Mit Aktien in fünf Jahren zum Millionär

Lars Erichsen hat sein Geld an der Börse gemacht, allerdings war er dort wesentlich aktiver, also nur in ETFs anzulegen. Erichsen ist 23, als ihm in seiner Heimatzeitung «Flensburger Tageblatt» zum ersten Mal die Aktienkurse auffallen. Neben der Allianz-Aktie steht da 125 DM, und am nächsten Tag 130 DM. «Ich sah, damit liess sich Geld machen», sagt der 49-Jährige. «Und ich dachte mir, wahrscheinlich wie viele junge Männer, ich müsste doch eigentlich nur die richtige Aktie finden.» Wie genau man mit Aktien handelt, wusste er damals noch gar nicht. Das sollte sich ändern. Zuerst jedoch bereitete er seine Mutter jede Menge Sorgen. Jahrelang konnte er sich nicht entscheiden, was er machen wollte. Er verwarf eine Banklehre und ein Sportstudium, fing dann schließlich unter seinem Vater, einem Psychologen, der zwei Seniorenheime leitete, als stellvertretender Heimleiter an. «Für mich war nur klar, dass ich später einmal selbstständig arbeiten wollte. Ein Heim zu leiten, kam dem schon nahe», sagt er. Zuvor hatte er ein duales Studium zum Betriebswirt abgeschlossen. Dort hatte er einen Dozenten, der Aktien-begeistert war. «Ihm hörte ich genau zu», sagt Erichsen. In den Seniorenheimen stellte er die Lohnbuchhaltung auf PC um. Dann beschäftigte er sich dort am Computer immer mehr mit Aktien. Es ist Mitte der 90er-Jahre, Aktien sind nicht nur durch den Börsengang der Telekom gerade sehr populär. Zeitungen berichteten ständig darüber, die «Volksaktien» werden propagiert. Erichsen handelt mit dem Geld, das ihm von Tanten und Grosseltern zu seinen Geburtstagen als Jugendlicher und zu seiner Konfirmation geschenkt worden ist – immerhin 15.000 DM. Damit spekuliert er nun an der Börse. «Oh, meine arme Mutter», sagt er lachend. Er kauft Aktien, ein paar Tage oder Wochen später verkauft er sie wieder. Firmen wie Nokia, Mobilcom, Cisco oder Ericsson. Erichsen ist ein Mensch, der gewinnen willErichsen ist ein hochgewachsener, kultiviert sprechender Norddeutscher. Er ist ein Mensch, der gewinnen will, sei es, in seiner Freizeit auf dem Tennisplatz oder später an der Börse. Damals ist er jung und hat bei seinem Vater einen sicheren Job. «Für mich war das alles ein Spiel», sagt er heute. Es war kurz vor der Internetblase im Jahr 2000, die Aktien stiegen. «Es war fast egal, was man kaufte», so Erichsen. Doch auch wenn er es als Spiel betrachtete, professionalisierte er sich immer mehr. Er besorgte sich das Bloomberg Terminal, einen Computer, der aktuelle Börsennachrichten und Kurse bietet und Tausende DM im Jahr kostete. Die Aktien kauft er am Telefon. Stundenlang hängt er am Apparat. Das Headset dafür, ein Käppi mit Telefonhörer, bastelte er sich selbst. «Wenn man am Telefon mit dem Händler in Frankfurt sprach, spürte man die Stimmung auf dem Parkett. Manchmal konnte man sogar direkt über den Händler mit dem Market Maker sprechen. Ihn fragen, wie viel Aktien er noch hat.» Nach nur zwei Jahren hat er aus 15.000 DM 100.000 DM gemacht. Drei Millionäre berichten, wie sie es zu Reichtum brachten. Eine Serie. Teil 1: «Drei Wege: So wird man Millionär ohne zu erben» Teil 2: Mit 44 als Millionär in Rente gehen – als Angestellter «So viel hat man damals gebraucht, um bei einem neuen Broker, Sino hiess er, ein Konto eröffnen zu dürfen. Und das war mein Ziel», sagt Erichsen. Denn der neue Finanzdienstleister ist spezialisiert auf sogenannte Heavy Trader und bietet erstmals auch Privatanlegern die Möglichkeit zu shorten. Beim sogenannten «shorten» profitiert man von sinkenden Kursen. Man verkauft Aktien, die man sich leiht. Wenn man sie wieder zurückgeben muss, kann man sie, wenn alles gut geht, zu einem niedrigeren Kurs einkaufen – so macht man Gewinn. «Ich wusste, das würde ich unbedingt brauchen, wenn ich mitspielen will. Denn als Trader muss man auch Geld verdienen, wenn die Märkte fallen.» 