Was hilft, wenn im Homeoffice der Büro-Klatsch fehlt

Pling – und wieder eine Einladung zum Feierabendbier am Freitag, ein neuer Serientermin. Darauf folgt der obligatorische Team-Spieleabend, alles rein virtuell, versteht sich. Vielen Beschäftigten entlockt das Bemühen ihrer Arbeitgeber um sozialen Austausch in Zeiten der Dauer-Remote-Arbeit nur noch müde Seufzer. Denn die Lage wird mit jedem Monat belastender. Selbst in Jobs, die sich digital bewältigen lassen, fehlt etwas: reale Begegnungen. Am Anfang der Krise hatte alles noch den Reiz des Aufregenden. Aus dem Nichts wurden Unternehmen in eine neue Situation katapultiert, die allen Beteiligten viel abverlangte. «Das löste den sogenannten Honeymoon-Effekt aus», sagt Organisationspsychologe Hannes Zacher von der Universität Leipzig. «Die Aufgabe, sich im Ausnahmezustand zurechtzufinden, schweisste die Belegschaften zusammen.» Für Arbeitsprozesse wurden pragmatische Lösungen gefunden. Doch mit dem Einrichten im «New Normal» machte sich der Honeymoon-Hangover – sprich: Katerstimmung – breit und spätestens mit dem zweiten Lockdown vollends der Überdruss. «Bei den meisten Beschäftigten nimmt das Gefühl der professionellen Isolation zu», beobachtet Zacher. Zwischen Angst und Abenteuer Das ist bedenklich. Zwar kratzt die Arbeit im Homeoffice nicht unbedingt an der Produktivität – oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Aber sie macht einsam. In einer Studie haben Zacher und Kollegen Stimmungsabfragen während der Lockdowns vorgenommen. Laut Selbsteinschätzung nehmen sich Beschäftigte im Homeoffice zwar als leistungsfähiger wahr, wenn es um konzentriertes Abarbeiten von Aufgaben geht. Was spontane Ideen und Kreativität betrifft, gaben sie sich deutlich schlechtere Noten. Kein Wunder, denn um auf Neues zu kommen, sollten wir bestenfalls Neues erleben, uns gegenseitig inspirieren und in kleinen Gruppen die Bälle zuspielen. Ivona Linder, verantwortlich für die interne Kommunikation bei der Bank Rothschild & Co, hat dieses Bedürfnis auch bei ihren Kolleginnen und Kollegen erkannt. «Im März 2020 herrschte eine Stimmung zwischen Unsicherheit und Abenteuer. Aber insbesondere seit Beginn dieses Jahres wünschen sich die meisten nichts sehnlicher als ihr altes Leben zurück.»Wichtiger Support Instrumente für den informellen Austausch schaffen. Aufrichtig das persönliche Befinden der Mitarbeitenden eruieren – aber sie auch mal in Ruhe lassen (etwa am Wochenende). Geschenke: Aufmerksamkeiten und finanzielle Zustupfe drücken die Wertschätzung aus. Zweiergespräche: Mit dem Kader, aber auch klar ohne Kaderleute. Räume und Rituale schaffen: Sie müssen allerdings auf die Teams zugeschnitten sein. Netzwerktreffen: Auch nach dem Zufallsprinzip, für eine Durchmischung, etwa Lunch-Roulettes. Neben den offiziellen Kanälen der Kommunikation, in denen etwa über Unternehmensnews oder über neue Vorschriften des BAG kommuniziert wird, hat die Bank auch Instrumente für den informellen Austausch geschaffen. Neben täglichen Teamzusammenkünften im Videochat rufen die Mitglieder der Geschäftsleitung immer mal einzeln bei Mitarbeitenden aus verschiedenen Bereichen an, um nach deren Befinden zu fragen. Zudem werden via Schrittzähler-Challenge gemeinsam Kilometer gesammelt, im neu aufbereiteten Intranet Links zu virtuellen Kulturveranstaltungen gepostet, der bankeneigene Küchenchef gibt Rezepttipps, und jeder Monat steht unter einem eigenen Motto, wie Linder berichtet. Im Februar war das «Love is everywhere»: «Wir haben jedem ein kleines Geschenkpaket zukommen lassen mit einem Gedicht und der Botschaft ‹Wir lieben euch, haltet durch!