Mit diesen Aktien wetten Sie auf die Zukunft der Chirurgie

Er ist ein Weggefährte von Bill Gates, hat die Medizin verändert und ist milliardenschwer – und trotzdem kennen nur die wenigsten seinen Namen: Frederic Moll. Der Amerikaner ist Mitgründer des kalifornischen Robotikunternehmens Intuitive Surgical und damit Vater des Da-Vinci-Operationsroboters. Knapp 7500 derartige Roboter sind mittlerweile weltweit im Einsatz, was das Unternehmen zur Nummer eins in der Branche macht. Die Marktkapitalisierung: rund 90 Milliarden US-Dollar – je nach Börsentemperatur etwas mehr oder weniger. Das macht den Konzern wertvoller als die UBS, wertvoller als Zurich, wertvoller auch als Richemont. Intuitive Surgical ist das Aushängeschild einer Industrie, die die Zukunft der Medizin prägt und die Wall Street im Bann hält. Die Aktien von Medizinalrobotikunternehmen gehören zu den Darlings der Börse, weil das Potenzial gewaltig ist: Das Marktvolumen soll sich alleine in den Jahren zwischen 2020 und 2025 verdreifachen, heisst es etwa in einer Studie von Mirabaud vom Januar. Und Goldman Sachs sieht den Marktführer Intuitive Surgical in der Poleposition, um von diesem Trend zu profitieren, weswegen die Investmentbank die Aktie der Kalifornier im Dezember zum möglichen Star von 2023 kürte. Tatsächlich hat die Aktie seit der Goldman-Empfehlung etwas an Wert verloren. Die Jahreszahlen waren solid, ein Aktienrückkaufprogramm gibt Rückenwind, aber der Launch der fünften Da-Vinci-Generation ist um ein Jahr nach hinten verschoben, was den Kurs belastete. Der langfristige Trend aber ist ungebrochen: Die Firma ist ein Wachstumsstar und ein Renditegigant. Seit dem Börsengang vor knapp zwanzig Jahren ist sie um über 12’000 Prozent gestiegen. Alleine in den letzten zehn Jahren versiebenfachte sich der Wert der Aktie. Sie wird aktuell mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 65 und einem Preis-Buch-Verhältnis von 8 gehandelt. Länger, genauer, weniger invasiv Die Vorteile von Robotern im Operationssaal liegen auf der Hand: Die Technik bietet eine höhere Genauigkeit. Roboter können kleinere und präzisere Bewegungen ausführen als der Mensch, was das Risiko von Kunstfehlern verringert. Robotersysteme bieten ausserdem eine hochauflösende Ansicht des Operationsgebiets, was die Sicht und die Entscheidungsfindung während des Eingriffs verbessert. Schliesslich können Roboter repetitive Aufgaben ausführen, ohne müde zu werden. Die Folge: Während eines langen Eingriffs ist ein gleichbleibendes Mass an Präzision gewährleistet. Ohne Frederic Moll wäre die Branche noch in den Kinderschuhen. Er hat in den 1980er Jahren die chirurgische Facharztausbildung begonnen und war erstaunt über die Grösse der Schnitte, welche nötig waren, um bei Standardoperationen in den Körper einzudringen. «Das kam mir antiquiert vor», sagte er einst zur «New York Times». Also liess er sich beurlauben, zog von Seattle ins Silicon Valley und begann zu untersuchen, ob die langen, schlanken Schneidewerkzeuge, die Gynäkologen bei der Sterilisation von Frauen verwendeten, auch für die Entfernung einer Gallenblase geeignet waren. Moll kehrte nie wieder in den Arztberuf zurück. Er verbrachte das nächste Jahrzehnt damit, zwei Unternehmen für medizinische Geräte zu gründen, und machte einen Management-Abschluss in Stanford. Er verkaufte beide Firmen für rund 7,5 Millionen Dollar und machte sich auf, das nächste Unternehmen