Trend Quiet Quitting: Darum arbeiten junge Leute heute nur noch die geforderten Stunden

Morgens um acht den Computer einschalten, abends um fünf wieder ausschalten. Auch wenn der Chef noch ein Anliegen hat, die Kundin einen Extraartikel wünscht oder der Lieferant eine dringende Info benötigt. «Quiet Quitting» heisst das neue Phänomen aus den USA, das sich in den Büroräumen einschleicht. Wobei, ganz neu ist es nicht: Bereits seit Anfang der Pandemie verzeichnet das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Gallup sinkende Engagementzahlen der Angestellten gegenüber ihren Arbeitgebenden. Gerade die jungen Millennials und die Generation Z hinterfragten den Sinn ihrer Arbeit. Sehen sie diesen nicht, dann sitzen sie zwar die im Arbeitsvertrag definierten Stunden ab, aber ergreifen nicht freiwillig die viel gepriesene Extrameile. Überstunden trotz unpassendem Lohn? «Warum sollte ich mehr machen als das, wofür ich bezahlt werde?», fragt Daniel B., Produktmanager eines Konsumgüterherstellers. Die Forderung nach einem höheren Lohn wurde von seinem Chef abgelehnt, weshalb er für sich selbst beschloss, nur noch die Zeit zu leisten, für die er angestellt wurde. Er wurde zu einem Quiet Quitter. Doch genau hier ist die Krux: Quiet Quitting steht auf Deutsch für stilles Kündigen. Dabei steht keine Kündigung im Raum. Der Begriff lässt denn auch auf Social Media die Wogen hochgehen. So wundert sich etwa Forrest Valkai auf Tiktok, warum das Thema überhaupt nachrichtenwürdig sei, und meint zynisch: «Wir leben in einer Gesellschaft, in der Würde nur einen viralen Trend darstellt und in der die Forderung, für die geleistete Arbeit – und nicht für zusätzliche Überstunden – bezahlt zu werden, als ‹kündigen› bezeichnet wird.» Ob Quiet Quitting der richtige Begriff ist, fragt sich auch die auf HR-Themen spezialisierte Leigh Elena Henderson in einem Tiktok-Video: «Es geht doch darum, dem Lohn entsprechend zu arbeiten.» Dabei ergänzt sie, dass das nicht heisst, dass man sich aufopfern und ausbrennen muss. Genau diese Situation kennt Laura S., ehemalige Finanzexpertin: «Ich habe mich selbst so oft für meinen Job ausgebrannt. Doch die Wertschätzung fehlte und irgendwann arbeitete ich dann nur noch die Stunden, die ich musste.» Statt aber die Stunden abzusitzen, erkannte Laura S. ihre Unzufriedenheit mit dem Job und wechselte den Arbeitgeber. Heute, in der Tourismusbranche, ist sie viel glücklicher: «Ja, ich arbeite viel und gerade in der Sommersaison sind die Tage lang. Aber es macht mir Spass und in der Zwischensaison gleichen sich die Zeiten wieder aus.» Innere statt stille Kündigung Ursula Bergundthal, selbstständige Personalexpertin und ehemalige Personalchefin, sieht genau im Prozess, den Laura S. bei sich bemerkte, das eigentliche Fehlerbild: «Wir sprechen bei uns nicht von einer stillen, sondern von einer inneren Kündigung.» Die Gründe dafür sind vielfältig: zu viel Veränderung, zu wenig Lohn, keine Dankbarkeit. «Die Leute reissen sich ein Bein aus für das Unternehmen und erhalten dafür keine Wertschätzung.» Dieser Frust löse die Folgereaktion aus und führe dazu, dass Personen innerlich mit dem Unternehmen abschliessen. Woher aber kommt die Erwartung, dass Leute mehr Stunden leisten sollten als im Arbeitsvertrag definiert? Bergundthal kennt die Antwort, setzt aber voraus, dass die Rede von Wissensarbeitern ist: «Wir sind uns einig, dass es um Stellen geht, bei denen die Arbeitszeiten viel Flexibilität zulassen. In Wissensjobs geht es heute nicht mehr um die Stunden, sondern darum, wie viel man leistet.» Es gäbe Leute, die in drei Stunden die doppelte Arbeit leisten können wie die Nachbarin oder der Nachbar am Nebentisch. «Heute gibt es kaum noch tägliche Arbeitsdossiers, wo Akte um Akte abgearbeitet werden muss. Das war die alte Welt – die heutige ist flexibler, aber auch anspruchsvoller.» Die Schwierigkeit liegt oft darin, wie Leistung definiert wird: Je nach Unternehmen erwartet man eine hohe Arbeitsqualität ohne Fehler oder legt den Wert auf 80/20-Lösungen, dafür aber stehen eine hohe