Er sollte es richten. Endlich. Dabei war er erst 23 Jahre alt. Aber der junge Ingenieur Pierre-Alfred Roulet sollte schaffen, was bisher niemandem gelungen war. Seit 1962 versuchte man bei Zenith, den ersten automatischen Chronographen der Welt zu bauen.

Ein «grosser Coup» würde es sein, so sprach sich die Geschäftsleitung Mut zu, und 1965, zum 100-Jahr-Jubiläum der Manufaktur, würde man damit Furore machen. Nur kam man mit dem Projekt einfach nicht richtig vom Fleck. 1965 strich vorüber, es gab wohl Ideen, es gab Pläne, es gab allerlei Werkteile – «aber irgendwie», so erinnert sich Roulet, «war alles eher etwas desorganisiert».

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Angestellt wurde Pierre-Alfred Roulet 1968. Sein Auftrag war so klar wie sportlich: Wenige Monate später, vor der Basler Uhrenmesse im Frühling 1969, müsse der automatische Chronograph parat sein.

«Wir standen in einem Rennen», sagt er. «Und wir hatten Verspätung. Es gab Gerüchte, dass auch andere Unternehmen schon am Thema arbeiteten.»

Nichts «Aufgewärmtes»

Tatsächlich ging es um ein helvetisches Prestigevorhaben: Mehrere Marken hatten ein Projekt auf Hochtouren am Laufen, und alle wollten à tout prix den ersten automatischen Chronographen der Welt auf den Markt bringen. Bei Zenith hatte es das Pflichtenheft in sich.

Man wollte in der jurassischen Tradition bleiben und mithin einen integrierten automatischen Chronographen bauen, nichts «Aufgewärmtes», wie man sagte, kein Sandwich also mit einem Modul auf einem Basiswerk. Man wollte ein feines Kolonnenrad haben. Und dann sollte es auch noch ein Schnellschwinger sein, das Werk müsste mit 36’000 Halbschwingungen pro Stunde ticken, was die Sache nochmals komplizierter machte.

Schnellschwinger waren das heiss diskutierte technische Thema der Stunde, es gab bereits Schnellschwinger für Dreizeigeruhren, auch mit 72’000 Halbschwingungen pro Stunde wurde da und dort experimentiert. Vorteil: Schnelle Schwingungen bringen eine höhere Präzision.

Erkauft wird das allerdings mit einer schnelleren Abnutzung der Mechanik sowie technischer Anfälligkeit, vor allem wenn man nicht die richtigen Öle verwendete. Das macht deutlich, dass die Wette nicht einfach war.

zenith

El Primero: «Man hat traditionelle Arbeitsweisen durch modernste industrielle Prozesse ersetzen müssen.»

Quelle: ZVG

Auch wenn Pierre-Alfred Roulet und seine drei Teams auf viel angesammeltes Wissen bauen konnten, etwa von den Chronométiers, die Uhren für Chronometrie-Wettbewerbe vorbereiteten. 1959 hatte Zenith die Martel Watch in Les Ponts-de-Martel gekauft, ein feines Unternehmen, das unter anderem für Universal in Genf akkurate Chronographen baute.

Jurassische Kollaboration

Bei Martel, von drei Brüdern geführt, soll Raoul Pellaton 1962 der Zenith-Direktion die Entwicklung eines automatischen Chronographen vorgeschlagen haben; von einem Monsieur Henri Nagel stammen erste technische Zeichnungen dazu.

Nagel hatte eine ganz eigene Art zu zeichnen, er benutzte keinen Pantografen, obwohl es den schon längst gab – er zeichnete mit Feder, Bleistift, T-Schiene, Zirkel und Lupe auf 60 mal 40 Zentimeter grosse Blätter. Die Dokumente sind noch vorhanden. Eines davon, mit Farbstiften koloriert, nimmt Pierre-Alfred Roulet in die Hand.

Und dazu ein Milchbüchlein, auf dem Monsieur Nagel Buch über jede Skizze führte. Heute erlauben es die Notizen, geschrieben in der sauberen Miniaturschrift eines Technikers, die Geschichte des Chronographen schier lückenlos zu rekonstruieren.

«Es war klar, dass man sich sputen musste. Wir wollten auf keinen Fall die Zweiten sein.»