zu gründen – Intuitive Surgical. Die Firma ging um die Jahrtausendwende an die Börse. Eine Aktie kostete damals 9 US-Dollar. Heute ist das Papier 25- bis 30-mal so viel wert.Investieren mit dem Pionier: Worauf Moll sein Geld setzt Frederic Moll war in den 1990ern die treibende Kraft hinter der Gründung des Da-Vinci-Herstellers Intuitive Surgical. Er gründete in der Folge zwei weitere Firmen an der Schnittstelle zwischen Medizin und Robotik, Hansen Medical und Auris Surgical Robotics. Die beiden fusionierten 2016 und wurden 2019 von Johnson & Johnson für die Summe von über 5 Milliarden US-Dollar geschluckt. Moll ist seither Entwicklungschef von Johnson & Johnson. Seit 2022 ist er ausserdem strategischer Berater in der Vermögensverwaltungssparte von JP Morgan, der grössten US-Bank und, gemessen an der Marktkapitalisierung, der grössten Bank der Welt. Er hält namhafte Aktienpakete an den beiden Medtech-Unternehmen Procept Biorobotics und Shockwave Medical. Beide Firmen sind in Kalifornien beheimatet. Beide sind öffentlich gelistet. Bei beiden hat Moll zuletzt aufgestockt. Procept Biorobotics wirtschaftet nach wie vor negativ. Die Firma hat eine Lösung entwickelt, um eine Vergrösserung der Prostata zu bekämpfen, die das Wasserlassen erschwert. Alleine in den USA sollen 40 Millionen Männer von der Behandlung profitieren können, schätzt das Unternehmen. Aber die Ambitionen gehen weit darüber hinaus. Die Firma will die Technik weltweit vermarkten. Shockwave Medical beschäftigt sich mit der medizintechnischen Behandlung von atherosklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dabei geht es um die Behandlung von verengten und verhärteten Arteriengefässen mittels lokaler Abgabe von Schalldruckwellen – daher der Name. Die Firma ist seit März 2019 auf dem Börsenparkett und hat einen heissen Ritt hingelegt: Der IPO-Preis einer Aktie lag bei 17 US-Dollar. Am ersten Handelstag verdoppelte sich der Wert des Papiers. Im Sog der Pandemie klettere die Aktie schliesslich in der Spitze auf über 300 US-Dollar pro Aktie – und damit auf das 18-Fache des IPO-Preises. Die Aktie kann auch im Paket mit anderen in einem ETF gehandelt werden. Volumenmässig der grösste ist der Vanguard Total Stock Market ETF, wobei Shockwave Medical dabei eine verschwindend kleine Position ist. Allokationsmässig am stärksten – mit knapp 2 Prozent – setzt der Invesco S&P Midcap 400 Pure Growth ETF auf Shockwave Medical. Shockwave Medical wird in knapp über 100 ETF gehandelt. Die Aktie von Intuitive Surgical dagegen wird in über 200 ETF gehandelt. Zum Teil macht der Da-Vinci-Bauer 5 bis 10 Prozent des Volumens aus, so etwa beim Global X Robotics & Artificial Intelligence ETF. Die Performance des ETF hinkt aber sowohl der Aktie als auch dem Gesamtmarkt hinterher. Der Da-Vinci-Roboter von Intuitive Surgical avancierte zum Star der Industrie. In der Prostata-Chirurgie ist es für eine ambitionierte Urologin mittlerweile undenkbar, ohne Roboter, der im Schnitt rund 2 Millionen Franken kostet, zu operieren. Präzision ist bei diesen Eingriffen oberstes Gebot. Ein falscher Schnitt, und es ist vorbei mit der Kontrolle über die Blase, vorbei mit der sexuellen Potenz. Moll verliess Intuitive Surgical kurz nach dem Börsengang und gründete in der Folge weitere Unternehmen. Eines davon verkaufte er für einen Milliardenbetrag an den Pharmagiganten Johnson & Johnson, für den er heute in leitender