1999, er ist 27, steigt er bei seinem Vater aus. «Ich wollte mir ein Jahr geben, um es Vollzeit mit dem Börsenhandel zu versuchen», erzählt er. «Ich weiss noch, meine Mutter war wenig begeistert.» Für ihn ist es immer noch ein Spiel. Er kann ja jederzeit wieder zurück. «Das hat sicherlich auch geholfen, das Traden nicht so emotional zu sehen.» Er fragt sich: Ist das wirklich echtes Geld?Das Guthaben auf seinem Tradingkonto wächst und wächst. Über einen Bekannten lässt er sich von Programmierern in der Ukraine eine kleine Software schreiben, mit der er Kurse vergleichen kann. Nach weiteren zweieinhalb Jahren erhält er eine Glückwunschkarte von Sino: Er habe nun eine Million DM auf seinem Konto. Da ist er gerade 30. «Manchmal dachte ich auch, das ist ja Wahnsinn», sagt er. Er habe sich gefragt: Ist das wirklich echtes Geld da auf meinem Konto? «Es war in dieser Zeit, in der ich mir eine Menge Autos kaufte. Einen Mercedes, einen Audi.» Jedes halbe Jahr hatte er ein neues. «Ich war halt ein normaler junger Mann. Für mich war das aber auch eine gewisse Erdung. So habe ich etwas Greifbares gesehen. Das Geld ist echt.» Nicht nur blinkende Zahlen auf einem Bildschirm, die ihm ein mittleres sechsstelliges Einkommen im Jahr bescheinigen. Von 15.000 auf eine Million DM in vier Jahren, das klingt gewaltig. «Das waren ganz andere Zeiten», sagt er. «Damals konnte man sich noch einen echten Vorteil vor anderen verschaffen. Kaum jemand hat mit Aktien gehandelt.» Und kaum jemand hatte seine technische Ausstattung. Denn zwar war der Aktienbesitz gerade in Mode. Der sogenannte Neue Markt boomt. Hatte es 1997 5,6 Millionen Aktionäre in Deutschland gegeben, hatte sich diese Zahl bis 2000 – also in nur drei Jahren – verdoppelt. Doch wer kein Trader war, ging meist zu seinem Bankberater in die Bank, um eine Aktie zu kaufen. Wurde die Aktie gekauft, kam Tage später ein Brief ins Haus. Ein Traden, ein schneller Kauf und Verkauf, war nur für wenige möglich. Womit Erichsen an der Börse vor allem Erfolg hatte, waren sogenannte Arbitrage-Geschäfte. Dabei versucht er, Kursdifferenzen zwischen Handelsplätzen, etwa in Europa und den USA, auszunutzen. «Ein Beispiel: Wenn in der Sendung ‚Freitagsbörse‘ über eine Aktie gesprochen wurde, wurde sie dann Montagmorgen in Deutschland gekauft. Die US-Börsen hatten aber einen anderen Kurs.» Mit dieser Differenz lässt sich Geld verdienen: Die Aktie wird an dem billigeren Handelsplatz gekauft und dort, wo sie teuer ist, verkauft. Zudem versucht er, bei neuen Meldungen die Reaktion der Märkte vorherzusagen und Über- oder Untertreibungen auszunutzen – das sogenannte Newstrading. Aktie steigt in seinem Depot auf 250.000 DMDoch natürlich läuft nicht alles glatt. Als er gerade anfing, da war er 24, lässt er sich, angefeuert durch Online-Chatgruppen, mitreissen in eine Aktie namens «High Speed Net Solutions» zu investieren. «Die