbstdisziplin – unabhängig von der früheren Rolle. Auch VR-Präsidenten, die zuvor nicht als Konzernchef tätig waren, können bisweilen dem CEO gehörig ins Tagesgeschäft hineinreden. Viele aktive VR-Präsidenten handeln denn auch erklärtermassen nach dem Grundsatz, den neuen CEO so zu unterstützen, wie sie in ihrer früheren Rolle gerne unterstützt worden wären. Ein VR-Präsident, der dieses Prinzip beherzigt, wird der Nachfolgerin vom ersten Tag an die nötige unternehmerische Freiheit zubilligen. Zwei Jahre in der Penaltybox bringen da keinen Mehrwert.

Vollends zum Feigenblatt wird die Cooling-off-Periode, wenn der abtretende Vorstandsvorsitzende schon bei Niederlegung des Amtes als künftiger Präsident des Aufsichtsrates gehandelt wird. Das war in Deutschland immer wieder zu beobachten, so zum Beispiel mit Wolfgang Reitzle bei der Linde-Gruppe. Die beiden Zwischenjahre verbrachte Reitzle als VR-Präsident der LafargeHolcim. Sein Absprung vom schweizerischen Zementriesen zurück zu Linde erfolgte, wie das deutsche «Handelsblatt» titelte, zur Unzeit.

Doppelmandat: Ein Auslaufmodell, aber auch kein Problem

Die NZZ kritisiert ferner das Doppelmandat von VR-Präsident und CEO, im Kielwasser vieler selbsternannter Governance-Experten. Nur: Das Doppelmandat ist in der Schweiz ein Auslaufmodell, und das schon lange. Derzeit kennen nur gerade vier der fünfzig grössten schweizerischen Publikumsgesellschaften eine Kumulation dieser Ämter. Drei davon – Clariant, Dormakaba und Lonza – haben klar kommuniziert, dass das Doppelmandat befristet ist. Und sie haben klar gemacht, dass und warum sie eine temporäre Personalunion an der Spitze für das Unternehmen als die beste Lösung betrachten. Die Doppelspitze verbieten zu wollen, ist einem Thema nachgerannt, das in der schweizerischen Unternehmenslandschaft mittlerweile schon fast zum Ladenhüter geworden ist.

Im Übrigen hinaus braucht die Schweiz den internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Länder wie die USA hinken hintennach: 2019 kombinierten immer noch 47 Prozent der 500 grössten amerikanischen Gesellschaften die beiden Rollen. Aber selbst in den USA zeigt sich klar ein Trend zur Entflechtung, 2009 lag die Quote der Unternehmen mit Doppelspitze noch bei knapp zwei Dritteln.

Abschliessend bleibt festzuhalten, dass es keine optimale Unternehmensorganisation gibt, die wirtschaftlichen Erfolg oder nachhaltiges Wachstum verspricht. Damit gibt es auch keine richtige oder falsche Nachfolgeplanung oder Zusammensetzung des Verwaltungsrates – und schon gar kein «one size fits all» als Goldstandard für alle Unternehmen.

Mit Regulierung ist da nicht geholfen, ebenso wenig mit Empfehlungen zur Best Corporate Governance oder negativen Voten institutioneller Stimmrechtsberater wie ISS oder Ethos. Ob eine Firma am Ende erfolgreich oder erfolglos operiert, lässt sich denn auch nicht auf die Zusammensetzung des Verwaltungsrates oder das praktizierte Nachfolgemodell zurückführen.