Position tätig ist. Seine Karriere wäre um ein Haar ganz anders verlaufen. Molls Mutter, die erste Absolventin der Medizinfakultät von Yale, verunglückte bei einem Segeltörn, als er erst 14 war. Kurz darauf starb sein Vater, 54-jährig, an einem Herzinfarkt. Moll ging zur Universität, um alles zu vergessen, und machte einen wirtschaftswissenschaftlichen Abschluss. «Ich habe der Medizin den Rücken gekehrt und Wirtschaft studiert», sagt er in einem Magazin von Johnson & Johnson. Doch die Gesundheitsindustrie liess ihn nicht los. Eines Tages las er in den Nachrichten über einen Lungen-Herz-Bypass und war beeindruckt von der Tatsache, dass der Eingriff das Leben von Männern rettete, die im gleichen Alter wie sein Vater waren, als er starb. Es war der Wendepunkt. Moll schrieb sich wieder an der Uni ein, studierte Medizin und avancierte zum Pionier eines Feldes, das jetzt die Zukunft der Medizin prägt. «Der Markt für robotergestützte chirurgische Eingriffe hat sich in den letzten zehn Jahren erheblich weiterentwickelt, wobei der Marktführer Intuitive Surgical im Jahr 2022 rund 1’875’000 chirurgische Eingriffe durchgeführt hat, im Vergleich zu rund 450’000 im Jahr 2012», wie Tom Riley sagt. Er ist Experte für Robotech-Strategie beim Vermögensverwalter Axa IM. Riesiges Roboterpotenzial Das Ökosystem rund um Intuitive Surgical entwickelt sich von Jahr zu Jahr weiter, sagt Riley. Immer mehr Studenten würden im Umgang mit dem Da-Vinci-System geschult, was bedeute, dass der Komfort und die Vertrautheit der Chirurgen mit der Technologie weiter zunehme. «Schätzungen zufolge werden weltweit etwa 2 Prozent der Operationen mit Roboterunterstützung durchgeführt», so der Experte. «Das deutet darauf hin, dass diese Zahl noch erheblich zunehmen wird, wenn mehr Roboter eingesetzt werden, mehr Anwendungsfälle zugelassen werden und mehr Chirurgen zu robotergestützten Operationen übergehen, anstatt traditionelle Methoden zu verwenden.» Während Intuitive Surgical sich auf Roboter für Operationen in der Urologie, Gynäkologie und Allgemeinchirurgie spezialisiert hat, gibt es Unternehmen, die andere Bereiche des Marktes erobert haben. So hat Globus Medical den Roboter Excelsius GPS entwickelt, der sich auf Anwendungen in der Wirbelsäulenchirurgie konzentriert. Ein weiteres Beispiel ist Zimmer Biomet mit seinem Rosa System für die Kniechirurgie. «Die Technologie für die robotergestützte Chirurgie entwickelt sich weiter, sowohl auf der Hardware- als auch auf der Softwareseite», sagt Riley. Die mechanische Präzision und Flexibilität der Systeme werde mit jeder neuen Gerätegeneration verbessert, aber ebenso wichtig seien die Entwicklungen im Bereich der chirurgischen Planungssoftware oder einiger Bildgebungstechnologien, die dem Chirurgen, der Chirurgin eine grössere Transparenz bei der Durchführung eines Eingriffs ermöglichten. «Die wichtigsten Triebkräfte für das Wachstum des Marktes sind die weltweit wachsende ältere Bevölkerung, die zunehmende Vorliebe für minimalinvasive Operationen und die höhere Akzeptanz von fortschrittlichen medizinischen Technologien», schreibt auch Mirabaud in einem Branchenbericht von Mitte Januar. Die Bank weist darauf hin, dass die Roboterforschung auf eine verbesserte Finanzierungssituation trifft und dass insbesondere im Raum Asien-Pazifik grosses Aufholpotenzial besteht. Beides dürfte dem Gebiet weitere Impulse geben. Für Anlegerinnen und Anleger, die sich