Firma wollte mithilfe einer Technik, von der ich noch nie gehört hatte, die Übertragungstechnik revolutionieren. Ich hatte keine Ahnung.» Die Aktie explodierte, verzehnfachte sich, stieg in seinem Depot auf 250.000 DM. Dann stürzte sie ab. Erichsen konnte nur seinen Einsatz von 25.000 DM retten. «So etwas tut schon weh», sagt er. Es ist zudem ein einsamer Job. Erichsen sitzt in einem gemieteten Büro und hackt auf die Tastatur ein. Wenn er gewinnt, schiesst das Adrenalin durch den Körper. «Das ist schon tolles Gefühl.» Ein Zustand, der süchtig macht, sagt er. «Tatsächlich ging es mir gar nicht so sehr ums Materielle, auch wenn sich das für einen Trader jetzt komisch anhört, sondern um das Gewinnen.» Auf einmal ist es kein Spiel mehrNach dem Absturz der «High Speed Net Solutions»-Aktie beginnt er, nach klaren Regeln zu traden. Diese bringt er sich in den Jahren selbst bei, etwa, dem Trend zu folgen, nicht unbedingt recht haben zu müssen, und für ihn das Wichtigste: die Fähigkeit, Verluste zu begrenzen, also aus einer Position rauszugehen, auch wenn diese im Verlust ist. «Ich habe jeden Fehler selbst gemacht», sagt er. Sein Leben beginnt sich mit den Jahren zu verändern. Er heiratet, 2001 wird seine Tochter geboren, später sein Sohn. «Auf einmal war es dann nicht mehr nur Spiel. Wir hatten ein Haus gekauft und dafür einen Kredit aufgenommen. Ich habe plötzlich zum ersten Mal auch Druck gespürt.» Auch wenn die Gewinne hoch klingen, gibt Erichsen zu bedenken, dass er damals 50 Prozent Steuern zahlte, er sich selbst krankenversichern und zudem für seine Rente vorsorgen muss. Und zum Trading gehören immer auch Verluste. Sein bislang grösster war eine Verkaufs-Option auf VW, mit der er bei dem gescheiterten Porsche-Übernahmeversuch auf fallende Kurse spekulierte. Der VW-Kurs schoss jedoch auf 1000 Euro hoch und lief damit gegen ihn. Er musste die Position auflösen und verlor einen sechsstelligen Betrag. Es dauere dann «drei, vier Monate», so sagt er, in denen man jeden Tag arbeite, nur, um den Verlust wieder auszugleichen. 15 Jahre sitzt er so vor dem Rechner. Als die Kinder grösser sind, zieht er von dem Büro in ein Zimmer seines Hauses. «Man ist gewöhnt, dass der Puls mehrmals am Tag richtig hochgeht. Das habe ich irgendwann auch am Wochenende gemerkt. Ich konnte nicht mehr stillsitzen. Man bleibt in dieser Habachtstellung.» Das gehe vielleicht mit 25 Jahren, aber nicht mehr mit Ende 30. Das Trading habe etwas von einer Sucht gehabt, bei der man immer wieder Bestätigung bekomme, sagt Erichsen. Einmal ist er abends in einer Elternversammlung in der Schule. Er ist Elternvertreter. Er schaut nur aufs Handy, kann sich nicht losreissen. Es ist auch noch eine Waldorfschule, deren Mitarbeiter Technik sowieso etwas distanziert gegenüberstehen. Irgendwann bemerkt er, dass ihn alle anstarren. Er kann sich trotzdem kaum vom Bildschirm lösen. «Ich merkte, da passt ganz viel in meinem Leben nicht mehr.» Es habe noch einiger solcher Ereignisse gegeben. Etwa auf dem Golfplatz, bei dem er kaum das Spiel mitbekam, weil er wieder auf das Handy schaute. Und die vielen Nächte. «Am Tag, wenn man vor dem Rechner sitzt, kann man eingreifen», sagt er. Nicht aber nachts im Bett. Das macht ihn nervös. Der Kopf dreht sich weiter - Chance, Risiko, immerzu wägt er ab. «Es raubt einem den Schlaf. Und das zermürbt alles irgendwann», sagt er. «Was