Man könnte denken, Roulet sei bei den Zenith-Ateliers von Les Ponts-de-Martel nicht besonders willkommen gewesen, als man ihn als jungen Schnösel zum – wie er sagt – «Chefdirigenten» machte und ihm drei Abteilungen unterstellte, die Stanzerei, die Rohwerkabteilung und die Fertigstellung.

Doch es sei kein Problem gewesen: «Wissen Sie, ich kam aus dem Dorf, ich war einer von ihnen.» Und es herrschte Aufbruchstimmung. Man wollte das Kaliber unbedingt.

«Niemand fragte, was es kosten würde», lacht Roulet heute. Es gab kein Budget, keine Fragen, kein Controlling. «Wir waren die Stars.» Nicht für alle, allerdings.

Die kommerziellen Abteilungen machten Druck, es ging ihnen mitunter zu langsam vorwärts. Sie wollten etwas in den Händen haben, etwas, das dem Ruf von Zenith Schub geben würde. Man genoss zwar die Reputation, hohe Qualität zu fairen Preisen anzubieten, aber man wollte endlich ein krachendes Vorzeigestück.

Auf keinen Fall die Zweiten sein

«Es war klar, dass man sich sputen musste», sagt Marc Roethlisberger, «wir wollten auf keinen Fall die Zweiten sein.» Roethlisberger arbeitete im Marketing.

Und er war an der Namensfindung für das neue Chronographenwerk dabei; an einer Brainstorming-Sitzung im Gebäude an der Rue des Billodes 34 in Le Locle, das nach wie vor existiert.

«Wir strampelten damals wie auf einem Rennvelo. Mit der Nase am Lenker.»

Marc Roethlisberger

Es sei keine Riesensache gewesen, erinnert er sich, man habe sich einfach gesagt, «Le Premier» auf Französisch treffe zwar die Sache, klinge aber irgendwie banal. Auf Spanisch übersetzt hingegen, also «El Primero», klinge es so gut wie sehr dynamisch – und zwar weltweit.

Es sei eine strenge Zeit gewesen, ergänzt der Mann, der später für die Märkte Schweiz und Deutschland verantwortlich war und sich dann auch um das kulturelle Erbe der Firma kümmerte: «Wir strampelten damals wie auf einem Rennvelo. Mit der Nase am Lenker.»

Aber es habe sich gelohnt: «Wäre El Primero nicht gekommen, gäbe es Zenith heute sicher nicht mehr.»

Enorme Herausforderung

Es mag überraschend klingen, aber die Entwicklung eines automatischen Chronographen stellte die Branche damals vor enorme Herausforderungen – viel grössere, als das heute etwa der Bau eines komplexen Tourbillons tut. Für Dreizeigeruhren gab es den Automaten zwar schon lange, aber beim Chronographen waren die Hürden ganz anderer Art.

«Das Problem war, dass die Synthese aus Selbstaufzug und Chronographenfunktion etliche Tücken birgt», hält etwa der bekannte Uhrenpublizist Gisbert L. Brunner fest: «Mit der Montage einer Automatik-Baugruppe über oder neben dem Stoppmechanismus war es schlichtweg nicht getan.

Die kinetische Energie musste vom Rotor zum Federhaus gelangen. Dem dafür notwendigen Getriebe standen jedoch zahlreiche Räder, Hebel, Federn und sonstige Bauteile im Weg.»

«Es war eine Meisterleistung»

Schon die Handaufzugs-Chronographen waren eine diffizile Sache für Spezialisten, wie Christian Jubin berichtet, damals bei Zenith verantwortlich für die Montageabteilung. Er war 1967 als 26-Jähriger, von Breitling kommend, angeheuert worden.

Paradigmenwechsel beim Uhrwerk

Zuständig für die Chronographen waren die Chronographen-Remonteure, ausgebildete und hochangesehene Spezialisten, welche die Werke zusammenbauten und auch einstellten.

Es war in Bezug auf das Feintuning eine aufwendige und mithin auch kostentreibende Sache. Was zu einem wichtigen Punkt führt, der bei den Würdigungen des El Primero bisher viel zu kurz gekommen ist: Man wollte unbedingt, dass dieser Aufwand künftig viel kleiner wäre, sagt Jubin.