Effizienz und ein grösseres Arbeitsvolumen im Vordergrund. Das heisse aber nicht, dass Leute zugepflastert würden mit Aufgaben, die in normaler Arbeitszeit nicht ausgeführt werden könnten. Wer sich mit zu vielen Aufgaben konfrontiert sieht, solle das ansprechen – bevor die innere Kündigung kommt. Hingegen gilt aber auch, dass wer die Karriereleiter erklimmen möchte, die Extrameile gehen muss: «Wer mehr leistet, wird honoriert. Sowieso gilt heute immer mehr ein Leistungs- statt ein Stundenlohn, da Wissensarbeit nur schwer in Stunden messbar ist», ergänzt die Expertin. Definition der «neuen Normalität» Eine andere Erklärung für das Phänomen gibt Jennifer Sparr, Arbeitspsychologin an der Universität Zürich: «Mitarbeitende, die nur das Minimum bei der Arbeit erfüllten, hat es wohl immer schon gegeben.» Jetzt aber beobachte sie, dass viele Arbeitgebende eine Rückkehr in die «Vor-Corona-Normalität» verfolgen. Diese sei aber nach zwei Jahren der Pandemie nicht mehr die gleiche und es gelte, die «neue Normalität» zu definieren. «Die Pandemie hat uns das Spannungsfeld zwischen Gesundheit und Produktivität eindrücklich vor Augen geführt», so Sparr. In der Pandemie mussten Arbeitgeber in einem kurzen Zeitraum Massnahmen ergreifen für den Schutz ihrer Angestellten und das Aufrechterhalten des Betriebs. «Die Arbeitnehmenden haben diese Massnahmen engagiert mitgetragen, haben im Homeoffice Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und die Bereitschaft bewiesen, die Arbeit mit dem Privaten zu verbinden.» Das Miteinander und das Füreinander sei an erster Stelle gestanden. Es hätte den Angestellten zwar viel abverlangt, ihnen aber auch neue Gestaltungsmöglichkeiten aufgezeigt. «Und jetzt, wo die Pandemiebeschränkungen aufgehoben sind und sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmende versuchen, ihre neue Normalität zu finden, geht vielfach das Miteinander verloren», so die Expertin. Als Beispiel illustriert sie, dass Regelungen bezüglich Homeoffice aufgestellt werden ohne die Mitsprache der Angestellten – und diese das als Einschnitt in ihre neu gewonnene Flexibilität wahrnehmen. Es als unverdientes Misstrauen verstehen, gerade nach einer Zeit, in der sie so viel in das Unternehmen investiert haben. «Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass die Produktivität im Homeoffice während der Pandemie gleich geblieben, in manchen Fällen sogar angestiegen ist.» Würden Organisationen nun Regelungen betreffend der Arbeitsmodelle ohne Angestellte entwickeln, könne das mitunter einen Einfluss auf Angestellte haben: Sie erledigen nur noch das Minimum für die Firma und konzentrieren sich mehr auf das wiedergewonnene Leben nach der Pandemie. Umgang mit Quiet Quitting Stilles Kündigen und nur noch das Minimum arbeiten für mehr Freiheit oder wegen bestehenden Misstrauens und fehlender Wertschätzung: Die Gründe für Quiet Quitting sind vielfältig. Obwohl Uneinigkeiten bezüglich des Begriffes bestehen, ist klar: Das Phänomen ist vorhanden und es gilt, Massnahmen zu ergreifen. Die Arbeitspsychologin Jennifer Sparr empfiehlt, sich wieder an das Miteinander und Füreinander von vor der Pandemie zu erinnern: «Wertschätzen, was die Mitarbeitenden während dieser Zeit geleistet haben, welche persönlichen Einschränkungen sie auf sich genommen haben. Ihnen weiterhin das Vertrauen schenken, welches sie während der Krise erhalten haben, beispielsweise im Homeoffice.» Und vor allem wichtig ist ihr, dass die Mitarbeitenden bei der Definition der «neuen Normalität» ein Mitspracherecht erhalten: «Mitarbeitende wollen sich kompetent fühlen sowie Kontrolle und Einfluss bei der Arbeit haben.» Wer die Angestellten unterstützt, ihnen Vertrauen schenkt, Flexibilität und Mitgestaltungsmöglichkeiten erlaubt und sicherstellt, dass alle wissen, welchen Wert ihre Beiträge haben, wird das Phänomen Quiet Quitting im Unternehmen nicht antreffen.

Trend Quiet Quitting: Darum arbeiten junge Leute heute nur noch die geforderten Stunden

Quiet Quitting: Deshalb arbeiten junge Leute heute nur noch die geforderten Stunden