Von einem erfolgreichen Startup wie Getyourguide erwartet man eigentlich ein auffälligeres Hauptquartier. Die Suche nach dem Büro von Unternehmensgründer und Firmenchef Johannes Reck fühlt sich an wie eine kleine Schnitzeljagd durch Kreuzberger Hinterhöfe – Treppe rauf, Treppe runter, dreimal um die Ecke.

Im Jahr 2008 gründete Reck die Reiseplattform mit seinem Studienfreund Tao Tao in Zürich. Heute agiert das Unternehmen von Berlin aus und bietet weltweit Touren an, beispielsweise eine «Wüstensafari mit BBQ» in Dubai oder die «Stadtrundfahrt mit Luxus-Citroën» durch Paris.

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Das Startup ist jetzt ein «Einhorn»

Tourismus im Internet zu verkaufen scheint in Zeiten harter Preisvergleichsportale nicht lukrativ. Investoren sehen das in diesem Fall aber anders: Im Mai kassierte Getyourguide in einer Finanzierungsrunde ab – 484 Millionen pumpte ein Konsortium in die Firma. Zu gross ist das Interesse, an bisher 30 Millionen verkauften Ausflügen mitzuverdienen.

Damit hat Johannes Recks Gründung den Aufstieg in die Liga der «Einhörner» geschafft, also von Start-ups, die mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet werden.

Doch Einhörner sind in Deutschland sehr seltene Wesen, in den USA oder China kommen sie deutlich häufiger vor. Das wird auch so bleiben, befürchtet Reck – wenn die Politik nicht etliches ändert.

Herr Reck, haben Sie selbst schon einmal einen Trip mit GetYourGuide gebucht?
Johannes Reck: Mittlerweile sicherlich über 200-mal.

Was waren Ihre besten und Ihre schlimmsten Erlebnisse?
Ich habe kürzlich geheiratet und hatte mir eigentlich vorgenommen, während meiner Flitterwochen keinen Ausflug in meiner eigenen Firma zu buchen. Am Ende ist es dann eine Bootstour entlang der Amalfi-Küste geworden – ein absoluter Traum für alle Instagram-Nutzer.

«Es gibt drei bis vier Punkte, die in Deutschland wirklich Schwachsinn sind. Wir haben nicht die exzellenten Hochschulen, die die USA oder die Schweiz haben – die systematisch Technologien und Unternehmensgründungen fördern.»

Da wird bestimmt auch mal ein Flop dabei gewesen sein.
Vor einem Jahr habe ich eine Reise mit meiner heutigen Frau und meinen Eltern nach Andalusien gemacht. Am letzten Tag wollten wir von Sevilla aus auf eine Ganztagestour in den Donana-Nationalpark.

Die Tour hatte keine Bewertungen – und seitdem wir den Ausflug im Angebot hatten, hatte der Betreiber gewechselt. Kurzum: Niemand hat uns am Hotel abgeholt, die Tour ist ausgefallen – und wir sind stattdessen frühstücken gegangen. Immerhin: Das war lecker (lacht).

Sie haben mittlerweile rund 30 Millionen Tickets für Touren und Attraktionen verkauft. Wie stellen Sie sicher, dass andere Kunden nicht auch in Andalusien stranden?
Wir haben mittlerweile 16 regionale Büros – von Japan bis Kapstadt. Dort arbeiten Mitarbeiter, die unsere Touranbieter handverlesen aussuchen und testen.

Wir prüfen die Qualität des Angebots, Versicherungen, Kapital und gegebenenfalls benötigtes Material. Wir haben ein sehr klares Auswahlverfahren, damit Anbieter ihre Touren überhaupt auf unserer Plattform verkaufen dürfen.

Und in dem Moment, wo die erste Tour gekauft wird, können wir im Anschluss umgehend die Kundenzufriedenheit sehen. Sie können sich vorstellen: Der Anbieter aus Andalusien war am Ende des Tages natürlich nicht mehr auf der Plattform. Wer unseren Kunden keinen vernünftigen Service anbietet, hat auf Getyourguide nichts verloren.

