Massenentlassungen bei Amazon, Google, Meta: So profitiert das Schweizer IT-Unternehmen Comerge davon

Bei Till Bay ist es 5.30 Uhr morgens, aber von Müdigkeit ist nichts zu spüren. Das liegt einerseits am Jetlag – Till Bay weilt gerade in New York –, anderseits aber auch daran, dass ihm die Thematik am Herzen liegt. Der IT-Experte und Gründer der Schweizer Firma Comerge – dank seiner Firma funktioniert beispielsweise die Ausleihe von Publibikes – kann nicht glauben, was gerade in der Tech-Branche passiert. Amazon, Google, Meta, Twitter, Apple und weitere entlassen Tausende von Mitarbeitenden. Bei Meta sind es 13 Prozent der Belegschaft – 11’000 Stellen weniger. Twitter feuert rund die Hälfte, also über 3000 Betroffene. Und jüngst zog Amazon nach: 10’000 Stellen seien betroffen, bestätigt ist das noch nicht, dementiert aber auch nicht. Misswirtschaft in der IT-Branche Till Bay findet dafür klare Worte: «Das ist doch einfach skandalös!» Dass er sich für diese Wortwahl entscheidet, kommt nicht von ungefähr. Seit längerem beobachtet Bay, dass grosse Big-Tech-Firmen einen Sog kreieren. «Sie saugen junge Talente ein. Versprechen ihnen das Blaue vom Himmel und stellen Hunderte, gar Tausende an.» Doch der Glanz bröckle genau in dem Moment ab, in dem die Zahlen nicht mehr stimmen. «Dann entlassen sie wieder Tausende – das ist doch einfach eine Misswirtschaft!» Seine Empörung brachte der Unternehmer, der sich sonst vor Social-Media-Posts scheut, auch auf Linkedin zum Ausdruck: «Während die grossen Tech-Unternehmen ihren Personalbestand drastisch reduzieren, sind kleine Unternehmen stabiler», ist da zu lesen. Und weiter: «Wir bei der Comerge AG stellen ein – wenn Sie bei uns mitmachen wollen, sehen Sie sich die Stellenprofile auf unserer Website an!» Bay drehte also den Spiess um: Wenn die Grossen schon Leute entlassen, dann ergibt sich vielleicht eine Chance für kleinere Firmen. Denn die utopischen Angebote der Big-Tech-Firmen erschwerten die Rekrutierung von Expertinnen und Spezialisten in den letzten Jahren massiv, versprachen doch die grossen Unternehmen einfach immer mehr, als ein kleineres bieten konnte. Oder in Till Bays Worten: «Wir gestalten ein angepasstes Lohnmodell, und dann kommt Big Tech und sagt, ah schau, bei uns gibt es doppelt so viel!» Auch wenn der Lohn nicht das einzige Ausschlusskriterium ist, es generiert laut Bay Druck. Vorteile kleiner, nachhaltiger Unternehmen Entsprechend gilt es für kleinere Unternehmen, mit anderem zu punkten: «Meine Leute schätzen unsere kurzen Kommunikationswege und dass wir hier nicht eine zehnköpfige Geschäftsleitung haben. Vor allem aber, dass wir auch in schwierigen Zeiten wie jetzt die Stellen garantieren.» Entsprechend erhielt auch sein Post einiges an Aufmerksamkeit: «Auf meinen Post habe ich mehr Bewerbungen erhalten als sonst», so Bay. Schweizer Firmen schreiben den Lohn ins Jobinserat In Kalifornien ist es ein Muss: Lohntransparenz in der Stellenausschreibung. Hierzulande laufen bei der Post und der Swisscom erste Feldversuche. Mehr zum Thema hier. Das sei aber kein Grund für ihn, jetzt einfach neue Leute einzustellen. Auch bisher hätte Comerge jährlich bis zu 400 Bewerbungen erhalten – die meisten mit einem IT-Hintergrund. Aus den 400 Bewerbungen interviewten sie 20 Leute, 5 kamen zum Probearbeiten. «Am Ende stellten wir drei Personen an – aber auch das nur, wenn wir genügend Arbeit bereitstellen können und sie längerfristig bleiben. Genau so handhaben wir es auch mit den neuen Bewerbungen.» Kündigungswellen präventiv verhindern Ansonsten spürt der IT-Experte aber kaum eine Entspannung auf dem Schweizer IT-Markt: «Grösstenteils finden die Entlassungen in den USA statt. Beispielsweise sahnte das Silicon Valley meines Wissens schon einige Topshots ab. Aber davon profitieren wir in der Schweiz nicht.» Der War for Talents geht hierzulande weiter, nur die Einstellungspolitik sei zum Glück nicht mehr so aggressiv wie zuvor. Das hilft Unternehmen wie Comerge, die Schweizer Vorteile darzustellen und aufzuzeigen, dass sie nur Leute einstellen, wenn es die Situation auch effektiv zulässt: «Wir benötigen nachhaltiges Wachstum. Nur so können wir Personen langfristig halten und ihren Arbeitsplatz sicherstellen.» Das alleine reicht aber laut Till Bay nicht: «Regulierungen sind nötig, damit exponentielles Wachstum nicht mehr derart unkontrolliert passiert.» Denn wer kontrolliert wächst, hat seine Zahlen im Griff und muss nicht von heute auf morgen Tausende von Angestellten entlassen. Das ist weder nachhaltig noch gesund, und vor allem kratzt es am Image der Big-Tech-Unternehmen. Was zwar kleinen IT-Firmen helfen könnte, aber ansonsten der gesamten IT-Branche schadet.

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«Der War for Talents geht hierzulande weiter»