«Unser Ziel war, dass zwar vielleicht nicht gerade jedermann die Arbeit machen kann, aber sicher jeder normale Uhrmacher.» Und das sei in Sachen Konzeption des Werks ein «sacré changement» gewesen, ein Paradigmenwechsel. Man habe traditionelle Arbeitsweisen durch modernste industrielle Prozesse ersetzen müssen.

zenith

Am 10. Januar 1969 wurde El Primero von Zenith an einer Pressekonferenz in New York der breiten Öffentlichkeit präsentiert.

Quelle: ZVG

«Es war eine Meisterleistung», und dass alles gelang, sei im Wesentlichen das Verdienst von Pierre-Alfred Roulet. Der zuckt bescheiden die Schultern.

«Wir haben einfach unserere Arbeit getan», sagt er, und vieles sei schlicht «Trial and Error» gewesen. Oft auch mit herben Rückschlägen. Beispiel Drop Test: Klar war, dass das neue Werk schadlos einen Sturz aus einem Meter Höhe überstehen müsse.

Als man dies im Firmentreppenhaus dann erstmals ausprobierte und die Uhr schwungvoll auf den Klinkerboden fallen liess, ging die Sache jedoch schief. Die Achse brach, weil der ursprünglich vorgesehene Rotor für solche Übungen zu schwer war – was die dann eingefügten und charakteristischen Öffnungen in der Schwungmasse erklärt.

Ein bisschen stolz

Vor allem von einem präzisen Stanzverfahren, französisch Etampage, versprach sich Roulet die gewünschte Rationalisierung im Bearbeitungsnachgang. «Ziel war, bei den Komponenten zu einer finalen Geometrie zu kommen, die nachträgliche Retuschen überflüssig macht.»

Und es war der örtliche Velomechaniker, der auf dem Weg dazu wertvolle Dienste leistete.

Der Mann hatte ein besonderes Händchen fürs Feintuning, von ihm kamen wertvolle Tipps. Am 10. Januar 1969 wurde El Primero von Zenith an einer Pressekonferenz in New York der breiten Öffentlichkeit präsentiert. Pierre-Alfred Roulet, Marc Roethlisberger und Christian Jubin waren nicht dabei.

Aber ein bisschen stolz, so geben sie zu, seien sie schon gewesen an diesem Tag – auch wenn es gemischte Gefühle gab: «Ich hatte die präsentierten Prototypen gebaut», sagt Jubin, «und ich hoffte inständig, dass die da auch gut funktionieren.» Schon in den Wochen zuvor hatte er Blut und Wasser geschwitzt, aus Angst, nicht rechtzeitig fertig zu werden.

Vor allem aber sei ihm damals klar gewesen, dass das Produkt noch nicht völlig marktreif sei: «Wir wussten, dass einige Verbesserungen nötig waren.»

Heuer zog fast gleich

Zenith, dies nebenbei, war zwar das erste Unternehmen, das öffentlich die Realisierung eines automatischen Chronographen ankündigte, einige Monate später schafften es aber auch zwei Mitbewerber: Heuer präsentierte gemeinsam mit Breitling und weiteren Partnern das Kaliber 11 auf Modulbasis, Seiko in Japan brachte das Kaliber 6139 mit integrierter Chronographenfunktion.

Das heisse Rennen ging also quasi unentschieden aus. Und schon bald verlor der automatische Chrono seinen Nimbus – wenn auch nur vorübergehend: Die Quarzuhr stand jetzt im Zentrum des Interesses.

Pierre-Alfred Roulet verliess das Unternehmen schon bald. 1974, als Zenith wegen der grossen Krise 120 Personen entliess, gab er seinen Rücktritt: «Ich schwor mir, dass ich nie mehr in der Uhrenindustrie arbeiten würde.»

Aber mitunter holt uns die Vergangenheit ein. Beim Unternehmen Energizer, wo Roulet dann massgebend an der Entwicklung der quecksilberfreien Batterie beteiligt war, erhielt er zum 25-Jahr-Dienstjubiläum eine Uhr. Es war, obwohl niemand mehr wusste, wo er mal gearbeitet hatte, eine Zenith El Primero. Und er trägt sie seither jeden Tag.