Seit die «Handelszeitung» vor wenigen Wochen als erste vermeldete, dass Facebook in Genf eine Tochterfirma mit Namen «Libra Networks» gegründet hat, ist klar: Die Rhonestadt spielt in den Plänen von Facebook-Chef Mark Zuckerberg eine wichtige Rolle beim Aufbau eines eigenen Bezahlsystems und einer eigenen Währung.

Nun zeigen Informationen, die der «Handelszeitung» vorliegen, wie weitreichend diese Pläne sind: Facebook erwägt, Genf zum Sitz eines Vereins mit Namen Libra Association zu machen. Der Verein wird Dreh- und Angelpunkt des gesamten Währungsprojekts. Das berichten mehrere mit der Angelegenheit vertraute Personen aus dem Genfer Umfeld.

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Die Gründe für die Wahl des Standorts sind strategisch: Die Schweiz gilt als neutral, beherbergt internationale Organisationen und steht für Rechtssicherheit. Das alles sind Eigenschaften, die Facebooks ambitioniertem Projekt helfen: eine Weltwährung mit Namen «Libra» zu schaffen.

Eine Frage der Macht

Anfänglich können die Menschen die Kryptowährung in den Facebook-Produkten Whatsapp, Messenger und natürlich Facebook selbst nutzen, aber das Ziel ist, ein neues Bezahlsystem für alle auf die Beine zu stellen. Es soll «Milliarden von Menschen rund um die Welt dienen», beschreibt ein Insider die Pläne. Dabei soll ein ganzes Ökosystem entstehen, das neue Finanzdienstleistungen hervorbringt. Die politischen und gesellschaftlichen Folgen wären enorm, sollte das Projekt Erfolg haben. Regulatoren und Steuerbehörden wären genauso gefordert wie Finanzinstitute. Irgendwann, in vielen Jahren, könnte gar der Einfluss von Zentralbanken auf den Prüfstand kommen, zuerst in Entwicklungsländern.

Das Problem ist: Traut die Welt Facebook genug, um sich auch in finanziellen Dingen in die Hände des Konzerns zu begeben? Das Unternehmen hat darauf gleich selber eine Antwort gegeben: Facebook will die Oberaufsicht über die Währung und das Bezahlsystem abgeben. Es ist ein Grundsatzentscheid. Und hier kommt die Schweiz ins Spiel und die noch nirgends eingetragene Genfer «Libra Association». Sie soll zum Herzstück der neuen Währung werden.

6 Jahre Präsenz

Marketing In Genf war Facebook bisher vor allem mit einer Marketingorganisation tätig, die über einige Angestellte verfügte. Gleichzeitig ist Genf seit 2013 Sitz der Ländergesellschaft Facebook Switzerland.

David A. Marcus

David A. Marcus

Quelle: ZVG

Payment Der Facebook-interne Leiter des Währungsprojekts «Libra» hat Bezug zu Genf. David A. Marcus (Bild) wuchs in der Rhone-Stadt auf und studierte dort kurze Zeit, bevor er unternehmerisch tätig wurde. Bei Paypal wurde er schliesslich Präsident. 2014 wechselte er zu Facebook.

Blockchain Diesen Frühling gründete Facebook in Genf schliesslich die Libra Networks GmbH, welche am Anfang der Aktivitäten zur eigenen Währung in der Schweiz stand. Die Firma bietet laut Statuten alles an, was für den Aufbau eines blockchainbasierten Bezahlsystems nötig ist.

Cash als Reserve

Facebook will sich dazu nicht äussern, aber Personen mit Kenntnis der Materie sagen, der Verein sei eine «unabhängige und gemeinnützige Mitgliedsorganisation». Darin Einsitz nehmen sollen Universitäten, Firmen, Finanzakteure und Nichtregierungsorganisationen. Allesamt werden das Institutionen sein, die das neue Bezahlsystem kontrollieren und die Transaktionen im Verbund genehmigen, kurz gesagt einen sogenannten «validator node» betreiben, wie das in der Fachsprache heisst. Facebook wird nur «einer unter vielen» sein.

Damit ist die Macht von Facebook beschränkt. Zudem soll der Verein mit einer Zweidrittelmehrheit Änderungen am neuen Bezahlsystem und an der Währung beschliessen können. Zu den wichtigen Themen, über welche die Libra Association entscheiden soll, gehören:

  • Technologie: Das neue Bezahlsystem basiert auf der Blockchain-Technologie. Davon gibt es zahlreiche Spielarten. Zum Start ist vorgesehen, dass nur ausgewählte Institutionen und Partner die Blockchain betreiben und überwachen. Das nennt man «permissioned chain». Mit den Jahren soll der Verein dafür sorgen, dass zumindest theoretisch jedermann das Netzwerk unterhalten kann. Das heisst dann «permissionless».
     
  • Reserve: Die neue Währung soll Wert und Stabilität erhalten, indem sie eins zu eins unterlegt wird mit mehreren anderen Währungen und Assets. So wie früher etwa der Dollar mit Gold unterlegt war und dadurch seinen Wert behalten sollte. Im Falle von Libra werden die Reserven Cash umfassen sowie Staatsanleihen. Die Genfer Libra Association übernimmt die Oberaufsicht über diese Reserven und ist auch die einzige Instanz, die neue Einheiten der Währung schaffen kann. Allerdings nur unter der Bedingung, dass den Reserven neue Assets hinzugefügt werden. Die Association ist auch die einzige Instanz, welche Libra-Einheiten wieder vernichten kann. Zum Beispiel dann, wenn jemand Libra zurückgibt und im Gegenzug die entsprechenden Assets bezieht.
     
  • Identität: So, wie die politischen Verhältnisse heute liegen, kommt ein Projekt wie jenes von Facebook nicht darum herum, mit allen Behörden zusammenzuarbeiten, Geldwäschereibestimmungen strikt einzuhalten und genau zu wissen, wer wem Geld überweist. Teil des neuen Systems ist daher auch ein Identitätsmanagement. Der Verein fördert deshalb die Entwicklung eines neuen, offenen Identitätsstandards.
     
  • Ökosystem: Damit alles Fahrt aufnimmt, braucht es zahlreiche Partner, welche das Netzwerk stützen und die neue Währung in Umlauf bringen. Der Verein soll die entsprechenden Bemühungen unterstützen und koordinieren.

Die Folgen für die Gesellschaft wären bei einem Erfolg des Projekts enorm.

Neue Website in Sicht

Auch wenn Facebook-intern offenbar vieles schon ausformuliert sein soll, so warnen Insider davor, jedes Detail für bare Münze zu nehmen. Einer jedenfalls sagt: «Da ist noch vieles im Fluss.» So berichtete kürzlich die Nachrichtenplattform «The Information» aus dem Silicon Valley von einer Stiftung und nicht von einem Verein, welche die Governance über die neue Währung übernehmen solle. Es ist denkbar, dass Details in diesen Tagen noch modifiziert werden. Auch beim Namen herrscht noch nicht letzte Klarheit. Einige Medien sprechen vom «Global Coin», andere schlicht von «Libra». An die Öffentlichkeit treten will Facebook in den nächsten Tagen mit einer globalen Medienkonferenz.

Dann könnte auch die Website libra.org vorgestellt werden. Der Domain-Namen ist jedenfalls wie auch libraassociation.org bei einem deutschen Provider reserviert. Allzu lange kann Facebook mit der Konkretisierung nicht zuwarten, will der Konzern den eigenen Fahrplan einhalten. Bereits im ersten Halbjahr 2020 soll sich Libra dem Publikum öffnen.