in diesem Umfeld positionieren wollen, empfiehlt die Bank eine vertiefte Auseinandersetzung mit Titeln wie Stryker, Smith & Nephew oder Medtronic – neben den bekannten beiden US-Firmen Intuitive Surgical und Globus Medical. «Ob es uns gefällt oder nicht, die Chirurgie entwickelt sich weiter», heisst es im Fazit der Publikation. «Es wäre jedoch ein schwerer Fehler, auf die Obsoleszenz von Chirurgen zu setzen. Roboter werden die menschliche Hand bei solch sensiblen Eingriffen niemals ersetzen. Bestenfalls können sie sehr gute Assistenten sein. Nichtsdestotrotz ist dies ein schnell wachsender Bereich, der Aufmerksamkeit verdient.»Medtech in der Schweiz: Ypsomed und Medacta Ausgepumpt oder nicht? Das ist die ewige Frage beim Berner Insulinpumpenhersteller Ypsomed. Für Credit-Suisse-Analyst Christoph Gertler ist die Antwort klar: Die Aktie, die in den letzten fünf Jahren eine annualisierte Rendite von über 10 Prozent realisiert hat, hat immer noch Luft nach oben. Und er ist mit dieser Einschätzung nicht alleine: Von den sechs Analystinnen und Analysten, die auf Bloomberg gelistet sind, haben fünf eine «Kauf»-Empfehlung, keine einzige Person empfiehlt die Aktie zum Verkauf. Ypsomed hat zwei Geschäftsfelder: Injektionsgeräte für Medikamente und Diabetes-Versorgung mit Insulinpumpen. Ersteres läuft tadellos, Zweiteres verursacht Verluste. Ypsomed-Chef Simon Michel rechnet damit, dass das Insulinpumpenbusiness frühestens 2024 die Gewinnschwelle erreicht. Der Vertrieb sei teuer, der Wettbewerb deutlich schärfer als im anderen Geschäftsfeld. Zu den Rivalen in den USA zählt unter anderem Medtronic. Im Dezember gab es den letzten Rückschlag im Insulinpumpenvertrieb: Der Kooperationspartner Eli Lilly hat sich vom Vorhaben zurückgezogen. Die Aktie hat daraufhin einen selten starken Kurssturz erlebt. CS-Analyst Gretler wertet das aber als Chance zum Einstieg beim «am schnellsten wachsenden europäischen Mid-Cap-Medtech-Unternehmen». Er sieht die Aktie auf zwölf Monate hinaus bei einem Preis von 235 Franken – bei aktuell deutlich unter 200 Franken. Im besten Fall könnte die Aktie daraufhin auf 270 Franken klettern. Gretler bezeichnet das als «Blue Sky»-Szenario. In diesem Szenario erreicht Ypsomed im Markt für Insulinpumpen auf absehbare Zeit einen Anteil von 15 Prozent in den USA und 30 Prozent in Europa. Weniger optimistisch ist Gretler für eine zweite Schweizer Medtech-Aktie: Medacta. Er hat ein Preisziel von 105 Franken für die Aktie, was nicht weit vom aktuellen Niveau entfernt ist. Auch das Echo der anderen Analysten und Analystinnen fällt verhalten aus. Knapp die Hälfte hat eine «Hold»-Empfehlung für die Aktie, die in den letzten Jahren gerade einmal eine annualisierte Rendite von 1 Prozent erzielt hat und zu einem Preis-Buch-Verhältnis von 8 gehandelt wird bei einem KGV von um die 40. Das Tessiner Orthopädieunternehmen ist seit 2019 an der Börse gelistet. Der Ausgabepreis von damals ist fast deckungsgleich mit dem aktuellen Kurs. Die Mehrheit des Unternehmens ist auch nach dem Börsengang im Besitz der Familie Siccardi, die mit einem geschätzten Vermögen von 2,25 Milliarden Franken zu den 100 Reichsten der Schweiz gehört. Familienoberhaupt Alberto Siccardi wacht als Präsident über die Gruppe, seine Tochter Maria Luisa sitzt ebenfalls im fünfköpfigen Verwaltungsrat, zu den drei unabhängigen Mitgliedern zählt der frühere Barry-Callebaut-Finanzchef Victor Balli.