Je dünner, desto besser. Während die Modeindustrie langsam, aber sicher dem Schlankheitswahn abschwört oder zumindest vorgibt, es zu tun, war Dünnsein in der Uhrenindustrie kaum je angesagter als 2022. Erst im März sorgte die LVMH-Marke Bulgari an der Watches & Wonders in Genf mit der Octo Finissimo Ultra für Aufsehen. Die schöne Italienerin war mit einer – pardon – Dicke von 1,8 Millimetern die dünnste je hergestellte Uhr der Welt. Ein mechanisches Meisterwerk, bloss zwei Kreditkarten dick.

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Gut drei Monate später heisst es aber: Move over, Bulgari. Die dünnste Uhr der Welt ist nur noch 1,75 Millimeter dick. Und kommt von Richard Mille.

Dass Richard Mille nun den Rekord hält, ist nicht frei von Ironie

Das Ganze ist nicht ohne Ironie. Schliesslich ist die Milliardenmarke Richard Mille – eine der am schnellsten wachsenden Brands der letzten Jahre – bislang vor allem für Zeitmesser bekannt, die am Handgelenk durchaus auftragen durften. Die auffälligen Modelle von Richard Mille sind zum neuen Erkennungszeichen der Superreichen und Supererfolgreichen geworden. Und sollten auffallen. Auch mit ordentlich Bling.

Und nun also die RM UP-01, eine Uhr von dezenter Eleganz. Entwickelt zusammen mit Richard-Mille-Partner Ferrari. Auf 150 Stück limitiert. 1,888 Millionen Dollar teuer (dafür gäbe es auch plus/minus drei Ferrari). 

Im Gegensatz zu Bulgari (und dem Rekordhalter vor Bulgari, namentlich Piaget) hat Richard Mille das gesamte Uhrwerk, das selbst nur 1,18 Millimeter dick ist, in das Gehäuse eingebaut – und nicht, wie sonst üblich bei ultradünnen Uhren, den Gehäuseboden als Grundplatte verwendet. Das Uhrwerk wurde in Zusammenarbeit zwischen Richard Mille und Renaud & Papi, einer Tochtergesellschaft von Audemars Piguet, entwickelt.

Ein Detail für Technikfreaks: Ein Teil der Entwicklung bestand darin, die Hemmung neu zu überdenken und eine Unruh mit variablem Trägheitsmoment aus Titan zu konstruieren, wodurch die Dicke des Werks verringert werden konnte, ohne dass es an Funktion und Leistungsfähigkeit einbüsste.

Während eine herkömmliche Hemmung einen Schutzstift und eine Sicherheitsrolle enthält, um den Anker vor Stössen zu schützen, lässt Richard Mille verlauten, dass bei der neuen patentierten ultraflachen Hemmung beide Teile eliminiert und die Bankfunktion direkt an der Ankergabel angebracht würden. Zu diesem Zweck wurde die Gabel selbst verlängert und ihre Hörner modifiziert.

Welchen Promi sehen wir als Erstes mit der neuen Richard Mille?

Nein, die UP-01 sind nicht für den Markt gedacht. Nicht einmal für jenen Markt, in dem knapp 2 Millionen Dollar kaum der Rede wert sind. Man darf gespannt sein, welcher Prominente als Erster mit der neuen RM gesehen wird. Vielleicht einer der Fahrer der Sucderia Rossa in der Formel 1, also Charles Leclerc oder Carlos Sainz? Oder doch der Rapper Drake, bekannt als grosser Richard-Mille-Fan?

Übrigens: Die Obession der Uhrenindustrie mit dünnen Modellen hat eine lange Tradition. In den 1970er Jahren wurde etwa die Schweizer Marke Jean Lassale mit ihren dünnen Uhren weltbekannt (und später von Seiko übernommen). Das Problem damals: Zog man die dünnen Lassale-Uhren etwas gar stark an den Unterarm, konnte es schon mal passieren, dass sie sich verbogen ... Solcherlei passiert dem Träger einer UP-01 von Richard Mille sicher nicht. Die Uhr ist für Beschleunigungen bis 5000 G ausgelegt.

Marcel Speiser Handelszeitung
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