Lidl, der Discounter, der Migros und Coop in der Schweiz die Stirn bietet, macht auf sich aufmerksam. Jedoch nicht Lidl Schweiz, sondern Lidl Österreich. Das österreichische Pendant gab vergangene Woche im Geschäftsbericht bekannt, die Vier-Tage-Woche für ausgewählte Personen im Rahmen eines Pilotprojekts auszuprobieren. Auf Nachfrage der «Lebensmittelzeitung», wer die ausgewählten Personen seien, gab sich das Unternehmen jedoch bedeckt.

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Klar ist, dass in Österreich eine Vier-Tage-Woche bedeutet, dass die Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden in vier statt in fünf Tagen geleistet werden kann. Auf Nachfrage bei Lidl Schweiz, ob ein solches Projekt auch hierzulande möglich sei, schreibt Mediensprecherin Jacqueline Fäs: «Wir prüfen die neuesten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt stetig und haben somit auch das Thema Vier-Tage-Woche besprochen. Zurzeit ist in der Schweiz aber keine Vier-Tage-Woche geplant. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass in der Schweiz die Wochenarbeitszeit bei Lidl 41 Stunden beträgt und in Österreich nur 38,5 Stunden.» Das Unternehmen biete aber allen Personen, die nicht an fünf Tagen arbeiten möchten oder können, die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten. 

Die Vier-Tage-Woche wird salonfähig

Drei-Tage-Woche, Vier-Tage-Woche oder sogar Sieben-Tage-Woche? Das Thema Arbeitszeit hat nicht nur bei Lidl eine grosse Diskussion entfacht. In der Schweiz beginnen einzelne Unternehmen, auf die Vier-Tage-Woche zu setzen, um als attraktiver Arbeitgeber zu gelten. Gewerkschaften fordern die 35-Stunden-Woche, und aus der Industrie sind Stimmen laut geworden, die wieder eine höhere Wochenarbeitszeit verlangen.

Unsere Vorfahren mussten aber noch deutlich länger arbeiten: Als 1917 die 59-Stunden-Woche eingeführt wurde, galt dies als grosser Fortschritt. Seither nahm die Arbeitszeit stetig ab. Mit der Einführung des Arbeitsgesetzes 1964 sank die Wochenarbeitsstundenzahl auf 46 Stunden und 1975 auf 45 Stunden. Heute arbeiten in der Schweiz die meisten Vollzeitangestellten 42 Stunden pro Woche.

Gesellschaftliche Veränderungen

Dazu sind viele nicht mehr bereit. Vor allem viele junge Berufsleute gewichten die Freizeit höher als frühere Generationen und verlangen bessere Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Privatleben. Nun hat auch noch die Pandemie an den Gewohnheiten gerüttelt, vielen das Homeoffice und flexibles Arbeiten nahegebracht und damit die Möglichkeit, die starren Wochenstunden am Arbeitsplatz noch stärker aufzuweichen. Um solchen gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen, führen Konzerne wie Unilever derzeit die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohn ein. Einige kleinere Betriebe ziehen nach.

Von einem kleinen Kulturwandel spricht zum Beispiel Fabian Schneider, CEO der IT-Firma Seerow in Solothurn. Seit Oktober 2021 hat er bei sich und den elf Kollegen und Kolleginnen im Rahmen eines Pilotprojektes die Vier-Tage-Woche eingeführt – zunächst einmal für zwei Monate. Das neue Arbeitszeitmodell führte zu Umstrukturierungen: Die eine Gruppe ist von Montag bis Donnerstag, die andere von Dienstag bis Freitag vor Ort. «Dadurch ist die Selbstverantwortung bei allen gestiegen», stellt Fabian Schneider fest. Es sei nicht mehr so, dass die Vollzeitarbeitenden die Spitzen abdecken: Jetzt arbeiten alle 8,75 Stunden pro Tag und erhalten den Lohn für 100 Prozent. So kommt Seerow auf eine 35-Stunden-Woche bei gleichem Lohn.

Mehr Kreativität und weniger Fluktuation

Der grosse Pluspunkt für das Team sind die drei Tage Wochenende am Stück. Vor allem bei einem kopflastigen, kreativen Job sei die Auswirkung enorm, bestätigt Schneider. «Es ist manchmal auch eine Selbstlüge, dass man in einer Vierzig-Stunden-Woche produktiv ist. Mach mal Pause, dafür greifst du am Montag wieder an.» In den vergangenen drei Monaten sind viele Arbeitsschritte auch schriftlich festgehalten worden, damit niemand das Wissensmonopol hat, wie es in der Tech-Branche häufig der Fall ist.

«Wir hatten ein sehr gutes Quartal. Ich bin überzeugt, dass wir die Produktivität auf diese Weise sogar steigern können», bilanziert Fabian Schneider. Die Vier-Tage-Woche ist für ihn aber nur ein Faktor von vielen, um als Arbeitgeber für die raren Fachkräfte attraktiv zu bleiben. Ein Umdenken findet auch in anderen Branchen statt: Das Küchenteam im Park Hotel Winterthur testet seit letztem Dezember die Vier-Tage-Woche. Die Mitarbeitenden arbeiten pro Tag 10,5 Stunden mit einer Stunde Pause und haben einen zusätzlichen freien Tag pro Woche. Dafür wurde die Zimmerstunde abgeschafft, was gut ankam, weil so zwei Arbeitswege wegfallen.

Da eine zusätzliche Stelle geschaffen wurde, verursacht die Vier-Tage-Woche mehr Personalkosten. Trotzdem geht Geschäftsführer Philipp Albrecht davon aus, dass sich die Umstellung auch für die anderen Abteilungen lohnen wird. «Wenn es so gelingt, die Fluktuation tiefer zu halten und auf dem Arbeitsmarkt bessere Mitarbeitende zu finden, rechnet es sich.» Man müsse heute einen USP haben auf dem Arbeitsmarkt.

Die Vier-Tage-Woche als ein Modell unter vielen

«Einzelne Studien zeigen, dass mit der zusätzlichen Freizeit die Work-Life-Balance und die allgemeine Arbeitszufriedenheit steigt und es auch bei der Produktivität leichte positive Effekte gibt», sagt Organisationspsychologe Johann Weichbrodt von der Fachhochschule Nordwestschweiz. Er forscht auf diesem Gebiet und befürwortet flexible Arbeitszeitlösungen. Er gibt aber zu bedenken, dass es lange Tage werden können, wenn man eine 42-Stunden-Woche auf vier Tage verteilt. «Wir wissen, dass die Arbeitsleistung nach acht bis neun Stunden abnimmt.» Zudem könnte es so für Arbeitnehmende mit Familie schwieriger sein, den Tag zu organisieren.

Es lohne sich für Arbeitgeber, das Thema Arbeitszeiten anzuschauen, um ihre Modelle anzupassen, hält Michel Ganouchi fest, der sich auf das Gebiet Employer Branding spezialisiert hat. Denn Vorteile wie Beiträge an Fitnessabonnemente oder SBB-Generalabonnemente seien austauschbar. «Nicht nur unter den Wissensarbeitenden, auch in anderen Berufen wird man sich neue Arbeitszeitmodelle einfallen lassen müssen.» Ganouchi glaubt an eine zunehmende Flexibilisierung und geht davon aus, dass die Vier-Tage-Woche vermutlich schon bald nur eines von unterschiedlichen neuen Arbeitszeitmodellen sein wird.

 

Tina Fischer
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