Getyourguide: Ein Spin-off der ETH Zürich

Auf der Plattform Getyourguide können Touristen Tickets für Aktivitäten und Touren buchen. Der 34-jährige Johannes Reck, der Biochemie in Zürich studierte, gründete das Unternehmen 2009. Seitdem haben Reisende aus 170 Ländern mehr als 30 Millionen Tickets gebucht. Das Unternehmen beschäftigt über 500 Mitarbeiter, verteilt auf 16 Niederlassungen weltweit. Umsätze generiert Getyourguide durch die Provisionen, die Anbieter an das Unternehmen abführen. In bisherigen Finanzierungsrunden nahm die Firma nach eigenen Angaben mehr als 650 Millionen US-Dollar ein; zuletzt 484 Millionen US-Dollar im Mai 2019.

Bis zu 30 Millionen verkauften Tickets hat es zehn Jahre gedauert. Sie haben einmal gesagt, wenn Sie bereits kurz nach der Gründung über ein Millionenbudget verfügt hätten, wären Sie heute pleite. Warum?
Wir hatten in den ersten Jahren die Chance, mit wenig Kapital und Aufmerksamkeit unser Geschäftsmodell am Markt zu testen, bevor wir mehr Kapital bekommen und unsere Tätigkeiten skaliert haben.

Ich halte das für eine sehr wertvolle Erfahrung: Ich bin Naturwissenschaftler, habe am Anfang viele Fehler gemacht und dadurch quasi ein kostenloses Zweitstudium bekommen. So lernt man, Geld wirklich nur in ein Geschäftsmodell zu investieren, das sich auch rentiert.

Heute sitzt das Geld bei Investoren deutlich lockerer. Ich sehe bei vielen Start-ups oft, dass schnell investiert wird, bevor die Gründer dafür bereit sind und sich das Geschäftsmodell nachhaltig beim Kunden bewiesen hat. Das ist fatal – und vernichtet viel Geld.

CEO, GetYourGuide

Johannes Reck: Er hat sein Unternehmen 2009 gestartet.

Quelle: Annette Hauschild

Jetzt ist Ihr Unternehmen über eine Milliarde US-Dollar wert. Werden Sie jetzt risikofreudiger, oder geht es darum, diesen Marktwert erst einmal zu verwalten?
In Zeiten riesiger technologischer Veränderungen ist «verwalten» absolut das falsche Schlagwort. Unsere Wettbewerber sitzen nicht in Deutschland und Europa, sondern in Asien und im Silicon Valley – in Form von Google oder Airbnb.

Die haben deutlich mehr finanzielle Mittel in der Tasche, als wir jemals eingenommen haben. Für Europa sind wir reich, aber auf globaler Ebene sind wir immer noch ein Underdog. Mit vergleichbar wenig Kapital haben wir bereits viel erreicht, und wir dürfen uns nicht davon abbringen lassen, diesen Weg fortzusetzen.

Wäre es eine Überlegung für Sie, an die Börse zu gehen und dort mehr Mittel einzusammeln?
Das ist sicherlich der nächste logische Schritt, aber in unseren jetzigen Überlegungen spielt das noch keine Rolle, weil wir weiterhin sehr stark investieren. Wir haben noch keine totale Durchdringung in einem Markt – selbst in Europa können wir in den meisten Ländern noch um das Zehn- oder Zwanzigfache wachsen.

In neueren Märkten wie den USA oder Asien haben wir noch viel mehr Potenzial. In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden wir deshalb im «Investment-Modus» bleiben, bis wir uns für mehr Stabilität entscheiden, die es an der Börse braucht. Wir arbeiten in einer Industrie, in der Reisende weltweit 100 Milliarden Euro pro Jahr für touristische Dienstleistungen ausgeben und die gerade rasant digitalisiert wird. Da wollen wir der globale Marktführer werden.

Dann ist also jetzt der richtige Zeitpunkt, um Ihr Geschäftsmodell zu kopieren.
Das sieht oberflächlich so leicht aus, aber im Detail ist es unfassbar schwierig bis nahezu unmöglich.

Was macht Sie da so sicher?
Dass ich das zehn Jahre lang gemacht habe (lacht). Der Mehrwert für unsere Kunden ist, dass wir ein datengesteuertes Modell entwickelt haben, um ihnen weltweit die besten Erlebnisse anzubieten. Wir haben unseren Service jahrelang optimiert und uns einen grossen Kundenstamm aufgebaut.

Im Tourismus geht es darum, das lokale Angebot mit der globalen Nachfrage zusammenzubringen. Beides zu kopieren würde sehr lange dauern und unfassbar viel Geld kosten.

