Achtung Herbststurm: Darum sind die Börsen auf Crash-Kurs

Der Sommer geht zu Ende, und mit den längeren Nächten kommen mit grosser Wahrscheinlichkeit auch wieder happige Kursrückschläge zurück. Die Kursrückschläge nach der Rede des obersten US-Notenbankers Jerome Powell waren nur der Anfang. Es dürfte noch schlimmer kommen. Ja, von Mitte Juni bis in den August hinein sind die Kurse gestiegen. Deswegen glaubten manche, dass das Schlimmste bereits ausgestanden sei. Das Gegenteil ist der Fall: An den Börsen steht wieder eine sehr unerfreuliche Zeit bevor. Zwei Faktoren dürften für einbrechende Kurse sorgen. Erstens: eine unterschätzte Gruppe von Börsenakteuren. Zweitens: die aktuelle Phase im Börsenzyklus. 1. Eine unterschätzte Gruppe von Börsenakteuren Die Bedeutung privater Investorinnen und Investoren hat seit der Finanzkrise stark zugenommen. Bereits vor einigen Jahrzehnten gab es eine Phase, in der Privatleute der bestimmende Faktor an den Börsen waren. So besassen Private in den fünfziger Jahren über 90 Prozent der Aktien von US-Unternehmen. In den folgenden Jahrzehnten änderte sich das Bild allerdings, die institutionellen Anleger übernahmen das Ruder. Vor allem aufgrund zweier Crashs innerhalb von wenigen Jahren, die Rede ist von der Dotcom-Blase und der globalen Finanzkrise, hatten die Anlegenden erst mal genug. Sie liessen die Finger von Direktanlagen und investierten indirekt und mithilfe von Profis an den Wertpapiermärkten. Daher besassen Privatanleger um 2009 weniger als 30 Prozent der Aktien und machten einen sehr kleinen Prozentsatz des US-Handelsvolumens aus. Aber als die Kurse mithilfe der Zentralbank immer höher stiegen, schichteten die Privatinvestoren und -investorinnen ihr Vermögen um. Heute haben Privathaushalte wieder deutlich mehr als 25 Prozent ihrer finanziellen Assets direkt in Aktien investiert. Das ist zum Teil den gestiegenen Kursen zu verdanken, zum Teil aber auch deutlichen Nettozuflüssen in Aktien. Deswegen kontrollieren private Haushalte mittlerweile mehr als 50 Prozent der gesamten Börsenkapitalisierung von US-Unternehmen. Und das ist ein Problem. Denn Privatanleger sind schlechte Investoren. Sie leiden an Selbstüberschätzung, wählen die falschen Titel aus, handeln zu oft und behalten die Verlierer, während die Gewinner verkauft werden. Dazu achten sie kaum auf Fundamentaldaten, werden stark von den Medien und den neusten Hypes geprägt und haben Angst, den nächsten Aufwärtsschub zu verpassen. Darüber hinaus haben manche Privatanlegerinnen und Privatanleger angefangen, mit hochriskanten Hebelprodukten auf Kursbewegungen zu wetten, etwa mittels Optionen, Futures oder CFD. Die genannten Faktoren führen dazu, dass die Gruppe der Privatinvestoren als Trendverstärker fungiert, insbesondere bei steigenden Kursen. Denn die Erfahrung der letzten 13 Jahre hat die Privatanlegenden gelehrt: der Staat und die Zentralbanken bevorteilen die Akteure an den Finanzmärkten und springen ihnen bei Börsenturbulenzen rasch zur Seite. Daher hat sich die Ansicht verfestigt, dass Aktien nur kurze Einbrüche verzeichnen (höchstens ein paar Wochen), um dann sofort neue Höchststände zu erklimmen. 2. Die aktuelle Phase im Börsenzyklus Anfang Juni erklärte der Star-Investor Stanley Druckenmiller in einem Interview, dass die Märkte wohl den ersten Abwärtsschub des aktuellen Bärenmarktes hinter sich gebracht hätten. Druckenmiller gilt als einer der kompetentesten und erfolgreichsten Investoren der Welt. Weiter sagte er, dass es trotz dem bestehenden Abwärtsdruck zu heftigen kurzen Aufwärtsbewegungen kommen kann, den Bärenmarktrallys. Er habe deswegen seine Short-Positionen geschlossen. Short-Positionen sind Wetten auf fallende Märkte. Diese Aussagen waren geradezu prophetisch, denn tatsächlich kam es im Anschluss zu einer Bärenmarktrally, die bis Ende August angedauert hat. Dabei kamen einige Faktoren zusammen, welche die Aufwärtsbewegung verstärkten. So gehen viele Wall-Street-Profis im Sommer in die Ferien und kehren erst Ende August zurück. In dieser Zeit können Privatanlegende die Preise leichter bestimmen. Die sechs Fallen beim Handeln Menschliches Urverhalten entscheidet oft über den Erfolg beim Aktienhandel. Die intensive Auseinandersetzung mit den eigenen Unzulänglichkeiten verspricht deshalb Besserung. Schäden können reduziert und der Anlageerfolg verbessert werden. Einen Überblick zu den sechs grössten Psycho-Fallen an der Börse lesen Sie hier. Solange sich Profi-Investoren und