mich immer angetrieben hat, war der Wettkampf.» Nicht nur gegen andere, auch gegen sich selbst. «Beim Trading erhalte ich ja jede Stunde eine Beurteilung meiner Leistung.» Jahrelang habe er deshalb einen massiven Druck gespürt. «Bis ich 2012 einfach körperlich zusammengebrochen bin. Ich habe eine transitorische ischämische Attacke, das fühlt sich an wie ein Schlaganfall, ist aber kein echter.» Er hatte ein paar Minuten kein Gefühl mehr in einer Körperhälfte. «Von diesem Moment an fühlt man sich eben nicht mehr unverwundbar.» Seitdem tradet er nur noch selten. Heute versucht er, die Tage ruhig anzugehen, zu meditieren und sich Zeit zu lassen. Davon merkt man von aussen allerdings wenig, Erichsen ist ziemlich umtriebig. 100'000 Abonnenten verfolgen auf Youtube seine Tipps zur Geldanlage, in denen er für Aktien und ETFs zum Vermögensaufbau wirbt. Ein kostenpflichtiges Musterdepot, einen Podcast und Newsletter hat er auch. Es habe ihn glücklich gemacht, durch Social Media nach den Jahren des einsamen Tradens wieder mehr mit Menschen in Kontakt zu kommen, sagt er. «Nach dem Beginn der Corona-Krise sind viele Depots von jungen Leuten eröffnet worden, vielleicht auch ein Verdienst von uns YouTubern», sagt er. Sein eigenes Vermögen ist heute in Aktien, Gold, Bitcoin und einer Handvoll Immobilien angelegt. Erichsen ist bemüht, jeden Anflug von Pomp zu vermeiden. Selbst dass er Golf spielt, ist ihm hörbar unangenehm. «Mein Knie hat Tennis nicht mehr zugelassen, und ich wohne nun einmal nur 500 Meter von einem Golfplatz entfernt», rechtfertigt er sich. Der Sport sei wirklich nicht so teuer, wie man gemeinhin denke, schiebt er hinterher. Kann man heute durch Trading reich werden?Was meint er, kann man mit Trading heute noch reich werden? «Wenn mich jemand heute fragen würde, der ein Haus und Kinder hat, ob er mit dem Trading anfangen soll, würde ich klar Nein sagen. Nicht, dass er noch zum Sozialfall wird. So etwas ist schon vorgekommen.» Erichsen schätzt, dass es nur 500 bis 1000 Menschen in Deutschland gibt, die vom Trading leben können. Genaue Zahlen darüber fehlen. Das sei kein Zeitvertreib oder ein kurzer Kick, warnt der 48-Jährige. Man müsse sich Zeit nehmen für eine Ausbildung, wie bei einem Handwerk. «Man muss sich klar sein, dass man doppelt so viel verdienen muss wie ein Angestellter, um Steuern und Krankenkasse zu bezahlen und vorzusorgen. Das Geschäft ist heute zudem sehr viel schwieriger als früher.» Er rate Leuten, die mit Traden anfangen wollen, nur mit zehn Prozent des Vermögens zu handeln. Reich werden hält er aber sowieso für das vollkommen falsche Ziel. «Viel besser ist es, etwas zu finden, das man gern tut, mit Leidenschaft.» Vielleicht ist das ein Fazit der drei Millionäre. Ihr Vermögen hat ihnen Sicherheit gegeben, Ruhe. Manchmal ist auf dem Weg dahin allerdings auch etwas in Mitleidenschaft gezogen worden, die Gesundheit zum Beispiel. Sobald das Vermögen da ist, beginnt oft ein neuer Abschnitt. Es setzt eine Sinnsuche ein. Denn wer nicht mehr für Geld arbeiten muss, muss einen anderen Grund finden, morgens aufzustehen und etwas Sinnvolles zu tun. Dieser Artikel erschien zuerst im Bezahlangebot der «Welt» unter dem Titel: «Mit Trading Geld verdienen – 'Ist das wirklich echtes Geld auf meinem Konto?'».

Mit Aktien in fünf Jahren zum Millionär

Als Kleinanleger mit Aktien zum Millionär – in nur fünf Jahren