Konkurs der Credit Suisse? Mit hohen Eigenkapitalquoten würden Gerüchte keine Bank erschüttern

In der Finanzkrise wurde klar, dass die Banken zu wenig Eigenkapital hatten. Bei den Grossbanken lag sie unter 3 Prozent. Das heisst: Von 100 Franken Bilanzvermögen waren über 97 Franken mit Krediten finanziert, nur 3 Franken mit Eigenkapital. Wenn also nur 3 Prozent der Bilanz verloren gingen, war das ganze Eigenkapital weg und die Bank musste Konkurs anmelden. Genau das passierte im Jahr 2008: Lehman Brothers ging bankrott und die UBS sowie viele andere Banken mussten gerettet werden. Nach der Finanzkrise wurden 10 Prozent Eigenkapitalquote gefordert So war nach der Finanzkrise eines klar: Die Eigenkapitalquoten der Banken müssen erhöht werden. Insbesondere systemrelevante Banken sollten viel mehr Eigenkapital halten müssen. Denn diese sind zu gross, zu wichtig, um sie fallen lassen zu können. Sie müssen daher im Zweifel vom Staat gerettet werden. Direkt nach den Erfahrungen in der Finanzkrise stand die Forderung von 10 Prozent Eigenkapital – eine Leverage Ratio von 10 Prozent, wie die Bankerinnen und Banker es formulieren. Die Forderung stammte von Simon Johnson, der während der Finanzkrise Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF) war. Heute ist er Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), einer der weltweit führenden Wirtschaftshochschulen. Weil seine Arbeiten von anderen Wissenschaftern und Wissenschafterinnen so oft zitiert werden, zählt er dieses Jahr zu den Favoriten für den Nobelpreis. Johnson sagte, dass erst mit einer Eigenkapitalquote von 10 Prozent von einem robusten Finanzsystem gesprochen werden könne. Jetzt liegt die Anforderung für Grossbanken bei 3,5 Prozent Heute ist das Finanzsystem noch immer weit davon entfernt. Die Mindestanforderung für die beiden Schweizer Grossbanken liegt bei einer Leverage Ratio von 3,5 Prozent, also nur unwesentlich höher als damals in der Finanzkrise. Von 10 Prozent ist schon lange keine Rede mehr. Und dann kommt nur eine kleine Krise – als mehr kann man das aktuell im Vergleich mit der Finanzkrise nicht bezeichnen –, und schon gibt es Gerüchte, eine Grossbank könnte in Konkurs gehen. Die Prämien für eine Versicherung gegen einen Konkurs der Credit Suisse (CS) steigen auf ein Niveau der Prämien für die UBS im Jahr 2008, als sie in der Finanzkrise gerettet werden musste. Weckruf für Regulatoren Dies ist auch ein Weckruf für Regulatoren, der besagt, dass die Banken noch immer zu wenig Eigenkapital haben. Ja, sie haben zwar mehr als die geforderten 3,5 Prozent: Die UBS hat 4,2 Prozent, die CS 4,3 Prozent, die Raiffeisen 7 Prozent. Aber damit sind sie alle weit weg von den 10 Prozent, die gemäss dem Nobelpreis-Favoriten Johnson ein robustes Finanzsystem ausmachen würden. Warum also hat sich trotz der Erfahrungen in der Finanzkrise wenig geändert? Hauptgrund ist, dass die Banken dagegen waren. Der damalige CS-Chef Brady Dougan war ein dezidierter Gegner. Seine und die Argumente anderer Bankerinnen und Banker gegen höhere Eigenkapitalquoten zerlegten Anat Admati und Martin Hellwig in ihrem Buch «Des Bankers neue Kleider», das im Jahr 2013 publiziert wurde. Anat Admati ist Professorin an der renommierten Stanford University, Martin Hellwig war Direktor am Max-Planck-Institut. In einem Paper aus dem Jahr 2019 nehmen sie nochmal alle 34 Argumente der Bankerinnen und Banker einzeln auseinander. Darunter etwa das Argument der Bankchefs, dass sie weniger Kredite vergeben könnten, wenn sie höhere Eigenkapitalquoten halten müssten. Damit würde der Wirtschaft wichtiges Kapital für Wachstum fehlen. Aber Ökonomen des IWF haben schon lange nachgewiesen, dass höhere Eigenkapitaldecken nicht zu Kreditverknappung führen. Sondern genau anders herum: Während der Finanzkrise haben die am besten kapitalisierten Banken ihre Kreditvergabe am wenigsten eingeschränkt. Auch dafür, dass Eigenkapital für Banken zu teuer sein soll, gibt es keine faktischen Beweise. Auch hier ist sogar das Gegenteil der Fall: Eigenkapital wird günstiger, je mehr eine Firma davon hat. Weil die Investoren einer Bank mit mehr Eigenkapital mehr vertrauen, weil eine solche Bank sicherer ist. Weniger Eigenkapital bringt höhere Boni Aber Brady Dougan hielt als CEO der CS immer dagegen: Jemand, der so hohe Eigenkapitalquoten fordere, habe wirklich nicht die geringste Ahnung vom Bankgeschäft. Und so funktioniert das Geschäft, das bei Bankchefs die Kassen klingeln lässt: Je weniger Eigenkapital eine Bank hat, desto höher ist deren mögliche Eigenkapitalrendite, weil das Eigenkapital mit sehr viel Fremdkapital gehebelt wird. Je höher die Eigenkapitalrendite, desto höher fallen tendenziell die Boni der Bankchefs aus. Wenn es gut läuft, klingeln die Kassen. Wenn es schlecht läuft, geht der Hebeleffekt in die andere Richtung, und die Bank kommt ins Schlittern. Dann muss allenfalls der Staat rettend eingreifen respektive die Steuerzahlenden dürfen für den Schaden aufkommen. Fazit: Die Bankchefs haben hohe Gewinnchancen, wenn es gutgeht, aber wenig Verlustrisiken, wenn es schiefgeht. Kein Wunder also, dass die Bankerinnen und Banker immer gegen höhere Eigenkapitalquoten argumentieren. Ein weiteres Argument, welches immer wieder angeführt wird, ist jenes der gleich langen Spiesse. Die Schweiz könne nicht einfach höhere Eigenkapitalanforderungen stellen, sonst hätten heimische Banken einen Wettbewerbsnachteil gegen die Konkurrenz im Ausland. Ob das wirklich so wäre, ist eine Frage, die von den Professoren Johnson, Admati und Hellwig auf jeden Fall verneint würde. Und auch hier lassen sich Argumente finden, die dafür sprechen, dass sogar das Gegenteil der Fall sein könnte: dass nämlich die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Banken mit höheren Eigenkapitalquoten verbessert würde. Verkaufsschlager in unsicheren Zeiten: Die sichersten Banken der Welt Denn: Die Schweizer Banken könnten hohe Eigenkapitalanforderungen auch als Marketinginstrument im Ausland einsetzen. Schweizer Banken sind die sichersten Banken der Welt, mit 10 Prozent Eigenkapitalquote im sicheren Hafen des Schweizer Frankens. In unsicheren Zeiten wie jetzt könnte das ein Verkaufsschlager sein – ebenso wie sichere Gold- und Datenbunker im Gotthardmassiv. Keine Schweizer Grossbank würde mehr erschüttert von einem Konkursgerücht.