Privatanleger ungefähr die Waage halten, stabilisiert die erste Gruppe den Markt. Wenn die Euphorie der Privaten überschiesst und sie die Kurse allzu hochtreiben, treten die Wall-Street-Profis auf den Plan, welche dafür sorgen, dass sich die Börsenkurse den fundamental gerechtfertigten Kursen wieder annähern. Wenn diese aber in den Ferien sind, können die Kurse ungehindert aufwärtsexplodieren. Dies umso mehr, als Bärenmarktrallys heftiger ausfallen, wenn sie auf einen langen Boom folgen oder gar auf eine Blase. Diese Bärenmarktrallys bilden quasi ein Echo der vorangegangenen Übertreibungen. Deswegen können die Kurse geradezu lächerliche Höhen erreichen. Das heizt das Spekulationsfieber der Privatinvestoren und -investorinnen zu einem der gefährlichsten Zeitpunkte im Börsenzyklus weiter an. Schliesslich tauchen in den Medien Berichte auf, wonach ein neuer Bullenmarkt begonnen habe, kurz vor einem massiven Kurssturz. Dieses Muster zeigte sich etwa nach den Blasen von 1929 und 2000.Mehr zum Thema Von Bären und Bullen: Die Geschichte der Börsentiere Kapitalmärkte im Vergleich: Die Schweiz hängt die Nachbarn ab Unsicherheit am Aktienmarkt: Starinvestor setzt voll auf einen Gefängnisbetreiber Dass die Kurse etwa des S&P 500 Mitte August weniger als 10 Prozent unter den irrwitzigen Höchstständen des Winters 2021 lagen, muss deswegen als schlechtes Omen gewertet werden. Die Finanzmarktforschung zeigt, dass Privatanlegende oft den Fundamentalfaktoren zu wenig Rechnung tragen, etwa den Massnahmen der Zentralbanken, der Inflation oder sich verschärfenden geopolitischen Spannungen. Erhöhte Wahrscheinlichkeit von Rückschlägen Angesichts dieser Ausgangslage, euphorischer Privatanlegender sowie steigender Konjunturrisiken besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Kursrückschläge, sobald die Wall Street Ende August aus dem Ferien- in den Business-Modus zurückkehrt. Dazu gibt es einen weiteren Faktor, der für sinkende Kurse spricht. Die Rede ist von technischen Indikatoren. Diese zeigen die Verfassung der Börse an, wobei klar ist, dass eine bestimmte Börsensituation nicht durch einen einzigen Indikator eingefangen werden kann. Aber mehrere Indikatoren zusammen können wichtige Hinweise auf die zukünftige kurzfristige Börsenentwicklung geben. Ende November des letzten Jahres kam es beispielsweise zu einer derartigen Häufung von Negativsignalen, dass die damalige Konfiguration auf deutliche Kursrückschläge hinwies. Und dies ist aktuell erneut der Fall. Ein Beispiel: Der S&P 500 wies vor einigen Tagen einen RSI-Wert (der RSI gilt als einer der besten Börsen-Indikatoren) von über 70 aus, was oft sinkende Kurse nach sich zieht. Darüber hinaus hatten aber auch 30 Prozent der Einzelfirmen im S&P 500 einen RSI von über 70, eine Konstellation, die einen Kursrückgang des S&P 500 wahrscheinlich macht. Im Moment deutet das massierte Auftreten von Negativindikatoren wie dem gerade beschriebenen darauf hin, dass sich die Aufwärtsphase des Sommers erschöpft hat, was einen Preiszerfall an den Märkten erwarten lässt. Es ist deshalb nicht unvernünftig, wenn sich Investoren und Investorinnen für einen deutlichen Kursrückschlag positionieren.Nimmt der SMI nun Kurs auf das Jahrestiefst? Auch über den Schweizer Aktienmarkt bricht am Montag im frühen Handel eine Verkaufswelle herein. Nur den drei Indexschwergewichten – allen voran Novartis – ist es zu verdanken, dass der Swiss Market Index (SMI) mit einem blauen Auge davonkommt. Aus Sicht führender Charttechnikexperten ist das renommierte Börsenbarometer angeschlagen. Wie Mensur Pocinci von der Bank Julius Bär schreibt, erweist sich die seit dem Frühsommer zu beobachtende Erholung als ziemlich lustlos. Er schliesst nicht aus, dass der SMI noch einmal Kurs auf das bisherige Jahrestief nimmt. Dieses geht auf Mitte Juni zurück und liegt bei 10'350 Punkten. Als Grundvoraussetzung für einen erneuten Rücksetzer nennt Pocinci einen Bruch der wichtigen Unterstützung bei 10'700 Punkten. Zuspruch erhält Pocinci von seinem Berufskollegen Michael Riesner. Auch der im Mandat für die UBS tätige Charttechniker wähnt das Börsenbarometer vor einem Rutsch in Richtung der 10'350 Punkte, sollte die Unterstützung bei 10'700 Punkten unterschritten werden. Seines Erachtens hinterlassen vor allem die Aktien von Nestlé auf kurze Sicht einen überhitzten Eindruck. Seine Schlüsselbotschaft: Das Indexschwergewicht dürfte dem SMI nicht länger eine willkommene Stütze sein. Mehr lesen Sie hier.