Stichwort Geld: Woran verdienen Sie eigentlich am Ende des Tages?
Die Kunden bezahlen uns und wir bezahlen die Anbieter, wenn die Tour stattgefunden hat. Dafür nehmen wir eine Provision aus den Nettopreisen des Anbieters. Der Kunde bezahlt gleich viel oder weniger als bei einer direkten Buchung – und unsere Anbieter stehen miteinander im Wettbewerb.

Einen Grossteil Ihrer Mittel haben Sie Investoren zu verdanken. Die wollen dafür im Gegenzug meist schnelle Erfolge sehen. Ist das nicht Gift für kreative Ideen?
Diese Frage stellen mir ausschliesslich deutsche Reporter (lacht). Solche grossen Summen sind ein fantastischer Vertrauensbeweis für unsere Arbeit – wir haben unser Geld schliesslich nicht im Kasino gewonnen, sondern den Erfolg unseres Unternehmens bewiesen.

Jetzt sind wir auf dem Weg, bei der Vermittlung von Erlebnissen globaler Marktführer zu werden. Deshalb sehe ich überhaupt keinen Grund, über Druck oder Scheitern nachzudenken. Ich mache mir in erster Linie Gedanken, wie wir die Wertschöpfung in der Branche für uns gewinnen können.

Sie haben Ihr Unternehmen in der Schweiz gegründet und sind später nach Berlin übergesiedelt. Wäre Ihre Erfolgsgeschichte in dieser Form in Deutschland überhaupt möglich gewesen?
Ja und Nein. Wir sind nach Deutschland gekommen, als wir noch sehr klein waren. Der Erfolg wäre sicherlich auch hier möglich gewesen. Aber in der Schweiz hatten wir mit der ETH Zürich eine exzellente Hochschule, die unsere Idee von Anfang an gefördert hat. Das sehe ich in Deutschland nicht in dieser Form.

Das war aber ein kurzes ‚Ja‘. Was fehlt Deutschland für eine erfolgreiche Milliarden-Gründung?
Es gibt drei bis vier Punkte, die in Deutschland wirklich Schwachsinn sind. Wir haben nicht die exzellenten Hochschulen, die die USA oder die Schweiz haben – die systematisch Technologien und Unternehmensgründungen fördern.

In Bereichen wie künstliche Intelligenz und Robotik sind viele Unternehmen zudem komplett unterfinanziert. Das meiner Meinung nach grösste Problem für die Zukunft ist aber das Thema Mitarbeiterbeteiligung.

Es gibt keinerlei Möglichkeiten für Unternehmen, Anreize für junge Menschen zu schaffen, in einem Start-up zu arbeiten und gleichzeitig vom Erfolg zu profitieren. Den Ansatz von Juso-Chef Kevin Kühnert, solche Probleme mit Verstaatlichungen zu lösen, halte ich für falsch. Wir sollten beim Kapitalismus bleiben, aber auch dort gibt es Möglichkeiten, Mitarbeiter fair zu beteiligen.

Das müssen unsere Politiker ermöglichen, damit wir im Wettbewerb um Talente nicht zurückfallen. Und natürlich ist der Bürokratieaufwand im Vergleich zu anderen Ländern unfassbar gross, ist oft kaum zu bewerkstelligen und verbraucht sehr viele Ressourcen. Es ist einfach lächerlich, wie Deutschland im internationalen Vergleich dasteht.

Eine lange Liste. Der Bund will kreative Unternehmen mit einer «Agentur für Sprunginnovationen» fördern. Ist das Geldverschwendung?
Die Zeit der Lippenbekenntnisse in der Politik muss enden. Wir brauchen ein echtes und klares Bekenntnis zu Deutschland als Tech- und Innovationsstandort und einige schnelle politische Veränderungen. Ich möchte noch einmal das Thema Mitarbeiterbeteiligung herausgreifen.

Der Bundesverband Deutsche Startups hat gerade festgestellt, dass jedes zweite Start-up seine Mitarbeiter am Unternehmen beteiligt. Trotzdem wird die Beteiligung von Mitarbeitern in Startups doppelt so hoch besteuert – nämlich per Einkommensteuer und nicht per Kapitalertragsteuer wie in vielen Wettbewerber-Ländern. Diesen riesigen Standortnachteil zu ändern stand sogar im Wahlprogramm von CDU und CSU. Da ist es für mich unerklärlich, wie Politiker so langsam und ignorant sein können.

