Der Eindruck scheint sich zu verfestigen, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) bei ihrer Geldpolitik als Erstes auf diejenige der Europäischen Zentralbank (EZB) schaut und erst dann auf die wirtschaftliche Lage in der Schweiz. Schliesslich haben die sich abzeichnenden Anleihekäufe der EZB Anfang 2015 zu einer Aufgabe des Mindestkurses für den Franken und zu einer Leitzinssenkung um 0,5 Prozentpunkte auf das gegenwärtige Niveau von 0,75 Prozent geführt.

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Klar ist auch, dass höhere Zinsen in der Schweiz Anlagen in Franken attraktiver machen und zu Aufwertungsdruck führen. Ein starker Franken führt wiederum zu günstigeren Importpreisen. Diese hatten in den letzten Jahren zwei unerwünschte Konsequenzen: Zum einen haben sie die Inflationsrate gefährlich nahe an den Deflationsbereich geführt und zum anderen die Exportwirtschaft belastet.

Gewöhnlich ist es daher für die SNB einfacher, wenn ein höheres Zinsniveau in der Währungsunion den Aufwärtsdruck auf den Franken begrenzt. Schliesslich hat sich der Franken in den letzten 12 Monaten schon um 3,5 Prozent gegenüber dem Euro verteuert.

Über den Autor

Karsten Junius, CFA, ist Chefvolkswirt der Bank J. Safra Sarasin.

Anderseits betrachtet die SNB die gesamte Währungssituation und könnte beruhigt feststellen, dass der handelsgewichtete und um Inflationsdifferenzen bereinigte Wechselkurs im Januar knapp 2 Prozent günstiger war als vor Jahresfrist. Von einer zu starken Belastung der Exportwirtschaft kann also aktuell nicht gesprochen werden. Zudem verfolgt die SNB aus gutem Grund kein Wechselkursziel, sondern beachtet die Lage der Gesamtwirtschaft. Und diese sieht ausserordentlich gut aus.

Während es in der Währungsunion bis zum Ende 2021 gedauert hat, das Niveau des Bruttoinlandsprodukts vor der Pandemie wieder zu erreichen, konnte die Schweiz dies bereits im dritten Quartal letzten Jahres um 1,5 Prozent übertreffen. Die Kapazitätsauslastung des verarbeitenden Gewerbes ist überdurchschnittlich. Das Wachstum der Kreditvergabe von zuletzt 4,5 Prozent und vorlaufende Konjunkturindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes bestätigen eine anhaltend hohe Wirtschaftsdynamik. Ohne die Belastungen der Omikron-Variante wäre diese aktuell vermutlich noch stärker.

Entsprechend ist die Arbeitslosenquote auf 2,3 Prozent – dem langjährigen Tiefstand vor der Pandemie – gefallen. Die offenen Stellen befinden sich auf einem Allzeithoch. Die Unternehmen berichten über zunehmende Schwierigkeiten, diese zu besetzen. Sowohl die Einschätzung der Lage am Arbeitsmarkt als auch die Arbeitsmarkterwartungen des KOF sind so gut wie seit dem Jahr 2000 nicht mehr. Ein Umfeld, in dem negative Leitzinsen notwendig sind, ist dies nicht mehr.  

Sicherlich, zunehmender Lohndruck ist bislang nicht zu beobachten. Aber je länger die Krise in der Ukraine und die hohen Energiepreise anhalten, je länger die Null-Covid-19-Strategie in China und die Ausbreitung der Omikron-Variante zu Lieferengpässen führen, desto stärker verfestigen sich auch in der Schweiz höhere Inflationsraten.

Die SNB wird auf ihrer nächsten geldpolitischen Lagebeurteilung daher kaum darum herumkommen, ihre Inflationsprognose für die kurze wie auch mittlere Frist anzuheben. Es gibt gute Gründe, weshalb auch die EZB ihre Geldpolitik bald straffen sollte. Immerhin liegt die Inflationsrate im Euro-Raum rund 3,5 Prozentpunkte über derjenigen in der Schweiz.

Die EZB hat immerhin angekündigt, ihre Wertschriftenkäufe deutlich zu reduzieren, die 2015 ja Auslöser der letzten Zinssenkung der SNB gewesen sind. Aber für die SNB ist es nun Zeit, unabhängig davon zu agieren, welche Vogelart im EZB-Turm das geldpolitische Gezwitscher vorgibt. Sie sollte jetzt schon die Märkte auf eine Zinserhöhung im Sommer oder Herbst einstellen.  

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