›.» Fehlender Gossip Auch ein oft totgeschwiegener Aspekt der informellen Kommunikation hat derweil seine Berechtigung: Lästereien, Gerüchte, brandheisse News – kurz: Gossip. «Diese Formen der Kommunikation haben eine wichtige Funktion für Unternehmen, sie wirken als sozialer Kitt», sagt Psychologe Zacher – natürlich nur insoweit, dass sie die Grenze zum Mobbing nicht überschreiten und gehässig werden. Vor allem in Dienstleistungsjobs kann es guttun, mal über einen schwierigen Kunden zu lästern und damit Dampf abzulassen. Sich aufzuregen oder sich lustig zu machen, entspannt und verbindet uns. «Das gegenseitige Offenlegen vielleicht heikler Informationen spielt eine wichtige Rolle, um Vertrauen zu bilden», ergänzt Zacher. Die grosse Videocall-Müdigkeit Auf dem Plan beinahe in jeder Organisation stehen virtuelle Meetings, die Zeit für ungezwungenen Plausch ist rar. Die virtuellen Meetingräume schon zehn Minuten vor Start des offiziellen Parts zu öffnen, um Raum für Small Talk zu schaffen, sei besser als nichts, findet Zacher. Bei Videokonferenzen lauere aber noch ein anderes Problem. So löse das Gefühl, beobachtet zu werden, Stress aus. Ebenfalls ungünstig: Man wird permanent mit dem eigenen Gesicht auf dem Bildschirm konfrontiert – eine unnatürliche Gesprächssituation. Zacher rät zu regelmässigen Zweiergesprächen, am besten über Chatprogramme. Führungskräfte sollten auch Chatgruppen zulassen, zu denen sie selbst keinen Zugang einfordern. Die einsetzende Videokonferenzmüdigkeit bemerkt auch Begoña Lema Vilas, die die interne Kommunikation bei der Helvetia leitet. «Viele machen in grösseren Konferenzen inzwischen ihre Kameras aus, dafür haben wir Verständnis. » Und auch einen anderen Effekt beobachtet sie: «Wir waren nie so pünktlich wie jetzt: zwei Minuten Verspätung kommen einem im virtuellen Raum wie eine Ewigkeit vor.» Lema Vilas legt persönlich Wert darauf, nicht gleich ins Thema zu starten, sondern sich erst einmal kurz auszutauschen «Wie fühlst du dich, wie geht es deiner Familie? Für solche Fragen sollten Zeit und Raum vorhanden sein.» Spontanität in den grauen Alltag Bei der Versicherung sollen virtuelle Teamkaffees für Auflockerung sorgen. Ob sie täglich oder wöchentlich stattfinden, wird nicht diktiert. Die Führungskräfte wurden stattdessen gebeten, sich umzuhören und je nach Bedarf passende Räume und Rituale zu schaffen. «So etwas muss organisch wachsen und auf die einzelnen Teams zugeschnitten sein», sagt Lema Vilas. Zudem besteht die Möglichkeit, mit anderen per Zufallsprinzip zum Netzwerktreffen mit Kaffee am Bildschirm «gematched» zu werden. Hier sei das Interesse gross. Ein sinnvoller Ansatz – immerhin holt ein solches Prinzip ein Stück Spontanität in den grauen Remote-Alltag. Nahbarkeit ist gefragter denn je Runden für den privaten Austausch sind nach Einschätzung von Psychologe Zacher gut gemeint – müssen aber genauestens auf das jeweilige Team abgestimmt sein. Ausserdem wichtig: Sie sollten unbedingt innerhalb der Arbeitszeit stattfinden. «Freitagabend ist dafür ein schlechter Zeitpunkt – dann wollen die Menschen ihren Rechner endlich vom Küchentisch wegräumen und an etwas anderes denken.» Auch Interessant: So arbeitet die Schweiz im Homeoffice Karriere machen im Homeoffice: So klappt es Verhandlungen sicher führen – aus dem Homeoffice In Zeiten, in denen auch im physischen Raum Privates und Berufliches mitunter verschwimmen, gilt es solche Grenzziehungen besonders zu berücksichtigen. Auch sollten sich Vorgesetzte in informellen Runden zurückhalten. «Wenn sie sich für die Stimmungsabfrage dazuschalten, wird es heikel, das funktioniert nur bei flachen Hierarchien», sagt Zacher. Eine Möglichkeit könne sein, dass sie sich nach zehn Minuten herausziehen – um dann den Raum freizugeben für unbefangene Gespräche im Team. Besser sei ein «Door-to-door-Management», also das Angebot, in einem Zweiergespräch über aktuelle Befindlichkeiten zu sprechen. «Wir können den Frust dieser Zeit nur insofern abmildern, als wir Gefässe für den Austausch zur Verfügung stellen. Aber ab einem gewissen Punkt müssen Arbeitgeber es auch akzeptieren, wenn Beschäftigte mal eine Weile in Ruhe gelassen werden möchten», sagt Ivona Linder von der Rothschild-Bank. Was die Kommunikatorin freut, ist die Tatsache, an mancher Stelle nun auf andere Weise private Einblicke zu bekommen. «Ich habe während der Pandemie zum ersten Mal die Tochter einer engen Kollegin gesehen, die mir nun regelmässig zuwinkt. Das schafft Nähe.»