Wie beteiligen Sie Ihre Mitarbeiter?
Wir lösen das über sogenannte «Cash-Boni-Verfahren». Ich bezahle allen Mitarbeitern einen Bonus, als ob sie am Unternehmen beteiligt wären. Wenn man dann aber auf die Bilanz und die Verbindlichkeiten der Firma schaut, ist das eine sehr schlechte Lösung.

Sind Investoren bei so viel Kritik nicht recht argwöhnisch, ausgerechnet in deutsche Start-ups zu investieren?
Wenn man so weit ist wie wir und jederzeit an die Börse gehen kann, gibt es keine Bedenken von internationalen Investoren. Und genau das führt zu einem anderen Problem: Ein Grossteil der Gelder in der Wachstumsphase unserer Start-ups kommt aus dem Ausland.

Daraus erzielen wir national keinerlei Renditen. Wie sehr können wir uns dann über den Erfolg von N26 oder Getyourguide freuen? Denn am Ende des Tages werden die Gewinne ins Ausland abfliessen.

GetyourGuide_Chefs

Die Chefs von Getyourguide. Rechts neben Reck ist sein Cogründer Tao Tao zu sehen.

Quelle: ZVG

Hier versagt aber nicht nur die Politik, sondern auch der Wirtschaftsstandort. Wir sind ein reiches Land. Warum brauchen Startups dann so viel Geld aus dem Ausland?
Viele Gründer nehmen Geld aus dem Ausland, weil sie sonst nichts anderes kriegen. Wir haben in Deutschland weiterhin eine wahnsinnig risikoscheue Kultur.

Für viele Leute ist es kaum nachvollziehbar, wie man zehn Jahre in den Aufbau eines Unternehmens investieren kann, ohne direkte Profite zu haben. Deutschland ist stark durch den Mittelstand geprägt, für den jahrzehntelang bei Wachstum oder Internationalisierung andere Gesetze gegolten haben.

Junge Digitalunternehmen stehen vom ersten Tag an im Wettbewerb. Am Ende des Tages gehört man entweder zu den drei Gewinnern oder zu den vielen Verlierern. Diese Erkenntnis dämmert uns erst ganz langsam.

Der Mittelstand ist immer noch Deutschlands höchstes Gut. Haben wir überhaupt eine Chance, jemals risikofreundlicher zu werden?
Die junge Generation wird das Land verändern: Es wird mehr Kapital investiert, auch wenn es noch aus dem Ausland kommt, es gibt mehr Gründer und innovative Ideen.

Berlin hat innerhalb der EU eine absolut herausragende Stellung als Magnet für Startups und Talente. Das ist ein guter Standortvorteil, den wir stärker ausspielen müssen.

Dabei haben Sie sich erst kürzlich beklagt, dass Sie gern bis Ende dieses Jahres weltweit 300 neue Stellen besetzen wollen, einen Grossteil davon in Berlin, aber Ihnen die Fachkräfte fehlen.
Der Fachkräftemangel ist ein gesamtdeutsches, wenn nicht sogar globales Problem. In Deutschland leben wir in einer anderen Realität als noch vor zehn Jahren.

Die Mietpreise und die Lebenshaltungskosten sind deutlich gestiegen. Wir müssen mittlerweile ähnliche Gehälter wie in San Francisco oder in London zahlen, auch bei der Belegschaftsbeteiligung müssen wir mitziehen. Und wir müssen den Leuten den Umzug nach Deutschland ermöglichen – denn die meisten Fachkräfte können wir nicht mehr hierzulande rekrutieren.

Reizt es Sie, als Investor oder Seriengründer dabei mitzumachen?
Ich habe selbst bei mehreren Unternehmen am Standort Berlin investiert. Aber das was mir liegt und Spass macht, ist das Unternehmerische – ich gehe gern jeden Morgen ins Büro und entwickle die nächste Version unseres Produkts.

Und wie soll die aussehen?
Wir wollen zukünftig noch gezielter auf die Interessen unserer Kunden eingehen. Dazu arbeiten wir bei einigen Aktivitäten mit den besten Tour-Veranstaltern zusammen und entwickeln gemeinsam neue und einzigartige Erlebnisse. Binnen weniger Monate haben wir bereits über 100'000 solcher Tickets verkauft. Für dieses Konzept sehe ich enormes Wachstumspotenzial.

Dieser Artikel erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel: «Es ist einfach lächerlich, wie Deutschland dasteht».